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der Stärke
Was bedeutet „Nie wieder“? Yishai Sarids
Roman über israelisches Heldentum
Wo leben die Monster? In den Horrorfilmen. Sie lieben die Nacht, das Zombie-Dasein. Der israelische Autor Yishai Sarid, 1965 in Tel Aviv geboren, zwei Jahre vor dem Sechstagekrieg, hat sie dem Kino und der Nacht entführt. Er schreibt Romane, in denen die Monster durch Überbelichtung gebannt werden. Mal scheint das Licht einer Verhörlampe, mal einer klinischen Sonde zu entströmen, immer vernichtet es jeden Schein von Fantasy. Die Romanwelt Yishai Sarids ist das Hier und Jetzt seiner Gegenwart, des Landes Israel, so unzweifelhaft, dass er das nie betonen muss. Teil dieses Hier und Jetzt ist die Vergangenheit, auch auf sie fällt das gleißende Licht.
Im Roman „Monster“ (2019) war er in das Ich eines israelischen Holocaust-Forschers geschlüpft, der seine Landsleute durch die deutschen Vernichtungslager in Polen führt, während die letzten Zeitzeugen aussterben. Es gibt zwei große Monster in diesem Roman, das Monster der Erinnerung und das Monster, dem die Erinnerung gilt. Bis in die letzten Winkel ist die Vernichtungsmaschinerie ausgeleuchtet, offen liegen ihre Mechanismen vor Augen, und doch gibt es Möglichkeiten, dem Monster auszuweichen, und nicht immer führt der Schecken, den es auslöst, zur Absage an die Vernichtung.
Hingebungsvoll singen die Schulklassen die israelische Nationalhymne, aber ihr „Nie wieder!“ ist ein anderes als das der deutschen Erinnerungskultur. Ein Junge schockiert die Lehrer im Abschlussgespräch mit den Sätzen: „Ich denke, zum Überleben müssen wir auch ein bisschen Nazis sein.“ Und: „Wenn wir zu weich sind, haben wir keine Chance.“
Yishai Sarid war Nachrichtenoffizier in der israelischen Armee, bevor er Jura studierte, als Staatsanwalt und später Rechtsanwalt arbeitete. Juristen sind es gewohnt, Fragen von Recht und Legitimität kasuistisch zu erörtern. In ihren Fallgeschichten müssen sich die Rechtsnormen auch dann der Lebenswirklichkeit stellen, wenn es sich um konstruierte Fälle handelt. In der Umsicht, mit der Sarid sein literarisches Werk aufbaut, ist diese Schulung spürbar. Sein neuer Roman heißt schlicht und lapidar „Siegerin“. Er handelt von der Militärpsychologin Abigail, die als Expertin für die Psychologie des Tötens und Traumatherapeutin die israelische Armee berät, und knüpft unmittelbar an den Vorgänger „Monster“ an.
Die Lehre, die dort der Junge aus der Besichtigung der Vernichtungslager zieht, ist die verzerrte, halbierte Gestalt einer Einsicht, die sein Autor hatte, als er im Alter von achtzehn Jahren von einer Reise nach Polen zurückkehrte. „Als ich nach Hause fuhr, hatte ich nur eine Lektion gelernt: dass wir stark sein müssen, damit so etwas nie wieder passieren kann. Das ist eine wichtige Lektion aus der Geschichte, aber es sollte nicht die einzige sein. Der Holocaust muss uns eine konstante Erinnerung sein, wie wir mit anderen Menschen umgehen, er sollte eine Warnung gegen Rassismus und Nationalismus sein.“ So hat es der Autor im vergangenen Jahr im Gespräch mit dem österreichischen Standard formuliert. Die Wucht seines neuen Romans aber resultiert daraus, dass es in ihm die Balance von Stärke und Warnung vor der Stärke nicht gibt. Abigail heißt nicht nur Siegerin, sie ist bis in die kleinste Faser ihrer Existenz vom Siegeswillen und vom Imperativ der Stärke durchtränkt.
Vor Jahren hat sie den inzwischen zum Generalstabschef aufgestiegenen Offizier und Familienvater Rosalio verführt, der gemeinsame, vom Vater vor der Öffentlichkeit verheimlichte Sohn hat sich freiwillig zu den Fallschirmjägern gemeldet.
„Jeder Tötungsakt hat seinen psychischen Preis“, sagt sie den Soldaten, zu denen sie wegen ihrer Erfolge aus dem Zivilleben immer wieder zurückgerufen wird, aber sie meint es anders, als es in den Büchern ihres Vaters, eines klassischen Psychoanalytikers, Verehrer Sigmund Freuds, steht. Dort wäre es das Ziel, die Traumata in das Leben derjenigen zu integrieren, die unter ihnen leiden. Ihr Ziel ist es, die Führungsoffiziere zum Bekenntnis ihrer verschwiegenen Albträume zu ermuntern, um sie nach deren Bekämpfung so rasch wie möglich wieder in ihre Kampfeinheiten zu integrieren: „Anscheinend habt ihr noch nicht verstanden, wozu ich hier bin. Nicht um euch zu schwächen, nicht um euch Moral zu predigen. Ich bin hier, um euch und euren Soldaten zu helfen, den Feind zu besiegen, ihn zu töten und selbst am Leben zu bleiben. Ich erforsche die Psyche von Kämpfern schon über zwanzig Jahre. Ich weiß, was zu tun ist, um Soldaten tödlicher, disziplinierter und auch resistenter gegen Traumata zu machen.“ Das klingt wie aus dem Schulungskurs des US-Militärs zitiert, an dem Abigail in jungen Jahren teilgenommen hat. Die erfolgreiche Psychologin, die als Zivilistin Gastspiele bei der Armee gibt und über das Töten doziert, wird den Generalstabschef bei dem Überraschungskrieg, den er vorbereitet, beraten.
Sie wird zu ihrem Sohn gerufen werden, als der im Gefecht eine Panikattacke erleidet. Sie wird von Medi, dem Künstler und Ex-Geheimdienstler, die Wahrheit über seine Traumata erfahren. Sie wird sich in ihre wichtigste Patientin, eine junge Hubschrauberpilotin verlieben, die an einer ihrer ausgefeilten Gefangenenübungen fast zerbrochen wäre. Und sie beruhigen als sie mit einem Terroristen auch dessen siebenjährigen Sohn liquidiert hat. Sie wird, einen traumatisierten einfachen Soldaten, an dessen Behandlung sie gescheitert ist, weil er zum Sieger nicht taugt, seinem Schicksal überlassen. Sie wird ihren Vater und damit ihren einzigen ernsthaften Opponenten verlieren.
Wie schon in „Monster“ für die Darstellung des Holocaustforschers hat Yishai Sarid auch für die Darstellung der Siegerin Abigail die Form der Ich-Erzählung gewählt. Sie wird oft mit Erinnerung, Introspektion, Reflexivität in Verbindung gebracht. All das gibt es in Ansätzen auch hier. Doch stellt sich die Hauptfigur nie in Frage oder wird gar irre an sich selbst. Entscheidend ist hier, dass in einer Ich-Erzählung der Autor seine Figur nicht explizit kommentieren kann, sondern nur durch das, was er sie über sich und andere sagen lässt. Und nicht sagen lässt. Abigail ist eine Figur, wie sie in „Monster“ der Junge erträumt, der sich die Nazis zum Vorbild nehmen will, „weil sie bis zum Äußersten gegangen sind“. Sie ist die radikale, kompromisslose Antwort auf die Erfahrung der Vernichtung, eine Figur der hemmungslosen Selbstverteidigung und Stärke.
Dass sie darüber selbst zum Monster wird, ist eine Einsicht, die der Roman nahelegt, ohne sie zu erzwingen. Einmal gibt die Siegerin zu erkennen, dass ihre gesamte Psychologie des Tötens auf einer Theorie der Verschwisterung von Eros und Thanatos beruht. Zieht man das Gelehrt-Griechische von dieser Formel ab, bleibt die Frage übrig, welche Rolle der Sex in dieser von ihr selbst erzählten Geschichte einer Siegerin eigentlich spielt.
Sie führt ins Zentrum des Romans. Das Monster, das er aus seiner Höhle ans Licht holt, ist die Lust am Töten, nicht die Traumatisierung durch das Tötenmüssen. Zu verraten, wie Yishai Sarid dieses Monster stellt und ob die Siegerin ihm zum Opfer fällt, hieße die Lektüre dieses kristallklaren Buches beeinträchtigen. Ruth Achlama hat es in ein Deutsch gebracht, das seine Konsequenz und Härte durch den Verzicht auf alles Ornamentale und den Anschein kühler Sachlichkeit umso stärker hervortreten lässt.
LOTHAR MÜLLER
Die Figur Abigail ist die radikale
Antwort auf die
Erfahrung der Vernichtung
Yishai Sarid:
Siegerin. Roman.
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama.
Kein & Aber Verlag,
Zürich 2021.
256 Seiten, 22 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Innen sweet, außen stachelig: Der israelische Autor Yishai Sarid erzählt in seinem neuen Roman "Siegerin" von der Zumutung, junge Menschen in den Krieg zu schicken.
Von Sandra Kegel
Das Werk des israelischen Schriftstellers Yishai Sarid ist umstellt von Monstern. Die Protagonistin seines neuen Romans "Siegerin" arbeitet mit israelischen Soldaten, denen sie die Psychologie des Tötens nahebringt: Wie sie im Gefecht überleben und andere töten können ohne seelische Folgeschäden, das ist ihr Thema. Sie gilt als die Beste auf diesem Terrain, und wenn sie mit ihren jungen Soldatinnen und Soldaten zum Beispiel "Taxi Driver" schaut, um am von Robert De Niro gespielten Travis Bickle die Folgeschäden des Krieges zu studieren, bereitet ihr selbst das ein gewisses Vergnügen. Darüber zu reden, was der Krieg mit einem macht. Wie das Töten und auch das Wissen darum, selbst Ziel des Tötens zu sein, Narben auf der Seele hinterlässt, die sich zu Albträumen wandeln, zu chronischer Nervosität, zu Depression.
Dass die meisten Menschen vor dem Töten in Wahrheit zurückschreckten, außer den wenigen, die dazu geboren seien, auch das weiß die hochbegabte Ich-Erzählerin Abigail und hat natürlich ebenfalls hier ihre psychologischen Mittel parat, um die Zögerlichen anzufüttern. Eine junge Frau, die in der Vorbereitung zur Kampfpilotin an der Härte der Ausbildung zu zerbrechen droht, richtet sie mit diesen Mitteln entsprechend ab, so dass diese bald darauf zur gefürchteten Kampfpilotin aufsteigen kann, die keines ihrer Ziele verfehlt. Selbst als diese Pilotin bei einem Einsatz nicht nur den obersten Führer der gegnerischen Seite tötet, sondern auch dessen Kind, das sie aus ihrem Jagdflieger nicht gesehen hat, findet ihre Ausbilderin dafür nur entlastende Worte.
Dass sie sich zu den Monstern hingezogen fühle wegen deren Mordlust, gesteht diese Abigail einmal, als ihr ein Freund, heute Künstler, ehemals natural born killer, erzählt, dass er beim Jagen und Töten des Feindes ein geradezu "fantastisches Hochgefühl" verspüre. "Monster" hieß auch der vorige, vielbeachtete Roman des 1965 in Tel Aviv geborenen Yishai Sarid, der 2019 ebenfalls von der Übersetzerin Ruth Achmala in ein geschmeidiges Deutsch übertragen wurde. Erzählerisch interessant war daran, wie Sarid auf narrativer Ebene umsetzte, wovon seine Erzählung handelte: von der Erinnerung. Das Monster schilderte der Autor als ein vielköpfiges, denn es bezieht sich sowohl auf die Erinnerung an ein Menschheitsverbrechen, die jeden, der damit zu tun hat, beschädigt, wie auch auf das Erinnerte selbst, die Schoa.
Kein Zufall, dass derjenige den israelischen Schülern auf Besuch im Konzentrationslager in Auschwitz am anschaulichsten den Horror des Lagers beschreiben kann, der selbst niemals dort inhaftiert war. Während der tatsächliche Auschwitz-Häftling das nicht schafft. Er kann sich nicht erinnern, sondern bricht vor Ort zusammen. Der Roman "Monster" beschreibt nicht nur, wie das Erinnern in Rituale ausgelagert wird, wie es instrumentalisiert und umgedeutet wird, er führt das Erinnern auch als unheimliches Erinnerungstheater vor, in dem der Historiker zum "Händler der Erinnerung" wird, während die Jugendlichen aus Israel sich in Ausweichrituale flüchten, wenn sie sich im Konzentrationslager in blau-weiße Flaggen hüllen und die Nationalhymne singen.
Obwohl Auschwitz im Roman "Siegerin" nicht erwähnt wird, ist es zweifelsohne die Grunderfahrung, auf der auch diese Erzählung mit all ihren Ambivalenzen basiert. "Das ist die Essenz des Zionismus: Juden zu erziehen, die sich - anders als im Holocaust: selbst verteidigen können. Heute sind wir stark, keineswegs hilflos, aber unsere Psyche ist immer noch die des schwachen, geschlagenen Kindes, das all seine Kraft nutzen muss, um nicht erneut drangsaliert zu werden", hat Yishai Sarid dazu in einem Interview gesagt.
Deshalb lässt uns der Autor in seinem neuen Roman aufs Neue auf die Generation der Schüler von der Polen-Reise treffen, die jetzt ein, zwei Jahre älter sind, achtzehn Jahre alt, und als Soldatinnen und Soldaten zum Militär eingezogen werden. Niemand, außer orthodoxen und arabischen Israelis, kann sich dem entziehen, Frauen müssen zwei, Männer drei Jahre dienen. Und weil diese Rekruten so unheimlich jung sind und so unerfahren, weil sie mehr Zeit am Bildschirm verbracht hätten als auf der Straße, wie Abigail bedauernd resümiert, setzt das israelische Militär Psychologen wie sie ein zur Vorbereitung des Gefechts. Abigails Vater, Psychoanalytiker alter Schule, kann nicht verstehen, wie seine Tochter sich für das System des Krieges verwenden kann. Und Abigails Sohn, der sich freiwillig zur Armee gemeldet hat, bricht während eines traumatischen Einsatzes zusammen.
"Siegerin" ist ein bitterer Roman mit einer radikalen Hauptfigur, das macht sein Faszinosum aus. Während der Roman "Monster" die Frage verhandelte, wie man mit Erinnerung umgehen darf und wie Wissen und Erinnerung sich zueinander verhalten, fragt "Siegerin" nach den Kosten, die ein Land bereit ist, für Freiheit und Sicherheit zu bezahlen. Die Generation der Sabres, also der in Israel geborenen Juden, die von sich sagen, im Inneren lieblich, aber nach außen hin stachelig wie die gleichnamige Kaktusfeige zu sein, müssen sich zu dieser Gefährdung ihrer selbst und der Gegner verhalten. Die immanenten Widersprüche des israelisch-palästinensischen Konflikts, das Chaos der Auseinandersetzung, grauenhaft und moralisch komplex, sind nicht Thema des Romans.
Worum es Yishai Sarid in seinem Buch geht, ist, wie er selbst erläutert, die "israelische Tragödie". Dass dieses kleine Land ohne sichere Grenzen auf eine starke Armee nicht verzichten könne und dieses Land deshalb die Kinder, Söhne wie Töchter, "in gewisser Weise opfern" würde. Ob sich Abigails Sohn je davon erholen wird, lässt der Roman offen. Dass er als zartes Kind von seiner alleinerziehenden Mutter schon als Dreijähriger dazu gebracht wurde, sich im Kindergarten mit Fäusten zu wehren, hat ihn vor der späteren Katastrophe jedenfalls nicht bewahren können.
Abigail geht strategisch und kalkuliert vor, sei es als Kind im Umgang mit der eigenen Mutter oder später mit dem verheirateten Militär Rosolio, von dem sie ein Kind wollte und auch bekommen hat. Sie ist eine Figur aus der israelischen Gegenwartsproblematik, die sich zum namenlosen Vergangenheitsbearbeiter aus Sarids Vorgängerroman "Monster" ins Verhältnis setzt. Der titelgebenden "Siegerin" aber setzt der neue Roman auf erzählerischer Ebene die Opfer entgegen.
Yishai Sarid: "Siegerin". Roman.
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama.
Kein & Aber, Zürich 2021. 254 S., geb., 22,- [Euro].
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