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Horst Bredekamp spekuliert über die Rolle von Freuds Antikensammlung für die Psychoanalyse
Wer sich zum Zweck der psychoanalytischen Behandlung erstmals in der Praxis von Professor Sigmund Freud einfand, konnte eine Überraschung erleben. Denn der berühmte, erst nachträglich zur sprichwörtlichen Couch avancierte Diwan, auf dem man sich hinzulegen hatte, stand in einem Raum, der nach den Worten des langjährigen Patienten Sergej Pankejeff in "nichts an das Ordinationszimmer eines Arztes, sondern vielmehr an ein archäologisches Kabinett" erinnerte.
Abgesehen von der eher allgemeinen (und oberflächlichen) Metapher der Psychoanalyse als einer Art Seelenarchäologie, die das Verdrängte wieder ausgräbt, scheint Freuds Behandlungstechnik jedoch keinen konkreten Bezug zur Aufstellung der Sammlung gehabt zu haben. Dies ist nicht erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die Deutung von Träumen und Fehlleistungen zunächst im Rahmen von Selbstbeobachtungen entwickelt wurde, für die nur etwas Schreibzeug nötig war. Dennoch entsprang die psychoanalytische Technik zur Aufdeckung des Unbewussten auch aus einer Schulung des Blicks, der sich auf die Beobachtung von unbeachteten visuellen Details richtete.
Als deutlichstes Zeugnis dafür kann der zunächst anonym veröffentlichte Essay über die römische Moses-Statue Michelangelos gelten, in dem Freud 1914 sein Vorgehen mit demjenigen des italienischen Arztes und Kunstkritikers Giovanni Morelli verglich. Dass dieser Text kein Nebenwerk ist, hat erstmals Carlo Ginzburg in seinem mittlerweile klassischen Aufsatz über das Indizienparadigma gezeigt. Morelli gehört somit ebenso in die Genealogie der Psychoanalyse wie der Neurologe Jean-Martin Charcot, dessen suggestive Zusammenstellungen von klinischen Tableaus mit Reproduktionen künstlerischer Werke den jungen Freud nachhaltig beeindruckten.
Seit etwa drei Jahrzehnten hat eine intensivere Beschäftigung mit der Frage eingesetzt, welche Rolle Dinge und Bilder in der psychoanalytischen Praxis spielen, die seitdem keinesfalls mehr als ein bloßer "Austausch von Worten" gilt, als den Freud sie wiederholt beschrieb. Dabei stehen spekulative Überlegungen zur Bedeutung der Objekte neben museologischen Versuchen zu ihrer kritischen Befragung (wegweisend in den Ausstellungen von Lydia Marinelli für das Wiener Freud-Museum) und wissenschafts- und kulturhistorischen Studien, die ihre Kontexte freigelegt haben.
Etwas spät springt nun auch der Kunsthistoriker Horst Bredekamp auf den seit länger schon fahrenden Zug auf, mit dem Anspruch, den bisher unentdeckten Zusammenhang von Freuds Moses-Studie mit dessen Privatsammlung aufzudecken. Der schmale, reich bebilderte Band erweist sich dabei großteils als ein Ableger seiner 2021 vorgelegten Michelangelo-Werkbiographie, in der er bereits weitgehend der psychologischen Lesart Freuds folgte, da diese "das Bild dieser Marmorfigur unhintergehbar geprägt" habe.
Zweifellos gilt diese apodiktische Feststellung für den deutenden Blick Bredekamps, der in einer kuriosen Vermengung von Gegenstand und Methode zum Schluss gelangt, Michelangelo habe hier "in einem intuitiven Vorgriff auf die Freudsche Triebsublimierung die Grundlage der Psychoanalyse vierhundert Jahre vor ihrer theoretischen Begründung in Marmorform gemeißelt". Er folgt darin nicht nur den Schematismen einer psychoanalytischen Hagiographik, die das Genie des Künstlers zum Vorläufer von Freuds Theorien erklärt. Auch dessen Vorgehen bei der Beobachtung der Statue, das er anhand der Forschungsliteratur resümiert, interessiert ihn letztlich nur im Hinblick auf die Identifikation des Begründers der Psychoanalyse mit dem Michelangelo-Moses.
Wie sich dies konkret auf der Ebene der Bildanalyse niederschlägt, verdeutlichen Kommentare Bredekamps zu einem bekannten Schnappschuss-Foto, aufgenommen 1906 von dem sechzehnjährigen Martin Freud, das seinen Vater umgeben von Erinnerungsstücken an italienische Bildungsreisen zeigt, darunter eine Gipskopie von Michelangelos "Sterbendem Gefangenem" (heute im Louvre, ursprünglich wie der Moses für das Grabmal von Julius II. bestimmt). Bezeugte die Aufnahme in Bredekamps Michelangelo-Buch noch eine körpersprachliche "Assimilation" des Porträtierten an die Moses-Statue und somit die Identifikation mit dem biblischen Religionsgründer, wozu Bredekamp auf Freuds Zurückziehen des rechten und Vorstellen des linken Beins verwies, was auf dem Bild allerdings nicht zu sehen ist, so heißt es nun, dieser habe sich in der Rolle der Marmorfigur neben dem "Gefangenen" postiert, um die ursprüngliche Konzeption des Grabmals nachzustellen, "allerdings ohne die innere Spannung, die dem 'Moses' eignet, aufzunehmen". Letzteres ist offensichtlich, der Verweis auf die angeblich imitierte Figurenanordnung kaum schlüssig, außer man hält es für möglich, dass der Schnappschuss eines Jugendlichen einem hochgradig inszenierten Programm folgt, das auf einer detaillierten Kenntnis von Michelangelos Plan gründet.
Dass sich Freud in der Tat wiederholt mit Moses identifiziert hat, steht dabei außer Frage. Im Fall der Michelangelo-Statue ist dies jedoch erst 1913 durch eine Postkarte an Sándor Ferenczi aus Rom belegt, die auf die heftigen Auseinandersetzungen mit C. G. Jung und der Zürcher Schule verweist. Folgt daraus aber, dass man die freudsche Praxis zur Gänze aus dieser teils strategischen, teils scherzhaften Geste der Identifizierung begreifen muss? Bredekamp scheint es zu glauben, wenn er Freud als "Wiedergänger" des marmornen Moses die Psychoanalyse als säkulares Heilsgeschäft begründen lässt, dessen Vollzug im Privatmuseum der Berggasse 19 für ihn dann paradoxerweise das Problem des mosaischen Bilderverbots aufwirft. Ein Scheinproblem, das er im Handumdrehen löst, indem er Freuds Behandlungszimmer zum symbolischen Ort erklärt, an dem mit den Bildern zugleich die Worte der Patientinnen und Patienten befreit wurden.
Daran ist eigentlich nichts neu, außer die Annahme, die Statuetten und Bildwerke hätten ebenso aktiven und lebendigen Anteil an der Arbeit der Analyse gehabt wie seine Lieblingshunde. Ist die Anwesenheit der Chow-Chows durch zahlreiche Anekdoten verbürgt, fehlt naturgemäß auch in den wenigen hier zitierten Patientenberichten jeglicher Hinweis auf eine solche mysteriöse Aktivität der Sammlungsobjekte.
Umso eindringlicher muss Bredekamp sie für seine "figürliche Psychoanalyse" beschwören, die freilich allein aus seinen Spekulationen über ein Handeln der Bilder und zum "entgegenkommenden Denken" abgeleitet ist. Dass die Theorien zum Bildakt bisher weniger Anhänger gefunden haben als diejenigen Freuds, mag somit der Hauptgrund sein, warum die Psychoanalyse hier so emphatisch als deren Vorläuferin inszeniert wird. ANDREAS MAYER
Horst Bredekamp:
"Sigmund Freuds figürliche Psychoanalyse". Der Moses Michelangelos und Freuds Sammlung von Idolen.
Schwabe Verlag, Basel 2023. 160 S., Abb., br., 14,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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