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Davide Morosinotto erzählt vom Leben einer chinesischen Piratin
Wenn historische Romane, Filme oder eben Kinderbücher inzwischen auch weibliche Heldengeschichten erzählen, dann wird immer mal wieder der Vorwurf laut, dass dies die historische Wahrheit zugunsten zeitgenössischer politischer Ziele verdrehe. Denn ob das unserem heutigen Weltbild gefällt oder nicht: Die Männer waren nun mal die Kämpfer, während ihre Frauen zu Hause saßen. Oder? Das neue Buch des italienischen Kinderbuchautors Davide Morosinotto ist eines jener Beispiele, die zeigen, dass es so einfach nicht ist. "Shi Yu - Die Unbezwingbare" ist angelehnt an die Lebensgeschichte der chinesischen Piratin Ching Shih und erzählt vom Aufstieg eines Mädchens aus einfachen Verhältnissen zu einer der erfolgreichsten Piraten der Welt. Es gab sie also, die Frauen mit Macht. Warum sollte man nicht von ihnen erzählen?
Shi Yu, die Protagonistin in Morosinottos Roman, wächst als verarmtes Waisenmädchen in einem Gasthaus auf, dessen Besitzer sie für sich schuften lässt und schikaniert. Eines Tages lernt Shi Yu Li Wei kennen, der von seinem Großvater Li Peng, einem auf den ersten Blick eher unscheinbaren Alkoholiker, in die Geheimnisse der Kampfkunst eingewiesen wird. Wenig später wird auch Shi Yu dessen Schülerin und lernt von ihm den "Wushu der Luft und des Wassers", eine legendäre Kampftechnik, die von Piraten entwickelt wurde. Diese wird Shi Yu zunutze, als die Gaststätte überfallen, Li Peng umgebracht und sie selbst von Piraten entführt wird: Weil sie sich im Duell beweisen kann, wird sie nicht getötet, sondern stattdessen in die Piratenmannschaft aufgenommen. Ihr Aufstieg beginnt.
Morosinottos Roman, der zunächst nicht als Buch, sondern als Fortsetzungsgeschichte auf der Internetplattform Wattpad erschien, erzählt ihn minutiös aus. Chronologisch wird auf fünfhundert Seiten eine erfolgreiche Schlacht nach der anderen abgehandelt. Wieder eine neue Gefahr, wieder ein neuer Sieg - die Flotte wächst und wächst. Zwischendurch gerät Shi Yu in Gefangenschaft, aus der sie sich jedoch mithilfe starken "Chis", ihrer inneren Kraft, zu befreien weiß. Die anderen Inhaftierten gleich mit, so hat sie noch ein paar Piraten mehr auf ihrer Seite.
Natürlich weiß man bei vielen Romanen, dass am Ende alles gut ausgehen wird. Aber zumindest so zu tun, als könnte es anders sein, gelingt in "Shi Yu - Die Unbezwingbare" nur mäßig. Erst zum Ende hin, als die entscheidende Schlacht bevorsteht und sich die offenen Erzählstränge miteinander verbinden, wird es spannend: Welche Geheimnisse ranken sich um das "Wushu der Luft und des Wassers"? Was hatte es mit Li Peng auf sich, und warum wurde sein Sohn, Shi Yus bester Freund Li Wei, auf einmal zu einem ihrer Erzfeinde? Noch interessanter sind die Stellen, an denen man tatsächlich etwas über die chinesische Gesellschaft, das Piratenleben und die damit einhergehenden Hindernisse erfährt: Da begeht Shi Yu einmal den fatalen Fehler zu heiraten, und ihr Mann, Blauer Tiger, versucht sogleich, ihr den Piratenthron streitig zu machen. Denn, so muss Shi Yu, die sich inzwischen "Fliegende Klinge" nennt, von ihrem Lehrmeister Nachtfalter lernen: "Die Bräuche verlangen, dass die Ehefrau dem Ehemann gehorcht." Trotzdem bleibt der Roman, obwohl viele Teile der Geschichte historisch belegt sind, in dieser Hinsicht erstaunlich oberflächlich. Was schade ist, weil er dadurch zu einer einigermaßen austauschbaren Abenteuergeschichte wird, von der es jede Menge zu lesen gibt.
Allerdings meist aus männlicher Perspektive. Weshalb Ching Shihs Geschichte zu erzählen an sich schon ein Verdienst ist. Denn wie viele Leute wissen schon, dass einst eine Frau eine Flotte von 80 000 Mann anführte, die so mächtig war, dass der chinesischen Kaiser keine andere Möglichkeit sah, als einen Deal mit ihr abzuschließen? Solche blinden Flecken auszufüllen hat nichts mit übertriebener politischer Korrektheit zu tun. Es sollte selbstverständlich sein. ANNA VOLLMER
Davide Morosinotto: "Shi Yu: Die Unbezwingbare".
Roman. Aus dem Italienischen von Cornelia Panzacchi. Thienemann Verlag, Stuttgart 2022. 512 S., geb., 20,- Euro. Ab 13 J.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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