Sommerjungs von Emmanuelle Baymack Tam ist eine wuchtige libidonöse, bitterböse, zutiefst unmoralische Geschichte, die mich beeindruckt und beschäftigt hat. Dieser Roman ist ein Jahreshightlight, denn Sommerjungs ist ein gehaltvolles, provokantes Stück Literatur, das an die Abgründe und Grenzen der
menschlichen Psyche geht. Die Autorin wagt nicht mehr und nicht weniger, als die großen…mehrSommerjungs von Emmanuelle Baymack Tam ist eine wuchtige libidonöse, bitterböse, zutiefst unmoralische Geschichte, die mich beeindruckt und beschäftigt hat. Dieser Roman ist ein Jahreshightlight, denn Sommerjungs ist ein gehaltvolles, provokantes Stück Literatur, das an die Abgründe und Grenzen der menschlichen Psyche geht. Die Autorin wagt nicht mehr und nicht weniger, als die großen philosophischen Fragen von gut und böse, nature and nurture, dem freien Willen und der Verantwortung zu behandeln, sich dabei biblischer Geschichten zu bedienen. Sommerjungs liest sich wie eine moderne Variation von Kain und Abel, in der Kain trotz aller Bevorzugung der Natur und der Menschen giftig ist.
Wer Triggerwarnungen braucht, dieser Text ist voller Abgründe, Gewalt, Grausamkeiten in sexualisierter, in rassistischer Form auch, in der Phantasie und Realität, denn besonders eine Figur, sie ist voller Psychopathie, böse, missgünstig und abstoßend.
Sommerjungs erzählt die Geschichte zweier Brüder Thadée und Zachérie, die von der Natur mit einer betörenden Attraktivität beschenkt sind. Beide surfen, scheinen ihre Jugend und Präsenz zu genießen, sich zu gleichen. Düstere Blitzlichter tauchen auf, die wir nicht einordnen können, Gewalt, eine versuchte Vergewaltigung, eine Störung im scheinbar perfekten Paradies. Thadée, der ältere, surft in La Réunion, Zachérie, der jüngere ist zu Besuch. Da passiert es, der Fall aus dem Paradies, der Bevorzugung, dem Denken, sich alles nehmen zu können, ja, ein Recht darauf zu haben. Thadée wird von einem Hai erfasst und verliert ein Bein.
Die Erzählweise ist multiperspektivisch, beginnt mit der Sicht der reichen, satten Eltern in Biarritz, ihrer Ambivalenzen und Brüche, ihrer Vergötterung der beiden Söhne. Von außen betrachtet, bringt der Verlust des Beines das gesamte Umfeld in eine Krise. Thadée zieht sich verbittert zurück, verliert sich im Internet, Verschwörungstheorien und den Identitären. Die Mutter und der Vater bringen Opfer um Opfer, doch sie sind gezeichnet. Zachérie hat sein Idol verloren und stürzt in eine hintergründig tiefe Traurigkeit. Seine Freundin Cindy betrachtet es wütend, zieht ihre Schlüsse. Die kleine Schwester Ysé, wirkt weise, seltsam unbeteiligt. Und es gibt Anouk, die scheinbar schwache, begehrliche weibliche Figur, die sich wandeln wird. Alle Figuren wandeln sich mit den Perspektiven und im Verlauf der Geschichte.
Es passiert noch Schlimmeres, was genau, sei in diesem spannungsgeladenen, Plot-getriebenen Pageturner nicht verraten.