Die berühmte Performance-Künstlerin Margot Wincraft arbeitet mit Models auf der ganzen Welt. Eines Tages nimmt sie überraschend das Angebot einer unbekannten Galerie in Shanghai an. Ihre Assistentin Luisa kann dem Projekt nicht viel abgewinnen. Für sie ist China als Kunstmarkt passé, in der jungen Galeristin, die alles für Margot organisiert, wittert Luisa eine Konkurrentin. Zu allem Überfluss hat sich ihr Freund auch noch von ihr getrennt, und schuld daran ist sie selbst mit ihren leichtfertigen Seitensprüngen. Und so versteht sie auch nicht, warum Margot in der Megacity Shanghai beginnt, sich immer seltsamer zu verhalten. SHANGHAI PERFORMANCE ist ein schillernder Roman über Sehen und Gesehenwerden, Kunst und Identität sowie eine Gesellschaft, die ihren ganz eigenen Regeln folgt. Silke Scheuermann reflektiert über Frauenbilder in Zeiten der Globalisierung, über moderne weibliche Lebensläufe und erzählt auf spannende Weise von einer "ewigen Tragödie der Schuld".
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.02.2011Made in China
Silke Scheuermann ist nach Asien gereist und mit einem Roman zurückgekommen: "Shanghai Performance" erzählt vom Drama einer erfolgreichen Künstlerin, die sich für den Erfolg tief in Schuld verstrickt. Die wahre Heldin der Geschichte aber ist die Megametropole.
Schanghai zwingt jeden in die Knie. Wer in jüngster Zeit einmal dort gewesen ist, hat diesen Sog am eigenen Leib gespürt. Diese Stadt ist eine einzige Fortschrittsphantasmagorie aus Stein und Stahl. Sie raubt einem den Schlaf, sie ist der in Stein gehauene Größenwahn, denn Schanghai erschafft sich ununterbrochen neu, für zwanzig, dreißig, vierzig Millionen Menschen, und jeden Morgen hat die Stadt ein neues Antlitz, weil sie nachts nicht schläft, sondern in die Höhe schießt, so schnell, dass man meint, beim Häuserwachsen zusehen zu können.
Auch die junge Kunsthistorikerin Luisa aus Frankfurt wird von ihren ersten rauschhaften Momenten in der Stadt erschüttert. Sie ist zusammen mit Margot Winkraft als Assistentin dieser berühmten deutschen Künstlerin nach Asien gereist. "Hinter der Bebauung war immer noch mehr Bebauung", sinniert Luisa, als sie von einer Bar hoch oben in einem Hochhaus hinabschaut auf den Huangpu, der wie ein tiefblaues, fast schwarzes Glitzerband unter ihr liegt. Dass ganze Stadtteile Schanghais ausgelöscht werden ohne ein Moment des Bedauerns, weil sich die Mächtigen hier der Zukunft versprochen haben - dieser "stumme Kampf" gegen das Gestern beeindruckt die junge Deutsche, "man kann ihm zusehen wie einem Spielfilm".
Wie ein mitreißender Film liest sich auch der neue Roman von Silke Scheuermann, die 2008 einige Monate in der asiatischen Millionenmetropole verbracht hat. In "Shanghai Performance" erzählt sie mitleidlos und aus kühl-ironischer Distanz von der tragischen Verstrickung zweier Frauen, eben Luisa und Margot, die in Schanghai eskaliert. Im Kern geht es um eine Frage, die freilich an jedem Ort der Welt spielen könnte, nämlich die, welches Opfer ein Mensch, genauer: eine Künstlerin, für ihr Werk bringen darf. Rechtfertigt der Dienst an der hehren Kunst menschliche Grausamkeit? Erzählt wird dies allzu menschliche Lehrstück aus der Perspektive der Ich-Erzählerin Luisa. Zurück in Frankfurt, erinnert sie sich an die schreckensvollen Ereignisse, von denen sie sich längst nicht erholt hat. Dabei hatte alles ganz harmlos angefangen.
Luisa war allenfalls skeptisch, als die vergötterte Margot, über die sie schon ihre Doktorarbeit geschrieben hatte und die mit Models auf der ganzen Welt arbeitete, beschloss, ausgerechnet das Angebot einer unbekannten Galerie in Schanghai anzunehmen. Luisa kann dem Projekt nicht viel abgewinnen, zumal China in ihren Augen als Kunstmarkt längst wieder passé ist. In der chinesischen Galeristin wähnt die junge Deutsche gar Konkurrenz. Doch als Margot, ein fast schon zwanghafter Kontrollfreak, sich in Schanghai von Tag zu Tag seltsamer verhält, kann Luisa das bald nicht mehr bloß mit der Hitze und der Fremdheit der Stadt erklären.
Eine "Angestellte des Lichts" - so nennt sich Margot selbst gern. Ausgerechnet in Schanghai aber wird sie in die dunkelsten Abgründe ihres Selbst gestoßen. Denn hier trifft Margot ihre uneheliche und inzwischen erwachsene Tochter, die heute in der Stadt lebt. Winonas Vater, ein chinesischer Geschäftsmann, hatte Margot einst in Amerika getroffen - und ihn samt Baby bald wieder verlassen, um sich als upcoming star der internationalen Kunstszene ganz auf ihr Werk konzentrieren zu können.
Margot ist in ihrer Selbstbezogenheit so naiv, dass sie glaubt, ihre Tochter Winona könnte sich womöglich für das Kunstprojekt bewerben, das Margot in Schanghai plant. In der Figur der Margot Winkraft lässt sich unschwer das reale Vorbild Vanessa Beercroft erkennen. Genau wie die in Amerika lebende Künstlerin arrangiert Margot in ihren Performances weibliche Körper zu lebenden Kunstwerken und setzt sich wie besessen mit der Schönheit des Körpers und seiner Vergänglichkeit auseinander. Mehr oder weniger bekleidete Frauen plaziert sie nach einem bestimmten System in Museums- oder Galerieräumen, wo die Mädchen dann stumm bis zur Erschöpfung stehen und die Blicke und Kommentare der Besucher scheinbar ignorieren.
Die Begegnung mit der fremden Tochter lassen in der Erzählerin das idealisierte Bild von Margot, mit der sie sich identifiziert, für die sie alles getan hat, zerplatzen. Luisa, die ewige Assistentin, erzählt ihre Geschichte auch als die Emanzipation einer Dienerin - auch als Vertreterin einer Generation der um die Dreißigjährigen, die davon überzeugt sind, dass es in unserer Welt der unbegrenzten Möglichkeiten sonst keine Sicherheit geben kann.
Aus der atmosphärisch dicht beschriebenen Spannung der beiden Frauen zieht Silke Scheuermann psychologisch nachvollziehbare Schlüsse. Die junge Autorin, die als Lyrikerin bekannt wurde, erzählt ihre Geschichte mit geradezu offensiver Konventionalität. Das Ergebnis wirkt nicht nur wegen der aktuellen Quotendebatte sehr nah: Margot ist das Paradebeispiel für einen Menschen, in dessen Lebensentwurf Berufung und Familie sich ausschließen. Die Jüngere wird andere Konsequenzen aus dem Leben ziehen. Eine große Künstlerin, so viel steht fest, wird sie jedoch niemals sein. So herrschen und zerbrechen in dieser irritierenden Stadt Bindungen, und es werden künstlerische Freiheiten und menschliche Abhängigkeiten durchprobiert. Margot geht für ihr Werk über Leichen, und in beißenden Dialogen lässt Silke Scheuermann den globalen Kunst-Jetset zu Wort kommen, der tiefschürfende Platituden austauscht, was angesichts der Dramatik der realen Ereignisse zuerst nur ironisch, dann auch verstörend klingt.
Wie schon in ihrem kurzen Romandebüt "Die Stunde zwischen Hund und Wolf" beweist die Autorin einen wachen Blick und Sinn für knappe Ironie. In dem nunmehr fast doppelt so umfangreichen neuen Werk verkneift sie sich jegliche Gefühligkeit und jeden Weltschmerz - auch angesichts der Megametropole Schanghai, die hier niemand verstehen kann und die einen doch das Fürchten lehrt. Vor diesem Hintergrund wirken Silke Scheuermanns Frauenfiguren in diesem packenden Roman noch heimatloser, als sie es innerlich ohnehin schon sind. Luisa und Margot sind Streuner. Gefühle sind ihnen nicht fremd, aber suspekt. Wie unterschiedlich beide damit umgehen, erzählt viel über moderne weibliche Biographien.
SANDRA KEGEL
Silke Scheuermann: "Shanghai Performance". Roman.
Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2011. 312 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Silke Scheuermann ist nach Asien gereist und mit einem Roman zurückgekommen: "Shanghai Performance" erzählt vom Drama einer erfolgreichen Künstlerin, die sich für den Erfolg tief in Schuld verstrickt. Die wahre Heldin der Geschichte aber ist die Megametropole.
Schanghai zwingt jeden in die Knie. Wer in jüngster Zeit einmal dort gewesen ist, hat diesen Sog am eigenen Leib gespürt. Diese Stadt ist eine einzige Fortschrittsphantasmagorie aus Stein und Stahl. Sie raubt einem den Schlaf, sie ist der in Stein gehauene Größenwahn, denn Schanghai erschafft sich ununterbrochen neu, für zwanzig, dreißig, vierzig Millionen Menschen, und jeden Morgen hat die Stadt ein neues Antlitz, weil sie nachts nicht schläft, sondern in die Höhe schießt, so schnell, dass man meint, beim Häuserwachsen zusehen zu können.
Auch die junge Kunsthistorikerin Luisa aus Frankfurt wird von ihren ersten rauschhaften Momenten in der Stadt erschüttert. Sie ist zusammen mit Margot Winkraft als Assistentin dieser berühmten deutschen Künstlerin nach Asien gereist. "Hinter der Bebauung war immer noch mehr Bebauung", sinniert Luisa, als sie von einer Bar hoch oben in einem Hochhaus hinabschaut auf den Huangpu, der wie ein tiefblaues, fast schwarzes Glitzerband unter ihr liegt. Dass ganze Stadtteile Schanghais ausgelöscht werden ohne ein Moment des Bedauerns, weil sich die Mächtigen hier der Zukunft versprochen haben - dieser "stumme Kampf" gegen das Gestern beeindruckt die junge Deutsche, "man kann ihm zusehen wie einem Spielfilm".
Wie ein mitreißender Film liest sich auch der neue Roman von Silke Scheuermann, die 2008 einige Monate in der asiatischen Millionenmetropole verbracht hat. In "Shanghai Performance" erzählt sie mitleidlos und aus kühl-ironischer Distanz von der tragischen Verstrickung zweier Frauen, eben Luisa und Margot, die in Schanghai eskaliert. Im Kern geht es um eine Frage, die freilich an jedem Ort der Welt spielen könnte, nämlich die, welches Opfer ein Mensch, genauer: eine Künstlerin, für ihr Werk bringen darf. Rechtfertigt der Dienst an der hehren Kunst menschliche Grausamkeit? Erzählt wird dies allzu menschliche Lehrstück aus der Perspektive der Ich-Erzählerin Luisa. Zurück in Frankfurt, erinnert sie sich an die schreckensvollen Ereignisse, von denen sie sich längst nicht erholt hat. Dabei hatte alles ganz harmlos angefangen.
Luisa war allenfalls skeptisch, als die vergötterte Margot, über die sie schon ihre Doktorarbeit geschrieben hatte und die mit Models auf der ganzen Welt arbeitete, beschloss, ausgerechnet das Angebot einer unbekannten Galerie in Schanghai anzunehmen. Luisa kann dem Projekt nicht viel abgewinnen, zumal China in ihren Augen als Kunstmarkt längst wieder passé ist. In der chinesischen Galeristin wähnt die junge Deutsche gar Konkurrenz. Doch als Margot, ein fast schon zwanghafter Kontrollfreak, sich in Schanghai von Tag zu Tag seltsamer verhält, kann Luisa das bald nicht mehr bloß mit der Hitze und der Fremdheit der Stadt erklären.
Eine "Angestellte des Lichts" - so nennt sich Margot selbst gern. Ausgerechnet in Schanghai aber wird sie in die dunkelsten Abgründe ihres Selbst gestoßen. Denn hier trifft Margot ihre uneheliche und inzwischen erwachsene Tochter, die heute in der Stadt lebt. Winonas Vater, ein chinesischer Geschäftsmann, hatte Margot einst in Amerika getroffen - und ihn samt Baby bald wieder verlassen, um sich als upcoming star der internationalen Kunstszene ganz auf ihr Werk konzentrieren zu können.
Margot ist in ihrer Selbstbezogenheit so naiv, dass sie glaubt, ihre Tochter Winona könnte sich womöglich für das Kunstprojekt bewerben, das Margot in Schanghai plant. In der Figur der Margot Winkraft lässt sich unschwer das reale Vorbild Vanessa Beercroft erkennen. Genau wie die in Amerika lebende Künstlerin arrangiert Margot in ihren Performances weibliche Körper zu lebenden Kunstwerken und setzt sich wie besessen mit der Schönheit des Körpers und seiner Vergänglichkeit auseinander. Mehr oder weniger bekleidete Frauen plaziert sie nach einem bestimmten System in Museums- oder Galerieräumen, wo die Mädchen dann stumm bis zur Erschöpfung stehen und die Blicke und Kommentare der Besucher scheinbar ignorieren.
Die Begegnung mit der fremden Tochter lassen in der Erzählerin das idealisierte Bild von Margot, mit der sie sich identifiziert, für die sie alles getan hat, zerplatzen. Luisa, die ewige Assistentin, erzählt ihre Geschichte auch als die Emanzipation einer Dienerin - auch als Vertreterin einer Generation der um die Dreißigjährigen, die davon überzeugt sind, dass es in unserer Welt der unbegrenzten Möglichkeiten sonst keine Sicherheit geben kann.
Aus der atmosphärisch dicht beschriebenen Spannung der beiden Frauen zieht Silke Scheuermann psychologisch nachvollziehbare Schlüsse. Die junge Autorin, die als Lyrikerin bekannt wurde, erzählt ihre Geschichte mit geradezu offensiver Konventionalität. Das Ergebnis wirkt nicht nur wegen der aktuellen Quotendebatte sehr nah: Margot ist das Paradebeispiel für einen Menschen, in dessen Lebensentwurf Berufung und Familie sich ausschließen. Die Jüngere wird andere Konsequenzen aus dem Leben ziehen. Eine große Künstlerin, so viel steht fest, wird sie jedoch niemals sein. So herrschen und zerbrechen in dieser irritierenden Stadt Bindungen, und es werden künstlerische Freiheiten und menschliche Abhängigkeiten durchprobiert. Margot geht für ihr Werk über Leichen, und in beißenden Dialogen lässt Silke Scheuermann den globalen Kunst-Jetset zu Wort kommen, der tiefschürfende Platituden austauscht, was angesichts der Dramatik der realen Ereignisse zuerst nur ironisch, dann auch verstörend klingt.
Wie schon in ihrem kurzen Romandebüt "Die Stunde zwischen Hund und Wolf" beweist die Autorin einen wachen Blick und Sinn für knappe Ironie. In dem nunmehr fast doppelt so umfangreichen neuen Werk verkneift sie sich jegliche Gefühligkeit und jeden Weltschmerz - auch angesichts der Megametropole Schanghai, die hier niemand verstehen kann und die einen doch das Fürchten lehrt. Vor diesem Hintergrund wirken Silke Scheuermanns Frauenfiguren in diesem packenden Roman noch heimatloser, als sie es innerlich ohnehin schon sind. Luisa und Margot sind Streuner. Gefühle sind ihnen nicht fremd, aber suspekt. Wie unterschiedlich beide damit umgehen, erzählt viel über moderne weibliche Biographien.
SANDRA KEGEL
Silke Scheuermann: "Shanghai Performance". Roman.
Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2011. 312 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.02.2011Radical Chic
Silke Scheuermanns lesenswerter Künstlerroman „Shanghai Performance“ über die dunkle Seite des schönen Scheins
Oberflächen sind ein heikles Thema. Entweder verleiten sie zu Oberflächlichkeit, als ob das Sichtbare schon alles wäre, oder sie suggerieren eine geheimnisvolle Tiefe und Bedeutung, wo sich darunter tatsächlich gar nichts verbirgt. Silke Scheuermann hat es in ihrem neuen Roman mit diesem Spannungsverhältnis von Oberflächen und Geheimnisproduktion zu tun, denn sie begibt sich darin in die Welt der Mode, der Models und der inszenierten Kunst, die auf dem nie ganz zu begreifenden Verhältnis von Zeichen und Bedeutung beruht.
Die titelgebende „Shanghai Performance“ ist das merkwürdige Projekt der berühmten Performancekünstlerin Margot Wincraft. Dazu versammelt sie ein paar Dutzend nackter Mädchen in einem Gewächshaus, das sie in einer Industriebrache am Ufer des Huangpu-Flusses mitten in Shanghai aufbauen lässt. Angetan mit nichts als Langhaarperücken und hochhackigen Schuhen, sollen die Mädchen sich dort auf einem riesigen, eiförmig aufgeschichteten Erdhaufen räkeln, dabei so tun, als wäre das ganz normal und mit leeren Augen ins Leere starren.
Denn so ist die Kunst – und wer das ernst nimmt, hat vermutlich ein Problem. Silke Scheuermann hat sich diese Inszenierung nicht selbst ausgedacht, sondern sie von der italienischen Performance-Künstlerin Vanessa Beecroft übernommen. Ansonsten dürfte ihre Heldin als Prototyp einer egoistischen Karrieristin allerdings eine eigenständige Romanfigur sein. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive ihrer Assistentin Luisa, die ihre Chefin so sehr bewundert, dass sie auch schon eine Dissertation über sie schrieb, und bereit ist, ihr Leben ganz in den Dienst der berühmten Künstlerin zu stellen. Luisa ist jedoch in einer schwierigen Situation: Ihr Freund hat sich von ihr getrennt, sie muss ihr Leben neu ordnen und gerät nun in China in einen Strudel ungewöhnlicher Ereignisse, die schließlich dazu führen, dass sie von Margot loskommt und ihr bloßes Assistentinnendasein hinter sich lässt.
Zunächst aber quält sie sich und die Leser mit den Launen der Chefin, mit allerlei Geheimnishuberei und mit dem schier endlosen Bericht von einem Casting, bei dem Margot ihre Models auswählt, ohne dabei schon zu wissen, worauf das Ganze eigentlich hinauslaufen soll. Dass sie sich auf das wenig standesgemäße Projekt einer kaum bekannten chinesischen Galerie einließ – ja auf China überhaupt, das als Kunstraum angeblich schon gar nicht mehr angesagt ist –, hatte, wie sich bald herausstellt, keine künstlerischen, sondern familiäre Gründe, was bei einer nur ihrem Ruhm und ihrer Geltungssucht lebenden Person schon seltsame genug ist. Margot offenbart ihrer Assistentin, dass sie während ihrer Studienzeit in den USA eine Tochter von einem chinesischen Liebhaber bekam, die sie aber karrierehalber weggab und nie wieder gesehen hat. Jetzt möchte sie die Tochter finden. Nur weil sie, warum auch immer, glaubt, diese würde sich als Model bewerben, hat sie sich auf die „Shanghai Performance“ eingelassen. Damit bricht gewissermaßen die Wirklichkeit in ihre Kunstwelt ein. Die Begegnung mit der Tochter, zu der es tatsächlich kommt, führt in die Katastrophe. Die schönen Oberflächen zerbrechen; plötzlich geht es um existentielle Fragen, um Schuld und Verantwortung, und wie sich zeigt, ist die Oberflächenexpertin darauf nicht vorbereitet.
Shanghai ist nicht ganz zufällig der Ort des Geschehens, das sich mehr und mehr zur Tragödie entwickelt. Shanghai ist selbst eine Hochglanz-Oberfläche und steht zeichenhaft für radikalen Wandel. Es ist eine Stadt, in der man, wenn man morgens aus dem Fenster schaut, das Gefühl hat, das Hochhaus gegenüber wäre gestern noch nicht da gewesen. „Keine Stadt der Welt“, heißt es im Roman, „ließ Besucher so tief, so detailliert in die Zukunft blicken, in eine völlig leere, ereignislose Zukunft.“ Silke Scheuermann war mehrfach dort, um für diesen Roman zu recherchieren und hat die passende Kulisse für die tiefe Einsamkeit und Verlorenheit gefunden, mit der ihre Protagonistinnen zu kämpfen haben. Luisa beginnt ein Liebesabenteuer, weiß dabei aber genau, dass dies mehr zu ihrer Unterhaltung geschieht, als dass sie sich wirklich darauf einlassen möchte. Das ist ihr Problem. Auch sie muss lernen, dass die Welt nicht nur aus Inszenierungen besteht, um schließlich doch zu ihrem Freund in Deutschland, der mit gutem Grund nichts mehr von ihr wissen wollte, zurückzufinden.
Künstlerroman, Liebesroman, Emanzipationsgeschichte, Familiengeschichte und Reisebericht: All das ist „Shanghai Performance“. Das ist eine Menge, doch es gelingt Silke Scheuermann in ihrer schlichten, niemals glänzen wollenden Sprache und trotz Dialogen, die manchmal so hölzern wirken wie aus einer Fernsehsoap, die Fäden der Erzählung in der Hand zu behalten. Nicht ganz überzeugend ist die gewählte Perspektive der Ich-Erzählerin Luisa, deren resümierender, erinnerungsschwerer Tonfall gelegentlich ins Literaturinstitutshafte hinübergleitet. Wenn sie die eigene Erzählposition deutlich machen möchte, kommen Sätze dabei heraus wie dieser: „Heute denke ich noch oft an die Zeit in jenem Sommer, immer noch sind alle Figuren überscharf in meinem Gedächtnis lebendig, angestrahlt vom Licht eines ewigen Theaters.“ Nun ja. Trotzdem ist „Shanghai Performance“ lesenswert.
Die zähe Langeweile, die der erste Teil verbreitet, hat mit der Natur der Sache und der Hohlheit der Kunst zu tun, die da geschildert wird. Dann aber nimmt die Geschichte Tempo auf und man bleibt dabei bis zum traurigen, tragischen Ende in diesem Stück „um ewige Schuld aus Unachtsamkeit“, wie die Erzählerin pathetisch, aber zutreffend formuliert.
JÖRG MAGENAU
SILKE SCHEUERMANN: Shanghai Performance. Roman. Verlag Schöffling & Co, Frankfurt am Main 2011. 312 Seiten, 19,95 Euro.
Es beginnt hölzern, ja zäh, doch
je mehr die Geschichte an Tiefgang
gewinnt, desto fesselnder ist sie
Der Roman spielt auf eine Inszenierung der Künstlerin Vanessa Beecroft an. Unser Bild zeigt ihre Fotoarbeit „Pontisister“ Foto: Kunsthalle Bielefeld dpa/lnw
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Silke Scheuermanns lesenswerter Künstlerroman „Shanghai Performance“ über die dunkle Seite des schönen Scheins
Oberflächen sind ein heikles Thema. Entweder verleiten sie zu Oberflächlichkeit, als ob das Sichtbare schon alles wäre, oder sie suggerieren eine geheimnisvolle Tiefe und Bedeutung, wo sich darunter tatsächlich gar nichts verbirgt. Silke Scheuermann hat es in ihrem neuen Roman mit diesem Spannungsverhältnis von Oberflächen und Geheimnisproduktion zu tun, denn sie begibt sich darin in die Welt der Mode, der Models und der inszenierten Kunst, die auf dem nie ganz zu begreifenden Verhältnis von Zeichen und Bedeutung beruht.
Die titelgebende „Shanghai Performance“ ist das merkwürdige Projekt der berühmten Performancekünstlerin Margot Wincraft. Dazu versammelt sie ein paar Dutzend nackter Mädchen in einem Gewächshaus, das sie in einer Industriebrache am Ufer des Huangpu-Flusses mitten in Shanghai aufbauen lässt. Angetan mit nichts als Langhaarperücken und hochhackigen Schuhen, sollen die Mädchen sich dort auf einem riesigen, eiförmig aufgeschichteten Erdhaufen räkeln, dabei so tun, als wäre das ganz normal und mit leeren Augen ins Leere starren.
Denn so ist die Kunst – und wer das ernst nimmt, hat vermutlich ein Problem. Silke Scheuermann hat sich diese Inszenierung nicht selbst ausgedacht, sondern sie von der italienischen Performance-Künstlerin Vanessa Beecroft übernommen. Ansonsten dürfte ihre Heldin als Prototyp einer egoistischen Karrieristin allerdings eine eigenständige Romanfigur sein. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive ihrer Assistentin Luisa, die ihre Chefin so sehr bewundert, dass sie auch schon eine Dissertation über sie schrieb, und bereit ist, ihr Leben ganz in den Dienst der berühmten Künstlerin zu stellen. Luisa ist jedoch in einer schwierigen Situation: Ihr Freund hat sich von ihr getrennt, sie muss ihr Leben neu ordnen und gerät nun in China in einen Strudel ungewöhnlicher Ereignisse, die schließlich dazu führen, dass sie von Margot loskommt und ihr bloßes Assistentinnendasein hinter sich lässt.
Zunächst aber quält sie sich und die Leser mit den Launen der Chefin, mit allerlei Geheimnishuberei und mit dem schier endlosen Bericht von einem Casting, bei dem Margot ihre Models auswählt, ohne dabei schon zu wissen, worauf das Ganze eigentlich hinauslaufen soll. Dass sie sich auf das wenig standesgemäße Projekt einer kaum bekannten chinesischen Galerie einließ – ja auf China überhaupt, das als Kunstraum angeblich schon gar nicht mehr angesagt ist –, hatte, wie sich bald herausstellt, keine künstlerischen, sondern familiäre Gründe, was bei einer nur ihrem Ruhm und ihrer Geltungssucht lebenden Person schon seltsame genug ist. Margot offenbart ihrer Assistentin, dass sie während ihrer Studienzeit in den USA eine Tochter von einem chinesischen Liebhaber bekam, die sie aber karrierehalber weggab und nie wieder gesehen hat. Jetzt möchte sie die Tochter finden. Nur weil sie, warum auch immer, glaubt, diese würde sich als Model bewerben, hat sie sich auf die „Shanghai Performance“ eingelassen. Damit bricht gewissermaßen die Wirklichkeit in ihre Kunstwelt ein. Die Begegnung mit der Tochter, zu der es tatsächlich kommt, führt in die Katastrophe. Die schönen Oberflächen zerbrechen; plötzlich geht es um existentielle Fragen, um Schuld und Verantwortung, und wie sich zeigt, ist die Oberflächenexpertin darauf nicht vorbereitet.
Shanghai ist nicht ganz zufällig der Ort des Geschehens, das sich mehr und mehr zur Tragödie entwickelt. Shanghai ist selbst eine Hochglanz-Oberfläche und steht zeichenhaft für radikalen Wandel. Es ist eine Stadt, in der man, wenn man morgens aus dem Fenster schaut, das Gefühl hat, das Hochhaus gegenüber wäre gestern noch nicht da gewesen. „Keine Stadt der Welt“, heißt es im Roman, „ließ Besucher so tief, so detailliert in die Zukunft blicken, in eine völlig leere, ereignislose Zukunft.“ Silke Scheuermann war mehrfach dort, um für diesen Roman zu recherchieren und hat die passende Kulisse für die tiefe Einsamkeit und Verlorenheit gefunden, mit der ihre Protagonistinnen zu kämpfen haben. Luisa beginnt ein Liebesabenteuer, weiß dabei aber genau, dass dies mehr zu ihrer Unterhaltung geschieht, als dass sie sich wirklich darauf einlassen möchte. Das ist ihr Problem. Auch sie muss lernen, dass die Welt nicht nur aus Inszenierungen besteht, um schließlich doch zu ihrem Freund in Deutschland, der mit gutem Grund nichts mehr von ihr wissen wollte, zurückzufinden.
Künstlerroman, Liebesroman, Emanzipationsgeschichte, Familiengeschichte und Reisebericht: All das ist „Shanghai Performance“. Das ist eine Menge, doch es gelingt Silke Scheuermann in ihrer schlichten, niemals glänzen wollenden Sprache und trotz Dialogen, die manchmal so hölzern wirken wie aus einer Fernsehsoap, die Fäden der Erzählung in der Hand zu behalten. Nicht ganz überzeugend ist die gewählte Perspektive der Ich-Erzählerin Luisa, deren resümierender, erinnerungsschwerer Tonfall gelegentlich ins Literaturinstitutshafte hinübergleitet. Wenn sie die eigene Erzählposition deutlich machen möchte, kommen Sätze dabei heraus wie dieser: „Heute denke ich noch oft an die Zeit in jenem Sommer, immer noch sind alle Figuren überscharf in meinem Gedächtnis lebendig, angestrahlt vom Licht eines ewigen Theaters.“ Nun ja. Trotzdem ist „Shanghai Performance“ lesenswert.
Die zähe Langeweile, die der erste Teil verbreitet, hat mit der Natur der Sache und der Hohlheit der Kunst zu tun, die da geschildert wird. Dann aber nimmt die Geschichte Tempo auf und man bleibt dabei bis zum traurigen, tragischen Ende in diesem Stück „um ewige Schuld aus Unachtsamkeit“, wie die Erzählerin pathetisch, aber zutreffend formuliert.
JÖRG MAGENAU
SILKE SCHEUERMANN: Shanghai Performance. Roman. Verlag Schöffling & Co, Frankfurt am Main 2011. 312 Seiten, 19,95 Euro.
Es beginnt hölzern, ja zäh, doch
je mehr die Geschichte an Tiefgang
gewinnt, desto fesselnder ist sie
Der Roman spielt auf eine Inszenierung der Künstlerin Vanessa Beecroft an. Unser Bild zeigt ihre Fotoarbeit „Pontisister“ Foto: Kunsthalle Bielefeld dpa/lnw
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
In Jörg Magenaus Augen hat Silke Scheuermann für ihren in Shanghai spielenden Roman über den "Schönen Schein" in der Kunst, hinter dem sich Versagen, Schuld und Tragik verbergen, genau die richtige Kulisse gefunden. Nach Shanghai begleitet die Ich-Erzählerin Luisa ihre bewunderte Chefin, die Performance-Künstlerin Margot Wincraft, und während sich Luisa dort von einer gescheiterten Liebe zu erholen sucht, endet die Suche Wincrafts nach der eigenen Tochter tragisch, lässt Magenau wissen. Ihm gefällt der schlichte Duktus der Geschichte, auch wenn er die Dialoge mitunter unbeholfen findet und ihm die Erzählerin manchmal allzu "erinnerungsschwer" im Ohr klingt. Zudem lobt er Scheuermann dafür, ihre einzelnen Erzählfäden überzeugend auszuführen. Und selbst der quälend langweilige Anfang des Romans, in dem das Casting von Mädchen, die in der Shanghaier Kunstperformance nackt in einem Gewächshaus ausgestellt werden sollen, rekapituliert wird, findet der Rezensent dem Thema Oberflächlichkeit, um das es hier geht, angemessen, zumal die Geschichte bis zu ihrer Schlusstragödie dann erheblich an Fahrt gewinnt, wie er verspricht.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Ein kluger und vielschichtiger Roman. ... Silke Scheuermann erzählt in einer Sprache, die sich selbst wie eine schöne Oberfläche anfühlt, kühl, ruhig, genau - wie Glas (...).« Christine Lötscher, Der Tagesanzeiger »Wie ein mitreißender Film liest sich der neue Roman von Silke Scheuermann.« Sandra Kegel, Frankfurter Allgemeine Zeitung »Keine geeignetere Kulisse als die Hochhausmetropole Shanghai könnte es für diese Geschichte geben, die so mutig kühl und trostlos ist (...)« Maren Keller, KulturSpiegel »Dieser Roman ist ein kunstvoller Pastiche von hohem Wiedererkennungswert.« Marie Schmidt, DIE ZEIT »Und so verwandelt sich vom Schluss her gelesen Silke Scheuermanns ebenso cooler wie auch amüsanter Trip durch Shanghai in einen dezidierten Beitrag zur Zivilisationskritik.« Barbara von Becker, Frankfurter Rundschau »Ein erschütternder Blick auf die Lebensentwürfe moderner Frauen und eine beißende Karikatur der angloitalienischen Performancekünstlerin Vanessa Beecroft.« STERN »Spannendes Sittenbild unserer modernen Gesellschaft. (...) Ein erstaunliches Buch.« Florian Felix Weyh, Deutschlandfunk »Silke Scheuermann hat eine ungewöhnlich fesselnde Chinoiserie mit Todesfolge geschrieben, einen Schicksals- und Frauenroman im besten Sinn des Wortes.« Katrin Hillgruber, Bayerischer Rundfunk »Eine kühle, stark visuelle Sprache, in der die staunende Neugier der Erzählerin stets mitschwingt.« Ruth Bender, Kieler Nachrichten »Silke Scheuermann sorgt mit Leichtigkeit für Gewicht.« Saarbrücker Zeitung »Silke Scheuermann erzählt von der Kunst der Selbstinszenierung und entlarvt, sehr zeitgemäß, vermeintlich unkonventionelle Lebensläufe hipper Großstädter.« Glamour »Ein packender Roman über den Kunstbetrieb und den Turbokapitalismus Chinas.« Vladimir Balzer, Die Literarische Welt »Scheuermann schildert in Shanghai Performance jene höchst elitären Kunstkreise (...). Es ist ein Klima äußerster Beziehungskälte.« Dierk Wolters, Frankfurter Neue Presse »Der Kern desBuches (...) ist die seelische Grausamkeit eines Kunstbegriffs, für den das Leben nur als Material zählt.« Ursula März, Deutschlandradio »Lesenswerter Künstlerroman über die dunkle Seite des schönen Scheins. (...) Künstlerroman, Liebesroman, Emanzipationsgeschichte, Familiengeschichte und Reisebericht: All das ist Shanghai Performance.« Jörg Magenau, Süddeutsche Zeitung »Silke Scheuermann hat die Kunstwelt als Bühne und ihre Protagonisten als literarische Figuren gut umgesetzt.« MONOPOL »Die 37-jährige Autorin hat ein zeitkritisches, sprachlich ausgefeiltes Buch über Frauen im Zeitalter der Globalisierung (...).« Stern.de »Der Roman von Silke Scheuermann entwickelt einen unerwarteten Sog. Lesenswert - nicht nur für Kunstinteressierte oder Shanghai-Reisende.« RBB Inforadio