Ein Strandhaus bei Montauk, Long Island, Sommer 1943. Seit Wochen haben James und Anne Langer keine Nachricht von Rennie, ihrem Ältesten, der im Pazifik gegen die Japaner kämpft. Auch zu Hause wird Krieg geführt, denn James hat nach einer Affäre mit einer Schülerin seine Arbeit als Lehrer verloren, und Anne rächt sich mit einer heimlichen Romanze. Als Rennie schwer verwundet nach Hause kommt, hilflos und seelisch ebenso versehrt wie körperlich, sind James und Anne gezwungen, ihr Leben neu zu ordnen. «Sommer der Züge» ist eine sensible, romantische Geschichte über die Liebe und den vielfältigen Verrat an ihr, über Glücksverheißung und Lebenswirklichkeit, über Schuld und Vergebung.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.1999Tonspur des Krieges
Stewart O'Nan erzählt vom Sommer 1943 · Von Thomas Steinfeld
Der Soldat steht im Landungsboot, sein kleiner Bruder fischt daheim nach Krebsen. Der Soldat soll eine Insel im Pazifik erobern, seine Mutter liegt mit ihrem Liebhaber am Strand von Long Island. Der Soldat sieht seinen ersten toten Kameraden, seine Frau gebiert in San Diego ein Kind und betrachtet einen blau gekachelten Springbrunnen. Dort wird gekämpft, und hier ist die Heimat, und dazwischen liegt nicht nur ein Ozean, sondern eine Katastrophe, deren wahre Größe keiner ermisst. Stewart O'Nan hat einen Krieg nach Hause getragen, und am Ende ist dieser Krieg so klein, dass er, ohne an unfasslicher Größe verloren zu haben, in einen alten Buick passt. Viel mehr kann man von einem Erzähler nicht erwarten.
Der "Sommer der Züge", das dritte auf Deutsch erschienene Buch des amerikanischen Schriftstellers, ist ein historischer Roman. Gewiss, in "Engel im Schnee", dem Debüt, beschrieb er das Leben einer Kleinstadt in Pennsylvania während der siebziger Jahre. Die "Speed Queen", sein nächstes Buch, handelte von einer mörderischen Jagd in den Achtzigern. Bei beiden Büchern mochte der Leser glauben, die präzise Schilderung des Alltags gehe auf eigene Erfahrungen zurück. Anders im neuen Roman: Als der Krieg zu Ende ging, war Stewart O'Nan noch lange nicht geboren.
In diesem Roman schildert er die amerikanische Provinz des Jahres 1943 mit einer Prägnanz und Genauigkeit, als sei er mindestens für die Requisiten eines großen Films verantwortlich gewesen. Dieses Buch sollte langsam gelesen werden. Der Reichtum des Details hat eine Aufgabe, die man leicht verkennt, wenn man sich beim Lesen nur an Mitternachtsprogramme mit historischen Filmen erinnert. Denn jede Einzelheit, jedes Wiedererkennen belegt, wie schmerzlich unvereinbar für alle Gestalten dieses Buches das Kleine und das Große sind.
Es ist eine unscheinbare Geschichte, die den Autor auf immerhin fast fünfhundert Seiten beschäftigt. Eine Familie, Vater, Mutter, ein Sohn von zwölf Jahren, verlässt Anfang Juni ihr Heim auf dem Festland und fährt hinaus nach Long Island, um in einem einsamen Haus am Meer den Großvater zu pflegen, dessen Leben zu Ende geht. Unterdessen schreibt der ältere Sohn seinen letzten Brief nach Hause, bevor er an die Front geschickt wird. Nach außen hält die Familie zusammen, aber innen ist sie längst zusammengebrochen. Der Vater, ein Geschichtslehrer, hat ein Verhältnis mit einer Schülerin und wird aus dem Schuldienst entlassen. Die Mutter zahlt es ihm mit einer Affäre heim. Der ältere Sohn verweigert zur unendlichen Enttäuschung des Vaters den Kriegsdienst, bevor er doch Sanitäter wird. Es ist ein Stoff wie aus einer Seifenoper, der hier dargeboten wird. Der Leser erkennt die Gestalten wieder, er ist von vornherein mit der Geschichte vertraut. Aber nicht alle Seifenopern sind dumm.
Denn so sorgfältig ist dieser Roman erzählt, dass die allseits beschädigten Figuren über das Stereotyp hinauswachsen und im Alltag heimisch werden. Und das heißt auch, dass es nirgendwo zu einer Schuld reicht. Stattdessen schießen Verhängnis und Verfehlung so zusammen, dass sich ein unendlich großer Raum für Pech und Mißgeschick auftut. Sogar der Krieg kommt über die Menschen wie eine Regenwolke über den Sund. Das große Geschick des Erzählers Stewart O'Nan liegt in der Schilderung der kleinen Verschiebungen, der unwillkürlichen Bewegungen, der zögernden Gesten und halben Vorwürfe, die zusammen ein Gewebe bilden, so dicht und fest wie eine Wolldecke aus dem Notvorrat des Katastrophenschutzes, und niemand schaut darunter hervor.
Man könnte diesen Roman, der auf Englisch den treffenden Titel "A World Away" trägt, für ein klügeres, weil wahrhaftigeres Gegenstück zu Steven Spielbergs "Saving Private Ryan" halten. Wo der Film den Krieg mit der Schlacht in eins setzt und Tausende in den Kampf geschickt werden, die Strände voller Toter liegen und der amerikanische Soldat als heroischer Befreier auftritt, muss in diesem Roman der ältere Sohn, der Sanitäter, auf einer verlassenen Insel im nördlichen Pazifik antreten. Die Japaner haben sie geräumt, so dass die Invasion ins Leere stösst - oder doch fast, denn eine Kugel durchschlägt Kinn und Mund des Helden. So bleibt er zwar an allen Gliedern heil, aber ist grausam entstellt. Er kommt nach Hause, er stösst zur Familie auf der äußersten Spitze der Halbinsel, eine kleine Freude flammt auf, bevor ein jeder wieder in seine Einsamkeit zurückkehrt. Nichts ist absurder als die Parade der Veteranen im kleinen Badeort, und was als nationale Feier gedacht war, entpuppt sich schnell als eine Anhäufung von freigelassenem Eigensinn.
In den beiden ersten auf Deutsch erschienenen Romanen hat Stewart O'Nan geschildert, wie aus kaum merklichen Fehltritten gewaltige Katastrophen entstehen. Im "Sommer der Züge" hat die Katastrophe den ganzen Globus ergriffen. Sie gibt auch dem Leben einer jeden Figur in diesem Roman eine andere Richtung. Aber sie lässt die Familie intakt, und nach einer Frist des Schmerzes und der Rache wird jede Verfehlung zwar nicht verziehen, aber doch geduldet.
Stewart O'Nan mag als sonderbar altmodischer, ja verspäteter Autor erscheinen, vor allem wenn man daran denkt, welche Kriegsromane schon geschrieben worden sind. Fast dreißig Jahre ist es her, dass Thomas Pynchon seinen Roman "Gravity's Rainbow" veröffentlichte, in dessen Mitte der Tod steht, verkörpert durch eine deutsche Rakete aus dem Zweiten Weltkrieg. Sie steigt auf, sie schlägt ein, sie durchkreuzt die ganze Welt, und wo immer sie ist, verwandelt sich die Welt in ein unendliches Kaleidoskop von undurchdringlichen Zufällen und haltlosen Einzelheiten, die keiner mehr - und schon gar nicht der Autor - wieder zusammenfügt. "Gravity's Rainbow" war ein amerikanisches Buch, das den Brückenschlag nach Europa versuchte, im Pakt des Romans mit der modernen Physik, und das heißt auch: mit der Abwesenheit von Sinn.
Der junge amerikanische Roman hat Europa wieder verlassen. Es ist kein Zufall, dass Stewart O'Nan eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg erzählt, in der keine Nationalsozialisten vorkommen und der Kampf gegen den Faschismus keine Rolle spielt. Der Krieg ist hier keine Zäsur. Der Sohn kehrt, anders als seine Gefährten, aus dem Krieg heim. Der Vater mag seine Stelle verlieren, aber er muss die Familiengeschichte nicht verlassen. Kein Mitglied der kleinen Gemeinschaft mag einem anderen vertrauen, aber was in der Waagerechten nicht funktioniert, bleibt in der Vertikalen unangetastet: Großvater, Vater, Sohn, Mutter, Tochter, die Kette der Generationen ist intakt. Der Älteste stirbt, aber eine Urenkelin ist geboren, Am Ende des Sommers fährt eine halbwegs versöhnte Familie auf das Festland zurück, das zerbeulte Auto voll gepackt, und jeder fängt auf seine Weise noch einmal von vorne an.
Durch alle Bücher von Stewart O'Nan zieht sich eine Tonspur. Im "Sommer der Züge" kommt sie aus dem Radio. Es ist die einzige Verbindung zwischen dem Großen und dem Kleinen, zwischen dem öffentlichen Leben und der Familie. Dafür aber plärrt es ohne Unterlass: Schlager, Nachrichten, Widmungen, Seifenopern, Baseballspiele, das alles geht, ohne viel Rücksicht und große Unterscheidung in einem Alltag nieder, dessen Stunden eigentlich alle viel zu lang sind, als Trost, Zerstreuung und Echo, als womöglich einziger Halt der Seele.
Tatsächlich hat dieser Roman auch etwas Sentimentales, nämlich diese Tonspur: die Erinnerung daran, dass es eine Zeit gab, in der sich der Himmel zwischen Long Island und San Diego über eine gemeinsame Erfahrung spannte, auch wenn sie nur aus dem Lautsprecher schallte. Dieser Sentimentalität hat sich Stewart O'Nan verpflichtet, und das gilt auch für die Form des Romans selbst. In ihr ist nichts Verwerfliches. Wenn seine Schilderung vom Krieg im Pazifik an Filme erinnern, in denen einst Robert Mitchum oder Humphrey Bogart auftraten, dann verbirgt sich dahinter der Wunsch, so erzählen zu können, dass alle zuhören.
Stewart O'Nan gilt, vor allem in Deutschland, als Schriftsteller für die amerikanische Provinz, als guter Junge im karierten Baumwollhemd mit einer Liebe für alte Achtzylinder und dem Herz auf dem rechten Fleck. Nichts könnte falscher sein, dem freundlichen Gesicht und den ölverschmierten Händen zum Trotz. Denn in allen seinen Romanen gibt es eine leere Stelle. Sie gehört dem Glück. Es ist ausgelassen mit Plan und Verstand. Die Ironie ist an seine Stelle gerückt. Die Ironie zieht sich von vorne bis hinten durch die traurige Kette von Familienereignissen, Wetterlagen, Landschaften und Automobilen. Und Rettung verspricht sie auch.
Stewart O'Nan: "Sommer der Züge". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Thomas Gunkel. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1999. 478 S., geb., 45,- DM.
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Stewart O'Nan erzählt vom Sommer 1943 · Von Thomas Steinfeld
Der Soldat steht im Landungsboot, sein kleiner Bruder fischt daheim nach Krebsen. Der Soldat soll eine Insel im Pazifik erobern, seine Mutter liegt mit ihrem Liebhaber am Strand von Long Island. Der Soldat sieht seinen ersten toten Kameraden, seine Frau gebiert in San Diego ein Kind und betrachtet einen blau gekachelten Springbrunnen. Dort wird gekämpft, und hier ist die Heimat, und dazwischen liegt nicht nur ein Ozean, sondern eine Katastrophe, deren wahre Größe keiner ermisst. Stewart O'Nan hat einen Krieg nach Hause getragen, und am Ende ist dieser Krieg so klein, dass er, ohne an unfasslicher Größe verloren zu haben, in einen alten Buick passt. Viel mehr kann man von einem Erzähler nicht erwarten.
Der "Sommer der Züge", das dritte auf Deutsch erschienene Buch des amerikanischen Schriftstellers, ist ein historischer Roman. Gewiss, in "Engel im Schnee", dem Debüt, beschrieb er das Leben einer Kleinstadt in Pennsylvania während der siebziger Jahre. Die "Speed Queen", sein nächstes Buch, handelte von einer mörderischen Jagd in den Achtzigern. Bei beiden Büchern mochte der Leser glauben, die präzise Schilderung des Alltags gehe auf eigene Erfahrungen zurück. Anders im neuen Roman: Als der Krieg zu Ende ging, war Stewart O'Nan noch lange nicht geboren.
In diesem Roman schildert er die amerikanische Provinz des Jahres 1943 mit einer Prägnanz und Genauigkeit, als sei er mindestens für die Requisiten eines großen Films verantwortlich gewesen. Dieses Buch sollte langsam gelesen werden. Der Reichtum des Details hat eine Aufgabe, die man leicht verkennt, wenn man sich beim Lesen nur an Mitternachtsprogramme mit historischen Filmen erinnert. Denn jede Einzelheit, jedes Wiedererkennen belegt, wie schmerzlich unvereinbar für alle Gestalten dieses Buches das Kleine und das Große sind.
Es ist eine unscheinbare Geschichte, die den Autor auf immerhin fast fünfhundert Seiten beschäftigt. Eine Familie, Vater, Mutter, ein Sohn von zwölf Jahren, verlässt Anfang Juni ihr Heim auf dem Festland und fährt hinaus nach Long Island, um in einem einsamen Haus am Meer den Großvater zu pflegen, dessen Leben zu Ende geht. Unterdessen schreibt der ältere Sohn seinen letzten Brief nach Hause, bevor er an die Front geschickt wird. Nach außen hält die Familie zusammen, aber innen ist sie längst zusammengebrochen. Der Vater, ein Geschichtslehrer, hat ein Verhältnis mit einer Schülerin und wird aus dem Schuldienst entlassen. Die Mutter zahlt es ihm mit einer Affäre heim. Der ältere Sohn verweigert zur unendlichen Enttäuschung des Vaters den Kriegsdienst, bevor er doch Sanitäter wird. Es ist ein Stoff wie aus einer Seifenoper, der hier dargeboten wird. Der Leser erkennt die Gestalten wieder, er ist von vornherein mit der Geschichte vertraut. Aber nicht alle Seifenopern sind dumm.
Denn so sorgfältig ist dieser Roman erzählt, dass die allseits beschädigten Figuren über das Stereotyp hinauswachsen und im Alltag heimisch werden. Und das heißt auch, dass es nirgendwo zu einer Schuld reicht. Stattdessen schießen Verhängnis und Verfehlung so zusammen, dass sich ein unendlich großer Raum für Pech und Mißgeschick auftut. Sogar der Krieg kommt über die Menschen wie eine Regenwolke über den Sund. Das große Geschick des Erzählers Stewart O'Nan liegt in der Schilderung der kleinen Verschiebungen, der unwillkürlichen Bewegungen, der zögernden Gesten und halben Vorwürfe, die zusammen ein Gewebe bilden, so dicht und fest wie eine Wolldecke aus dem Notvorrat des Katastrophenschutzes, und niemand schaut darunter hervor.
Man könnte diesen Roman, der auf Englisch den treffenden Titel "A World Away" trägt, für ein klügeres, weil wahrhaftigeres Gegenstück zu Steven Spielbergs "Saving Private Ryan" halten. Wo der Film den Krieg mit der Schlacht in eins setzt und Tausende in den Kampf geschickt werden, die Strände voller Toter liegen und der amerikanische Soldat als heroischer Befreier auftritt, muss in diesem Roman der ältere Sohn, der Sanitäter, auf einer verlassenen Insel im nördlichen Pazifik antreten. Die Japaner haben sie geräumt, so dass die Invasion ins Leere stösst - oder doch fast, denn eine Kugel durchschlägt Kinn und Mund des Helden. So bleibt er zwar an allen Gliedern heil, aber ist grausam entstellt. Er kommt nach Hause, er stösst zur Familie auf der äußersten Spitze der Halbinsel, eine kleine Freude flammt auf, bevor ein jeder wieder in seine Einsamkeit zurückkehrt. Nichts ist absurder als die Parade der Veteranen im kleinen Badeort, und was als nationale Feier gedacht war, entpuppt sich schnell als eine Anhäufung von freigelassenem Eigensinn.
In den beiden ersten auf Deutsch erschienenen Romanen hat Stewart O'Nan geschildert, wie aus kaum merklichen Fehltritten gewaltige Katastrophen entstehen. Im "Sommer der Züge" hat die Katastrophe den ganzen Globus ergriffen. Sie gibt auch dem Leben einer jeden Figur in diesem Roman eine andere Richtung. Aber sie lässt die Familie intakt, und nach einer Frist des Schmerzes und der Rache wird jede Verfehlung zwar nicht verziehen, aber doch geduldet.
Stewart O'Nan mag als sonderbar altmodischer, ja verspäteter Autor erscheinen, vor allem wenn man daran denkt, welche Kriegsromane schon geschrieben worden sind. Fast dreißig Jahre ist es her, dass Thomas Pynchon seinen Roman "Gravity's Rainbow" veröffentlichte, in dessen Mitte der Tod steht, verkörpert durch eine deutsche Rakete aus dem Zweiten Weltkrieg. Sie steigt auf, sie schlägt ein, sie durchkreuzt die ganze Welt, und wo immer sie ist, verwandelt sich die Welt in ein unendliches Kaleidoskop von undurchdringlichen Zufällen und haltlosen Einzelheiten, die keiner mehr - und schon gar nicht der Autor - wieder zusammenfügt. "Gravity's Rainbow" war ein amerikanisches Buch, das den Brückenschlag nach Europa versuchte, im Pakt des Romans mit der modernen Physik, und das heißt auch: mit der Abwesenheit von Sinn.
Der junge amerikanische Roman hat Europa wieder verlassen. Es ist kein Zufall, dass Stewart O'Nan eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg erzählt, in der keine Nationalsozialisten vorkommen und der Kampf gegen den Faschismus keine Rolle spielt. Der Krieg ist hier keine Zäsur. Der Sohn kehrt, anders als seine Gefährten, aus dem Krieg heim. Der Vater mag seine Stelle verlieren, aber er muss die Familiengeschichte nicht verlassen. Kein Mitglied der kleinen Gemeinschaft mag einem anderen vertrauen, aber was in der Waagerechten nicht funktioniert, bleibt in der Vertikalen unangetastet: Großvater, Vater, Sohn, Mutter, Tochter, die Kette der Generationen ist intakt. Der Älteste stirbt, aber eine Urenkelin ist geboren, Am Ende des Sommers fährt eine halbwegs versöhnte Familie auf das Festland zurück, das zerbeulte Auto voll gepackt, und jeder fängt auf seine Weise noch einmal von vorne an.
Durch alle Bücher von Stewart O'Nan zieht sich eine Tonspur. Im "Sommer der Züge" kommt sie aus dem Radio. Es ist die einzige Verbindung zwischen dem Großen und dem Kleinen, zwischen dem öffentlichen Leben und der Familie. Dafür aber plärrt es ohne Unterlass: Schlager, Nachrichten, Widmungen, Seifenopern, Baseballspiele, das alles geht, ohne viel Rücksicht und große Unterscheidung in einem Alltag nieder, dessen Stunden eigentlich alle viel zu lang sind, als Trost, Zerstreuung und Echo, als womöglich einziger Halt der Seele.
Tatsächlich hat dieser Roman auch etwas Sentimentales, nämlich diese Tonspur: die Erinnerung daran, dass es eine Zeit gab, in der sich der Himmel zwischen Long Island und San Diego über eine gemeinsame Erfahrung spannte, auch wenn sie nur aus dem Lautsprecher schallte. Dieser Sentimentalität hat sich Stewart O'Nan verpflichtet, und das gilt auch für die Form des Romans selbst. In ihr ist nichts Verwerfliches. Wenn seine Schilderung vom Krieg im Pazifik an Filme erinnern, in denen einst Robert Mitchum oder Humphrey Bogart auftraten, dann verbirgt sich dahinter der Wunsch, so erzählen zu können, dass alle zuhören.
Stewart O'Nan gilt, vor allem in Deutschland, als Schriftsteller für die amerikanische Provinz, als guter Junge im karierten Baumwollhemd mit einer Liebe für alte Achtzylinder und dem Herz auf dem rechten Fleck. Nichts könnte falscher sein, dem freundlichen Gesicht und den ölverschmierten Händen zum Trotz. Denn in allen seinen Romanen gibt es eine leere Stelle. Sie gehört dem Glück. Es ist ausgelassen mit Plan und Verstand. Die Ironie ist an seine Stelle gerückt. Die Ironie zieht sich von vorne bis hinten durch die traurige Kette von Familienereignissen, Wetterlagen, Landschaften und Automobilen. Und Rettung verspricht sie auch.
Stewart O'Nan: "Sommer der Züge". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Thomas Gunkel. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1999. 478 S., geb., 45,- DM.
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Stewart O'Nans neuer Roman zählt zu den Werken, die man leichtfüßig betritt und nur schweren Herzens wieder verläßt. Neue Zürcher Zeitung