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Jürgen Trabant hält ein Plädoyer für die Vielfalt der Sprachen und sieht das Deutsche bedroht
Die Zerstörung des Turms von Babel ist keine Strafe, sondern ein Geschenk. Das ist der Leitgedanke, der das Buch des Sprachwissenschaftlers Jürgen Trabant durchzieht. Es ist ein Plädoyer für die Vielfalt der Sprachen und ihren Reichtum. Der ist für Trabant nicht nur kultureller, sondern auch kognitiver Natur, denn: Sprachen sind für ihn Verkörperungen des Denkens. In je eigener Weise beeinflussten die Wortschätze und Grammatiken der verschiedenen Sprachen den Blick ihrer Sprecher auf die Realität. Die Vielfalt der Sprachen ist also auch eine Vielfalt von "Weltansichten" und deshalb so erhaltenswert wie die Diversität der Biosphäre.
Die Theorie der sprachlichen Relativität, die hinter dieser Auffassung steht, hat eine lange Tradition. Ihr prominentester Vertreter ist Wilhelm von Humboldt, dessen Werk einen Fixstern für Trabants eigene Arbeiten bildet. Einem extremen Sprachdeterminismus, wie er in der berühmten Hypothese des Linguisten Benjamin Whorf zum Ausdruck kommt, redet Trabant allerdings nicht das Wort: Sprachen färben die Wahrnehmung und das Denken, aber sie sind keine mentalen Pressformen. Schließlich gibt es Übersetzungen, auch wenn sie oft kein vollkommenes Äquivalent liefern, eben weil Ausgangs- und die Zielsprache nie völlig deckungsgleich sind.
Der momentane Forschungsstand gibt Trabant im Großen und Ganzen recht: Psycholinguistische Untersuchungen zeigen, dass es sprachspezifische Einflüsse auf die Kognition zumindest punktuell gibt. Allerdings sind viele Fragen noch ungeklärt, denn die methodischen Herausforderungen, die die Erkundung der subtilen Wechselwirkungen zwischen Sprache, Wahrnehmung und Denken mit sich bringt, sind beträchtlich. Leider geht Trabant auf die Forschungslage nur oberflächlich ein, so dass der Leser über die empirische Basis des Komplexes Sprache und Denken nicht viel erfährt.
Der Autor konzentriert sich stattdessen auf den geistesgeschichtlichen und politischen Kontext des Themas. Zur Zielscheibe seiner Kritik macht er die Sprachauffassung der abendländischen Philosophie seit ihren griechischen Anfängen. Die Philosophen, so Trabant, ignorieren, wie eng Sprache und Kognition verwoben sind. Stattdessen trennen sie beides und degradieren die Sprachen zu bloßen Reservoirs von Zeichen, deren einziger Zweck darin besteht, vermeintlich sprachunabhängige Inhalte zu etikettieren, um sich darüber austauschen zu können. Derart auf ihre kommunikative Funktion reduziert, erscheint die Vielfalt der Sprachen nur als eine ärgerliche Verständigungsbarriere.
Wenn Trabant das "Zeichen" als bloßes Etikett dem emphatisch verstandenen "Wort" gegenüberstellt, um die beiden Sprachauffassungen zu kontrastieren, kreiert er allerdings einen begrifflichen Popanz. Die diversen Zeichentheorien, die seit dem Mittelalter entwickelt wurden, reflektieren das Verhältnis zwischen Sprache, Denken und außersprachlicher Wirklichkeit auf durchaus differenzierte Weise. Doch Trabants polemische Simplifizierung entwertet nicht seine grundsätzliche Kritik. Tatsächlich hat das Desinteresse der griechischen Philosophen an der Verschiedenartigkeit der Sprachen - geboren aus der Selbstbezogenheit auf das eigene Idiom - weite Teile der Philosophie geprägt. Das gilt ironischerweise auch für die moderne analytische Philosophie, die sich selbst als "Sprachphilosophie" versteht. Ihr Ausgangspunkt ist aber nicht der Ausdrucksreichtum realer Sprachen, sondern eine als sprachunabhängig gedachte Logik, die als Folie dient, um vermeintliche Defizite der Alltagssprache sichtbar zu machen.
Eine Folge der Reduktion von Sprache auf ihre kommunikative Funktion im allgemeinen Bewusstsein ist die Willkommenskultur gegenüber dem globalen Siegeszug des Englischen, das - so Trabants Befürchtung - die anderen Hoch- und Schriftsprachen zu Idiomen herabdrücken wird, die nur noch der Kommunikation im persönlichen Umgang dienen werden. Für besonders gefährdet hält er in dieser Hinsicht das Deutsche, dessen Abdankung als Wissenschaftssprache - zumindest in den Naturwissenschaften - tatsächlich längst im Gang ist. Aber auch die Existenz des Deutschen als Standard- und Kultursprache sieht Trabant bedroht durch eine "anglophone Aristokratie", die ihren Nachwuchs in englischsprachige Kindergärten, Schulen und Universitäten schickt und so allmählich aus der deutschen Sprachnation abdriftet.
Zwar hat Trabant recht, wenn er mit dem vergleichenden Blick auf Frankreich feststellt, dass die Loyalität der deutschen Eliten gegenüber ihrer Muttersprache besonders gering, ihre Beflissenheit gegenüber dem "globalesischen" Englisch dafür umso größer ist. Aber wenn er die deutsche "Sprachscham" angesichts der nationalsozialistischen "Sprachvergiftung" zur Hauptursache dieses Trends erklärt, dann greift er zu kurz. Das verdruckste Verhältnis der Deutschen zur eigenen Sprache beschrieb schon Harry Graf Kessler Ende des neunzehnten Jahrhunderts am Beispiel junger Deutschamerikaner, die absichtlich gebrochenes Deutsch mit englischem Akzent sprachen. Und bereits in der mittelhochdeutschen Literatur wird der Wunsch von Möchtegern-Weltmännern, mit französischen, lateinischen oder flämischen Brocken zu imponieren, parodiert.
Einen großen Teil des Buches widmet Trabant dem Glauben an die Macht der Sprache über das Denken und dem damit verbundenen Drang, durch die Regulierung der Sprache "falsches" Denken zu bekämpfen. Zur ideologischen Dominanz eines rein kommunikativen Sprachbegriffs im europäischen Denken, die er an anderer Stelle behauptet, passt das zwar nicht recht. Aber an der Existenz und sprachpolitischen Kontinuität dieser totalitären Variante des Sprachrelativismus, dem Orwells "1984" literarischen Ausdruck verliehen hat, besteht kein Zweifel. Trabant zieht eine überzeugende Linie von den englischen Aufklärern, die die Volkssprache reinigen wollten, über den terroristischen Kampf der französischen Jakobiner gegen die Sprache des "Aberglaubens" bis zu den Gender-Aktivisten und politisch korrekten Sprachpolizisten unserer Tage.
Trabants Buch, geschrieben in essayistischem Stil, basiert zu großen Teilen auf Zeitungsartikeln, verstreuten Buchkapiteln und Reden, die für die Veröffentlichung dieses Buches überarbeitet und zusammengefügt wurden. Das ist nicht durchgängig gelungen: Es gibt Wiederholungen, hier und da fehlen sachliche und argumentative Verklammerungen. Doch die Erkenntnisse und Urteile, die das Buch vermittelt, gefärbt durch persönliche Erfahrungen des Autors, machen es gleichwohl zu einer lohnenden Lektüre. Der "apokalyptischen Melancholie", die der Autor sich selbst attestiert, muss man sich als Leser ja nicht überlassen.
WOLFGANG KRISCHKE
Jürgen Trabant:
"Sprachdämmerung".
Eine Verteidigung.
C. H. Beck Verlag,
München 2020. 240 S., geb., 29,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Wolfgang Krischke
"Man liest 'Die Wiedererfindung der Nation' unbedingt mit Gewinn."
Deutschlandfunk Kultur, Jens Balzer
"Die Studien Trabants sind auf vielfache Weise anregend."
Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte, Holger Böning
"Ein schönes, ein trauriges Buch, das gleichwohl Mut macht (...) gut und witzig geschrieben."
Sprachnachrichten, Roland Duhamel
"Jürgen Trabant hält in seinen sprachpolitischen Einreden das Bewusstsein für die Leistungen der mehr- und Vielsprachigkeit fest"
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Jürgen Kaube