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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Die Technologien, um von Erdgas, Öl und Kohle unabhängig zu werden, gibt es schon, schreibt Michael Sterner
Die Herausforderung ist gewaltig, der Zeitdruck immens, in wenigen Jahren soll Deutschland klimaneutral sein. Kurz gefasst bedeutet das, dass vieles anders wird, damit vieles andere bleibt, wie es ist. Zum Beispiel der Sommer eine Jahreszeit, auf die man sich freut, und keine wiederkehrende Gefahr, dass Hitze und Dürre Leben bedrohen und, auch hierzulande, kosten werden. "Die Welt braucht unseren Schutz", ist der erste Satz in diesem Buch. Der zweite macht klar, was gemeint ist, dafür reicht ein Wort: "Klimaschutz."
Aber wie geht Klimaschutz? Wie kann ein Land, wie kann eine Volkswirtschaft Strom erzeugen, Häuser heizen, sich fortbewegen, produzieren in Industrie und Landwirtschaft, ohne dass dabei mehr Emissionen entstehen, als eingespart werden? Für alle, die sich die Frage stellen, wie dieser Umbau gelingen soll, hat der Regensburger Professor Michael Sterner eine Frohbotschaft: "Die dafür notwendigen Technologien sind da."
Diesen optimistischen Ton hält Sterner durch. "Die Energiewende bringt uns auch Energiesicherheit", schreibt er. Sicherheit? Die erneuerbaren Energien haben bei manchen den Ruf, eine unstete Energiequelle zu sein (weil Wind nicht immer weht und die Sonne nicht immer scheint). Am Anfang des Buches nimmt Sterner sich solche Einwände vor, die er "Mythen der Energiewende" nennt. Darunter seien abwegige, oft nur deshalb vorgetragene Behauptungen, um die notwendige Transformation hin zu einer postfossilen Welt zu diskreditieren, etwa von Leugnern des menschengemachten Klimawandels wie zum Beispiel die Farce, Windkraft löse einen gesundheitsgefährdenden Schall aus.
Als "Mythos" erscheinen hier aber ebenfalls Einwände, die auch diejenigen vorbringen, die es ernst meinen mit der Energiewende. Etwa: "Es gibt nicht ausreichend Speichermöglichkeiten." Das sieht Sterner, der als Dozent für die Bereiche Energiespeicher und Energiesystemtechnik tätig ist, anders: "Wir haben ausgereifte Technologien für diesen Zweck: Für den täglichen Ausgleich Pumpspeicher und Batteriespeicher und für die langfristigen saisonalen Schwankungen die Gasspeicher, die wir mit erneuerbarem Gas füllen und wieder in Strom wandeln." Wieder eine frohe Botschaft, in diesem ersten Teil des Buches mehr behauptet als belegt.
Das ändert sich in den anschließenden Kapiteln, die man als konzise Einführung in die Techniken und die Herausforderungen des Wandels, in dem wir uns schon befinden, lesen kann; auch ohne natur- oder ingenieurwissenschaftliche Vorbildung sind sie verständlich. In den folgenden Kapiteln führt Sterner aus, wie und womit "wir uns unabhängig von Kohle, Gas und Öl machen" können. Die "Stromwende" zum Beispiel wird ihm zufolge darin bestehen, das Netz auszubauen und es flexibler und intelligenter zu machen. Das bedeutet, dass künftig der Stromverbrauch an das Angebot angepasst werden soll - Wärmepumpen, Waschmaschinen und was sonst noch an der Steckdose hängt, soll dann laufen, wenn es gerade windig ist oder die Sonne scheint.
Aber Sterner gibt zu, ein ausgebautes, "smartes" Netz und Geräte werden es allein nicht richten: "Wenn mehrere Tage und Wochen zu wenig Wind und Sonne da sind, hilft mir weder Lastmanagement noch Tausende Kilometer neuer Stromleitungen. Hier helfen nur Speicher." Sterner, der als Scientist for Future sich durchaus auch als Teil der Klimabewegung begreift, hat kein Buch geschrieben, das diese Kernfragen ausklammert. Die Antwort sieht er in Power-to-Gas-Anlagen. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass das Gasnetz, das es ohnehin schon gibt, über Speicher verfügt (wie jeder weiß, seit der aktuelle Speicherstand im ersten Winter ohne russische Lieferungen ähnlich prominent verkündet wurde wie zuvor Corona-Inzidenzen). Aber der hier eingesetzte Brennstoff ist bisher nur selten Biogas, sondern meistens Erdgas, also Teil des Problems. Im Stromnetz wiederum gibt es schon viel erneuerbare Energie - aber kaum Speichermöglichkeiten. Sterner will deshalb beides kombinieren und damit Dunkelflauten, in denen weder Wind- noch Solarenergie zur Verfügung stehen, überbrücken. Power-to-Gas-Anlagen stellen Wasserstoff oder erneuerbares Methan her, in den Speichern wird das aufbewahrt und dann bei Bedarf in den Gaskraftwerken zurück in Strom verwandelt.
Das ist weniger effizient und damit teurer, als Strom aus erneuerbaren Quellen direkt zu nutzen. Aber Sterner argumentiert, dass ein Ausstieg aus Kohle und Erdgas (und der Atomkraft) nur auf diese Weise gelingen kann: "Unterm Strich ist dieses wind- und sonnenbasierte System aber trotz der Verluste und des Aufwands für Netze und Speicher günstiger als eine fossil-atomare Stromversorgung. Gerade wenn die langfristigen Schadenskosten für Klima und Umwelt eingerechnet werden." Dass kurzfristig der Ausbau von Wind- und Sonnenenergie, der notwendig ist, um Power-to-Gas-Anlagen im großen Stil zu betreiben, massive Kosten mit sich bringen wird, verschweigt Sterner zwar nicht, sein Hauptinteresse gilt aber ohnehin nicht volkswirtschaftlichen Kalkulationen, sondern technischen Pfaden. Sein Fazit: "Eine klimaneutrale Vollversorgung mit erneuerbaren Energien ist technisch möglich und ökonomisch sinnvoll und ökologisch notwendig."
Wer Sterners Buch liest, muss immer wieder über kleinere textliche Dunkelflauten hinwegsehen können; einige Fehler stören den Lesefluss, hier und da kippt der Ton des optimistischen Ingenieurs ins Schrille: "Mit diesem Buch ermächtige ich Sie mit Fakten, Argumenten und Optionen. Nutzen Sie Ihre Macht: Machen Sie mit!" Wer über solche Momente hinwegsehen kann, lernt hier aber viel. Sterners Buch funktioniert als Optimismus-zum-Handeln-Anlage. LUKAS FUHR
Michael Sterner: So retten wir das Klima. Wie wir uns unabhängig von Kohle, Öl und Gas machen.
Komplett-Media, München 2022. 304 S., 22,- Euro.
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