Sie heißen Jacob, Henriette, Vicco und Hedda. Vier Menschen, die mehr oder weniger mit der Geschichte Siebenbürgens verknüpft sind, dieser vor allem aus der Schauerliteratur bekannt gewordenen Region im heutigen Rumänien. Sie sind die Hauptfiguren in Iris Wolffs "So tun, als ob es regnet", einem
Roman in vier Erzählungen aus dem Jahre 2017, den Klett-Cotta nun als Taschenbuch neu aufgelegt…mehrSie heißen Jacob, Henriette, Vicco und Hedda. Vier Menschen, die mehr oder weniger mit der Geschichte Siebenbürgens verknüpft sind, dieser vor allem aus der Schauerliteratur bekannt gewordenen Region im heutigen Rumänien. Sie sind die Hauptfiguren in Iris Wolffs "So tun, als ob es regnet", einem Roman in vier Erzählungen aus dem Jahre 2017, den Klett-Cotta nun als Taschenbuch neu aufgelegt hat.
Auf gerade einmal 160 Seiten gelingt es Wolff dabei eindrücklich, ein ganzes Jahrhundert so zu entfalten, dass der Leser nicht nur vier unterschiedliche Generationen kennenlernt, sondern ganz nebenbei auch noch unheimlich viel über die Geschichte Siebenbürgens erfährt. Dass Iris Wolff selbst gebürtig aus dieser Region stammt, merkt man dem Werk dabei durchaus an, denn die Empathie und Emotionalität, die die Autorin dabei entwickelt, lassen sich auf fast jeder dieser Seiten entdecken.
Die Sprache ist dabei beglückend poetisch, ein regelrechtes Fest - und das, ohne verkopft zu wirken. Insbesondere die erste Erzählung "Budapest?", die den Soldaten Jacob im Jahre 1916 ins umkämpfte Kriegsgebiet Siebenbürgen begleitet, ist in dieser Hinsicht der Höhepunkt des Buches. Wolff spielt mit der Sprache und den Leser:innen und schafft es sogar, die Schrecken des Ersten Weltkrieges sprachlich so poetisch und elegant darzustellen, dass es einem fast den Atem raubt. Sätze wie "Das Zischen der Raketen vermischte sich mit dem Heulen der Wölfe" stehen sinnbildlich für die Melange aus Leben und Tod oder Grauen und Schönheit. Gerade diese erste Erzählung vereint sowohl bei den Figuren, als auch den Ereignissen so viele großartige Szenen, dass man mit dem Staunen kaum hinterherkommt.
Die zweite Erzählung "Elemérs Garten" begleitet Jacobs Tochter Henriette im Jahre 1933 und strahlt bis zum bedrückenden Finale eine etwas größere Leichtigkeit aus. Liebevoll spinnt Wolff hier viele Andeutungen aus dem ersten Teil zu einer Protagonistin zusammen, die das Buch wohl wie keine andere der Figuren bis zum Ende prägen wird. Zudem nimmt sie Bezug auf das rumänische Sprichwort, dem das Buch seinen Titel verdankt. Wenn jemand "so tut, als ob es regnet", stellt sich bei dieser Person eine gewollte oder ungewollte Abwesenheit ein, in der dieser Mensch kaum ansprechbar scheint.
Die 1969 spielende "Eine Zitrone im All" begeistert vor allem durch die Ambivalenz des Protagonisten Vicco, seinerseits Henriettes Sohn. Vicco ist vielleicht das beste Beispiel dafür, wie gut Iris Wolff bis in die Nebenfiguren hinein die Figurenkonzeption gelingt. Denn Vicco ist ein Freiheitsliebender mit Angst vor der Freiheit. Ein angepasster Rebell. Ein melancholischer Weiberheld. Ein Muttersöhnchen, das sich vor seiner Mutter fürchtet und sich für sie schämt. Ein Philosoph, der nur Perry Rhodan liest. Ein behüteter Verlassener.
Die letzte, in der Gegenwart angesiedelte Erzählung "Wölfe und Lämmer" ist die einzige, die nicht in Siebenbürgen spielt, sondern auf der kanarischen Insel La Gomera. Viccos Tochter Hedda ist dorthin ausgewandert, und auch ihre Eltern haben Siebenbürgen längst verlassen und leben mittlerweile in Deutschland. Klug und berührend gelingt es Iris Wolff in ihr, die zentralen Motive des gesamten Buches - Träume, Heimat und Identität - noch einmal hervorzuheben, um sie im nächsten Moment von den Leser:innen fortzureißen in diesem Strom der Melancholie, der dem ganzen Werk als wiederkehrendes Merkmal folgt. Vicco ist schwer an Krebs erkrankt und träumt nicht einmal mehr siebenbürgisch. Und auch die kinderlose Hedda scheint keine große Verbindung mehr zur Heimat ihrer Familie zu haben...
"So tun, als ob es regnet" ist ein kleines Meisterwerk, in dem es der Autorin wegen ihrer wunderbaren Sprache und der hervorragend ausgearbeiteten Figuren gelingt, dass man sich diesen trotz ihrer verhältnismäßig kurzen Auftritte stets nahe fühlt. Das Buch vereint große Themen wie Identität, Freiheit, Tod, Leben, Familie, Heimat, Politik und Krieg und verdichtet diese so stark, das