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© BÜCHERmagazin, Martin Maria Schwarz (mms)
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Arno Geigers neuer Roman handelt von einem jungen Mann, der altersbedingt nicht weiß, dass er nicht weiß, was er will - in der Liebe und im Leben.
Es gibt Sätze in Arno Geigers neuem Roman, denen man nicht widersprechen kann. Denn es handelt sich um schlichte, unumstößliche Wahrheiten wie etwa die folgende: "Ein junger Mann mit Schmerzen zu sein ist eine Ganztagesbeschäftigung."
Aber ist es auch abendfüllend, einem jungen Mann bei einer solchen Beschäftigung zuzusehen? Das ist die zentrale Frage, die Geigers neuer Roman "Selbstporträt mit Flusspferd" aufwirft, und er wirft sie, so viel sei vorangeschickt, ziemlich rasch auf. Mit der Frage scheint es sich zunächst ähnlich zu verhalten wie mit Julians Schmerzen. Sie klingt nicht sonderlich dramatisch, und doch schwebt sie von Anbeginn wie ein Damokleswehwehchen über dem Roman.
Er beginnt mit einem unerwarteten Wiedersehen: Judith und Julian waren vor zehn Jahren ein Paar. Jetzt ist Judith mit einem verletzten Uhu in die Notfallambulanz gekommen, wo Julian als Tierarzt arbeitet. Noch bevor er seine ehemalige Freundin wiedererkennt, steht seine Diagnose fest, ein Todesurteil auf den ersten Blick: "Der fällt in eine finstere Grube. Den fängt niemand auf." Während er das Tier "zur Tötung vorbereitete", wissen beide nicht, was sie reden sollen. Julian wundert sich. So verlegen hatte er Judith früher nie erlebt. Sie war immer "strahlend gewesen, prall, in Bewegung". Der Gedanke, Judiths Schweigsamkeit habe vielleicht auch damit zu tun, dass der Uhu, den sie doch retten wollte, nun getötet werden muss, kommt ihm nicht. Julians Sensibilität ist offenbar von jener Art, die vor allem auf die eigene Person gerichtet ist.
Die kurze Wiederbegegnung ist der Anlass für einen langen Blick zurück: Nach den ersten zweieinhalb Seiten taucht Julian ein in die Erinnerungen an die Zeit seiner Trennung im Jahr 2004. In Athen finden Olympische Spiele statt, in Beslan kommen Unschuldige bei einer blutigen Geiselnahme ums Leben, in Tel Aviv macht ein Selbstmordattentat Schlagzeilen. Müsste Julian sich zu all dem nicht irgendwie verhalten? Aber wie? Er ist zweiundzwanzig, Student in Wien, kein Kind mehr, aber noch reichlich welpig für sein Alter und rettungslos gefangen zwischen Weltschmerz, Überheblichkeit, Versagensängsten, Ahnungslosigkeit und Orientierungsschwierigkeiten. Altersbedingt weiß Julian nicht, dass er nicht weiß, was er will. Er führt die Trennung mit Judith herbei und leidet anschließend darunter. Er ist verletzt. Dass nicht der Abschied von Judith diese Wunde geschlagen hat, sondern die vernichtende Erkenntnis, dass Judith gar nicht daran denkt, um ihn zu kämpfen, bleibt ihm verborgen. Altersbedingt weiß Julian nicht, dass er nicht weiß, dass er in seiner Eitelkeit gekränkt ist.
Was Arno Geiger von seiner Hauptfigur hält, ist schwer zu sagen. Jedenfalls ist Julian für den Autor ein Mittel zum Zweck, und für diesen Zweck ist die Geschichte, die hier erzählt wird, weit weniger wichtig als die Art und Weise, wie Julian all das empfindet, was ihm widerfährt. Nicht Julian ist der Held dieses Romans, sondern jene spezifische Empfindungsweise und Weltwahrnehmung, die wir mit dem Lebensalter zwischen zwanzig und fünfundzwanzig verbinden. Der Romantitel kündigt zwar ein Selbstporträt an, aber was Geiger tatsächlich porträtieren will, ist das Lebensgefühl eines x-beliebigen Zweiundzwanzigjährigen. Doch wie zeichnet man einen Jedermann im vierten Semester, ohne dass ein Klischeebild entstünde? Das ist die zweite Frage, die dieses Buch aufwirft, und Arno Geiger kann sie nicht beantworten.
Julian zieht bei Judith aus und übernimmt vertretungsweise einen Job als privater Tierpfleger von seinem weitaus lebenslustigeren Freund Tibor. Und jetzt kommt das Flusspferd ins Spiel: Julian soll das Tier, das im Garten des schwerkranken Professors Beham Asyl gefunden hat, bevor es schließlich vom Baseler Zoo aufgenommen wird, füttern und pflegen. Dabei lernt er nicht nur den exzentrischen Professor kennen, sondern auch dessen Tochter. Aiko ist hübsch, selbstbewusst, launisch, und erstaunlicherweise scheint Julian in ihr Beuteschema zu passen. An die Stelle der großen Liebe, die die Beziehung mit Judith eigentlich sein sollte, tritt nun die kleine Affäre mit Aiko. Bei Liebeskummer und Weltschmerz ist Ablenkung ja nie verkehrt.
Aiko ist als geheimnisvolle Versuchung angelegt, krankt allerdings daran, dass eine Figur nicht zwangsläufig umso interessanter wird, je weniger der Leser von ihr erfährt. Über ein kapriziöses Klischee kommt die arme Aiko nicht hinaus. Julians wahre Liebe gilt ohnehin der "Zwergin", das ist die Flusspferddame, die alles zu haben scheint, was Julian fehlt: Ruhe, Gelassenheit, ein fester Platz im Universum. Ob das Tier sich im Garten eines Wiener Einfamilienhauses wirklich wohl fühlen kann, scheint Arno Geiger und seinen angehenden Tierarzt Julian nicht zu interessieren. Warum auch? Der Zauberkünstler fragt sich ja auch nicht, wie es den rosa Kaninchen in seinem Zylinder geht.
HUBERT SPIEGEL
Arno Geiger: "Selbstporträt mit Flusspferd". Roman.
Carl Hanser Verlag, München 2015. 288 S., geb., 19,90 [Euro].
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"Ein 22-Jähriger hängt beim Erwachsenwerden fest, zwischen Frauen und Unsicherheiten. Arno Geigers Roman erzählt von dieser Wartesaalstimmung - und trifft unser Gegenwartsempfinden [...] die Gemütslage des 22-jährigen Julian, sein Zukunftsnebel, sein Dazwischenhängen, seine ruhelose Lethargie enthalten eine Wahrheit, an deren allgemeiner Gültigkeit der Leser nicht vorbeikommt." Ursula März, Die Zeit, 05.02.15
"Einer der Gründe, weshalb es ein so geglücktes Buch ist, liegt sicher darin, dass Julian ein reflektierter Zeitgenosse ist." Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau, 07.02.15
"Arno Geiger erzählt mit leichter Hand von der Schwierigkeit des Erwachsenwerdens in einer unverständlichen Welt." Corina Caduff und Andreas Nentwich, SRF, 08.02.15
"All das Durcheinander aus Liebe, Sex, Zukunftsfurcht und dem ganzen Zeug fügt sich zu einem hinreißenden Roman." Wolfgang Höbel, Der Spiegel, 02.02.15
"Arno Geiger hat einen untrüglichen Blick fürs Komische." Sandra Leis, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 25.02.15