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Fragen zur Entstehung und Bewältigung von Finanzkrisen
"Was ist der Unterschied zwischen Rußland und Brasilien? Drei Monate." Dieser Witz zirkulierte zum Höhepunkt der russischen Finanzkrise im Juli 1998 in den Finanzkreisen São Paulos. Daß der Zeitabstand zwischen dem Beginn der Rußland-Krise und der Brasilien-Krise letztlich bei mehr als sechs Monaten lag, nimmt ihm nicht seinen Kern Wahrheit. Viele Fragen, welche die Entstehung und Bewältigung von volkswirtschaftlichen Finanzkrisen betreffen, bleiben auch lange nach ihrer Häufung in den neunziger Jahren unbeantwortet. Hier setzt das Buch an.
Zum Beispiel läßt sich beobachten, daß Banken- und Währungskrisen in einem Land zeitlich oft eng beieinanderliegen (Indonesien 1997/98, Rußland 1998, Argentinien 2001). Doch darüber, wie der genaue kausale Zusammenhang verläuft, weiß man trotz umfangreicher Forschung wenig. Es scheint einerseits zwar unmittelbar einsehbar, daß ein kränkelndes Finanzgewerbe eine volkswirtschaftliche Schwäche ausdrückt und daß umgekehrt eine (drohende) Abwertung der Inlandswährung das makroökonomische Risiko im Finanzgewerbe erhöht. Andererseits führt nicht jeder kränkelnde Bankensektor oder jede Währungsabwertung in eine makroökonomische Krise. Die jeweilige Anfälligkeit eines Landes für eine solche Krise und damit das Länderrisiko wird von sehr vielen Faktoren bestimmt.
Ähnlich schwierig ist es, das Verhalten von Finanzmarktteilnehmern in Krisensituationen zu erklären. Häufig läßt sich zum Beispiel das Herdenverhalten institutioneller Anleger beobachten. Doch warum es zu diesem Verhalten kommt, ist aus theoretischer Sicht nicht eindeutig. Offenbar muß es Situationen geben, in denen es für Finanzprofis und geschulte Ökonomen rational ist, die Entscheidung nicht nur nach dem eigenen Informationsstand zu treffen, sondern auch im Hinblick auf das Verhalten der Konkurrenten.
Vor dem Hintergrund dieser und anderer offener Fragen ist der von Michael Frenkel, Alexander Karmann und Bert Scholtens herausgegebene Sammelband ein wichtiger Beitrag zum besseren Verständnis von Länderrisiken und Finanzkrisen. Die 14 Aufsätze des Bandes stammen zum Großteil aus der Feder von Professoren und Praktikern in internationalen Organisationen wie der Europäischen Zentralbank (EZB) oder dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Der erste Teil des Bandes ist dem Länderrisiko gewidmet und finanzierungstheoretisch orientiert. Der zweite Teil behandelt Finanzkrisen und ist makroökonomisch ausgerichtet. Die Themen umspannen ein weites Feld - von den Grundlagen der Analyse von Länderrisiken (Bert Scholtens) über die Rolle von Ratingagenturen (Amadou N. R. Sy) bis hin zu Finanzkrisen und der Ansteckungsgefahr zwischen Volkswirtschaften (Michael Frenkel und Ralf Fendel). Nach der Lektüre dieses lohnenden Sammelbandes ist auf jeden Fall klar, daß es mehr Unterschiede zwischen der Rußland- und der Brasilien-Krise gibt als nur drei Monate.
CHRISTIANE NICKEL.
Michael Frenkel/Alexander Karmann/Bert Scholtens (Herausgeber): Sovereign Risk and Financial Crises. Springer Verlag, Berlin 2005, 258 Seiten, 80,20 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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