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Warum stellen einige politische Gewalttäter ihre Taten öffentlich und spektakulär zur Schau? Lee Ann Fujii geht dieser Frage anhand von drei extremen Gewaltereignissen nach: der Ermordung einer Tutsi-Familie während des Völkermords in Ruanda, der Hinrichtung muslimischer Männer in einem serbisch kontrollierten Dorf in Bosnien während der Balkankriege und des Lynchmords an einem schwarzen Landarbeiter an der Ostküste von Maryland im Jahr 1933. Fujii zeigt mit diesen Beispielen, dass es bei demonstrativer Gewalt immer auch darum geht, Einfluss auf die Umstehenden, auf Nachbarschaften oder gar…mehr

Produktbeschreibung
Warum stellen einige politische Gewalttäter ihre Taten öffentlich und spektakulär zur Schau? Lee Ann Fujii geht dieser Frage anhand von drei extremen Gewaltereignissen nach: der Ermordung einer Tutsi-Familie während des Völkermords in Ruanda, der Hinrichtung muslimischer Männer in einem serbisch kontrollierten Dorf in Bosnien während der Balkankriege und des Lynchmords an einem schwarzen Landarbeiter an der Ostküste von Maryland im Jahr 1933. Fujii zeigt mit diesen Beispielen, dass es bei demonstrativer Gewalt immer auch darum geht, Einfluss auf die Umstehenden, auf Nachbarschaften oder gar ganze Bevölkerungen zu gewinnen. Das Zuschauen und die Teilnahme an diesen Gewaltspektakeln verändern die Beteiligten mitunter tiefgreifend und stärken politische Identitäten, soziale Hierarchien und Machtstrukturen. Solche öffentlichen Gewalttaten zwingen die Mitglieder der Gemeinschaft auch dazu, sich für eine Seite zu entscheiden: offen die Ziele der Gewalt zu unterstützen oder zu riskieren, selbst Opfer zu werden. In ihrem letzten Buch zeichnet Lee Ann Fujii nach, wie Gewalt zur Schau gestellt wird, analysiert Konsequenzen und zeigt, wie die Täter die Fragilität sozialer Bindungen für ihre eigenen Zwecke nutzen.
Autorenporträt
Lee Ann Fujii (1962 – 2018) war Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Toronto, Kanada. Sie forschte zu kollektiver Gewalt und befasste sich mit methodologischen Fragen der Feldforschung. Showtime ist ihr letztes Buch und wurde 2021 posthum veröffentlicht.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für den Rezensenten Gerald Wagner geht die Politikwissenschaftlerin Lee Ann Fujii mit ihrer Gewaltforschung ein Wagnis ein. Indem die Autorin Gewalt eben nicht mit Mitteln der Organisationsforschung analysiert, sondern als "verweltlichtes" Phänomen, bei dem die Gesellschaft und der öffentliche Raum zu Akteuren werden, begibt sie sich laut Wagner auf ebenso schockierendes wie einleuchtendes Gebiet. Der Leser muss nicht nur die Schilderungen exzessiver Gewalt in Bosnien-Herzegowina, Ruanda oder Maryland ertragen, warnt Wagner, sondern auch die Einsicht, dass Gewalt in diesen Fällen als kollektives "Happening" zelebriert wurde.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.02.2023

Rollenspiele der Gewalt
Exzess im Kollektiv: Lee Ann Fujii zeigt, wie aus ganz normalen Leuten begeisterte Mörder werden

Bücher aus der sozialwissenschaftlichen Gewaltforschung sind keine leichte Lektüre. Sie stellen ihren Gegenstand - Akte exzessiver Gewalt von Menschen an Menschen - schonungslos dar. Sie schildern Dinge wie Massaker, Vergewaltigungen, Folter, Verstümmelungen, Lynchmorde, Massenerschießungen, das Einsperren von Menschen in Kirchen, um sie darin lebendig zu verbrennen, oder das Erhängen und anschließende Zerstückeln der Leiche zu Souvenirs der kollektiven Täter.

In ihrem jetzt postum erschienenen Buch "Showtime" schildert die kanadische Politikwissenschaftlerin Lee Ann Fujii auf vielen Seiten, wie in Ruanda 1994 Angehörige der Hutu Hunderttausende Tutsi ermordeten. Oder wie 1992 im Lager Omarska in Bosnien-Hercegowina serbische Milizionäre Tausende Gefangene aus Bosnien und Kroatien folterten, missbrauchten und töteten. Sie schildert, wie sie das gemacht haben, in allen entsetzlichen Einzelheiten. Oder wie 1933 im US-Bundesstaat Maryland der 22-jährige schwarze Landarbeiter George Armwood getötet wurde. Fujiis Rekonstruktion dieses Ereignisses veranschaulicht, dass es für das, was Armwood von einem weißen Mob in aller Öffentlichkeit angetan wurde, in seiner Monstrosität eigentlich gar keinen Begriff gibt. Aber waren es denn Monster, die ihm das antaten? Nein, es waren eigentlich ganz normale Leute. Was machte aus ihnen begeisterte Lynchmörder? Was machte in Ruanda aus Nachbarn Massenmörder, in Serbien aus Mitbürgern Folterknechte?

Wenn Fujii in diesem Buch Gewalt darstellt, tut sie dies nicht in pädagogischer oder ethischer Absicht. Die Zurschaustellung des Exzesses erhofft sich davon keine Warnung oder eine abschreckende Wirkung. Ob ihre Forschung einen wie auch immer geringen Beitrag leisten könnte, dass sich "so etwas nicht wiederholt", ist für Fujii keine Frage. Sie sucht hier nach Antworten auf die Frage, warum Menschen überhaupt teilnehmen an solchen Gewaltakten. Menschen, die dafür schließlich nicht trainiert wurden, die an sich keinen Grund dazu hatten und die darin sozusagen neu waren. Sie waren keine Gewohnheitsverbrecher. Oder psychisch kranke Einzeltäter. Sie handelten im Kollektiv, als Gruppe, die Dinge tat, die sie als Einzelne niemals getan hätten.

Fujji - das ist das Kernkonzept ihrer Forschung - begreift diese Gewalt als "Inszenierung" oder gar "Happening", als eine gemeinsame Aufführung von Gewalt durch die Beteiligten. "Showtime" versammelt sie. Die mit der Machete, die dem Opfer die Arme abschlagen oder ihm den Schädel zertrümmern. Aber auch die, die nur dabeistehen, die eigentlichen Täter anfeuern, die das Opfer verhöhnen, es fotografieren und die Bilder herumschicken, nicht ohne vorher noch ein Stück der geschundenen Leiche als Trophäe eingesteckt zu haben.

Was da aufgeführt wird, ist für Fujii eine radikale "Neuformulierung" von Zugehörigkeit zu einer präferierten, zur Dominanz berufenen sozialen Kategorie: Hutu, Weißer, Serbe. Die öffentliche Zurschaustellung von exzessiver Gewalt werde so zu einem besonders wirksamen Mittel der Neuordnung einer Gesellschaft und ihrer politischen Hierarchie.

Das Risiko, das die Autorin mit diesem Konzept eingeht, liegt nicht nur darin, dass sie vor ihren Lesern über viele Seiten hinweg äußerst verstörende Szenen von Gewalt ausbreitet. Vielmehr geht sie das große Wagnis ein, ihrem Gegenstand nicht mit den üblichen Mitteln der Organisationsforschung nachzugehen. Wir verstünden diese Gewalt nicht, wenn wir sie als Folge von Organisationshandeln erklären wollten. Das trifft es nämlich nicht. Man könnte auch jüngere Ereignisse wie etwa die Folter von Gefangenen im amerikanischen Militärgefängnis Abu Ghraib nehmen, um diesen methodischen Schritt zu begründen: Auch diese Täter befolgten keine Befehle, sondern folgten einer ästhetischen Logik der Überbietung. Solche Gewaltexzesse entwickelten sich aus kontingenten Rollen und Improvisationen, die sich abhängig vom "Plot" des Geschehens auch wandelten und zwischen den Beteiligten ausgetauscht wurden. Es gibt hier kein Drinnen und Draußen, keine Befehlsgeber und solche, die einfach gehorchten. Nicht einmal das Publikum bleibt bloßer Zuschauer. sondern macht irgendwann mit.

Wie weit ist der Weg von mörderischer Gewalt als Inszenierung zu solchen Phänomenen wie Karneval, Silvesternächten und anderen öffentlichen Räumen der Grenzüberschreitung? Liegt ein gewisser Trost darin, dass Fujii über Ereignisse schreibt, die in ihrer Monstrosität singulär sind? Fujjis Analysen provozieren, weil sie die von ihr geschilderte Gewalt "mundanisiert", wie es im Jargon des Faches heißt. Dass man das mit "Verweltlichung" übersetzen könnte, bedeutet nur, dass man sie aus den abgeschlossenen Binnenräumen von Organisationen herauslöst. So werden die Gesellschaft, die Straße, der öffentliche Raum zur großen Bühne von Gewalt. Im Jargon der Unterhaltungsbranche heißt das: It's Showtime! GERALD WAGNER

Lee Ann Fujii:

"Showtime". Formen und Folgen demonstrativer Gewalt.

Aus dem Englischen von Stephan Gebauer. Hamburger Edition, Hamburg 2022. 336 S., geb., 35,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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