Ein atemberaubend spannender Roman, in dem Daniel, ein junger Schachspieler, sorgsam gehütete, dunkle Geheimnisse seines Vaters erfährt. Die Entdeckungen, die er bei dem entscheidenden Turnier macht, bleiben auch für ihn nicht folgenlos. Er bemerkt einige überraschende Züge an sich selbst. Ist er vielleicht gar nicht der Verlierertyp, für den ihn bisher seine Kameraden gehalten haben und in dessen Rolle er sich selbst fühlt? Auch seinen Vater sieht Daniel auf einmal mit anderen Augen an. Und am Schachbrett sitzt ihm plötzlich kein männlicher Kontrahent gegenüber, sondern ein selbstbewusstes, spontanes Mädchen namens Liu …
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2015Der Großmeister der Familie
Schach ist Krieg, Schach ist Vernichtung. Aber im Roman „Siegen kann tödlich sein“ von David Klass
ist es auch eine Möglichkeit, die Beziehung eines Vaters zu seinem Sohn neu zu beleben
VON FRITZ GÖTTLER
Vor dem Tag der Entscheidung, dem letzten des großen Schachturniers im New Yorker Palace Royale Hotel, gibt es noch eine Nacht in der Oper – eine letzte Einstimmung, bevor dann Vater und Sohn in den Kampf ziehen, in ihre abschließenden Partien. „A night at the Opera“ heißt die berühmte Schachpartie, die der Vater seinem Sohn Daniel vorspielt, Paul Morphy, das junge Schachgenie aus New Orleans hat sie1858, gerade mal zwanzig, auf seinem Europa-Triumphzug in Paris gespielt, gegen zwei Amateure, die begierig waren, sich gegen den großen Meister aus Amerika zu versuchen. „Das ist die Partie, die ich mir mit zehn als erste eingeprägt habe“, sagt der Vater, „in vielerlei Hinsicht ist sie ziemlich albern, und sie hat auch einen albernen Namen . . .“ Ein Herzog hatte Morphy in seine Loge in der Pariser Oper eingeladen, aber als der Gast kam, wurde er erst mal zum Schach aufgefordert. „Morphy wollte eigentlich Die Hochzeit des Figaro sehen, ließ sich aber darauf ein, eine Partie gegen den Herzog und einen anderen anwesenden Adeligen zu spielen. Sie machten siebzehn Züge, dann setzte Morphy die beiden schachmatt und sah sich die Oper an.“
Eine furiose Partie, mit einer mitreißenden Dynamik, impulsiv durchgezogen, und die gleiche Dynamik entwickelt dann auch das Finale am nächsten Tag. Es handelt sich um ein besonderes Turnier, dessen Teams nur aus Vater-Sohn-Paaren bestehen. Überraschend wurde auch Daniel nominiert vom Schachclub seiner Schule, obwohl er wahrlich nicht zu den herausragenden Spielern zählt und an den üblichen Mittelmäßigkeits-Traumata der meisten Hochschüler leidet, die von sportlichen und intellektuellen und besser situierten Superstars ihrer Schule umgeben sind. Überraschend auch der Grund für Daniels Nominierung, sein Vater – völlig unscheinbar, 1,65 Meter, Bauch und Glatze, schuftet als Steuerberater – ist vor vielen Jahren einer der jüngsten Schach-Großmeister gewesen. Daniel hat davon nichts gewusst.
Schach ist Krieg, ist Vernichtung – der Vater hat das selbst erfahren, die mörderischen und selbstmörderischen Momente des Spiels, sechzehn Jahre und zwei Monate war er damals, und er hat die Konsequenz gezogen und ist schachabstinent geworden, fast dreißig Jahre lang. Durch die Aufforderung, mit dem Sohn zum Turnier anzutreten, erwacht noch einmal der Krieger in ihm. „Grandmaster“ heißt das Buch von David Klass im Original, sehr viel lakonischer als der deutsche Titel.
Daniels Vater ist die Hauptfigur, am Turnier-Wochenende zeigt er plötzlich beachtliche Führungsqualitäten seinem Team und Daniel gegenüber. Du bist besser, als du denkst, sagt er ihm, und mit wenigen Worten lehrt er ihn den richtigen Blick, um den Stand einer Partie zu erkennen und die Möglichkeiten, sie fortzusetzen. Ob ich will oder nicht, sagt David Klass, irgendwie entwickeln alle meine Romane sich zu Vater-Sohn-Geschichten.
Sogar beim Teamgebet brilliert der Vater; er erbittet Gottes Anleitung und Gnade für sich, weiß aber wohl, dass wichtiger als das Gewinnen die „Liebe, die ein Vater seinem Sohn schenkt“ ist. Das Buch bringt all das zusammen, was das Schach auszeichnet, den manischen Furor und die Sensibilität, Klugheit, Lächerlichkeit und Pathos, und formt daraus eine unaufdringliche Lebens- und Handelsweisheit, einen nicht nur amerikanischen Way of Life.
David Klass: Siegen kann tödlich sein. Aus dem Englischen von Dieter Fuchs. Freies Geistesleben 2015. 232 Seiten, 17,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Schach ist Krieg, Schach ist Vernichtung. Aber im Roman „Siegen kann tödlich sein“ von David Klass
ist es auch eine Möglichkeit, die Beziehung eines Vaters zu seinem Sohn neu zu beleben
VON FRITZ GÖTTLER
Vor dem Tag der Entscheidung, dem letzten des großen Schachturniers im New Yorker Palace Royale Hotel, gibt es noch eine Nacht in der Oper – eine letzte Einstimmung, bevor dann Vater und Sohn in den Kampf ziehen, in ihre abschließenden Partien. „A night at the Opera“ heißt die berühmte Schachpartie, die der Vater seinem Sohn Daniel vorspielt, Paul Morphy, das junge Schachgenie aus New Orleans hat sie1858, gerade mal zwanzig, auf seinem Europa-Triumphzug in Paris gespielt, gegen zwei Amateure, die begierig waren, sich gegen den großen Meister aus Amerika zu versuchen. „Das ist die Partie, die ich mir mit zehn als erste eingeprägt habe“, sagt der Vater, „in vielerlei Hinsicht ist sie ziemlich albern, und sie hat auch einen albernen Namen . . .“ Ein Herzog hatte Morphy in seine Loge in der Pariser Oper eingeladen, aber als der Gast kam, wurde er erst mal zum Schach aufgefordert. „Morphy wollte eigentlich Die Hochzeit des Figaro sehen, ließ sich aber darauf ein, eine Partie gegen den Herzog und einen anderen anwesenden Adeligen zu spielen. Sie machten siebzehn Züge, dann setzte Morphy die beiden schachmatt und sah sich die Oper an.“
Eine furiose Partie, mit einer mitreißenden Dynamik, impulsiv durchgezogen, und die gleiche Dynamik entwickelt dann auch das Finale am nächsten Tag. Es handelt sich um ein besonderes Turnier, dessen Teams nur aus Vater-Sohn-Paaren bestehen. Überraschend wurde auch Daniel nominiert vom Schachclub seiner Schule, obwohl er wahrlich nicht zu den herausragenden Spielern zählt und an den üblichen Mittelmäßigkeits-Traumata der meisten Hochschüler leidet, die von sportlichen und intellektuellen und besser situierten Superstars ihrer Schule umgeben sind. Überraschend auch der Grund für Daniels Nominierung, sein Vater – völlig unscheinbar, 1,65 Meter, Bauch und Glatze, schuftet als Steuerberater – ist vor vielen Jahren einer der jüngsten Schach-Großmeister gewesen. Daniel hat davon nichts gewusst.
Schach ist Krieg, ist Vernichtung – der Vater hat das selbst erfahren, die mörderischen und selbstmörderischen Momente des Spiels, sechzehn Jahre und zwei Monate war er damals, und er hat die Konsequenz gezogen und ist schachabstinent geworden, fast dreißig Jahre lang. Durch die Aufforderung, mit dem Sohn zum Turnier anzutreten, erwacht noch einmal der Krieger in ihm. „Grandmaster“ heißt das Buch von David Klass im Original, sehr viel lakonischer als der deutsche Titel.
Daniels Vater ist die Hauptfigur, am Turnier-Wochenende zeigt er plötzlich beachtliche Führungsqualitäten seinem Team und Daniel gegenüber. Du bist besser, als du denkst, sagt er ihm, und mit wenigen Worten lehrt er ihn den richtigen Blick, um den Stand einer Partie zu erkennen und die Möglichkeiten, sie fortzusetzen. Ob ich will oder nicht, sagt David Klass, irgendwie entwickeln alle meine Romane sich zu Vater-Sohn-Geschichten.
Sogar beim Teamgebet brilliert der Vater; er erbittet Gottes Anleitung und Gnade für sich, weiß aber wohl, dass wichtiger als das Gewinnen die „Liebe, die ein Vater seinem Sohn schenkt“ ist. Das Buch bringt all das zusammen, was das Schach auszeichnet, den manischen Furor und die Sensibilität, Klugheit, Lächerlichkeit und Pathos, und formt daraus eine unaufdringliche Lebens- und Handelsweisheit, einen nicht nur amerikanischen Way of Life.
David Klass: Siegen kann tödlich sein. Aus dem Englischen von Dieter Fuchs. Freies Geistesleben 2015. 232 Seiten, 17,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ein wunderbares Buch über Schach, aber auch die Beziehung eines Vaters zu seinem Sohn hat Fritz Göttler mit David Klass' "Siegen kann tödlich sein" gelesen. Die Erzählung handelt von einem durchschnittlich begabten Jungen, der mit seinem Vater, einst jüngster Schach-Großmeister, an einem Turnier, das nur aus Vater-Sohn-Paaren besteht, teilnimmt, berichtet der Kritiker, der hier erlebt, wieviel manischer Furor, Sensibilität, Klugheit, Lächerlichkeit und Pathos in dem Spiel stecken kann. Nicht zuletzt entnimmt er diesem lesenswerten Buch einige vorsichtig formulierte Lebensweisheiten.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH