Ein Münchner Taxifahrer vergegenwärtigt sich in einer Art Wachtraum einen bestimmten Tag seines Berufslebens. Er tut dies in sieben »Versionen«. Fantasiebegabt und belesen »vergoldet« er sich diesen tristen Tag, indem er den Ereignissen und Begebenheiten in seiner Vorstellung eine Aura verleiht, die diese aus dem ständigen Einerlei heraushebt. Dies alles tut er durchaus jokos, wie denn überhaupt das Ganze mit einem Augenzwinkern gelesen werden will. Der äußere Verlauf dieses siebenfachen Tages ist stets der gleiche: Unser Freund beendet seine Nachtruhe, versieht kleinere Hausarbeiten, geht mit dem Hund spazieren, fährt anschließend nach München, geht dort seiner Profession nach und kehrt abends wieder zu Frau und Hund zurück. In den verschiedenen Versionen, die er für diesen Tag erdenkt, macht er allerlei Beobachtungen, führt Unterhaltungen und beschäftigt sich mit allerlei abstrusen, mehr oder weniger unterhaltsamen und unangenehmen Dingen. Er träumt von einer Karriere als Operntenor, befreit eine Maus, legt sich mit einem Zuhälter an, Freunde und Kollegen kommen mit ihren Gedanken zu Wort, es gibt Betrachtungen von Gott und der Welt bis zu Benno Ohnesorg und die RAF. Es geht um beethovensche Pathétique, das Essay »Thematik und Technik des James Joyce«, Juristerei, Despektierliches über Goethe, Freud und unziemliche Gedanken. Der geistige Rundumschlag endet schließlich in der siebten Version mit einer nur scheinbar willkürlichen Ansammlung von Aphorismen, kurzen Szenen, kleinen Essays und Ähnlichem, deren Zusammenhang und Bedeutung sich dem Leser durch die Kenntnis der vorangegangenen Fassungen erschließt.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.08.2018Epos am Straßenrand
Humor von Beethoven, Sparzwänge im Lokaljournalismus und psychologische Aspekte der Empfängnisbereitschaft von Frauen:
Gerd Quast ist 40 Jahre lang Taxi gefahren und hat in den Wartezeiten seine Gedanken über die Welt in einen Roman gegossen
VON HANS KRATZER
Der britische Schauspieler und Kosmopolit Sir Peter Ustinov hat einmal gespöttelt, in Deutschland müsse man beim Besteigen eines Taxis vorsichtig sein. Man wisse nämlich nie, ob man am Steuer auf einen Philosophieprofessor treffe. Für derlei Bonmots hat Gerd Quast ein Faible. Bei ihm kommt noch etwas Weiteres hinzu: Er hat selbst Jahrzehnte lang als Taxifahrer gedient, wobei es die Umstände bewirkt haben, dass auch er in dieser langen Zeit zu einem veritablen Denker und Philosophen gereift ist. Im Falle Quast lag Ustinov mit seiner Einschätzung also goldrichtig.
Das Leben schlägt bisweilen seltsame Kapriolen. Im Angesicht von glatt polierten Karrieremenschen beschleicht einen oft das Gefühl, an jenen perlten alle Widerstände ab wie ein Tropfen von einer Teflonschicht. Die Biografie des Gerd Quast ist dagegen rau und kantig, sein Drang nach Freiheit und Unabhängigkeit war von Widrigkeiten begleitet, seine Lebenspläne wurden häufig durchkreuzt. Aber sind nicht gerade solche Brüche der fruchtbarste Dünger für gute Geschichten?
Als 18-jähriger Bursche wollte Quast unbedingt nach Lambaréné in Gabun zu dem Urwaldarzt Albert Schweitzer, „er war für mich ein Idol“. Der Vater war im Krieg gefallen, „aber meine Mutter erlaubte, dass ich mich auf die Socken machte“. Weit kam er nicht, der Weg von Duisburg nach Afrika endete nach mehreren Umwegen bereits in München. Nachdem er eine Familie gegründet und deshalb ein Lehramtsstudium abgebrochen hatte, beschloss Quast, selbständig zu werden. Er kaufte sich eine Taxi-Konzession, auch wenn das riskant war. „Wir hatten drei Kinder und schwankende Einkünfte. Da durfte nichts passieren.“ In der Anfangszeit hat er wegen des finanziellen Drucks sogar im Auto geschlafen. Letztlich ging alles gut, in Buch am Buchrain (Kreis Erding) baute die Familie in Eigenregie ein Haus, die Taxikonzession verschaffte ihm die erwünschte Freiheit, vor allem in der Zeiteinteilung. „Von 1968 bis 2014 war ich auf Achse“, erzählt er, Jahrzehnte voller Wartezeiten. Quast hat sie gut genutzt. In den Phasen des Stillstands schrieb er peu à peu einen Roman, ein 550 Seiten starkes Epos, das einem sofort Respekt einflößt, wenn man es nur in Händen hält (Sindbads achte Reise, Verlag Tredition, 29,99 Euro).
In diesem Werk reflektiert Quast unter anderem über seinen Beruf: „Beim Taxifahren kann man, wenn das Geschäft schlecht geht, seine Netze woanders auswerfen. Dadurch bleibt eine Illusion der Selbstbestimmtheit.“ Aber die Hauptgefahren, Krankheit und Unfall, lassen sich nicht abschütteln. „Ich war nicht einmal Mitglied der Genossenschaft und hatte keinen Funk.“ Deshalb steckte er als Einzelkämpfer mitten drin im Gewurle, das von zufälligen Begegnungen, Gesprächen, Disputen geprägt wird, während der Wagen durch die Tage und Nächte streift und sensible Fahrer wie Quast zum steten Beobachten, Abspeichern, Reflektieren neigen.
Schon 1938 hatte der Schriftsteller Hans Fallada einem Berliner Droschkenkutscher ein literarisches Denkmal gesetzt, nachzulesen in dem Roman „Der eiserne Gustav“. Auch die Filmindustrie widmet sich regelmäßig der Magie des fahrenden Gewerbes, nie wurden dessen dunkle Seiten schonungsloser dargestellt als in Martin Scorseses „Taxi Driver“ von 1976.
Gerd Quast kennt all die Romane, die Filme, die Reportagen über das Genre, er ist ein gebildeter und belesener Mensch. „Ich hatte viel Zeit zum Lesen und zum Schreiben“, erzählt er, stets habe er ein Notebook mit sich geführt. Jener Gewalt und jener Gefahr, die den Film „Taxi Driver“ prägen, sei er in all den Jahren aber nie begegnet, sagt Quast. Die Frage ist trotzdem nicht abwegig, nur ein gutes Dutzend Kilometer von seinem Heimatort Buch am Buchrain entfernt ist vor Jahrzehnten ein Taxifahrer von einem Fahrgast in einen Wald gelockt und dort ermordet worden. Der Fall ist bis heute nicht aufgeklärt. Dass er selber nie in Gefahr geriet, dass Streitfälle selten eskalierten, führt Quast auf den Umstand zurück, sich immer deeskalierend und respektvoll verhalten zu haben.
Diese Gelassenheit zeichnet auch seinen Roman aus. Es ist ein inhaltlich, kompositorisch und gedanklich überbordendes Werk, das die Summe einer lebenslangen Beschäftigung mit Literatur, Philosophie und Politik enthält, während die Handlung, die das Buch inhaltlich vorantreibt, von jenem Panoptikum durchtränkt ist, das täglich am Taxi vorbeigezogen ist. „70 Prozent des Buchs sind autobiografisch“, sagt er, der Rest sei erfunden oder komponiert aus seinen Beobachtungen.
„Ich habe mir viele Notate gemacht und diese dann zu Hause ausgearbeitet“, sagt er. Der Leser erfährt nicht nur, was Fahrgäste im geschützten Raum des Wagens zu erzählen pflegen. Darüber hinaus eröffnen sich bei der Lektüre tiefe Einsichten in die Sorgen, Hoffnungen und Enttäuschungen der Menschen. „Sindbads achte Reise“, lautet der Titel des Buchs, er nimmt Bezug auf Sindbad den Seefahrer, eine Figur aus der Märchensammlung „Tausendundeine Nacht“, die von dessen sieben abenteuerlichen Reisen erzählt.
Ein Roman von einem Taxifahrer? Die Buchbranche reagierte skeptisch, drei Dutzend Verlage lehnten sein Werk ab. „Es kamen nur standardisierte Antwortschreiben zurück“, bedauert Quast. Auf dem Weg des Self-Publishing hat das Buch nun doch noch einen Verlag gefunden, zu recht, wie jeder bestätigen wird, der sich ein wenig in diesen ausgreifenden, reflektierenden Heimatroman vertieft hat, dem natürlich ein Lektorat, aber keinesfalls die literarische Kraft fehlt. Der mittlerweile verstorbene Sprecher und Rezitator Wolf Euba bezeichnete das Manuskript vor einigen Jahren als „unangepasst und authentisch“, er nannte Quast „einen sensibel auf Mitmensch und Mitgeschöpf reagierenden Menschen“. Allerdings monierte er, Quast habe viel zu viel von dem, was er wisse, hineingepackt. „Als Leser fühle ich mich oft geradezu eingeschüchtert von Ihrem Wissensüberfluss“, schrieb er ihm in einem Brief.
Das thematische Spektrum des Romans bordet tatsächlich über. Aus jeder Seite sprudeln geballte Inhalte heraus, etwa im 5. Kapitel, wo auf einer einzigen Seite Gedanken über die Sprache in Diktaturen, über psychologische Aspekte der Empfängnisbereitschaft von Frauen sowie über den Humor von Beethoven ineinander verwoben sind. Nach einer Reflexion über die Sparzwänge im Lokaljournalismus zitiert Quast problemlos den schwedischen Kanzler Oxenstierna: „Du glaubst gar nicht, mein Sohn, mit wie wenig Intelligenz die Welt regiert wird!“ Ein Satz, der in 400 Jahren nichts an Aktualität eingebüßt hat.
An vielen Stellen ließ sich Quast von der großen Weltliteratur inspirieren, vom Ulysses ebenso wie von Gottfried Keller, Bergengruen und von Lichtenberg, „einem meiner Hausgötter“. Eine klug formulierte Fußnote über einen Sisyphos-Essay von Camus erstreckt sich über fünf Seiten, man wird als Leser gut gefordert. Auch die Liebe ist ein tragendes Thema, die Liebe zu seiner Frau, natürlich. Was ist Liebe überhaupt, wenn die Jahre vergehen?, fragt sich Quast. Wie viel Gewohnheit ist in meiner Liebe? Wie viel Bequemlichkeit? Für Quast existenzielle Fragen, erst recht, nachdem seine Frau schwer erkrankt ist und er sich jetzt im Ruhestand um sie kümmert. „Das Paradies liegt hinter uns“, schreibt er an einer Stelle, die Erinnerung an große Stunden aber bleibt für immer.
Sensible Taxifahrer wie
Gerd Quast neigen zum
Beobachten und Reflektieren
Auch die Liebe ist ein
tragendes Thema, die Liebe
zu seiner Frau, natürlich
Konkurrenzdruck, Kostendruck, Wartezeiten: Das sind ständige Begleiter des Taxi-Gewerbes, dessen Höhen und Tiefen in Kinofilmen wie auch in der Literatur seit Jahrzehnten thematisiert werden.
Foto: Imago
Drei Dutzend Verlage haben den Roman von Gerd Quast abgelehnt, mittlerweile ist „Sindbads achte Reise“ erschienen.
Foto: Renate Schmidt
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Humor von Beethoven, Sparzwänge im Lokaljournalismus und psychologische Aspekte der Empfängnisbereitschaft von Frauen:
Gerd Quast ist 40 Jahre lang Taxi gefahren und hat in den Wartezeiten seine Gedanken über die Welt in einen Roman gegossen
VON HANS KRATZER
Der britische Schauspieler und Kosmopolit Sir Peter Ustinov hat einmal gespöttelt, in Deutschland müsse man beim Besteigen eines Taxis vorsichtig sein. Man wisse nämlich nie, ob man am Steuer auf einen Philosophieprofessor treffe. Für derlei Bonmots hat Gerd Quast ein Faible. Bei ihm kommt noch etwas Weiteres hinzu: Er hat selbst Jahrzehnte lang als Taxifahrer gedient, wobei es die Umstände bewirkt haben, dass auch er in dieser langen Zeit zu einem veritablen Denker und Philosophen gereift ist. Im Falle Quast lag Ustinov mit seiner Einschätzung also goldrichtig.
Das Leben schlägt bisweilen seltsame Kapriolen. Im Angesicht von glatt polierten Karrieremenschen beschleicht einen oft das Gefühl, an jenen perlten alle Widerstände ab wie ein Tropfen von einer Teflonschicht. Die Biografie des Gerd Quast ist dagegen rau und kantig, sein Drang nach Freiheit und Unabhängigkeit war von Widrigkeiten begleitet, seine Lebenspläne wurden häufig durchkreuzt. Aber sind nicht gerade solche Brüche der fruchtbarste Dünger für gute Geschichten?
Als 18-jähriger Bursche wollte Quast unbedingt nach Lambaréné in Gabun zu dem Urwaldarzt Albert Schweitzer, „er war für mich ein Idol“. Der Vater war im Krieg gefallen, „aber meine Mutter erlaubte, dass ich mich auf die Socken machte“. Weit kam er nicht, der Weg von Duisburg nach Afrika endete nach mehreren Umwegen bereits in München. Nachdem er eine Familie gegründet und deshalb ein Lehramtsstudium abgebrochen hatte, beschloss Quast, selbständig zu werden. Er kaufte sich eine Taxi-Konzession, auch wenn das riskant war. „Wir hatten drei Kinder und schwankende Einkünfte. Da durfte nichts passieren.“ In der Anfangszeit hat er wegen des finanziellen Drucks sogar im Auto geschlafen. Letztlich ging alles gut, in Buch am Buchrain (Kreis Erding) baute die Familie in Eigenregie ein Haus, die Taxikonzession verschaffte ihm die erwünschte Freiheit, vor allem in der Zeiteinteilung. „Von 1968 bis 2014 war ich auf Achse“, erzählt er, Jahrzehnte voller Wartezeiten. Quast hat sie gut genutzt. In den Phasen des Stillstands schrieb er peu à peu einen Roman, ein 550 Seiten starkes Epos, das einem sofort Respekt einflößt, wenn man es nur in Händen hält (Sindbads achte Reise, Verlag Tredition, 29,99 Euro).
In diesem Werk reflektiert Quast unter anderem über seinen Beruf: „Beim Taxifahren kann man, wenn das Geschäft schlecht geht, seine Netze woanders auswerfen. Dadurch bleibt eine Illusion der Selbstbestimmtheit.“ Aber die Hauptgefahren, Krankheit und Unfall, lassen sich nicht abschütteln. „Ich war nicht einmal Mitglied der Genossenschaft und hatte keinen Funk.“ Deshalb steckte er als Einzelkämpfer mitten drin im Gewurle, das von zufälligen Begegnungen, Gesprächen, Disputen geprägt wird, während der Wagen durch die Tage und Nächte streift und sensible Fahrer wie Quast zum steten Beobachten, Abspeichern, Reflektieren neigen.
Schon 1938 hatte der Schriftsteller Hans Fallada einem Berliner Droschkenkutscher ein literarisches Denkmal gesetzt, nachzulesen in dem Roman „Der eiserne Gustav“. Auch die Filmindustrie widmet sich regelmäßig der Magie des fahrenden Gewerbes, nie wurden dessen dunkle Seiten schonungsloser dargestellt als in Martin Scorseses „Taxi Driver“ von 1976.
Gerd Quast kennt all die Romane, die Filme, die Reportagen über das Genre, er ist ein gebildeter und belesener Mensch. „Ich hatte viel Zeit zum Lesen und zum Schreiben“, erzählt er, stets habe er ein Notebook mit sich geführt. Jener Gewalt und jener Gefahr, die den Film „Taxi Driver“ prägen, sei er in all den Jahren aber nie begegnet, sagt Quast. Die Frage ist trotzdem nicht abwegig, nur ein gutes Dutzend Kilometer von seinem Heimatort Buch am Buchrain entfernt ist vor Jahrzehnten ein Taxifahrer von einem Fahrgast in einen Wald gelockt und dort ermordet worden. Der Fall ist bis heute nicht aufgeklärt. Dass er selber nie in Gefahr geriet, dass Streitfälle selten eskalierten, führt Quast auf den Umstand zurück, sich immer deeskalierend und respektvoll verhalten zu haben.
Diese Gelassenheit zeichnet auch seinen Roman aus. Es ist ein inhaltlich, kompositorisch und gedanklich überbordendes Werk, das die Summe einer lebenslangen Beschäftigung mit Literatur, Philosophie und Politik enthält, während die Handlung, die das Buch inhaltlich vorantreibt, von jenem Panoptikum durchtränkt ist, das täglich am Taxi vorbeigezogen ist. „70 Prozent des Buchs sind autobiografisch“, sagt er, der Rest sei erfunden oder komponiert aus seinen Beobachtungen.
„Ich habe mir viele Notate gemacht und diese dann zu Hause ausgearbeitet“, sagt er. Der Leser erfährt nicht nur, was Fahrgäste im geschützten Raum des Wagens zu erzählen pflegen. Darüber hinaus eröffnen sich bei der Lektüre tiefe Einsichten in die Sorgen, Hoffnungen und Enttäuschungen der Menschen. „Sindbads achte Reise“, lautet der Titel des Buchs, er nimmt Bezug auf Sindbad den Seefahrer, eine Figur aus der Märchensammlung „Tausendundeine Nacht“, die von dessen sieben abenteuerlichen Reisen erzählt.
Ein Roman von einem Taxifahrer? Die Buchbranche reagierte skeptisch, drei Dutzend Verlage lehnten sein Werk ab. „Es kamen nur standardisierte Antwortschreiben zurück“, bedauert Quast. Auf dem Weg des Self-Publishing hat das Buch nun doch noch einen Verlag gefunden, zu recht, wie jeder bestätigen wird, der sich ein wenig in diesen ausgreifenden, reflektierenden Heimatroman vertieft hat, dem natürlich ein Lektorat, aber keinesfalls die literarische Kraft fehlt. Der mittlerweile verstorbene Sprecher und Rezitator Wolf Euba bezeichnete das Manuskript vor einigen Jahren als „unangepasst und authentisch“, er nannte Quast „einen sensibel auf Mitmensch und Mitgeschöpf reagierenden Menschen“. Allerdings monierte er, Quast habe viel zu viel von dem, was er wisse, hineingepackt. „Als Leser fühle ich mich oft geradezu eingeschüchtert von Ihrem Wissensüberfluss“, schrieb er ihm in einem Brief.
Das thematische Spektrum des Romans bordet tatsächlich über. Aus jeder Seite sprudeln geballte Inhalte heraus, etwa im 5. Kapitel, wo auf einer einzigen Seite Gedanken über die Sprache in Diktaturen, über psychologische Aspekte der Empfängnisbereitschaft von Frauen sowie über den Humor von Beethoven ineinander verwoben sind. Nach einer Reflexion über die Sparzwänge im Lokaljournalismus zitiert Quast problemlos den schwedischen Kanzler Oxenstierna: „Du glaubst gar nicht, mein Sohn, mit wie wenig Intelligenz die Welt regiert wird!“ Ein Satz, der in 400 Jahren nichts an Aktualität eingebüßt hat.
An vielen Stellen ließ sich Quast von der großen Weltliteratur inspirieren, vom Ulysses ebenso wie von Gottfried Keller, Bergengruen und von Lichtenberg, „einem meiner Hausgötter“. Eine klug formulierte Fußnote über einen Sisyphos-Essay von Camus erstreckt sich über fünf Seiten, man wird als Leser gut gefordert. Auch die Liebe ist ein tragendes Thema, die Liebe zu seiner Frau, natürlich. Was ist Liebe überhaupt, wenn die Jahre vergehen?, fragt sich Quast. Wie viel Gewohnheit ist in meiner Liebe? Wie viel Bequemlichkeit? Für Quast existenzielle Fragen, erst recht, nachdem seine Frau schwer erkrankt ist und er sich jetzt im Ruhestand um sie kümmert. „Das Paradies liegt hinter uns“, schreibt er an einer Stelle, die Erinnerung an große Stunden aber bleibt für immer.
Sensible Taxifahrer wie
Gerd Quast neigen zum
Beobachten und Reflektieren
Auch die Liebe ist ein
tragendes Thema, die Liebe
zu seiner Frau, natürlich
Konkurrenzdruck, Kostendruck, Wartezeiten: Das sind ständige Begleiter des Taxi-Gewerbes, dessen Höhen und Tiefen in Kinofilmen wie auch in der Literatur seit Jahrzehnten thematisiert werden.
Foto: Imago
Drei Dutzend Verlage haben den Roman von Gerd Quast abgelehnt, mittlerweile ist „Sindbads achte Reise“ erschienen.
Foto: Renate Schmidt
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