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Mal im äthiopischen Hotelpool, mal in der Pandemie: Eine neue Biographie will den bayerischen Ministerpräsidenten ungefiltert zeigen - und tut das Gegenteil
Der erste Satz dieses Buches ist eine Banalität: "Markus Söder ist ein faszinierender Mensch." Der zweite eine Frechheit: "Niemand kann ihn besonders gut leiden." Da würden wohl einige widersprechen, zum Beispiel Söders Ehefrau, seine Hunde, wenn die sprechen könnten, seine Vertrauten und viele Wähler. Die Perspektive, aus der so etwas behauptet werden kann, erklärt sich in Satz drei und vier: "Trotzdem folgen ihm alle. Auch ich." Die Autorin, sie heißt Anna Clauß, ist "Spiegel"-Reporterin in München. Und hat sich vorgenommen, anders als andere über Söder zu schreiben. Womit, wie die zitierten Sätze zeigen, wohl gemeint ist: klarer, bunter, kontrastreicher.
Denn natürlich gibt es Menschen, die Söder mögen, und natürlich folgen ihm nicht alle. Wohin denn auch und warum? Er ist nicht der Menschenfänger von Nürnberg, sondern ein erfolgreicher Politiker. Doch das klingt fad. Denn so ist es ja immer in der Politik. Wer erfolgreich ist, erscheint anziehend und gefährlich zugleich. Anziehend, weil Macht glänzt und funkelt. Gefährlich, weil sie gemeinhin nicht mit Liebenswürdigkeit erlangt wird, sondern mit Ehrgeiz, Kalkül, Zähigkeit, manchmal mit Brutalität. Das gilt auch für Politiker wie Armin Laschet, dessen betont erdverbundene Hächzlischkeit manche mit Harmlosigkeit verwechseln, und für Politikerinnen wie Annalena Baerbock, die im Schatten Habecks wächst und wächst, so wie eine Efeupflanze, die ohne direkte Sonne am besten gedeiht. So betrachtet sind Parteivorsitzende immer außergewöhnlich faszinierende Menschen. Sie konnten ein Amt erringen, um das viele vergeblich kämpften.
Auch Markus Söder ist das gelungen. Er amtiert derzeit als Vorsitzender der CSU, als Ministerpräsident von Bayern und als Schrödingers Kanzlerkandidat. Letzteres macht ihn besonders interessant. Söders Strategie beim Umgang mit der Frage, ob er's machen will oder wollen täte oder würde, weil's einer wie er machen muss, lädt ein zu Gedankenspielen, die um einiges unterhaltsamer sind als "Candy Crush". Denn einerseits hat Söder schon vielfach öffentlich bekundet, dass sein Platz in Bayern sei, mitunter sogar verstärkt durch die Prophezeiung "und da bleibe ich auch". Andererseits gibt er genug Anlass, auch das Gegenteil für denkbar zu halten. Träte es ein, müsste Söder nicht befürchten, als Lügner dazustehen; er wäre dann einer, der sich den Erfordernissen der Zeit und den Bedürfnissen der Union sozusagen selbstlos unterwirft. Und einen Platz in Bayern hat man als Vorsitzender der CSU ja eh für alle Ewigkeit.
Es ist daher eine gute Zeit, um ein Buch über Markus Söder zu schreiben, und eine gute Zeit, um es zu lesen. Ist "Söder - Die andere Biographie" das politische Buch der Stunde? Es verspricht, seinen Protagonisten "live, ungefiltert und ganz nah" zu präsentieren. Das klingt nach Instagram-Story. Als wollte der Verlag Hoffmann und Campe sich dafür entschuldigen, nicht vorrangig Social-Media-Content zu produzieren, sondern immer noch Bücher, verspricht er ein "höchst unterhaltsames" Werk, das Söder "in ungewöhnlichen Situationen und an besonderen Orten" zeige. Um einen Menschen gut kennenzulernen, würde es sich eigentlich empfehlen, ihn in ganz gewöhnlichen Situationen an ganz normalen Orten zu besuchen. Da wäre er vielleicht, wie er ist. Oder offenbart sich der Ausnahmepolitiker erst in der Ausnahmebegegnung?
Anna Clauß berichtet im Vorwort ihres Buches von einer Begegnung mit Söder in einem Hotelpool in Addis Abeba. Söder machte seine erste Auslandsreise als Ministerpräsident nach Äthiopien, und die Reporterin war im Pressetross dabei. Zufällig begegneten die beiden sich beim Sport. Das beiläufige Gespräch dort im Wasser beschreibt sie als einziges, in dem sie etwas über ihn als Menschen erfahren habe. Er habe von seinen Kindern erzählt und sich an seine eigene Jugend erinnert. Daran, dass er mit 16 Jahren CSU-Mitglied wurde, weil er sich über seine durchweg links gesinnten Mitschüler geärgert habe. Clauß kommentiert: "In dem Moment machte Söder für mich Sinn. Als uncoolster Punk in der Geschichte der Bundesrepublik." Das kann man lustig finden, keck oder lapidar. Eines ist es jedenfalls nicht, anders als vom Verlag behauptet: ungefiltert.
Über jedes Bild von Söder wird hier ein Filter gelegt, der die Farben leuchtender machen soll, die Konturen schärfer, die Hintergründe verschwommener. Über Söders Auftreten in der Corona-Krise heißt es zum Beispiel: "Er war vollkommen authentisch als Imperator, der nicht mehr die Bienen retten musste, sondern die Menschheit vor einer Pandemie." Die Menschheit? Warum nicht gleich das Universum, wo Söder doch "Star Trek"-Fan ist? Aus der Tatsache, dass Markus Söder gerne Serien schaut, versucht die Autorin besonders eifrig Honig zu ziehen. Nachdem sie zunächst ziemlich herablassend behauptet, dass es spannender sei, mit Söders Widersachern zu sprechen als mit ihm selbst - so kommt man jedenfalls leichter zu Pointen -, zitiert sie dann aber über mehrere Seiten aus einem Interview, in dem sie Markus Söder zur Serie "Game of Thrones" befragt. So will sie beispielsweise wissen: "Sind die heutigen Politiker genauso konfrontiert mit der permanenten Unberechenbarkeit wie die Helden in Game of Thrones?" Söder, dem mutmaßlich klar ist, dass mit permanenter Unberechenbarkeit nicht nur Politiker und Serienhelden, sondern auch Lehrer, Ärzte und Kantinenchefinnen befasst sind, antwortet salomonisch: "Das Leben ist unberechenbar." Eine weitere Frage der Journalistin: "Sie schwärmen ansonsten für Weltraumabenteuer wie Star Trek und Star Wars. Wie passt das zu Game of Thrones, wo es nicht um die Zukunft, sondern um die Vergangenheit geht?" Genauso gut könnte man fragen, warum jemand Äpfel und Birnen möge, wo doch das eine Obst apfel-, das andere birnenförmig sei? Als Leser gewinnt man den Eindruck, man solle hier zwischen zwei Netflix-Abenden schonend an Politik herangeführt werden. Nach dem Motto: Tut gar nicht weh, und guck mal, der Typ da, ist der nicht schräg? "Es ist leicht, in ihm einen Superschurken zu sehen", schreibt Clauß. Wieso das denn? "Das liegt an seiner Lust am rhetorischen Zuspitzen, seinem breitbeinigen Gang, seinen zusammengekniffenen Augen." In amerikanischen Serien sind die Schurken deutlich feiner gezeichnet, und in der Politik sowieso.
Die Beobachtungen, die Clauß gesammelt hat, sind zahlreich und interessant, ihre Deutungen oft oberflächlich. So berichtet sie, dass Söders Reden zu Europa klängen wie vertonte Wikipedia-Einträge. Kann Söder, eigentlich ein sehr guter Redner, sich nicht für Europa begeistern? Ist ihm das zu weit weg, zu abstrakt? Clauß beschränkt sich darauf, sich auszumalen, wie die Zuhörer vor lauter Zustimmung irgendwann einschlummerten. Den Ministerpräsidenten nennt sie an der Stelle "Säuselsöder".
Bringt dieser Mann es zum Kanzler? Die Autorin legt sich am Ende ihrer Biographie ziemlich fest. Das ist nur konsequent; jeder Drehbuchautor täte es auch. Wer ist dieser Mann, der es zum Kanzler bringen könnte? Dazu enthält das Buch einige lesenswerte, ernsthaft interessierte Passagen, zum Beispiel jene, die den Söder aus der Flüchtlingskrise mit dem heutigen vergleichen, oder die, in denen die CSU-Frau Christa Stewens, 75, über Söder spricht. Der Erkenntnisgewinn erhöht sich insgesamt deutlich, wenn man beim Lesen den Filter vom Bild zieht. Dann sieht man keinen Superschurken und keinen Imperator, sondern Markus Söder. Er ist interessant genug.
FRIEDERIKE HAUPT
Anna Clauß: "Söder - Die andere Biographie". Hoffmann und Campe, 176 Seiten, 20 Euro
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
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