Das mitreißende Porträt einer Frau, die aus ihrer Einsamkeit gerissen und mit ihrem früheren Leben als politische Aktivistin konfrontiert wird. Ein Buch, das heute spielt, eine fremde und doch so nahe Vergangenheit heraufbeschwört und zeigt, dass Flucht nicht immer der Ausweg ist. Eine Frau über sechzig. Sie lebt zurückgezogen in einem Haus am Tiber, am Stadtrand von Rom. Eines Tages bekommt sie neue Nachbarn. Eine Familie mit zwei Kindern zieht in die Wohnung gegenüber: Die Eltern gehören zur Generation Prekariat, der Vater ist Musiker, die Mutter jobbt. Sie haben eine dreijährige Tochter und einen jugendlichen Sohn, Anhänger von Fridays for Future. Sie brauchen eine Nanny und wenden sich an die Nachbarin. Und auch wenn die ältere Dame anfangs reserviert wirkt und wenig von sich preisgibt, wird das Verhältnis nach und nach enger. Bis sie den Großvater der Kinder kennenlernt, Pietro, einen attraktiven Mann. Er erinnert sich an sie. An die blutigen Jahre des Aufruhrs, damals in den Siebzigerjahren, als ihr Foto in allen Zeitungen war. In ihrer Jugend war die italienische Feministin Lidia Ravera die Stimme der Frauen ihrer Generation, sie schrieb in den 70er Jahren das fiktive Tagebuch «Schweine mit Flügeln», das sich weltweit über 3 Millionen mal verkaufte. Heute ist sie es wieder.
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Die Hauptfigur im Roman von Lidia Raveras Roman ist Täter und Opfer zugleich, erklärt Rezensentin Sieglinde Geisel. In ihrem ersten Lebensdrittel war Giovanna Terroristin einer linksextremistischen Gruppe und an mehreren Morden beteiligt - jetzt ist sie eine alte Frau und versucht ihr Leben mit der Hilfe eines Tagebuchs aufzuarbeiten, verliert aber immer wieder den Faden, resümiert Geisel. Erst als sie zur Babysitterin eines kleinen Mädchen wird, erlebt Giovanna wieder glückliche Tage, was sich schnell wieder ändert, als ihre Identität aufliegt und sie die Flucht ergreifen muss, lesen wir. Das Ende des Romans ist leider nicht ganz gelungen, bedauert die Rezensentin: ganz plötzlich geht es um Giovannas Sohn, den sie weggeben hat, erläutert wird das aber nicht. Das ändert allerdings nichts an den großartigen Gedanken und der interessanten Schilderung des inneren Konflikts der Protagonistin, schließt Geisel versöhnlich.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Giovannas Sprache ist messerscharf und poetisch zugleich. Und sie verfügt über eine ungewöhliche Beobachtungsgabe... Wir lesen eine mitreißende Rollenprosa, wunderbar übersetzt von Annette Kopetzki. Der Roman hat einen enormen Drive, zugleich trifft man ímmer wieder auf Sätze, über die man lange nachdenkt... Was einem haften bleibt, ist die funkelnde Intelligenz einer Stimme, die sich bei aller Sprachmacht vor sich selbst fürchtet. Sieglinde ; Maike Geisel ; Albath Deutschlandfunk "Büchermarkt" 20230804