Den Rahmen für diese Arbeit bildet die noch junge Disziplin der Historischen Soziolinguistik. Das zentrale Thema ist das stets postulierte, aber selten belegte Wechselwirkungsverhältnis von sozialer Lebenswelt und Sprachlichkeit der Arbeiter im 19. Jahrhundert. Wie sich dieses Verhältnis gestaltet, welche textexternen und -internen Faktoren auf den Sprachgebrauch in welcher Form Einfluß nehmen, wird in einer pragmatisch textlinguistischen Analyse an ca. 100 Briefen preußischer Bergarbeiter erläutert. Die Grundlage für die Analyse sowie die Erklärung der in den Briefen vorgefundenen Textstruktur bildet die genaue Rekonstruktion des historischen Sprachhandlungskontextes: Sie umfaßt auf der Makroebene die kommunikativ relevanten Lebens- und Sozialisationsbedingungen der Bergarbeiter in Familie, Schule und am Arbeitsplatz, auf der Mikroebene die damals gültigen Regeln und Normen der brieflichen Kommunikation, wie sie z.B. in Briefstellern fixiert sind.
Die Korrelation beider Ebenen in einem integrativen Ansatz zeigt, daß durchaus Interdependenzen zwischen Text und Kontext bestehen, aber sie verlaufen nicht geradlinig in einem simplen Eins-zu-Eins-Verhältnis von sozialen Faktoren und Sprache. Als wesentliche Vermittler zwischen den Ebenen haben sich vielschichtige soziale und in der Folge auch kommunikative Wertorientierungen erwiesen - bei den Bergarbeitern vor allem eine Orientierung an ständischen, später bürgerlichen Werten, die ihre Sprachlichkeit stark beeinflußt haben. Der exemplarische Einblick in die Zusammenhänge macht deutlich, wie sensibel sich das Verhältnis von Sprachstruktur und äußeren Bedingungen gestaltet, so daß von der Arbeiterschaft und folglich einer Arbeitersprache schlechthin nicht die Rede sein kann.
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