Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Kindskopf trifft Spaßbremse: Frida Nilssons Kinderbuch "Sommer mit Krähe"
Irgendwann kann Ebba nicht mehr. Ihr Freund Krähe stapft seit Stunden entschlossen und in einigem Abstand vor ihr durch den endlosen Wald, in dem er seine Eltern vermutet, und blickt sich nicht nach Ebba um, der die tagelange Reise hierher noch in den Knochen steckt. Auf ihre Rufe reagiert Krähe nicht. Seine Starrköpfigkeit macht sie aggressiv. Endlich ruft sie ihm zu, ob seine Eltern, die er vor Jahren aus den Augen verloren hatte, nicht auch schon tot sein könnten. Ihr sonst so energetischer Freund wirkt plötzlich wie vor den Kopf geschlagen. Um die Sache zu retten, sagt die erschrockene Ebba, eigentlich habe sie gemeint, was denn sei, "wenn sie eine neue Telefonnummer haben", die Eltern. Dass Krähe nicht mal den Namen seiner Eltern kennt, auch ihren Wohnort nicht, schon gar nicht irgendeine alte Telefonnummer von ihnen, weiß Ebba auch. Aber sie versucht eben, eine ausweglose Situation vor Augen, in ihrer Verzweiflung trotzdem, das Blatt irgendwie zu wenden. Und das heißt hier: das Band, das Krähe und sie aneinander knüpft und durch weite Teile Schwedens bis hinter die norwegische Grenze geführt hat, nicht abreißen zu lassen.
So steht es in "Sommer mit Krähe", Frida Nilssons Debüt, erschienen 2004 im schwedischen Original und nun auch auf Deutsch, nachdem die Autorin mit der "Hedvig!"-Reihe, "Siri und die Eismeerpiraten" oder "Frohe Weihnachten, Zwiebelchen" bestens auf dem deutschen Buchmarkt angekommen ist und hierzulande mit dem James-Krüss-Preis ausgezeichnet worden ist. Man kann sich also ein ganz gutes Bild von der 1979 in Örebro geborenen Autorin machen, von ihrem Witz, von der tiefen Anteilnahme, die sie ihren Figuren entgegenbringt, und von ihrer unbedingten Wahrhaftigkeit, wenn es um Geschichten geht, die keine Ausflucht ins Seichte vertragen, selbst wenn das den Protagonisten einiges zumutet.
Wer prinzipiell keine Bücher mit sprechenden Tieren mag, hat Grund genug, vom literarischen Werk Nilssons einigermaßen verstört zu sein. So ist etwa in Nilssons meisterlichem Roman "Die maskierte Makrone" eine Stadt, die nach menschlichen Maßstäben eingerichtet ist, komplett von Tieren bevölkert, was der eigentlich ganz in unserer Gegenwart angesiedelten Geschichte um zwei in ihrer Arbeit zutiefst unglückliche Wesen eine besondere Farbe verleiht, fremd und intensiv zugleich. Im Roman "Sasja und das Reich jenseits des Meeres" kommt ein Junge auf der Suche nach seiner verstorbenen Mutter in ein Land, in dem die Toten als Schweine, Hunde oder Greifvögel leben und so, wie es heißt, ihre eigentliche Gestalt annehmen, eine, die ihrem Inneren entspricht. Hier ist Sasja, der Mensch, in der Gefahr, als Außenseiter Aufsehen zu erregen, während die drei Tierarten in größter Selbstverständlichkeit miteinander leben.
Diese Beiläufigkeit gilt auch für "Sommer mit Krähe", denn Ebbas Freund heißt nicht etwa nach dem Vogel im Titel des Romans, er ist auch einer: klein, gefiedert, alles Wesentliche mit dem Schnabel erledigend. Und zugleich verkörpert er alles, was man mit einer Krähe verbindet: Er ist neugierig, frech, unbekümmert um Eigentumsverhältnisse und - bei aller Freundschaft zu Ebba - in jeder Hinsicht unabhängig. "So lief das immer mit Krähe und mir", sagt Ebba, die Erzählerin: "Obwohl wir beste Freunde waren, wurde ich früher oder später sauer auf ihn, weil er so kindisch und unzuverlässig war. Und ich spürte, dass ich in seinen Augen eine Spaßbremse war." So klar, wie die Rollen verteilt scheinen, sind sie das allerdings nicht, wie sich im Lauf des Buches zeigt, und zugleich schiebt Nilsson allem allegorischen Verständnis ihres Romans - wie auch ihrer übrigen Romane, in denen Tiere mit Menschen interagieren - einen Riegel vor. Krähe ist kein Mensch in Tiergestalt, sondern tatsächlich ein Vogel, macht die Erzählerin immer wieder deutlich, und so ist auch das Ende nur konsequent, bei allen Schmerzen, die es für Ebba und womöglich auch für Krähe mit sich bringt.
Was bleibt, ist eine aufregende Reise, begonnen mit Leichtigkeit - einer kargen Botschaft an Ebbas Eltern eingeschlossen, sie sei dann mal weg und man möge sich bitte keine Sorgen machen - und durchgeführt mit dem größten Vertrauen auf Gelegenheitshilfen, die sich dann auch prompt und ausgesprochen vielfältig einstellen, vom Floßverleiher über das gelangweilte Luxusgeschöpf bis zu der freundlichen Band mit dem sprechenden Namen Nilzonzs. Und so ist, was zwischen Ebba und Krähe geschieht, bei aller Verbundenheit auch ein gegenseitiges Lernen, es sind Lektionen in der Frage, mit welcher Haltung man einem Leben gegenübertreten kann, das uns die Entscheidung zwischen Anstrengung und Langeweile aufbürdet.
Für Krähe ist das keine Frage, aber es ist Ebba, die am Ende die entscheidende Weiche stellt. Auch wenn sie ahnt, dass sie dadurch zum ersten Mal aufs Spiel setzt, was ihr selbstverständlich erschienen war: die enge Freundschaft mit Krähe. Aber was ist schon eine Entscheidung wert, wenn wir für sie kein Opfer bringen müssen? TILMAN SPRECKELSEN
Frida Nilsson: "Sommer mit Krähe (und ziemlich vielen Abenteuern)".
Aus dem Schwedischen von Friederike Buchinger. Mit Bildern von Anke Kuhl. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2022. 144 S., geb., 14,- Euro. Ab 8 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH