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Der Bestsellerautor von „Die Wurzeln der Welt“ darüber, wie unsere Sinne uns in der Welt verorten. „Dieses Buch ist eine ganz besondere Überraschung.“ Le Monde
Das menschliche Leben besteht wesentlich im Sehen, Fühlen, Schmecken und Riechen der Welt. Dennoch spielte das Sinnliche in der Philosophie lange keine Rolle. Emanuele Coccia, Professor für Philosophiegeschichte in Paris, stellt dieser Denktradition einen anderen Ansatz entgegen. In seinem originellen Essay widmet er sich dem „Sinnenleben“ und zeigt: Erst durch das Vermögen unserer Sinne hängen wir an der Welt und hängt die Welt an…mehr

Produktbeschreibung
Der Bestsellerautor von „Die Wurzeln der Welt“ darüber, wie unsere Sinne uns in der Welt verorten. „Dieses Buch ist eine ganz besondere Überraschung.“ Le Monde

Das menschliche Leben besteht wesentlich im Sehen, Fühlen, Schmecken und Riechen der Welt. Dennoch spielte das Sinnliche in der Philosophie lange keine Rolle. Emanuele Coccia, Professor für Philosophiegeschichte in Paris, stellt dieser Denktradition einen anderen Ansatz entgegen. In seinem originellen Essay widmet er sich dem „Sinnenleben“ und zeigt: Erst durch das Vermögen unserer Sinne hängen wir an der Welt und hängt die Welt an uns. In Auseinandersetzung mit der Geistesgeschichte von Aristoteles bis Merleau-Ponty, von Averroes bis Helmuth Plessner entspinnt er Stück für Stück die Grundzüge einer Philosophie des Sinnlichen – des Sinnenlebens.

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Autorenporträt
Emanuele Coccia, geboren 1976, lehrt Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris. Er promovierte in Florenz und war Assistenzprofessor für Geschichte der Philosophie in Freiburg. 2018 erschien sein preisgekröntes Buch Die Wurzeln der Welt auf Deutsch, 2020 folgte Sinnenleben, 2021 Metamorphosen und 2022 Das Zuhause. Sein Werk wird in mehrere Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.05.2020

Man sieht nur, was man kennt
Emanuele Coccia entwirft eine Philosophie des „Sinnenlebens“
Die Kippfigur ist ein Scherz von philosophischer Tiefe. Eines ist das Ding, das man betrachtet, die Zeichnung oder das Gemälde. Ein anderes ist das, was man sieht: eine Ente oder einen Hut, einen Männerkopf oder nackte Frauenleiber, eine Treppe, die aufwärts oder abwärts zu führen scheint, je nachdem, wie man guckt. Wahrnehmung, so lässt sich aus dieser Erfahrung lernen, setzt Wissen voraus: Man sieht nur, was man kennt oder wiedererkennt. Die Dinge sind, wie der italienische Philosoph Emanuele Coccia erklärt, als solche gar nicht wahrnehmbar. „Sie müssen es erst werden – aber nicht, weil sie versteckt und unerkennbar wären, sondern weil sie nur durch einen Prozess und nur außerhalb ihrer selbst wahrnehmbar werden“. Wenn nun aber die Wahrnehmung, so wie es auch Immanuel Kant in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ aus dem Jahr 1781 lehrt, auf die Seite des Verstandes fällt: Wie kommt die Außenwelt dann in den Kopf?
Emanuele Coccia lehrt mittelalterliche Philosophie an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris, und er meint es ernst mit seinem Arbeitsgebiet. Er entwickelt seine Theorie der Wahrnehmung aus der antiken und mittelalterlichen Philosophie, wobei ihm vor allem Aristoteles und Averroes (Ibn Ruschd), ein andalusischer, arabischsprachiger Gelehrter des 12. Jahrhunderts, zu Lehrern wurden. Die neuzeitliche Philosophie ist ihm fern, und nicht nur diese. So bildergläubig wie die Menschen des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts war noch keine Gesellschaft je gewesen: Sie glauben nämlich tatsächlich, ein Bild sage mehr als tausend Worte und halten es für etwas Unmittelbares, für etwas, das dem „Da“ zugehört, der physischen Welt, so wie sie außerhalb der Subjekte existiert.
Die prinzipielle Entgegensetzung von Subjekt und Objekt, so wie sie sich mit René Descartes und der Lehre von den „eingeborenen Ideen“ durchsetzte, kommt in diesem scheinbar naiven Verhältnis zum Bild zur Vollendung. Emanuele Coccia, der auf Italienisch schreibt, dessen Bücher aber längst ins Französische, Spanische, Englische und einige andere Sprachen übersetzt sind, wurde mit der Rückkehr zu den Anfängen des Rationalismus zu einem der wenigen prominenten Wanderpropheten, die es in der Philosophie heute noch gibt: Das Neueste im Ältesten finden zu wollen, gilt zumindest als interessant.
Bildern geht etwas voraus. Da ist eine Welt, aber diese Welt ist unbestimmt. Sie ist nur ein Da. Sehen kann man nur das bestimmte Etwas. Es bedarf einer Vorstellung, damit aus dem Da ein bestimmter Gegenstand wird, eine Ente, ein Hut oder was auch immer. Zwischen der Wahrnehmung und dem wahrgenommenen Gegenstand, zwischen Subjekt und Objekt, befindet sich, so Emanuele Coccia, das Bild. Es zeigt etwas, aber es ist weder Subjekt noch Objekt, sondern es bildet etwas „Dazwischenliegendes, ein Medium zwischen dem Sein der Dinge und dem Sein der Seele, zwischen Körper und Geist“. Averroes hatte etwas Ähnliches geschrieben, als er Aristoteles kommentierte.
Bei Emanuele Coccia allerdings wächst sich dieses Dazwischen, getrieben von einer „zusätzlichen, verborgenen Kraft zwischen den Dingen“, zu einem ganzen Universum von Zwischenformen aus, die er der „Sinnlichkeit“ subsumiert. Denn „die Seele ist in erster Linie das, was aus sich selbst heraustreten kann.“
Unter dem Aspekt einer solchen „Sinnlichkeit“ aber treten sehr viele Wesen aus sich heraus, nicht nur die Seele und der Mensch, sondern auch die Tiere und, in keiner Weise zu übersehen, die Pflanzen.
Emanuele Coccia sagt es nicht. Aber seine Philosophie des „sinnlichen Lebens“ ist die Fortsetzung eines Gelehrtenstreits, der im Mittelalter ausbrach und bis heute nicht zu einem Ende gebracht ist, das allgemein befriedigen könnte: der Auseinandersetzung darum, ob die Begriffe oder „Universalien“ lediglich Setzungen sind, denen außerhalb des Bewusstseins nichts entsprechen muss, oder ob die Begriffe Abbilder real existierender Dinge oder Ereignisse sind. Die britischen Empiristen setzten diesen Streit fort, Hegel bestritt, dass er überhaupt sinnvoll geführt werden könne, und in der analytischen Philosophie kehrte er wieder.
Emanuele Coccia kehrt an die Anfänge dieser Auseinandersetzung zurück, indem er sich die Vermittlung als etwas Eigenes denkt, „Inkarnation des metaphysischen Zwischenraums zwischen Körper und Seele“, wie sie idealerweise in Gestalt eines Spiegels gefasst ist: als Substanz ohne Substanz, um es nach Art des Nikolaus von Kues zu sagen, eines weiteren spätmittelalterlichen Philosophen, dem Emanuele Coccia zugetan ist.
Man wird Emanuele Coccia vorwerfen können, dass er, wie so viele Theoretiker der Vermittlung vor ihm, die metaphysischen Begriffe Substanz und Relation verwechselt, indem er dem Verhältnis ein eigenes Dasein zuzusprechen trachtet. Und es ist offenbar ein Zeichen für ein hohes Maß an philosophischem Selbstüberdruss, wenn nun achthundert Jahre Sinnen und Trachten beiseite gewischt werden sollen, um noch einmal von vorn anzufangen, begleitet von den Ermunterungsrufen von prominenten Fachkollegen, die Emanuele Coccia zu einem „Meteor“ des zeitgenössischen Denkens erklären.
Zugleich aber liest man dieses Buch nicht, ohne in erhebliche Zweifel daran zu geraten, was eine zeitgenössische Philosophie vom Menschen weiß: angesichts der Tatsache, dass der Anteil des Bewusstseins am menschlichen Leben eher gering sein dürfte, angesichts des Umstands, dass es bis vor Kurzem keine Philosophie der Pflanzen gab, der elementaren Lebensform überhaupt (Emanuele Coccia hat eine solche Philosophie im Jahr 2016 veröffentlicht), oder angesichts einer Natur, in der bei Weitem nicht nur die Menschen damit beschäftigt zu sein scheinen, einen Ausdruck von Individualität hervorzubringen. In solchen Gedankengängen, und nicht in der Rückwendung zu einem andalusischen Mittelalter mitsamt einem „göttlichem Handwerker“, der nun „Sinnlichkeit“ heißen soll, liegt das Neue und Interessante an diesem Buch.
THOMAS STEINFELD
Emanuele Coccia: Sinnenleben. Eine Philosophie. Aus dem Italienischen übersetzt von Caroline Gutberlet. Carl Hanser Verlag, München 2020. 158 Seiten, 22 Euro.
Emanuele Coccia lehrt Philosophiegeschichte in Paris.
Foto: Peter Hassiepen
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