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Klaus Schweinsberg ergeht sich in Katastrophenszenarien
Dieses Buch kommt zur falschen Zeit - es kommt zu spät. Die Krise ist doch vorbei, hören wir überall. Deutschlands Wirtschaft erholt sich, vielen Unternehmen geht es glänzend; die Beschäftigung steigt, das staatliche Haushaltsdefizit ist zwar noch extrem hoch, wird aber nach der Planung des Finanzministers in den kommenden Jahren sinken. Wieso sollen dann "Staat, Markt und Gesellschaft in den nächsten Jahren vor dem Kollaps" stehen, wie der Publizist Klaus Schweinsberg schreibt? Auch in den Vereinigten Staaten sind die Sorgen vor einem Rückfall in die Rezession inzwischen am Abklingen. Aufgepäppelt mit einer Extra-Portion billigen Geldes, geht das Wachstum von neuem los. Warum also Sorgen machen?
Der frühere "Capital"-Chefredakteur Schweinsberg, der an verschiedenen Hochschulen lehrt und im Aufsichtsrat einer Bank sitzt, schreibt gegen den aufkommenden Optimismus an. Er analysiert, warum die Krise doch noch keineswegs ausgestanden ist. Stakkatoartig werden in kleinen Kapiteln sämtliche schwelenden Krisenherde aufgezählt; Dem Leser wird jeweils der schlechtestmögliche Ausgang als der wahrscheinliche insinuiert.
Wer den "Wir sind gestärkt aus der Krise gekommen"-Optimismus voreilig findet, wird hier bestätigt. Schweinsberg hält den Konjunkturaufschwung nur für einen vorübergehenden Schub, der eine tiefer sitzende Wachstumsschwäche überdeckt. Er argumentiert dabei mit der interessanten, aber umstrittenen Theorie der Kondratieff-Zyklen. Die Innovationswelle der Informations- und Kommunikationstechnik sei am Verebben und bringe keinen bedeutenden volkswirtschaftlichen Mehrwert mehr, meint er.
Auch wer an diese spezielle Theorie nicht glaubt, kann doch die Sorge teilen, dass in den westlichen Volkswirtschaften das Potentialwachstum künftig erheblich vermindert ist: Von den Schuldenbergen und den geldpolitischen Altlasten nach den Rettungsorgien über die düsteren demographischen Perspektiven führt Schweinsberg den Leser zu drohenden Verteilungskonflikten und zur Krise der Europäischen Union und dem drohenden Staatsbankrott einiger EU-Länder.
Das Euro-Experiment sei "außer Kontrolle" geraten, schreibt er. Zugleich teilt er aber säuerliche Seitenhiebe gegen nicht namentlich genannte Euro-Kritiker aus, die schon früher gewarnt haben. Fatalistisch erklärt Schweinsberg, warum trotz aller Fehlentwicklungen der Euro das Schicksal der Deutschen und "alternativlos" sein soll. Ein verschärfter Stabilitätspakt soll's richten.
So schwankt das Buch zwischen Fundamentalkritik und Angst vor fundamentalen politischen Änderungen. Nach Überzeugung des Autors steht in diesem Jahrzehnt eine geschichtliche Zäsur an. Er sieht "beängstigende Parallelen zu den Systembrüchen 1517, 1618, 1713, 1815 und 1914" - so unterschiedlich die mit diesen Daten verbundenen Wenden auch waren. Das Geschichtsmuster, das er in der Einleitung skizziert, ohne wirklich zu erklären, warum es stets im zweiten Jahrzehnt eines Jahrhunderts zu einer schweren Krise kommt (ob politisch-religiöse Umwälzung oder gar Krieg), mündet am Schluss in einem längeren Abschnitt über den drohenden Vormarsch rechtspopulistischer Kräfte, die in Europa die politische Landschaft umwühlen. Dabei ergeht sich der Autor in derart alarmistischer "Political Fiction", dass die Warnung ermüdend und überzogen wirkt.
Um einer Spaltung der deutschen Gesellschaft entgegenzuwirken, plädiert Schweinsberg, der auch an der Führungsakademie der Bundeswehr unterrichtet, für ein soziales Dienstjahr für alle jungen Menschen. Zu den starken Seiten des Buches gehören die Analysen der Fehlentwicklungen unseres politischen Systems und der Versäumnisse der etablierten Parteien. Sie haben die Lage schöngeredet und sich vor harten Konsequenzen gedrückt. Die Kluft zwischen der politischen Klasse und den Bürgern wächst, wie sich nicht nur in der Sarrazin-Debatte über fehlgesteuerte Zuwanderung zeigt. Die Wahlbeteiligung ist auf das niedrigste Niveau gesunken, Protest formiert sich außerhalb der Parlamente. Allerdings mag man es für überzogen halten, wenn Schweinsberg angesichts der schon wieder abgeflauten Stuttgart-21-Proteste oder Anti-Kernkraft-Demos von "Endzeitstimmung" spricht.
Zur Revitalisierung der Demokratie empfiehlt er unter anderem mehr Formen der direkten Partizipation und Volksabstimmungen wie in der Schweiz. Außerdem beschreibt er Ansätze für eine konsequente Reform des degenerierten Föderalismus - durch Entflechtung, um wieder echten Wettbewerb zwischen Ländern und Kommunen zu entfachen. Alles in allem bietet das Buch viele kluge und einige kontroverse Vorschläge für Reformen unseres Gemeinwesens.
PHILIP PLICKERT.
Klaus Schweinsberg: Sind wir noch zu retten?
Finanzbuch Verlag, München 2010, 235 Seiten, 19,95 Euro
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