Sozialpädagogische Diagnostik und Fallverstehen sind auf Prozesse der Erziehung und Bildung von Kindern bezogen - also darauf, welche Bilder von sich selbst und von der Welt sich Kinder aneignen konnten bzw. ihnen von Erwachsenen vermittelt wurden. Diese Selbst- und Weltbilder sind zentrale Anknüpfungspunkte für Angebote und Leistungen der "Hilfe zur Erziehung" für Eltern ebenso wie für eine Unterstützung und Förderung der Selbstbildung junger Menschen. Zu verstehen und zu durchblicken ist dabei oft auch problematisches, schwieriges und störendes Verhalten von Kindern und Jugendlichen. Sozialpädagogische Diagnostik und Fallverstehen haben hier vor allem den "Sinn im Unsinn" verständlich zu machen, also Fragen nach Funktionen und Eigen- Sinn problematischer Handlungen oder Handlungsorientierungen in der Entwicklung und in der Lebens- und Bildungsgeschichte eines Kindes zu beantworten. Die Widersprüche, Spannungen und Brüche in der Lebens- und Lerngeschichte eines Menschen zu verstehen, ist die wesentliche Aufgabe sozialpädagogischer Diagnosen in Ergänzung und ggf. auch im Widerspruch zu anderen diagnostischen Zugängen. Damit sozialpädagogische Diagnostik und Fallverstehen gelingen können, müssen die beteiligten Fachkräfte sich der eigenen Beteiligung und Verstrickung bewusst sein. Sie müssen ihre persönliche Sensibilität und Empfindlichkeit aufgrund eigener lebens- und berufsgeschichtlicher Prägungen kennen und bereit sein, diese als "diagnostisches Material" reflexiv einzubeziehen. Sozialpädagogische Diagnostik darf nicht allein den Blick auf "die Familie" richten, sondern sie muss sich orientieren am eigenständigen Recht der Kinder auf gute Entwicklung und förderliche Erziehung. Die Kinder müssen als eigenständige Persönlichkeiten mit eigenen Entwicklungen und Bedürfnissen, mit ihrer jeweils besonderen Lebenssituation in den Blick kommen, sie bedürfen einer eigenständigen Beachtung durch die Fachkräfte. Sozialpädagogische Diagnostik bedeutet, zwei unterschiedliche Perspektiven in eine Balance zu bringen: verstehender Zugang und Dialogbereitschaft auf der einen sowie distanzierendes Abwägen und eigenständige Bewertung auf der anderen Seite. Sozialpädagogische Diagnostik bedeutet, Arrangements für Perspektivenwechsel zu ermöglichen und zu fördern. Gegenstand der aus verschiedenen Perspektiven erfolgenden Erörterungen sind die Erkundung eigener "Lösungsideen" und die Suche nach Quellen für Energie und Willen (Ressourcen) von Kindern, Jugendlichen und Eltern. Sozialpädagogische Diagnostik erfordert eine Haltung, die geprägt ist vom Respekt gegenüber den Weltsichten und Deutungen, dem Eigensinn und den Anstrengungen der Eltern und Kinder. Sozialpädagogische Diagnostik benötigt ein spezifisch sozialpädagogisch geprägtes Wissen zur Bedeutung und zu Gefährdungen gesunder kindlicher Entwicklung, zum Stellenwert sozialer Bezüge etc. - kurz: ein umfassendes Wissen zu Entwicklung und Sozialisation von Kindern und Jugendlichen, um daraus die Grundlagen für Verstehen und Interpretieren schöpfen zu können. Sozialpädagogische Diagnostik hat zur Voraussetzung die Bereitschaft und Fähigkeit der Fachkräfte, in Hypothesen zu denken: Hypothesen zu formulieren, zu prüfen und ggf. zu verwerfen. Statt des Rückzugs auf einen Expertenstatus bedarf es der Bereitschaft, sich irritieren zu lassen. Sozialpädagogische Diagnose realisiert sich in einem prozesshaften Vorgehen, dessen zentrale Aufgaben sich bündeln lassen in: Fakten sammeln und ordnen, Perspektiven wechseln, Hypothesen prüfen.
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