Die Geschichte Roms für unsere Zeit: Wer hätte gedacht, dass Alte Geschichte so spannend und gegenwärtig sein kann? Unkonventionell, scharfsinnig und zugleich akademisch versiert - dies trifft nicht nur auf die hochrenommierte Althistorikerin und Cambridge-Professorin Mary Beard selbst zu, sondern auch auf ihre neue große Geschichte des Römischen Reichs und seiner Bewohner. Scharfsinnig und lebensnah erzählt Mary Beard die Geschichte eines Weltreichs, lässt uns Kriege, Exzesse, Intrigen miterleben, aber auch den römischen Alltag - vom Ärger in Mietshäusern bis zu Ciceros Scheidung. Sie lässt uns hinter die Legenden und Mythen blicken, hinterfragt sicher Geglaubtes und kommt zu überraschenden Einsichten. So erscheint Rom ganz nah - etwa in seinen Debatten über Integration und Migration - und doch auch faszinierend fern, wenn es beispielsweise um Sklaverei geht. Ein neuer Blick auf das alte Rom. In prächtiger Ausstattung, mit über hundert s/w Abbildungen und umfangreichem farbigem Bildteil.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2016Gute Kaiser sterben im Bett
Mit Evergreens der Geschichtsschreibung: Die Cambridger Althistorikerin Mary Beard führt in "SPQR" durch tausend Jahre römische Geschichte. Manches glänzt, anderes behandelt sie stiefmütterlich.
Mary Beard ist die berühmteste Althistorikerin der Welt. Sie lehrt Classics in Cambridge, schreibt eine Kolumne für die "Times" und legt sich gerne öffentlichkeitswirksam mit Männern an, die Witze über ihr verlottertes Aussehen machen. Für das britische Fernsehen produziert sie die erfolgreiche Doku-Serie "Meet the Romans", in der sie auf antiken Latrinen probesitzt oder pornographische Graffiti entziffert. Gleichzeitig gibt Beard das gewichtige "Times Literary Supplement" mit heraus und forscht als anerkannte Expertin zu verschiedenen Gebieten der antiken Kulturgeschichte.
Sie hat aufschlussreiche Bücher über die römische Religion, Pompeji, den römischen Triumph und, zuletzt, die Kunst des römischen Witzeerzählens geschrieben. So sehr, wie sie in der angelsächsischen Welt eine "intellectual celebrity" ist, so sehr ist sie auch eine weltweit anerkannte, archäologisch geschulte, in Cambridge leidenschaftlich schulenbildende Kennerin der antiken Welt. Jetzt hat Beard ihr Opus magnum vorgelegt: "SPQR. Die tausendjährige Geschichte Roms."
Das Buch kann vieles, aber eines kann es nicht - überraschen. Auf sechshundertfünfzig Seiten bietet Beard hier vor allem die Evergreens der römischen Geschichtsschreibung dar, sammelt emsig alles, was man an Fakten und Fiktionen über das alte Rom wissen sollte, aber tritt dafür leider nur höchst selten auf Seitenwege oder durch Hintertüren. Der zeitliche Bogen wird mit Hilfe eines tagespolitischen Mottos gespannt: Einbürgerung. Sowohl Romulus, der mythische Gründervater Roms, wie auch Caracalla, der thermenbauende Kaiser des zweiten Jahrhunderts nach Christus, haben nach Beards Einschätzung revolutionäre Einbürgerungsmaßnahmen veranlasst.
Wie Romulus im Jahr 753 vor Christus seine neue Stadt bevölkerte, indem er allen Fremden die Bürgerschaft anbot, so hätte Caracalla 212 nach Christus mit seinem "liberalen" Erlass, demzufolge alle freien Untertanen des römischen Reiches zu Bürgern wurden, eine radikale Zäsur gesetzt. Beard zeigt sich voll Bewunderung für diese Einbürgerungspraxis, lobt die "gesellschaftliche Vielfalt Roms" als vorbildliches Merkmal und fasst dabei moralisch, was für sich genommen vornehmlich politische Gründe hatte (Steuererhöhung durch Bevölkerungswachstum). Im Gegenzug drückt sie unverhohlen ihren Abscheu vor den "gerechten Kriegen" der Römer aus, denen angeblich "der Bürgerkrieg in den Genen steckte".
Was dann den weiteren ereignisgeschichtlichen Hergang angeht, der den Zäsuren-Bogen chronologisch füllt, so folgt Beard bei ihrer Schilderung offenkundig selbst jener Methode, die sie ihren antiken Kollegen, den römischen Historiographen, vorwirft: Nämlich aus dem heiteren historischen Wirrwarr eine stimmige, lineare Aufzählung zu machen und dabei alles Chaotische, alles verstörend Kontingente auszusparen. Vom mythischen Anfang, der "Stammesführerzeit" (die herkömmliche Bezeichnung "Königszeit" vermeidet Beard zu Recht, weil der Begriff "König" falsche Assoziationen weckt) und den ersten Anfängen politischer Verfahrensbildung ist man schon bald bei der späten Republik angelangt. Die langwierige Phase der sogenannten "Ständekämpfe", die sich vom fünften bis ins dritte vorchristliche Jahrhundert hinziehen, wird nur stiefmütterlich behandelt.
Dass Beard zwischen dem Kampf der Plebejer um Gleichberechtigung und dem Widerstand gegen die Apartheid in Südafrika "gespenstische" Parallelen sieht, wird dem nicht viel helfen, der eigentlich über die romspezifischen Vorgänge unterrichtet werden möchte. Und auch die These, dass Vergewaltigungen in Rom "als Katalysator politischer Umwälzungen" gedeutet werden könnten, verliert durch die kontextarme Verknappung an Überzeugungskraft. Insgesamt folgt das, was Beard über die Zeit der Republik schreibt, in groben Linien dem, was sie in ihrem erstmals 1985 zusammen mit Michael Crawford veröffentlichten Studienbuch zur "Late Republic" inspirierter und knapper gefasst hat.
In das Lob der römischen "Mischverfassung" - bestehend aus monarchischem (Konsuln), aristokratischem (Senat) und demokratischem (Volk) Element - will sie zwar nicht mehr ganz so enthusiastisch einstimmen, aber den Erfolg der römischen Expansion sieht sie nach wie vor im wechselseitigen Beziehungswillen der einzelnen "Verfassungspartner" begründet. Nicht nur auf Gehorsam, sondern vor allem auf komplizierter Kommunikation sei das Reich aufgebaut. Die im Verlauf der römischen Geschichte immer wieder formulierte Forderung nach Freiheit dürfe allerdings nicht als Schlachtruf für Gleichheit und Demokratie missverstanden werden, sondern nur als Verlangen nach Stabilität. Frei nach dem Leitspruch des Altrömers Kissinger: "Wenn ich die Wahl zwischen Gerechtigkeit und Ordnung habe, dann entscheide ich mich für Ordnung."
Wenn Beard bei der Darstellung der Republik misslingt, Spannung in die ereignisgeschichtliche Aufzählung zu bringen, dann schafft sie es bei der Kaiserzeit schon eher, ihrer Analyse Farbe und Stimmung zu geben. Jetzt wird das streng chronologische Raster endlich auch einmal durch soziologische Exkurse zum Alltagsleben, zu Bestattungsritualen, Krankheitsverläufen und Kneipenkultur unterbrochen, und Beard erlaubt sich sogar ein paar kleine Provokationen, wie etwa Pompeius als "ersten Kaiser" zu bezeichnen oder die gesamte kaiserzeitliche Biographistik damit zu relativieren, dass Eigenschaften und Charakter einzelner Kaiser für die meisten Einwohner des Reiches keine Rolle gespielt hätten.
Gerade dann aber, wenn Beard an Souveränität gewinnt, pointierte Faustregeln aufstellt ("Wenn Kaiser im Bett sterben, gelten sie als gute, wenn sie ermordet werden, als schlechte Herrscher") und von neuen Ausgrabungen berichtet (Unterwasserarchäologie scheint eine besondere Leidenschaft von ihr zu sein), neigt sich das Buch bedauerlicherweise seinem Ende zu. Was in diesem umfänglichen Werk an originellen Details steckt, etwa die Ausführungen zu römischen Essgewohnheiten (die Reichen aßen zu Hause, die Armen auswärts) oder zu den vielfältigen Risiken, von denen das Leben eines normalen Römers bedroht ist, muss man sich mühsam zusammensuchen. Immerhin: Durch das Buch der berühmten Forscherin wird man selbst zum Forscher. Wenn darin das "Unkonventionelle" liegt, von dem der Klappentext schwärmt, dann ist "SPQR" eine Lektüre wert.
SIMON STRAUSS
Mary Beard: "SPQR".
Die tausendjährige Geschichte Roms.
Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2016. 656 S., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit Evergreens der Geschichtsschreibung: Die Cambridger Althistorikerin Mary Beard führt in "SPQR" durch tausend Jahre römische Geschichte. Manches glänzt, anderes behandelt sie stiefmütterlich.
Mary Beard ist die berühmteste Althistorikerin der Welt. Sie lehrt Classics in Cambridge, schreibt eine Kolumne für die "Times" und legt sich gerne öffentlichkeitswirksam mit Männern an, die Witze über ihr verlottertes Aussehen machen. Für das britische Fernsehen produziert sie die erfolgreiche Doku-Serie "Meet the Romans", in der sie auf antiken Latrinen probesitzt oder pornographische Graffiti entziffert. Gleichzeitig gibt Beard das gewichtige "Times Literary Supplement" mit heraus und forscht als anerkannte Expertin zu verschiedenen Gebieten der antiken Kulturgeschichte.
Sie hat aufschlussreiche Bücher über die römische Religion, Pompeji, den römischen Triumph und, zuletzt, die Kunst des römischen Witzeerzählens geschrieben. So sehr, wie sie in der angelsächsischen Welt eine "intellectual celebrity" ist, so sehr ist sie auch eine weltweit anerkannte, archäologisch geschulte, in Cambridge leidenschaftlich schulenbildende Kennerin der antiken Welt. Jetzt hat Beard ihr Opus magnum vorgelegt: "SPQR. Die tausendjährige Geschichte Roms."
Das Buch kann vieles, aber eines kann es nicht - überraschen. Auf sechshundertfünfzig Seiten bietet Beard hier vor allem die Evergreens der römischen Geschichtsschreibung dar, sammelt emsig alles, was man an Fakten und Fiktionen über das alte Rom wissen sollte, aber tritt dafür leider nur höchst selten auf Seitenwege oder durch Hintertüren. Der zeitliche Bogen wird mit Hilfe eines tagespolitischen Mottos gespannt: Einbürgerung. Sowohl Romulus, der mythische Gründervater Roms, wie auch Caracalla, der thermenbauende Kaiser des zweiten Jahrhunderts nach Christus, haben nach Beards Einschätzung revolutionäre Einbürgerungsmaßnahmen veranlasst.
Wie Romulus im Jahr 753 vor Christus seine neue Stadt bevölkerte, indem er allen Fremden die Bürgerschaft anbot, so hätte Caracalla 212 nach Christus mit seinem "liberalen" Erlass, demzufolge alle freien Untertanen des römischen Reiches zu Bürgern wurden, eine radikale Zäsur gesetzt. Beard zeigt sich voll Bewunderung für diese Einbürgerungspraxis, lobt die "gesellschaftliche Vielfalt Roms" als vorbildliches Merkmal und fasst dabei moralisch, was für sich genommen vornehmlich politische Gründe hatte (Steuererhöhung durch Bevölkerungswachstum). Im Gegenzug drückt sie unverhohlen ihren Abscheu vor den "gerechten Kriegen" der Römer aus, denen angeblich "der Bürgerkrieg in den Genen steckte".
Was dann den weiteren ereignisgeschichtlichen Hergang angeht, der den Zäsuren-Bogen chronologisch füllt, so folgt Beard bei ihrer Schilderung offenkundig selbst jener Methode, die sie ihren antiken Kollegen, den römischen Historiographen, vorwirft: Nämlich aus dem heiteren historischen Wirrwarr eine stimmige, lineare Aufzählung zu machen und dabei alles Chaotische, alles verstörend Kontingente auszusparen. Vom mythischen Anfang, der "Stammesführerzeit" (die herkömmliche Bezeichnung "Königszeit" vermeidet Beard zu Recht, weil der Begriff "König" falsche Assoziationen weckt) und den ersten Anfängen politischer Verfahrensbildung ist man schon bald bei der späten Republik angelangt. Die langwierige Phase der sogenannten "Ständekämpfe", die sich vom fünften bis ins dritte vorchristliche Jahrhundert hinziehen, wird nur stiefmütterlich behandelt.
Dass Beard zwischen dem Kampf der Plebejer um Gleichberechtigung und dem Widerstand gegen die Apartheid in Südafrika "gespenstische" Parallelen sieht, wird dem nicht viel helfen, der eigentlich über die romspezifischen Vorgänge unterrichtet werden möchte. Und auch die These, dass Vergewaltigungen in Rom "als Katalysator politischer Umwälzungen" gedeutet werden könnten, verliert durch die kontextarme Verknappung an Überzeugungskraft. Insgesamt folgt das, was Beard über die Zeit der Republik schreibt, in groben Linien dem, was sie in ihrem erstmals 1985 zusammen mit Michael Crawford veröffentlichten Studienbuch zur "Late Republic" inspirierter und knapper gefasst hat.
In das Lob der römischen "Mischverfassung" - bestehend aus monarchischem (Konsuln), aristokratischem (Senat) und demokratischem (Volk) Element - will sie zwar nicht mehr ganz so enthusiastisch einstimmen, aber den Erfolg der römischen Expansion sieht sie nach wie vor im wechselseitigen Beziehungswillen der einzelnen "Verfassungspartner" begründet. Nicht nur auf Gehorsam, sondern vor allem auf komplizierter Kommunikation sei das Reich aufgebaut. Die im Verlauf der römischen Geschichte immer wieder formulierte Forderung nach Freiheit dürfe allerdings nicht als Schlachtruf für Gleichheit und Demokratie missverstanden werden, sondern nur als Verlangen nach Stabilität. Frei nach dem Leitspruch des Altrömers Kissinger: "Wenn ich die Wahl zwischen Gerechtigkeit und Ordnung habe, dann entscheide ich mich für Ordnung."
Wenn Beard bei der Darstellung der Republik misslingt, Spannung in die ereignisgeschichtliche Aufzählung zu bringen, dann schafft sie es bei der Kaiserzeit schon eher, ihrer Analyse Farbe und Stimmung zu geben. Jetzt wird das streng chronologische Raster endlich auch einmal durch soziologische Exkurse zum Alltagsleben, zu Bestattungsritualen, Krankheitsverläufen und Kneipenkultur unterbrochen, und Beard erlaubt sich sogar ein paar kleine Provokationen, wie etwa Pompeius als "ersten Kaiser" zu bezeichnen oder die gesamte kaiserzeitliche Biographistik damit zu relativieren, dass Eigenschaften und Charakter einzelner Kaiser für die meisten Einwohner des Reiches keine Rolle gespielt hätten.
Gerade dann aber, wenn Beard an Souveränität gewinnt, pointierte Faustregeln aufstellt ("Wenn Kaiser im Bett sterben, gelten sie als gute, wenn sie ermordet werden, als schlechte Herrscher") und von neuen Ausgrabungen berichtet (Unterwasserarchäologie scheint eine besondere Leidenschaft von ihr zu sein), neigt sich das Buch bedauerlicherweise seinem Ende zu. Was in diesem umfänglichen Werk an originellen Details steckt, etwa die Ausführungen zu römischen Essgewohnheiten (die Reichen aßen zu Hause, die Armen auswärts) oder zu den vielfältigen Risiken, von denen das Leben eines normalen Römers bedroht ist, muss man sich mühsam zusammensuchen. Immerhin: Durch das Buch der berühmten Forscherin wird man selbst zum Forscher. Wenn darin das "Unkonventionelle" liegt, von dem der Klappentext schwärmt, dann ist "SPQR" eine Lektüre wert.
SIMON STRAUSS
Mary Beard: "SPQR".
Die tausendjährige Geschichte Roms.
Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2016. 656 S., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Selbst wer schon mehr als eine römische Geschichte kennt, sollte diese hier unbedingt lesen Peter Körte Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 20151129