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Vor ihr liegt ein Sommer, in dem sie einen ganzen Kontinent zwischen sich und ihrer Familie weiß: Während ihre Eltern nach Europa segeln, bleibt die 17-jährige Grady allein zurück in einem schwülen New York ohne Aircondition, dafür in einem voller Versprechen. Grady kann tun und lassen, was sie will. Und sie will eine Menge, bloß sich noch nicht in die feine Gesellschaft einfädeln, die sie nur müde macht. Sie verliebt sie sich in Clyde, einen jüdischen Jungen aus Brooklyn, der, zurück aus dem Krieg, als Parkplatzwächter arbeitet. Es ist ihr egal, dass sich ihre Mutter, einen anderen…mehr

Produktbeschreibung
Vor ihr liegt ein Sommer, in dem sie einen ganzen Kontinent zwischen sich und ihrer Familie weiß: Während ihre Eltern nach Europa segeln, bleibt die 17-jährige Grady allein zurück in einem schwülen New York ohne Aircondition, dafür in einem voller Versprechen. Grady kann tun und lassen, was sie will. Und sie will eine Menge, bloß sich noch nicht in die feine Gesellschaft einfädeln, die sie nur müde macht. Sie verliebt sie sich in Clyde, einen jüdischen Jungen aus Brooklyn, der, zurück aus dem Krieg, als Parkplatzwächter arbeitet. Es ist ihr egal, dass sich ihre Mutter, einen anderen Schwiegersohn erträumt - eine standesgemäße, sichere Partie. Doch ein komfortables, risikoloses Leben ist das Letzte, was Grady interessiert. Sie schwirrt durch diese heißen Monate mit Clyde und seinen Kumpels - erfüllt von einer Sehnsucht nach einer Welt mit lauter Unbekannten, wo nichts festgeschrieben ist und stets ein Rätsel zu lösen bleibt.

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Autorenporträt
Truman Capote wurde 1924 in New Orleans geboren. 1948 erschien sein erster Roman Andere Stimmen, andere Räume, der als das sensationelle Debüt eines literarischen Wunderkindes gefeiert wurde. Das 1958 veröffentlichte Frühstück bei Tiffany erlangte auch dank der Verfilmung mit Audrey Hepburn große Berühmtheit. 1966 erschien der mehrmals verfilmte »Tatsachenroman« Kaltblütig, 1973 Die Hunde bellen (Storys und Porträts), 1980 Musik für Chamäleons (Erzählungen und Reportagen). Posthum wurden 1987 der unvollendete Roman Erhörte Gebete und 2005 das neu entdeckte, eigentliche Debüt Sommerdiebe veröffentlicht. Truman Capote starb 1984 in Los Angeles. Das gesamte Werk von Truman Capote erscheint auf Deutsch in der Zürcher Ausgabe, herausgegeben von Anuschka Roshani, bei Kein & Aber.

Heidi Zerning, geboren in Berlin, studierte Anglistik, Amerikanistik, Geschichte und Philosophie und ist seit 1990 hauptberuflich als Übersetzerin tätig. Neben Steve Tesich hat sie u.a. Werke von Virginia Woolf und Truman Capote übersetzt.

Anuschka Roshani studierte Verhaltensbiologie und besuchte die Henri-Nannen-Journalistenschule, bevor sie viele Jahre Redakteurin und Reporterin beim Spiegel und dem Tages-Anzeiger-Magazin war. Seit 2002 lebt die gebürtige Berlinerin mit ihrer Familie in Zürich. Bei Kein & Aber hat sie Truman Capotes Gesamtwerk herausgegeben, darunter das bis dahin unbekannte Frühwerk The Early Stories, das sie 2014 entdeckt hat. 2018 erschien ihr Debüt Komplizen. 2022 folgte Gleißen. Sie schreibt ihre Dissertation über Truman Capote.

Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als "aufregende Wiederentdeckung" würdigt Paul Ingendaay diesen frühen Roman von Truman Capote, der als Auftakt der auf acht Bände angelegten Truman-Capote-Werkausgabe erschienen ist. "Mit leichter Hand und bösem Blick" zeichne Capote darin ein Porträt der New Yorker Upper Class. Im Mittelpunkt sieht Ingendaay die siebzehnjährige Grady, Tochter einer steinreichen Südstaatenfamilie, die die heißen Monate allein in der Stadt verbringt, um Clyde, ihren heimlichen Freund aus der jüdischen Unterschicht, wiederzusehen, und schließlich überstürzt zu heiraten. Die Zerrissenheit der Figur der Grady findet Ingendaay sichtlich berührend. Besonders angetan hat es ihm dabei der Umstand, dass Capote nichts "niemanden bebotschaften" will, sondern Gefühle in "überraschende poetische Bilder" übersetzt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.11.2006

Den Leser fest im lasziven Blick
Mit der Wiederentdeckung seines Frühwerks „Sommerdiebe” ist das Interesse an Truman Capote neu erwacht. Dem verkaufstüchtigen Autor hätte es gefallen Von Willi Winkler
Es muss nicht nur von Nachteil sein, wenn einer zu früh stirbt – so bleibt er länger jung. Truman Capote, der 1984 den elenden Tod eines Alkoholikers starb, wurde 1924 geboren und ist damit noch immer Zeitgenosse, nur unwesentlich älter als Martin Walser und Günter Grass. Er war ein ingénu, eine Naturbegabung, ein geborener Künstler, der bereits fertig in die Welt sprang. „Ich kann addieren, aber nicht subtrahieren. Wenn man aber Schriftsteller werden will und bereits einer ist, wenn man außerdem buchstabieren kann, wüsste ich keinen Grund, warum man noch aufs College gehen sollte.” Capote wurde dennoch von Akademikern gefeiert. Sie bewunderten seine Naivität, seine Frische, sein koboldhaftes Wesen. Der New Yorker beschäftigte den Winzling als Büroboten und entließ ihn, weil er sich als Redakteur ausgab; dass er auch schrieb, besser als alle Autoren seiner Zeit, hätten ihm die richtigen Redakteure nie zugetraut.
Seit dem byronesken F. Scott Fitzgerald hatte es in der amerikanischen Literatur keinen derart begnadeten Jüngling mehr gegeben; sein Unglück war, dass er es nicht bleiben konnte. Auf dem berühmten Umschlagfoto von Harold Halma ist Capote auf ein Sofa hingelagert und hat den Leser (den Käufer) auf eine bisher ungewohnte Art fest im lasziven Blick. Wie im Leben scheint er sich daran zu weiden, dass der Betrachter sich gar nicht sicher sein kann, ob es ein Mädchen oder doch ein Junge ist. Wie Gore Vidal, wie Norman Mailer, kam Truman Capote aus dem Zweiten Weltkrieg, er aber als Schwächling.
In den Büchern, die nach dem Krieg erschienen, durfte der Mann zwar wie unter Schock und verletzt auftreten, aber er musste ein Mann bleiben. Inbegriff und Vorbild war Ernest Hemingway, der sich in jenen Jahren gern im Glanze seines Brusthaars fotografieren ließ. Die Fotos von Truman Capote sehen anders aus. Er ist nicht der Erfinder des Schriftsteller-Marketings, das ist doch eher Hemingway gewesen, aber er wusste, dass der Schriftsteller ohne ständiges Reklamelaufen nichts ist und nichts wird.
Als Capote zum ersten Mal aus seiner Groß-Reportage „Kaltblütig” liest, kommt er langsam auf die Bühne, er trägt einen wieder einmal besonders edlen Anzug, bleibt einen Moment stehen, damit auch alle es sehen können, und sagt dann, als er die Brille aufsetzt: „Mit der Eitelkeit ist’s vorbei”, und natürlich ist das sein eitelster Auftritt geworden. Einen weiteren kreierte er als den Höhepunkt seines Lebens, auch als den gesellschaftlichen Höhepunkt für viele seiner Freunde und Feinde, weil es ihm gelang, die Frage, ob man dazu eingeladen war, zu einer Existenzfrage zu machen: den Schwarzweiß-Ball von 1966.
Es war sein Triumph, dass er die Party zu Ehren von Katherine Graham geben konnte, der Verlegerin der Washington Post, die später die Watergate-Papiere druckte. Für Truman Capote war die angebliche „Party des Jahrhunderts” nicht nur ein gesellschaftliches Ereignis, sondern ein Versuch, die Welt der Guermantes nachzustellen, ein Tableau wie im letzten Band der Recherche du temps perdu zu inszenieren. Er plante ein Proustsches Gesellschaftsbuch, und natürlich ist er damit gescheitert.
Capote kam aus einer kaputten Familie, wuchs bei Tanten auf und wurde von seiner partysüchtigen Mutter früh nach New York gebracht. Eine derart unglückliche Kindheit liefert das beste Material für den künftigen Schriftsteller. Wie ein vernachlässigtes Kind entwickelte er früh die Fähigkeit, andere auf sich aufmerksam zu machen, sie dabei aber auch scharf zu beobachten. So verfügte er früh über die wichtigste Gabe eines Autors, nämlich herzlos zu sein. Natürlich gierte er nach Lob und Anerkennung, aber im Urteil über seine Umgebung war er gnadenlos.
Davon ist dem jetzt wiederentdeckten Manuskript „Sommerdiebe” noch wenig zu merken. Der erst aus dem Nachlass aufgetauchte kleine Roman – eine Erzählung eigentlich, die er mit neunzehn Jahren begonnen hatte – genügte Capotes eigenen Ansprüchen nicht, darum ließ er ihn liegen. „Sommerdiebe” ist noch so sonnig und heiter wie „Frühstück bei Tiffany”, die Klatschgesellschaft wird nicht bewundert, nur angestaunt. Der düstere Grundton seiner Erzählungen erklingt nur verhalten, der poetische Schwung will gar nicht mehr enden in Sätzen wie diesen: „Unbändiges Gelächter stieg in Grady auf, eine freudige Erregung angesichts dieses Sommers, der sich vor ihr erstreckte wie eine endlose weiße Leinwand, auf die sie selbst die ersten groben Pinselstriche auftragen konnte, ganz und gar frei.”
Capote wollte sich nicht wiederholen, und nach dem „Frühstück bei Tiffany” hatte er seine Geschichten alle erzählt. So begann er sich für die beiden jugendlichen Täter zu interessieren, die in Kansas eine ganze Familie umgebracht hatten und jetzt auf ihren Prozess warteten. „Kaltblütig” begründet eine neue Schule, die später „New Journalism” genannt wurde. Capote besuchte die beiden Männer im Gefängnis, er sah sich den Schauplatz der Tat an, er sprach mit dem Sheriff und dem Staatsanwalt, er fügte sich als teilnehmender Beobachter ins Landleben ein – und er hat es mit der Sympathie für den Mörder Perry Smith sicherlich übertrieben. Das Buch wurde sein größter Erfolg, auch weil die Kaltblütigkeit des Titels vor allem den Stil Capotes beschreibt, seine Fähigkeit, auch einen so entsetzlichen Vorgang wie diesen beiläufigen Raubmord journalistisch genau darzustellen.
Mit seinem Leben schrieb er selber eine einzige große moralische Erzählung: Wer so lebt wie er, geht mit Sicherheit zu Grunde. Seine letzten Lebensjahre brachte er als öffentliches Wrack zu, ein Party-Gag, und nicht der beste. Seit dem Auftauchen der „Sommerdiebe”, seit Philip Seymour Hoffman den Oscar für seine Darstellung des Autors erhielt, wird Capote wiederentdeckt und jetzt in der so genannten Zürcher Ausgabe teilweise neu übersetzt. Seltsam, wenn man den Namen der Frau liest, die in den fünfziger Jahren einen großen Teil von Capotes Erzählungen übersetzt hat: Lieselotte Eder. Das war die Mutter Rainer Werner Fassbinders, die Frau, die ihren Sohn ins Kino schickte, damit er sie nicht bei der Arbeit störe, beim Übersetzen der Geschichten eines hochneurotischen Kindes, das von seiner allerdings sehr lebenslustigen Mutter immer fortgeschickt wurde, weil er störte. Capotes Mutter brachte sich um, und der Sohn folgte ihr nach, indem er sich zu Tode trank und kokste und schrieb.
Auf Truman Capotes Grabstein steht ein Satz aus „Andere Stimmen, andere Räume”: „Der Kopf lässt sich vielleicht raten, aber nicht das Herz, und weil es keine Geographie der Liebe gibt, kennt sie auch keine Grenzen.”
Beim Verlag Kein & Aber, Zürich, sind in diesem Jahr folgende Bücher von Truman Capote neu erschienen:
Sommerdiebe. Roman. 148 Seiten, 16,90 Euro.
Andere Stimmen, andere Räume. Roman. 256 Seiten, 18,90 Euro.
Frühstück bei Tiffany. Roman. 120 Seiten, 16,90 Euro. Alle drei übersetzt von Heidi Zerning.
Die Grasharfe. Roman. Aus dem Amerikanischen von Annemarie Seidel und Friedrich Podszus, neu durchgesehen von Birgit Krückels. 188 Seiten, 18,90 Euro.
Capote kam aus einer kaputten Familie, wuchs bei Tanten auf und wurde von seiner partysüchtigen Mutter nach New York gebracht. – Hier während der Dreharbeiten zu „Kaltblütig” 1966.
Foto: Steve Schapiro / Corbis Outline
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.04.2006

Mit leichter Hand und bösem Blick
Neues vom Wunderkind: "Sommerdiebe" als Auftakt der Truman-Capote-Werkausgabe

Schon immer konnten sich Leser nach Belieben ihr eigenes Bild des Schriftstellers Truman Capote (1924 bis 1984) schnitzen. Es begann mit der provozierenden Titelfotografie seines Debütromans "Andere Stimmen, andere Räume" von 1948, auf der ein Dreiundzwanzigjähriger von gefährlicher sexueller Ambivalenz den Betrachter mit großen Kinderaugen fixiert; das Kindliche, Freche, die offen ausgestellte Homosexualität des kleinen Mannes mit der hohen Stimme sollten zu seinen Markenzeichen werden. Es ging weiter mit starken Sprüchen und Angebereien, Gerichtsprozessen und publicitywirksamen Skandalen, mit Verschwendung, Drogen und Alkohol, und es endete in der Selbstzerstörung.

Mitten darin steckte ein enormes literarisches Talent, aus dem sich vielleicht mehr hätte machen lassen. Vielleicht aber auch nicht. Kürzlich hat Bennett Millers Film "Truman Capote" mit Philip Seymour Hoffman (F.A.Z. vom 1. März) die Etappe rekonstruiert, in der Capote sich so leidenschaftlich wie danach nie wieder in einen Stoff verbiß und mit "Kaltblütig" (1966) das Modell für den journalistisch inspirierten Dokumentarroman schuf. Daß sich über die Entstehung eines Buches, der zum Millionenbestseller wurde, ein Film drehen läßt, verrät nur, wie tief die Persönlichkeit des Autors mit seinem Material verwoben ist. Capote hat es nicht anders gewollt. Selbst da, wo er sich zurücknimmt, wird seine Zurückhaltung zum Thema.

Und doch ist längst die Zeit gekommen, den Prosastilisten Capote ohne die Begleitmusik seines eigenen Marketings oder die beleidigte Indignation seiner zahlreichen Feinde zu würdigen; er ist nicht mehr unser Zeitgenosse. Die beste Möglichkeit dazu bietet der Verlag Kein & Aber durch eine auf acht Bände angelegte, sorgfältig gemachte Werkausgabe, die jetzt mit "Sommerdiebe" gestartet ist.

Ob dieses kürzlich entdeckte vollständige Manuskript mit dem Originaltitel "Summer Crossing" tatsächlich früher entstand als "Andere Stimmen, andere Räume", also Capotes eigentliches Romandebüt darstellt, ist allerdings eher eine Frage der Verlagswerbung; auch das Nachwort hält sich bei der exakten Datierung auffallend zurück. Vermutlich wurde "Sommerdiebe" früher begonnen, aber auch später abgeschlossen als "Andere Stimmen". Daß es überhaupt vollständig erhalten ist, weiß man erst seit dem Jahr 2004, als das Manuskript bei Sotheby's in New York zur Versteigerung angeboten wurde, bevor die New York Public Library dazu bewogen werden konnte, es zu erwerben. Capote selbst glaubte es weggeworfen zu haben, wie er in den fünfziger Jahren zu Protokoll gab. Glücklich der Schriftsteller, der es sich leisten kann, solche Seiten wegzuwerfen.

"Sommerdiebe" spielt im New York der Nachkriegszeit, in einem Ambiente, das "Frühstück bei Tiffany" und die Verfilmung mit Audrey Hepburn in das Bild perlender Frivolität verwandelt haben. In "Sommerdiebe" lauert hinter dem Luxus die schiere Verzweiflung. Die siebzehnjährige Grady McNeil, Tochter einer steinreichen Südstaatenfamilie, hat es sich in den Kopf gesetzt, die heißen Monate allein in der Stadt zu verbringen, während ihre Eltern zur großen Schiffspassage nach Europa aufbrechen. Mutter McNeil will in Paris das Kleid für Gradys Gesellschaftsdebüt schneidern lassen. Grady dagegen denkt an Clyde Manzer, ihren heimlichen Freund aus der jüdischen Unterschicht, der sich als Parkwächter verdingt. Allein schon, daß Grady gegen die Konventionen des Eastside-Geldadels verstoßen will, macht sie als Figur interessant; von fern grüßen die aufsässigen jungen Amerikanerinnen bei Henry James. In der schwülen Luft von Manhattan liegt ein Freiheitsversprechen, das die Hoffnungen der McNeils pulverisieren wird.

Mit leichter Hand und bösem Blick entrollt Capote ein Porträt der New Yorker Upper Class, für die der Lebenshorizont aus Etikette, der richtigen Heirat und dem richtigen Seidenstoff besteht. Ein paar Striche nur, und eine ganze Wertordnung steht da: die neurotische Mutter, die für Grady denselben Käfig vorgesehen hat, in dem sie selbst sich befindet; die angepaßte Schwester mit Wochenendhaus in Long Island; der desinteressierte Vater, für den nur das Ergebnis unterm Strich zählt. Aus den kostbaren, langweiligen Interieurs ihrer Kindheit bricht Grady aus, bereit, für eine überraschende Tat alles wegzuwerfen. Am Ende hat weder die eine noch die andere Welt Platz für sie.

Das Buch erklärt nicht, worin die Anziehung zwischen Grady und Clyde genau besteht - das Privileg aller Liebesgeschichten. "Es war, als sei die Welt, in der sie sich begegneten, ein Schiff, in die Flaute geraten zwischen zwei Inseln, die sie selbst waren: ohne jede Anstrengung konnte er ihre Küste sehen, aber seine blieb verborgen im tief hängenden Nebel." Klug beschränkt sich Capote auf die Innensicht seiner Figuren, deren Motive er nie bewertet, sondern in Aktion zeigt. Man wüßte gern, warum der Autor mit seinem Buch so unzufrieden war, daß er es nicht in sein Werk aufgenommen sehen wollte. Aus fünfzig Jahren Abstand ist offensichtlich, wie schmetterlingshaft sich die "Sommerdiebe" über den schwerblütigen Sozialrealismus der amerikanischen Nachkriegszeit erheben.

Ganz an die Atmosphäre, das Licht und das magische Glitzern der Oberflächen hingegeben, denen die Figuren ihr Schicksal abzulesen versuchen, deutet Capote die Signale der Metropole je nach Gefühlslage seiner Heldin als Fragezeichen, Provokation oder mächtige Verführung - "Gesichter, die nirgendwohin gehören, grüne Schatten unter grünen Augenschirmen, einbalsamierte Abendmumien, die in der karamellsüßen Luft schweben", wie es in Heidi Zernings geschmeidiger Übersetzung heißt. Kein Lebensplan - und sicher nicht Gradys überstürzte Ehe mit einem Mann, der kaum etwas von seiner Zukunft begreift - kann den flirrenden Sehnsuchtsbildern entsprechen, die New York so verschwenderisch produziert. Deshalb fragen wir uns auch nicht, was die Geschichte bedeutet oder exemplifiziert, sondern viel eher, warum uns die Zerrissenheit dieser Figur so nahegeht.

Und das ist der stärkste Grund dafür, den kurzen Roman für eine aufregende Wiederentdeckung zu halten. Truman Capote will nichts beweisen und niemanden bebotschaften, sondern übersetzt Gefühle in überraschende poetische Bilder. In einem Interview mit der legendären Zeitschrift "Paris Review" Ende der fünfziger Jahre sprach der Schriftsteller von Vorbildern wie Flaubert, Tschechow und Jane Austen. Das war keine Selbstüberhebung, sondern der Versuch, die eigene Herkunftslinie zu benennen. "Sommerdiebe", das Werk eines sehr jungen Mannes, macht schlagartig bewußt, wie früh dieser Autor wußte, wer er war, auch wenn er nur einen Bruchteil davon einlösen konnte. Stil, hat Truman Capote gesagt, läßt sich nicht bewußt erarbeiten, genausowenig, wie sich die eigene Augenfarbe erarbeiten läßt.

Truman Capote: "Sommerdiebe". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Heidi Zerning. Mit einem Nachwort von Annuschka Roshani. Verlag Kein & Aber, Zürich 2006. 146 S., geb., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»"Sommerdiebe" ist eine Sommergeschichte, wie es sie nur in New York City gibt. Verwunschen wie schattig-heißer Asphalt, mit einer Sprache wie kühle Laken am Strand.« Sarah Pines, Die Weltwoche, 4.7.2024 Die Weltwoche 20240704