Schon immer hat sich der Mensch nach der Überschreitung einer ›natürlichen‹ Sexualität gesehnt. Neu ist, dass mit der Schaffung virtueller Welten und der Fertigung von lebensechten Sexpuppen und humanoiden Robotern nun die Möglichkeit besteht, dieses Begehren auch real auszuleben. Bevor aber entschieden werden kann, ob das die bisherige Begehrensordnung revolutioniert oder bestehende Geschlechterverhältnisse zementiert, muss die grundsätzliche Frage gestellt werden, was es heißt, eine Maschine zu begehren. Anhand zahlreicher Beispiele aus Film, Fernsehen, Kunst und Literatur, zeigt Sex Machina, wie unterschiedlich Begehren und Beziehungen zwischen Menschen und Maschinen imaginiert und organisiert werden können. Gleichzeitig ist es ein Plädoyer für einen entspannten Umgang mit Technik, der diese nicht als funktionale Vervollkommnung, sondern als Eigenart von Sexualitat und Begehren einordnet.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.03.2019Wenn Samantha Migräne hat
Sophie Wennerscheid erkundet die Welt der Sex-Roboter
Wenn der Roboter Sophia der Maßstab des derzeit Machbaren in Sachen künstlicher Intelligenz ist, dann wird es noch eine Weile dauern, bis ihre Kolleginnen aus dem Roboter-Horizontalgewerbe, Harmony und Samantha, halten, was ihre Hersteller versprechen. Sophia jedenfalls, die ein Kopf auf einem Gestell ist, spricht abgehackt und unnatürlich, und ob sie den Inhalt ihrer Antworten tatsächlich so aus sich selbst heraus geriert, wie ihre Erfinder von der Hongkonger Firma Hanson Robotics behaupten, ist einstweilen nicht ganz unumstritten.
Steht uns eine sexuelle Revolution 2.0 bevor, und was würde sie bedeuten? Es sind ja tatsächlich eine ganze Reihe von Robotern in Arbeit, die künstliche Intelligenz mit einer Sex-Puppe aus Silikon, wie es sie seit Jahren gibt, kombinieren wollen; einer der Entwickler, der von Samantha, verkündet sogar stolz, sein Roboter könne einen Orgasmus vortäuschen, oder auch Migräne – Samantha sagt auch mal nein. Es gibt Videos mit der Puppe, und was immer sie sagt: Nach einem Menschen klingt es nicht. Aber vielleicht ist das nicht so wichtig.
Die Literaturwissenschaftlerin und Skandinavistik-Professorin Sophie Wennerscheid geht davon aus, dass diese Revolution im Gange ist. In ihrem Buch „Sex Machina“ beschäftigt sie sich mit den Folgen: Was passiert mit dem Begehren, wenn ein Sexualpartner kein Mensch aus Fleisch und Blut mehr ist, sondern ein Roboter? An „Sex Machina“ ist zweierlei erfrischend. Erstens gibt sich Wennerscheid viel Mühe, dieser mindestens ungewissen Zukunft entspannt gegenüberzutreten. Und zweitens fängt sie mit ihren Überlegungen sozusagen kurz nach Adam und Eva an – sie sucht in der Kulturgeschichte nach den Vorgängern der Sexroboter, und sie findet natürlich unheimlich viele.
Wie weit ist der Weg von E.T.A. Hoffmans hölzernem Automaten Olimpia aus „Der Sandmann“ oder Fritz Langs stählerner Maria aus „Metropolis“ zu einem Sex-Roboter, der mit Hilfe künstlicher Intelligenz zu so einer Art Androiden aufgemotzt wurde? Im Grunde, da hat Sophie Wennerscheid bestimmt recht, ist er genau so weit, wie die eigene Fantasie reicht. Sexspielzeuge sind die Vorstufe zur Puppe, die Puppe ist die Vorstufe zum Roboter. Die Sehnsucht, Gott zu spielen, eine Kreatur zu schaffen, ist alt – die Krone der Schöpfung wollte immer schon selber schöpfen.
Wir befinden uns in einer Entwicklung, so Sophie Wennerscheid, in der die Grenzen zwischen Mensch und Maschine „durchlässig“ werden, der Mensch vielleicht nicht mehr die Krone der Schöpfung ist, auf dem Weg in ein posthumanistisches Zeitalter. Zum Mitgeschöpf degradiert. Die Reproduktion hat sich bereits verändert, ist ihre These, und so verändert sich dann wohl auch die Erotik, vielleicht bis zu dem Punkt, an dem wir uns in Maschinen verlieben.
Nun ist es gar nicht so schwer, mehr Menschlichkeit in Roboter oder auch nur sprach- und regungslose Puppen hinein zu halluzinieren, als sie tatsächlich zu bieten haben. Der Mensch neigt zur Affektion, das zu erläutern bemüht Wennerscheid auch Immanuel Kant, aber das Kino sieht das sowieso ähnlich: Der Automat, in den sich ein Mann in Spike Jonzes Science Fiction „Her“ verliebt, ist beispielsweise körperlos – da ist nur so eine Art Siri, eine Stimme aus dem Off, die immer mehr zum bestimmenden Faktor seines Lebens wird. Sagen wir mal so: Wenn die Zeiten so liberal sind, dass jeder mögen darf, was er will, und letztlich das Begehren ohnehin Kopfsache bleibt – dann ist es ja vielleicht sogar egal, ob ein Roboter daran beteiligt ist.
Aber vielleicht ist es, hier in Wirklichkeit, doch komplizierter. So spannend all die imaginären Beispiele auch sind, die Wennerscheid einfallen: Es gibt Passagen, in denen sie von realen Ereignissen oder leibhaftigen Recherchen berichtet – ein Besuch in einer Werkstatt für Sex mit VR-Brille beispielsweise, wo sie sich – das ist schon wirklich neu – in die Rolle eines Mannes versetzt.
Aber die Fakten und die Fiktionen gehen fließend ineinander über. Ihr Buch stößt an Grenzen, weil die Literatur und das Kino zwar hilfreich sind, sie sind ja deren direktes Produkt. Aber das reicht nicht, um herauszufinden, was diese sexuelle Revolution möglicherweise mit einer Gesellschaft macht. Das Schönheitsideal für Frauen hat sich in den letzten hundert Jahren ganz definitiv verändert, irgendetwas hat es neu geprägt – da wäre es nicht so abwegig, über die nächste Prägung nachzudenken.
„Sex Machina“ ist da zu verspielt. Bei der Frage nach virtueller Gewalt beginnt Sophie Wennerscheid mit einer Fiktion, berichtet dann von realen Fällen, landet schließlich bei einem Theaterstück. Das ist alles sehr interessant, schon weil man gerade in diesem Kapitel die andere Seite einer körperlosen Realität sieht. Nicht nur für die Lust, auch für Schmerz und Demütigung reicht es, dass man sich vorstellt, etwas sei passiert. Wahrscheinlich können sich sexuelle Übergriffe in Online-Spielen, wie Wennerscheid sie beschreibt, tatsächlich wie ein Angriff anfühlen, obwohl sie nur auf dem Bildschirm existieren. Können diese virtuelle Erfahrungen aber vielleicht dennoch reale Abstumpfung bewirken?
Es gibt die optimistische Hoffnung, Sex-Roboter könnten Prostitution überflüssig machen, am Ende gar die Gewalt gegen Menschen in eine Gewalt gegen Maschinen überführen, die nur so tun, als täte diese Gewalt ihnen weh. Aber das funktioniert vielleicht nicht bei jedem. Und das Idealbild von Frauen als extrem junge, faltenfreie, vollbusige immerwillige Gefährtinnen. Es ist ein bisschen schwierig, sich dem Thema ohne feministische Bedenken zu nähern, männliche Sex-Puppen waren noch nie der Bestseller in ihrem Segment, und sie gehorchen anderen Gesetzen.
Der Mensch ist nicht immer dazu in der Lage, emotional zu unterscheiden, ob er etwas vor sich hat das fühlt, oder nicht, zumindest nicht jeder Mensch. Wenn man die Sexpuppen weglässt: Wer in einer Technikkrise Alexa oder Siri schon einmal angebrüllt und sich dann schlecht gefühlt hat (Siri reagiert ja auch tatsächlich beleidigt), weiß, dass man das eben nicht kann. Und was bewirkt das nun: Lässt man da einfach mal Dampf ab, der dann den Mitmenschen erspart wird – oder gewöhnt man sich Dinge an, die einer Maschine nichts ausmachen, Menschen aber schon? Das kann man auch auf Sex-Puppen übertragen und eine Debatte über eine eventuelle Desensibilisierung in Gang setzen. Auch die Debatte existiert bereits.
Es ist natürlich völlig legitim, Schreckensszenarien außer Acht zu lassen und einfach nur über das Begehren zu sinnieren. Und doch lauern in dem ganzen Themenkomplex, von Robotersex bis zum Posthumanismus, sehr viele Gelegenheiten, sich zu gruseln. Und die meisten Menschen finden Grusel extrem unerotisch.
SUSAN VAHABZADEH
Sophie Wennerscheid:
Sex machina.
Zur Zukunft des Begehrens.
Verlag Matthes & Seitz,
Berlin 2019.
240 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Sophie Wennerscheid erkundet die Welt der Sex-Roboter
Wenn der Roboter Sophia der Maßstab des derzeit Machbaren in Sachen künstlicher Intelligenz ist, dann wird es noch eine Weile dauern, bis ihre Kolleginnen aus dem Roboter-Horizontalgewerbe, Harmony und Samantha, halten, was ihre Hersteller versprechen. Sophia jedenfalls, die ein Kopf auf einem Gestell ist, spricht abgehackt und unnatürlich, und ob sie den Inhalt ihrer Antworten tatsächlich so aus sich selbst heraus geriert, wie ihre Erfinder von der Hongkonger Firma Hanson Robotics behaupten, ist einstweilen nicht ganz unumstritten.
Steht uns eine sexuelle Revolution 2.0 bevor, und was würde sie bedeuten? Es sind ja tatsächlich eine ganze Reihe von Robotern in Arbeit, die künstliche Intelligenz mit einer Sex-Puppe aus Silikon, wie es sie seit Jahren gibt, kombinieren wollen; einer der Entwickler, der von Samantha, verkündet sogar stolz, sein Roboter könne einen Orgasmus vortäuschen, oder auch Migräne – Samantha sagt auch mal nein. Es gibt Videos mit der Puppe, und was immer sie sagt: Nach einem Menschen klingt es nicht. Aber vielleicht ist das nicht so wichtig.
Die Literaturwissenschaftlerin und Skandinavistik-Professorin Sophie Wennerscheid geht davon aus, dass diese Revolution im Gange ist. In ihrem Buch „Sex Machina“ beschäftigt sie sich mit den Folgen: Was passiert mit dem Begehren, wenn ein Sexualpartner kein Mensch aus Fleisch und Blut mehr ist, sondern ein Roboter? An „Sex Machina“ ist zweierlei erfrischend. Erstens gibt sich Wennerscheid viel Mühe, dieser mindestens ungewissen Zukunft entspannt gegenüberzutreten. Und zweitens fängt sie mit ihren Überlegungen sozusagen kurz nach Adam und Eva an – sie sucht in der Kulturgeschichte nach den Vorgängern der Sexroboter, und sie findet natürlich unheimlich viele.
Wie weit ist der Weg von E.T.A. Hoffmans hölzernem Automaten Olimpia aus „Der Sandmann“ oder Fritz Langs stählerner Maria aus „Metropolis“ zu einem Sex-Roboter, der mit Hilfe künstlicher Intelligenz zu so einer Art Androiden aufgemotzt wurde? Im Grunde, da hat Sophie Wennerscheid bestimmt recht, ist er genau so weit, wie die eigene Fantasie reicht. Sexspielzeuge sind die Vorstufe zur Puppe, die Puppe ist die Vorstufe zum Roboter. Die Sehnsucht, Gott zu spielen, eine Kreatur zu schaffen, ist alt – die Krone der Schöpfung wollte immer schon selber schöpfen.
Wir befinden uns in einer Entwicklung, so Sophie Wennerscheid, in der die Grenzen zwischen Mensch und Maschine „durchlässig“ werden, der Mensch vielleicht nicht mehr die Krone der Schöpfung ist, auf dem Weg in ein posthumanistisches Zeitalter. Zum Mitgeschöpf degradiert. Die Reproduktion hat sich bereits verändert, ist ihre These, und so verändert sich dann wohl auch die Erotik, vielleicht bis zu dem Punkt, an dem wir uns in Maschinen verlieben.
Nun ist es gar nicht so schwer, mehr Menschlichkeit in Roboter oder auch nur sprach- und regungslose Puppen hinein zu halluzinieren, als sie tatsächlich zu bieten haben. Der Mensch neigt zur Affektion, das zu erläutern bemüht Wennerscheid auch Immanuel Kant, aber das Kino sieht das sowieso ähnlich: Der Automat, in den sich ein Mann in Spike Jonzes Science Fiction „Her“ verliebt, ist beispielsweise körperlos – da ist nur so eine Art Siri, eine Stimme aus dem Off, die immer mehr zum bestimmenden Faktor seines Lebens wird. Sagen wir mal so: Wenn die Zeiten so liberal sind, dass jeder mögen darf, was er will, und letztlich das Begehren ohnehin Kopfsache bleibt – dann ist es ja vielleicht sogar egal, ob ein Roboter daran beteiligt ist.
Aber vielleicht ist es, hier in Wirklichkeit, doch komplizierter. So spannend all die imaginären Beispiele auch sind, die Wennerscheid einfallen: Es gibt Passagen, in denen sie von realen Ereignissen oder leibhaftigen Recherchen berichtet – ein Besuch in einer Werkstatt für Sex mit VR-Brille beispielsweise, wo sie sich – das ist schon wirklich neu – in die Rolle eines Mannes versetzt.
Aber die Fakten und die Fiktionen gehen fließend ineinander über. Ihr Buch stößt an Grenzen, weil die Literatur und das Kino zwar hilfreich sind, sie sind ja deren direktes Produkt. Aber das reicht nicht, um herauszufinden, was diese sexuelle Revolution möglicherweise mit einer Gesellschaft macht. Das Schönheitsideal für Frauen hat sich in den letzten hundert Jahren ganz definitiv verändert, irgendetwas hat es neu geprägt – da wäre es nicht so abwegig, über die nächste Prägung nachzudenken.
„Sex Machina“ ist da zu verspielt. Bei der Frage nach virtueller Gewalt beginnt Sophie Wennerscheid mit einer Fiktion, berichtet dann von realen Fällen, landet schließlich bei einem Theaterstück. Das ist alles sehr interessant, schon weil man gerade in diesem Kapitel die andere Seite einer körperlosen Realität sieht. Nicht nur für die Lust, auch für Schmerz und Demütigung reicht es, dass man sich vorstellt, etwas sei passiert. Wahrscheinlich können sich sexuelle Übergriffe in Online-Spielen, wie Wennerscheid sie beschreibt, tatsächlich wie ein Angriff anfühlen, obwohl sie nur auf dem Bildschirm existieren. Können diese virtuelle Erfahrungen aber vielleicht dennoch reale Abstumpfung bewirken?
Es gibt die optimistische Hoffnung, Sex-Roboter könnten Prostitution überflüssig machen, am Ende gar die Gewalt gegen Menschen in eine Gewalt gegen Maschinen überführen, die nur so tun, als täte diese Gewalt ihnen weh. Aber das funktioniert vielleicht nicht bei jedem. Und das Idealbild von Frauen als extrem junge, faltenfreie, vollbusige immerwillige Gefährtinnen. Es ist ein bisschen schwierig, sich dem Thema ohne feministische Bedenken zu nähern, männliche Sex-Puppen waren noch nie der Bestseller in ihrem Segment, und sie gehorchen anderen Gesetzen.
Der Mensch ist nicht immer dazu in der Lage, emotional zu unterscheiden, ob er etwas vor sich hat das fühlt, oder nicht, zumindest nicht jeder Mensch. Wenn man die Sexpuppen weglässt: Wer in einer Technikkrise Alexa oder Siri schon einmal angebrüllt und sich dann schlecht gefühlt hat (Siri reagiert ja auch tatsächlich beleidigt), weiß, dass man das eben nicht kann. Und was bewirkt das nun: Lässt man da einfach mal Dampf ab, der dann den Mitmenschen erspart wird – oder gewöhnt man sich Dinge an, die einer Maschine nichts ausmachen, Menschen aber schon? Das kann man auch auf Sex-Puppen übertragen und eine Debatte über eine eventuelle Desensibilisierung in Gang setzen. Auch die Debatte existiert bereits.
Es ist natürlich völlig legitim, Schreckensszenarien außer Acht zu lassen und einfach nur über das Begehren zu sinnieren. Und doch lauern in dem ganzen Themenkomplex, von Robotersex bis zum Posthumanismus, sehr viele Gelegenheiten, sich zu gruseln. Und die meisten Menschen finden Grusel extrem unerotisch.
SUSAN VAHABZADEH
Sophie Wennerscheid:
Sex machina.
Zur Zukunft des Begehrens.
Verlag Matthes & Seitz,
Berlin 2019.
240 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.03.2019Träumen Androiden von Menschen?
Das Begehren auf neuen alten Wegen: Sophie Wennerscheid untersucht, wie weit es intelligente Sextechnik bis jetzt bringt und was Mensch und Maschine auf diesem Feld noch bevorstehen könnte.
Sex war noch nie die natürlichste Sache der Welt, doch so sehr technisch überformt oder überformbar wie heute war er auch noch nie. Die Literaturwissenschaftlerin Sophie Wennerscheid forscht zur Konstitution von Subjektivität und durchmustert in "Sex Machina", wie die neuen Technologien von der assistierten Reproduktion über Teledildos und virtuelle Realität bis hin zu Sexrobotern unser Verhältnis zu uns selbst und zu anderen beeinflussen.
Diese Techniken sind kaum auf dem Markt, da haben sich die Positionen schon in zwei Extreme gespalten: Die Fürsprecher sehen neue erregende Möglichkeiten, die in Beziehungen zwischen Menschen schwierig oder unmöglich sind. Die Gegner warnen davor, Menschen könnten unfähig werden, miteinander umzugehen, wenn sie sich mit den so viel einfacher gestrickten Maschinen abgeben. Für sie ist Sex mit Robotern, Sex in der virtuellen Realität, Sex, vermittelt über technische Geräte, nur ein Surrogat für die, die, warum auch immer, keinen menschlichen Partner finden, "Prothesen-Sex".
Die Autorin plädiert für einen Mittelweg: Technik und Sexualität schließen sich demnach nicht aus, das Begehren finde vielmehr neue Datenbestände und Übertragungswege. Die neuen Techniken könnten sogar "kritisches Potential" bergen, Geschlechterstereotype aufbrechen und neue Konzepte von Zugehörigkeit entstehen lassen - solange der Mensch sich ihretwegen keine maschinenartige Perfektion aufzwingt.
Im ersten Kapitel über die Möglichkeiten "assistierter Reproduktion" fächert Wennerscheid die Palette neuer "nicht-normkonformer Beziehungs- und Familienkonstellationen" auf. Sie diskutiert die bekannten Spannungen einer Reproduktionsindustrie, die mit den Hoffnungen, die sie weckt, viel Geld macht, und analysiert, etwas eklektisch, im selben Kapitel auch Sexspielzeug, lebensechte Babypuppen und den literarischen Diskurs über Klone darauf hin, was er an verstecktem Begehren zutage fördert. Hier, wie im ganzen Buch, trägt die Autorin viele Positionen zusammen, lässt aber nur vorsichtig eine gewisse Sympathie für Positionen der Grenzüberschreitung und Vermischung erkennen, wie sie Donna Haraway oder Rosi Braidotti vertreten.
In der Folge geht es um die Begegnung mit dem Technischen. Roboter, vor allem die menschenähnlichen unter ihnen, lassen uns nicht kalt: Das ist, wie Wennerscheid richtig sieht, der Kern des Hypes um die mehr oder weniger intelligenten Maschinen unsereà Tage. Wir können kaum anders, als ihnen ein menschenähnliches Innenleben zuzuschreiben. Wir sehen in ihnen etwas, so Wennerscheid, das "auf uns Bezug nimmt", auf uns reagiert, uns meint, ein Gegenüber. Nur deshalb geraten wir in die Versuchung, zu Maschinen so etwas wie zwischenmenschliche Beziehungen aufbauen zu wollen.
Die Frage ist nun: Wollen wir uns von solchen Robotern ansprechen lassen oder sollten wir besser üben, sie nur als Maschinen zu betrachten? Auch hier plädiert Wennerscheid dafür, die Möglichkeiten erst einmal zu testen. Allerdings ist im Bereich intelligenter Sextechnik noch nicht allzu viel möglich - wie die Autorin mit eigenen Experimenten mit Sex in der virtuellen Welt erfahren musste.
Daher nimmt sich Wennerscheid Jules Verne zum Vorbild und will aufzeigen, was sich in Ansätzen abzeichnet und wohin die Entwicklung gehen könnte. Dazu zieht sie ausführlich auch die Literatur zu Rate, von der Antike bis zur Science-Fiction. Immerhin schuf sich schon in Ovids "Metamorphosen" Pygmalion eine Statue als ewig treue Gefährtin, Galateia mit Namen, die er küsste und umarmte, der er Kleider machte und sie "Genossin des Betts" nannte. Und auch Blockbuster wie "Blade Runner" handeln von den Verwirrungen, die entstehen, wenn sich zwischen Mensch und Maschine nicht mehr deutlich unterscheiden lässt. Wennerscheid nutzt diese Irritationen, um Ängste und - meist weniger explizit gemachte - Lüste aufzuspüren, die in diesen Begegnungen aufscheinen.
Dabei schwankt die Autorin ein wenig zwischen realistischen Einschätzungen dessen, was Roboter heute können, und vermutlich eher theoretisch motivierten Träumen von einer Zukunft ohne Art- und Gattungsgrenzen, die dann irgendwie auch das Patriarchat und "wertkonservative Beziehungsmodelle" beendet. Bislang, so stellt sie fest, pflegen nicht einmal im Film Menschen längere Beziehungen mit einem künstlichen Wesen. Einerseits scheinen Interaktionen mit Maschinen interessant zu sein, weil sie totale Kontrolle versprechen, andererseits werden Beziehungen zu schematisch und absehbar reagierenden Robotern schnell langweilig.
Könnten durch maschinelles Lernen Roboter entstehen, die eben doch unvorhersehbar agieren? Oder steckt das Unvorhersehbare schon in der Art, wie der Mensch die Maschine wahrnimmt? Oder sind sie deshalb faszinierend, weil sie uns etwas Inhumanes und Unbekanntes in uns selbst zeigen? Auf jeden Fall, da hat die Autorin recht, sollten die Robotergefährten gar nicht erst so tun, als seien sie künstliche Menschen. Und sie kritisiert zu Recht, dass in Film und Literatur die Begegnung mit der Maschine oft genug nur dazu dient, stereotype Rollenvorstellungen zu bestätigen.
Dass es aber ein Sicherheitsproblem sein könnte, wenn Roboter sich unerwartet verhalten, damit etwas "ganz Eigensinniges und Eigensinnliches entstehen" könne, kommt nicht in den Blick. Die Überschreitung von Speziesgrenzen mag avantgardistisch klingen, doch wir sollten nicht vergessen, dass wir es bei Cyborgs, Klonen oder Schimären mit leidensfähigen Wesen zu tun haben. Man muss nicht das Patriarchat verfechten, um "Multispezies-Assemblagen" für Unfug zu halten.
Menschenähnliche Maschinen müssen nicht besonders intelligent sein, um uns zu verwirren, das gilt insbesondere in der Sexualität. Das immer wieder zitierte "unheimliche Tal", das menschenähnliche Maschinen unheimlich mache, kratzt, wie die Autorin betont, bestenfalls an der Oberfläche dessen, was geschieht, wenn sich Mensch und Maschine begegnen. Vielleicht, so Wennerscheid, ist es gerade eine Art Angstlust am Unverstandenen, die die Maschinen so interessant macht.
Ihr Buch zeigt umfassend, welche Irritationen vor allem Roboter, die sich als soziale Wesen geben, hervorrufen und wie leicht Menschen sich Illusionen hingeben. Sie hätte deutlicher machen können, dass auch die heute "intelligent" genannten Maschinen vielleicht Sexspielzeuge, aber kein angemessenes Gegenüber sein können.
MANUELA LENZEN
Sophie Wennerscheid:
"Sex Machina".
Zur Zukunft des
Begehrens.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2019.
240 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Begehren auf neuen alten Wegen: Sophie Wennerscheid untersucht, wie weit es intelligente Sextechnik bis jetzt bringt und was Mensch und Maschine auf diesem Feld noch bevorstehen könnte.
Sex war noch nie die natürlichste Sache der Welt, doch so sehr technisch überformt oder überformbar wie heute war er auch noch nie. Die Literaturwissenschaftlerin Sophie Wennerscheid forscht zur Konstitution von Subjektivität und durchmustert in "Sex Machina", wie die neuen Technologien von der assistierten Reproduktion über Teledildos und virtuelle Realität bis hin zu Sexrobotern unser Verhältnis zu uns selbst und zu anderen beeinflussen.
Diese Techniken sind kaum auf dem Markt, da haben sich die Positionen schon in zwei Extreme gespalten: Die Fürsprecher sehen neue erregende Möglichkeiten, die in Beziehungen zwischen Menschen schwierig oder unmöglich sind. Die Gegner warnen davor, Menschen könnten unfähig werden, miteinander umzugehen, wenn sie sich mit den so viel einfacher gestrickten Maschinen abgeben. Für sie ist Sex mit Robotern, Sex in der virtuellen Realität, Sex, vermittelt über technische Geräte, nur ein Surrogat für die, die, warum auch immer, keinen menschlichen Partner finden, "Prothesen-Sex".
Die Autorin plädiert für einen Mittelweg: Technik und Sexualität schließen sich demnach nicht aus, das Begehren finde vielmehr neue Datenbestände und Übertragungswege. Die neuen Techniken könnten sogar "kritisches Potential" bergen, Geschlechterstereotype aufbrechen und neue Konzepte von Zugehörigkeit entstehen lassen - solange der Mensch sich ihretwegen keine maschinenartige Perfektion aufzwingt.
Im ersten Kapitel über die Möglichkeiten "assistierter Reproduktion" fächert Wennerscheid die Palette neuer "nicht-normkonformer Beziehungs- und Familienkonstellationen" auf. Sie diskutiert die bekannten Spannungen einer Reproduktionsindustrie, die mit den Hoffnungen, die sie weckt, viel Geld macht, und analysiert, etwas eklektisch, im selben Kapitel auch Sexspielzeug, lebensechte Babypuppen und den literarischen Diskurs über Klone darauf hin, was er an verstecktem Begehren zutage fördert. Hier, wie im ganzen Buch, trägt die Autorin viele Positionen zusammen, lässt aber nur vorsichtig eine gewisse Sympathie für Positionen der Grenzüberschreitung und Vermischung erkennen, wie sie Donna Haraway oder Rosi Braidotti vertreten.
In der Folge geht es um die Begegnung mit dem Technischen. Roboter, vor allem die menschenähnlichen unter ihnen, lassen uns nicht kalt: Das ist, wie Wennerscheid richtig sieht, der Kern des Hypes um die mehr oder weniger intelligenten Maschinen unsereà Tage. Wir können kaum anders, als ihnen ein menschenähnliches Innenleben zuzuschreiben. Wir sehen in ihnen etwas, so Wennerscheid, das "auf uns Bezug nimmt", auf uns reagiert, uns meint, ein Gegenüber. Nur deshalb geraten wir in die Versuchung, zu Maschinen so etwas wie zwischenmenschliche Beziehungen aufbauen zu wollen.
Die Frage ist nun: Wollen wir uns von solchen Robotern ansprechen lassen oder sollten wir besser üben, sie nur als Maschinen zu betrachten? Auch hier plädiert Wennerscheid dafür, die Möglichkeiten erst einmal zu testen. Allerdings ist im Bereich intelligenter Sextechnik noch nicht allzu viel möglich - wie die Autorin mit eigenen Experimenten mit Sex in der virtuellen Welt erfahren musste.
Daher nimmt sich Wennerscheid Jules Verne zum Vorbild und will aufzeigen, was sich in Ansätzen abzeichnet und wohin die Entwicklung gehen könnte. Dazu zieht sie ausführlich auch die Literatur zu Rate, von der Antike bis zur Science-Fiction. Immerhin schuf sich schon in Ovids "Metamorphosen" Pygmalion eine Statue als ewig treue Gefährtin, Galateia mit Namen, die er küsste und umarmte, der er Kleider machte und sie "Genossin des Betts" nannte. Und auch Blockbuster wie "Blade Runner" handeln von den Verwirrungen, die entstehen, wenn sich zwischen Mensch und Maschine nicht mehr deutlich unterscheiden lässt. Wennerscheid nutzt diese Irritationen, um Ängste und - meist weniger explizit gemachte - Lüste aufzuspüren, die in diesen Begegnungen aufscheinen.
Dabei schwankt die Autorin ein wenig zwischen realistischen Einschätzungen dessen, was Roboter heute können, und vermutlich eher theoretisch motivierten Träumen von einer Zukunft ohne Art- und Gattungsgrenzen, die dann irgendwie auch das Patriarchat und "wertkonservative Beziehungsmodelle" beendet. Bislang, so stellt sie fest, pflegen nicht einmal im Film Menschen längere Beziehungen mit einem künstlichen Wesen. Einerseits scheinen Interaktionen mit Maschinen interessant zu sein, weil sie totale Kontrolle versprechen, andererseits werden Beziehungen zu schematisch und absehbar reagierenden Robotern schnell langweilig.
Könnten durch maschinelles Lernen Roboter entstehen, die eben doch unvorhersehbar agieren? Oder steckt das Unvorhersehbare schon in der Art, wie der Mensch die Maschine wahrnimmt? Oder sind sie deshalb faszinierend, weil sie uns etwas Inhumanes und Unbekanntes in uns selbst zeigen? Auf jeden Fall, da hat die Autorin recht, sollten die Robotergefährten gar nicht erst so tun, als seien sie künstliche Menschen. Und sie kritisiert zu Recht, dass in Film und Literatur die Begegnung mit der Maschine oft genug nur dazu dient, stereotype Rollenvorstellungen zu bestätigen.
Dass es aber ein Sicherheitsproblem sein könnte, wenn Roboter sich unerwartet verhalten, damit etwas "ganz Eigensinniges und Eigensinnliches entstehen" könne, kommt nicht in den Blick. Die Überschreitung von Speziesgrenzen mag avantgardistisch klingen, doch wir sollten nicht vergessen, dass wir es bei Cyborgs, Klonen oder Schimären mit leidensfähigen Wesen zu tun haben. Man muss nicht das Patriarchat verfechten, um "Multispezies-Assemblagen" für Unfug zu halten.
Menschenähnliche Maschinen müssen nicht besonders intelligent sein, um uns zu verwirren, das gilt insbesondere in der Sexualität. Das immer wieder zitierte "unheimliche Tal", das menschenähnliche Maschinen unheimlich mache, kratzt, wie die Autorin betont, bestenfalls an der Oberfläche dessen, was geschieht, wenn sich Mensch und Maschine begegnen. Vielleicht, so Wennerscheid, ist es gerade eine Art Angstlust am Unverstandenen, die die Maschinen so interessant macht.
Ihr Buch zeigt umfassend, welche Irritationen vor allem Roboter, die sich als soziale Wesen geben, hervorrufen und wie leicht Menschen sich Illusionen hingeben. Sie hätte deutlicher machen können, dass auch die heute "intelligent" genannten Maschinen vielleicht Sexspielzeuge, aber kein angemessenes Gegenüber sein können.
MANUELA LENZEN
Sophie Wennerscheid:
"Sex Machina".
Zur Zukunft des
Begehrens.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2019.
240 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Für Techno-Sex entflammt Rezensentin Nora Voit nach der Lektüre dieser Studie nicht gerade - auch wenn ihr die Kulturwissenschaftlerin Sophie Wennerscheid frisch und schwungvoll von Sexrobotern mit Onanierlöchern in verschiedenen Ausführungen oder Vibratoren, die Orgasmen mit unserer Lieblingsmusik unterlegen, erzählt. Angereichert mit Beispielen aus Kunst, Film, Literatur und Wissenschaften und mit einer ordentlichen Portion Optimismus blicke die Autorin einer "sexuellen Revolution 2.0" entgegen, in der Sexroboter möglicherweise für einen Rückgang von Prostitution und Kinderpornografie und ein Aufbrechen von "starren Geschlechtsmodellen" sorgen. Dass jene Sexroboter mit ihren großen Brüsten und Hintern in eine "triefend heterosexuelle Matrix eingepflanzt" sind, verschweigt Wennerscheid dabei nicht, erklärt die Rezensentin, die sich von der Autorin bei aller "postgeschlechtlichen" Träumerei mehr Trennschärfe zwischen Fakten, Fiktion und queerfeministischen Theorien gewünscht hätte. Und im Praxistest scheint das Ergebnis dann sehr banal zu sein.
© Perlentaucher Medien GmbH
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