Sophie Scholl (1921 - 1943) zählt zu den Lichtgestalten in der Finsternis des Faschismus; die Weiße Rose ist der Gegenentwurf zum braunen Schmutz der Nazi-Ideologie. Deshalb verdient diese einfühlsame und gescheite Biographie unser uneingeschränktes Interesse; es geht um das Drama des
Erwachsenwerdens, um die Suche nach dem eigenen Weg, um die faszinierende Umkehr der jugendlichen NS-Führerin zur…mehrSophie Scholl (1921 - 1943) zählt zu den Lichtgestalten in der Finsternis des Faschismus; die Weiße Rose ist der Gegenentwurf zum braunen Schmutz der Nazi-Ideologie. Deshalb verdient diese einfühlsame und gescheite Biographie unser uneingeschränktes Interesse; es geht um das Drama des Erwachsenwerdens, um die Suche nach dem eigenen Weg, um die faszinierende Umkehr der jugendlichen NS-Führerin zur mutigen Widerstandskämpferin. Doch nach der aufmerksamen Lektüre legt der kundige Leser dieses Buch beiseite und seufzt: Schade, es wäre ein wahrhaft großartiges Buch geworden, wäre die Autorin nicht der Versuchung erlegen, aus Sophie Scholl eine Vorzeigeprotestantin zu machen.
Der Lieblingsgegner von Autorin Barbara Beuys ist der dezidierte Jungkatholik Otl Aicher. Sie hält ihm sogar vor, dass er »alles Protestantische« von Sophie Scholl fern hielt. Die Frage sei erlaubt: War Sophie Scholl wirklich so unmündig, um sich von Otl Aicher bevormunden zu lassen? Oder weiß Beuys nicht, dass in Carl Muths Zeitschrift »Hochland« das Thema »Begegnung der Konfessionen« immer wieder aufgegriffen wurde? Entscheidend ist freilich, dass Otl Aicher seiner Weggefährtin Sophie Scholl den Weg zu Augustinus, dem leidenschaftlichen Gottsucher, eröffnete.
Nach meiner Deutung ist Karfreitag 1941 der Umschlagspunkt in der Lebensgeschichte von Sophie Scholl: »Heute abend (...) sah ich durch's Fenster den Abendhimmel. Da fiel mir plötzlich ein, daß Karfreitag war. Der so seltsam ferne, gleichmütige Himmel machte mich traurig. Oder die vielen lachenden Menschen, die so beziehungslos zu dem Himmel waren.« Barbara Beuys sieht nicht, wie dieses innere Erlebnis für Sophie Scholl die entscheidende Wende markiert, wenn sie kommentiert: »Aber jetzt sind Gefühle fehl am Platz. Disziplin ist angesagt und Beschäftigung mit den heiligen Texten.« Indes: Disziplin und Lektüre allein beschäftigen den Geist nur, sie formen ihn nicht. So ist Sophie Scholl auf der Suche nach den Spuren des Göttlichen. Am 4. November 1941 schreibt sie in ihr Tagebuch: »Ich war Samstag nachmittag in der Kirche. (...) Es war ganz leer. Es ist eine kleine bunte Kapelle. Ich versuchte zu beten. Ich kniete hin und versuchte zu beten.«
Die folgenden Beuys-Sätze müssen in Gänze zitiert werden; denn sie schreibt: »Dafür wird der Schluss von >Tagebuch eines Landpfarrers< dem protestantischen Glaubensverständnis der Scholl-Geschwister sehr vertraut gewesen sein. Der schwerkranke Landpfarrer, der das Böse als eine mächtige und reale Kraft erlebte und mit Gebet und Demut bekämpfte, nimmt alle Kraft zusammen, um mit seinen letzten Worten die Summe seines Lebens und Sterbens zu ziehen: >Alles ist Gnade.< Martin Luther hätte es nicht besser sagen können.« Man hält beim Lesen inne und wünscht sich, Autorin Beuys würde mitunter ihre Quellen angeben! Vernehmlich gesagt: >Tout c'est la grace< - das ist Wort für Wort die Summe des Glaubens der katholischen Heiligen Thérèse de Lisieux (1873 - 1897). Georges Bernanos war mit ihrer Lebensgeschichte sehr vertraut; mehrfach hatte er ihre Autobiographie »Histoire d'une âme« gelesen. Mit dem Schlusssatz seines »Tagebuchs eines Landpfarrers« nahm er explizit Bezug auf diesen berühmten Satz seiner Lieblingsheiligen.
Für den historisch gebildeten Leser wäre es hilfreich, hätte Beuys auch ihre Quellen angegeben. Zwar wird im Anhang eine sehr umfangreiche Literaturliste angeführt, aber es ist offenkundig, dass sich die Autorin nur in Ausnahmefällen damit auch befasste. Es bleibt mein Fazit: Schade! Eine einzigartige Chance wurde leider vergeben...