Es war einmal eine Stadt, deren Bewohner schworen, sie sei die schönste der Welt und in ihr würden Dinge passieren, von denen andere Städte nur träumen könnten. Genau in dieser Stadt, am ehemaligen Revolutionärsplatz Nummer eins, wohnt der verkrüppelte, in einem Kinderheim aufgewachsene Musiker Aleksi Adamiani, dessen Nachname schlicht "Mensch" bedeutet. Auch wenn das Schicksal ihm ein sehr schweres Leben beschieden hatte, lächelte es ihm auch zu und schenkte ihm das treue Akkordeon "Raviata", seine zwei engsten Freunde Kotiko und Data, die heimlich in ihn verliebte Tamriko und ein vermeintliches Enkelkind: Sinka Adamiani – Sinka Mensch. Verschrobene, warmherzige, eigentümliche und vom Leben gezeichnete Charaktere – es ist ihre bittersüße Geschichte, die Anna Kordsaia-Samadaschwili in ihrem neuen Roman erzählt. Sie alle nehmen ihr zumeist sehr hartes Schicksal an, und viele von ihnen werden an ihm scheitern, aber nicht, ohne ihm zuvor ihren Anteil am Glück abzutrotzen und die hellen Momente des Lebens zu feiern. In den wundersamen, auf den ersten Blick unglaublichen Begebenheiten, die Kordsaia-Samadaschwili zu einem Märchen verwebt, sind Erdachtes und Wahres untrennbar miteinander verknüpft. In ihnen spiegeln sich die Geschichten der Stadt Tbilissi in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, das alltägliche Leben genauso wie die großen Tragödien, glückliche Fügungen und schwarze Tage, alles, was das Menschsein ausmacht. "Anna Kordsaia schüttelt Anekdoten aus den Ärmeln ihrer weit geschnittenen Kleidung wie nichts. Tbilissi ist der Stoff, aus dem ihre Bücher gemacht sind. Dabei schreibt sie nicht nostalgisch, sondern schnell und pointiert, nah dran an den Menschen. Das flirrende Milieu ihrer Texte ist die Bohème, deren Liebling Tbilissi seit über hundert Jahren ist." (JUDITH LEISTER, NZZ)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.06.2020Lieben Wie sollte man Anna Kordsaia-Samadaschwilis Erzählkunst beschreiben? Leichthändig und scheinbar nur Lust und Laune folgend, fügt sie Satz um Satz aneinander, und doch entsteht so nach und nach ein wundersam kunstvoll gebautes Haus, bewohnt von skurrilen, liebenswerten Charakteren, die vor allem eins sind: große Lebenskünstler und Liebende. Die Männer lieben nicht nur die Frauen und die Frauen die Männer, und beide mit ganzem Herzen und voller Zärtlichkeit die Kinder, vor allem lieben alle das Leben, auch wenn es hart und ungerecht ist, voller Leid und Krankheit und Einsamkeit. "Sinka Mensch", der in der Frankfurter Verlagsanstalt erschienene dritte Roman Kordsaia-Samadaschwilis, aus dem Georgischen souverän übersetzt von Sybilla Heinze (176 Seiten, 22 Euro), erzählt von den Bewohnern eines typischen, halbverfallenen Altstadthauses in Tiflis, die nicht nur Nachbarn, sondern eine Lebens- und Schicksalsgemeinschaft sind. Hier gibt es, auch wenn man sich nicht immer grün ist, kein Aneinandervorbeischleichen, kein Bloßgrüßen und Türzu, hier wird alles geteilt, der Wein, das Brunnenwasser, die streunende Katze, die Freuden und Schicksalsschläge, die wahren und die bloß ausgedachten Wunder. Ein Buch voller Wärme, am besten abends auf dem Balkon bei einem Glas Rotwein zu lesen. Danach träumt es sich gut.
beha
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Rezensentin Birgit Koß lernt die Geschichte Georgiens von der Mitte des letzten bis zum Beginn des neuen Jahrhunderts kennen in diesem Buch der georgischen Autorin Anna Kordsaia-Samadschwili. Die Kritikerin folgt hier dem Lebenskünstler Alexi und den im Zweiten Weltkrieg versehrten Freunden Data und Kotiko, die gemeinsam in Tiflis eine Schicksalsgemeinschaft bilden, Katze, Essen, Schnaps und wilde Geschichten teilen und dem Alltag trotzen. Märchen- und mythenreich sind die Geschichten, oft "drastisch" und "brutal", aber immer humorvoll und warm, versichert die Rezensentin, diesen "flirrenden, absurden" Roman unbedingt empfiehlt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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