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Joachim Gauck fordert die Deutschen auf, sich mehr um ihre Soldaten zu kümmern. Dafür kämpft Afghanistan-Veteran Robert Sedlatzek-Müller seit Jahren. Manches wurde besser. Die Bilder in seinem Kopf aber ist er, der bei einem Einsatz fast umkam, nicht losgeworden.
Von Eva Heidenfelder
Es gibt Momente, in denen Robert Sedlatzek-Müller in seiner Wohnung den Weg vom Bade- ins Schlafzimmer nicht mehr findet. In denen er im Supermarkt weinend zusammensinkt, weil ihn die Bilder von verletzten, von sterbenden Menschen wieder heimsuchen. In denen er wegen eines Ehekrachs eine Glastür so fest zuschlägt, dass sie zerspringt.
Der ehemalige Bundeswehrsoldat leidet seit der Explosion einer Rakete bei Kabul im März 2002 an einer "Posttraumatischen Belastungsstörung", kurz PTBS. Jahrelang erklärt ihm niemand, was das eigentlich ist. Jahrelang fühlt er sich mit seinem grausamen Kopfkino, mit Schlaflosigkeit, Vergesslichkeit, mit Aggressionen und Suizid-Gedanken alleingelassen.
2009 scheitert der Versuch, sein Leiden erstmals mit einer ambulanten Therapie zu behandeln. Ende April 2010 wird er untherapiert aus der Bundeswehr entlassen, sein Vertrag als Zeitsoldat ist abgelaufen. Der damals 33 Jahre alte Soldat ist damals "voller Hoffnungslosigkeit und Wut", erinnert er sich heute.
Seit 1996 hat die Bundeswehr Soldaten fast 3470-mal wegen PTBS behandelt. Frund für die Behandlung war in fast 2600 Fällen ein traumatisches Erlebnis im Afghanistan-Einsatz. Die Zahl der Behandlungen hat sich dabei seit 2008 fast verfünffacht. 100 Soldaten sind bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr seit 1993 bislang gefallen, gut die Hälfte davon im Einsatz am Hindukusch.
Solche Zahlen schaffen eine rasant wachsende Lobby. Der Bund Deutscher Veteranen (BDV) etwa, ein Verein, der sich um Kriegsversehrte und die Angehörigen von Gefallenen kümmert und dem auch Sedlatzek-Müller angehört, bestand bei seiner Gründung 2010 noch aus einer Handvoll traumatisierter Soldaten. Heute hat der BDV nach eigenen Angaben eine Mitgliederzahl, die in diesem Jahr vierstellig werden könnte, darunter vor allem Angehörige Versehrter oder Gefallener.
Und auch die Bundeswehr hat auf die Forderung des Vereins nach besserer psychologischer Betreuung von Soldaten mit der Gründung eines Traumazentrums, der Berufung eines PTBS-Beauftragten und der Stationierung von Trauma-Einsatzkräften reagiert. "Schritte in die richtige Richtung", sagt Sedlatzek-Müller.
Der BDV beklagt aber auch die schlechte finanzielle Versorgung vieler Versehrter. Vor allem Zeitsoldaten wie Sedlatzek-Müller, die aus der Bundeswehr ausscheiden und dann für drei Jahre eine Übergangszuwendung erhalten, leben danach oft von Hartz IV, da sie nicht mehr in der Lage sind zu arbeiten.
In dieser Hinsicht hat sich im vergangenen Herbst einiges getan, als der Bundestag das "Einsatzversorgungsverbesserungsgesetz" verabschiedete. Unter anderem wurde die einmalige Entschädigung für Versehrte auf 150 000, für Hinterbliebene auf 100 000 Euro erhöht. Zudem wurde der Stichtag für die Verwundung oder den Tod, ab dem die Entschädigung zusteht, auf den 1. Dezember 2002 zurückdatiert. Nur die Höhe des Schädigungsgrades blieb bei 50 Prozent.
Sedlatzek-Müller ist froh, in puncto Stichtag aber auch verärgert über das Gesetz: "Auch vor dem 1. Dezember 2002 gab es Verwundete und Tote. Warum werden sie und Hinterbliebene schlechter versorgt?" Hier hofft er auf eine weitere Änderung im Zuge der Bundeswehrreform. Ansonsten bleibt nur noch der Gang vor das Bundesverfassungsgericht.
Langsam kommt das Thema auf die gesellschaftliche Agenda: "Egal, ob man für oder gegen den Afghanistan-Einsatz ist: Die Hauptsache ist, dass wir hinter unseren Soldaten stehen", sagte Verteidigungsminister Thomas de Maizière vergangenen Sonntag bei "Günther Jauch". Bundespräsident Joachim Gauck lobte die Soldaten beim Antrittsbesuch bei der Bundeswehr gerade als "Mutbürger in Uniform" und kritisierte ein "Nicht-wissen-Wollen" der Gesellschaft.
Das Gefühl, nicht anerkannt zu werden, kennt Sedlatzek-Müller: "Harte Kerle weinen nicht." Einige Kameraden wandten sich ab von ihm, dem Nestbeschmutzer. Auch wenn er heute vor allem im Internet von Solidarität regelrecht überrollt wird, wünscht er sich noch mehr Akzeptanz der Gesellschaft - vor allem für die unsichtbaren Spuren, die der Krieg hinterlässt.
Die schlechte Versorgung und die fehlende gesellschaftliche Anerkennung haben ihn, der eigentlich ein stiller, fast schüchterner Mensch ist, veranlasst, an die Öffentlichkeit zu gehen. Seit diese Zeitung vor zwei Jahren erstmals über ihn berichtete (F.A.S. vom 13. 6. 2010), ist er zum Protagonisten vieler Artikel und Fernsehbeiträge über PTBS und den Umgang der Bundeswehr mit versehrten Soldaten geworden. Bei Jauch saß er de Maizière gegenüber. Er ist zum Gesicht einer neuen Generation Krieg geworden.
Auch heute wählt der ehemalige Spezialsoldat im Café noch immer den Platz, von dem er alle Ein- und Ausgänge im Blick hat, allzeit bereit zur Flucht. Noch immer meidet er große Menschenmassen. Doch es hat sich auch viel verändert. Sedlatzek-Müller ist nicht mehr so furchterregend dünn. Seine Augen streifen nicht mehr ständig unruhig durch den Raum.
Er hat ein Buch über seinen Leidensweg geschrieben. Seit mehreren Monaten nimmt er ein Antidepressivum, lässt sich ambulant therapieren, hat mit seinem Psychologen eine ständige Anlaufstelle für jene Tage, an denen die Bilder wieder hochkommen. Im Sommer wird er eine stationäre Trauma-Therapie beginnen.
Es ist ein mühsamer Weg zurück in ein einigermaßen normales Leben. Noch immer führt Sedlatzek-Müller mit Arnd Steinmeyer, dem Anwalt des BDV, Klage gegen die Bundeswehr. Er will erreichen, dass neben seiner PTBS auch seine physischen Schäden anerkannt werden. Dabei gehe es nicht um Geld; viel würde sich an seiner finanziellen Lage nicht ändern, sagt sein Anwalt. Die Einmalentschädigung stehe ihm momentan sowieso nicht zu, da seine Verwundung am 6. März 2002 und somit vor dem Stichtag im Verbesserungsgesetz passiert sei. Außerdem seien ihm noch nicht die nötigen 50 Prozent Wehrdienstbeschädigung attestiert worden. Vielmehr wolle Sedlatzek-Müller einen Präzedenzfall schaffen, der anderen Mut machen soll.
In seinem Kampf hat er eine erste Schlacht gewonnen: Von diesem Montag an ist er aufgrund der Verbesserung des Einsatzweiterverwendungsgesetzes wieder Mitglied der Bundeswehr, erhält Sold, will als Referent für das Thema PTBS sensibilisieren. Er ist glücklich darüber: Einmal Soldat, immer Soldat. "Ich habe nie einen Groll gegen die Bundeswehr gehegt. Ich wollte nur auf Missstände aufmerksam machen."
Das Buch "Soldatenglück. Mein Leben nach dem Überleben" von Robert Sedlatzek-Müller ist im Hamburger Edel-Verlag erschienen, es kostet 19,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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