»Kurzum, es ging um eine Leidenschaft von monumentalen Ausmaßen.« Cooler Realismus und Fantastik verbinden sich in der Geschichte von Sumire und Miu. Die eine ist eine junge weltfremde und romantische Möchtegernautorin, die andere eine siebzehn Jahre ältere erfolgreiche Geschäfsfrau. Unempfänglich ist Miu für das Begehren der jungen Frau, von der sie »süßer Sputnik« genannt wird. Auf einer Reise durch Frankreich und Italien bis auf eine kleine griechische Insel verschwindet Sumire plötzlich – alle Spuren ihres Schicksals verlieren sich. Ein junger Lehrer, der die betörende Sumire liebt, findet Aufzeichnungen bizarrer Vorfälle und Geschichten in Geschichten, die auch ein Geheimnis von Miu aufdecken. Mit Haruki Murakamis neuem Roman ›Sputnik Sweetheart‹ geraten wir an die Ränder der Wirklichkeit, aber auch wenn die Menschen auf getrennten Umlaufbahnen einsam wie ein Sputnik ihre Bahnen ziehen, gibt es noch eine andere Seite des Lebens: »Wir brauchen nur zu träumen.«
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.12.2002Gondel-Geist
Haruki Murakamis Roman
„Sputnik Sweetheart”
Das Schlechte an Haruki Murakamis Roman ist, dass dem Leser ab und zu erklärt wird, was Sache ist. Oder sollte dies das Gute daran sein? Den Kern der Sache fasst der Ich-Erzähler jedenfalls folgendermaßen zusammen: „Da saß ich nun auf einer winzigen griechischen Insel mit einer schönen älteren Frau. ... Diese Frau liebte Sumire, war jedoch außerstande, sie sexuell zu begehren. Sumire liebte und begehrte diese Frau. Ich wiederum liebte und begehrte Sumire. Sumire dagegen hatte mich zwar sehr gern, war aber weder in mich verliebt, noch begehrte sie mich. Ich meinerseits begehrte eine verheiratete Frau, die ich jedoch nicht liebte. Die Lage war höchst verzwickt.”
Das ist sie in der Tat, und viel ist dem Lagebericht nicht hinzuzufügen. Murakamis geschickt konstruierter Roman ist in mancher Hinsicht eine Dreiecksgeschichte, wenn auch eine, deren Protagonisten einander umkreisen, ohne sich wirklich zu berühren. Hier der mit seinem Dasein hadernde Lehrer, der sich Affären hingibt, ohne seine Leidenschaft für Sumire vergessen zu können. Da Miu, die Unternehmerin, deren Ehe nur noch Fassade und die zu keiner neuen Beziehung mehr fähig ist. Dort die Studentin Sumire, die, wie der Ich-Erzähler vermutet, keinen Sex hat, weil „eine Leidenschaft für den Schriftstellerberuf” den größten Raum ihres Gefühlslebens einnimmt. Traum und Realität, Sehnsucht und Frustration, Schein und Sein – das sind die Widersprüche, von deren Reibung dieser Roman lebt.
Sie ist nur noch leere Hülle
Aber auch Kunst und Liebe beißen sich in diesem Buch, das Ursula Gräfe in ein schönes Deutsch übertragen hat. Miu, einst eine hoffnungsvolle Pianistin, rührt nach einem furchtbaren Erlebnis keine Klaviertaste mehr an: In einer der obersten Gondeln eines stillstehenden Riesenrads gefangen, sieht sie sich eines Abends selbst beim Sex mit einem stark behaarten und potenten Spanier namens Fernando zu. Lust und Abscheu vermengen sich, und ähnlich wie in Malcolm Lowrys „Unter dem Vulkan”, in dem der Konsul Geoffrey Firmin kopfüber in der Gondel hängt, wird auch Murakamis Riesenrad zur Metapher für das Leben, nur, dass es in diesem Fall stockt, eine Persönlichkeit kurzzeitig spaltet und ihr für den Rest des Lebens das Vergnügen an der Sinnlichkeit raubt.
Sumire wiederum, die, nachdem sie sich in Miu verliebt hat, plötzlich nichts mehr zu schreiben vermag, kommt am Ende zur ernüchternden Erkenntnis, dass die Wirklichkeit, im Gegensatz zur Welt der Träume, ziemlich hart sein kann: „Die Realität schmerzt.”
Der Weg zu dieser Erkenntnis wird erst beschritten, nachdem sie begriffen hat, dass ihr Traum von einer Beziehung mit Miu unerfüllbar ist. Denn Miu, Sumires „Sputnik Sweetheart” (oder „süßer Sputnik”), ist sozusagen die Hüterin des Grals der Liebesunfähigkeit. Sie ist nur noch eine „leere Hülle”, wie Murakami den Ich-Erzähler dozieren lässt, mit ihrem beim Gondelerlebnis weiß gewordenen Haar wirkt sie wie ein Geist. So bedeutsam ist das, dass sich einem Sätze wie „Einsam kreisen Sputniks durchs All” aufdrängen, zumal fast alle Protagonisten ihr gleichsam ausgewaidetes Inneres unter einer hochkultivierten Hülle zu verbergen versuchen.
Da spürt man Haruki Murakamis Bemühen, existentielle Fragen anzugehen, wünscht sich aber zugleich, er hätte sie weniger offenherzig formuliert. Die schönsten Passagen dieses Romans – und im übrigen auch die amüsantesten – sind jene, in denen Sumire den ich-erzählenden Lehrer zu nächtlicher Stunde aus einer nahen Telefonzelle anruft und mit Fragen bombardiert. „Warum haben Tintenfische denn zehn anstatt acht Beine?”, fragt sie einmal. Gäbe es in diesem Roman mehr Fragen wie diese, dann wäre er noch besser, als er ist.
HENNING AHRENS
HARUKI MURAKAMI: Sputnik Sweetheart. Roman. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. DuMont Verlag, Köln 2002. 234 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Haruki Murakamis Roman
„Sputnik Sweetheart”
Das Schlechte an Haruki Murakamis Roman ist, dass dem Leser ab und zu erklärt wird, was Sache ist. Oder sollte dies das Gute daran sein? Den Kern der Sache fasst der Ich-Erzähler jedenfalls folgendermaßen zusammen: „Da saß ich nun auf einer winzigen griechischen Insel mit einer schönen älteren Frau. ... Diese Frau liebte Sumire, war jedoch außerstande, sie sexuell zu begehren. Sumire liebte und begehrte diese Frau. Ich wiederum liebte und begehrte Sumire. Sumire dagegen hatte mich zwar sehr gern, war aber weder in mich verliebt, noch begehrte sie mich. Ich meinerseits begehrte eine verheiratete Frau, die ich jedoch nicht liebte. Die Lage war höchst verzwickt.”
Das ist sie in der Tat, und viel ist dem Lagebericht nicht hinzuzufügen. Murakamis geschickt konstruierter Roman ist in mancher Hinsicht eine Dreiecksgeschichte, wenn auch eine, deren Protagonisten einander umkreisen, ohne sich wirklich zu berühren. Hier der mit seinem Dasein hadernde Lehrer, der sich Affären hingibt, ohne seine Leidenschaft für Sumire vergessen zu können. Da Miu, die Unternehmerin, deren Ehe nur noch Fassade und die zu keiner neuen Beziehung mehr fähig ist. Dort die Studentin Sumire, die, wie der Ich-Erzähler vermutet, keinen Sex hat, weil „eine Leidenschaft für den Schriftstellerberuf” den größten Raum ihres Gefühlslebens einnimmt. Traum und Realität, Sehnsucht und Frustration, Schein und Sein – das sind die Widersprüche, von deren Reibung dieser Roman lebt.
Sie ist nur noch leere Hülle
Aber auch Kunst und Liebe beißen sich in diesem Buch, das Ursula Gräfe in ein schönes Deutsch übertragen hat. Miu, einst eine hoffnungsvolle Pianistin, rührt nach einem furchtbaren Erlebnis keine Klaviertaste mehr an: In einer der obersten Gondeln eines stillstehenden Riesenrads gefangen, sieht sie sich eines Abends selbst beim Sex mit einem stark behaarten und potenten Spanier namens Fernando zu. Lust und Abscheu vermengen sich, und ähnlich wie in Malcolm Lowrys „Unter dem Vulkan”, in dem der Konsul Geoffrey Firmin kopfüber in der Gondel hängt, wird auch Murakamis Riesenrad zur Metapher für das Leben, nur, dass es in diesem Fall stockt, eine Persönlichkeit kurzzeitig spaltet und ihr für den Rest des Lebens das Vergnügen an der Sinnlichkeit raubt.
Sumire wiederum, die, nachdem sie sich in Miu verliebt hat, plötzlich nichts mehr zu schreiben vermag, kommt am Ende zur ernüchternden Erkenntnis, dass die Wirklichkeit, im Gegensatz zur Welt der Träume, ziemlich hart sein kann: „Die Realität schmerzt.”
Der Weg zu dieser Erkenntnis wird erst beschritten, nachdem sie begriffen hat, dass ihr Traum von einer Beziehung mit Miu unerfüllbar ist. Denn Miu, Sumires „Sputnik Sweetheart” (oder „süßer Sputnik”), ist sozusagen die Hüterin des Grals der Liebesunfähigkeit. Sie ist nur noch eine „leere Hülle”, wie Murakami den Ich-Erzähler dozieren lässt, mit ihrem beim Gondelerlebnis weiß gewordenen Haar wirkt sie wie ein Geist. So bedeutsam ist das, dass sich einem Sätze wie „Einsam kreisen Sputniks durchs All” aufdrängen, zumal fast alle Protagonisten ihr gleichsam ausgewaidetes Inneres unter einer hochkultivierten Hülle zu verbergen versuchen.
Da spürt man Haruki Murakamis Bemühen, existentielle Fragen anzugehen, wünscht sich aber zugleich, er hätte sie weniger offenherzig formuliert. Die schönsten Passagen dieses Romans – und im übrigen auch die amüsantesten – sind jene, in denen Sumire den ich-erzählenden Lehrer zu nächtlicher Stunde aus einer nahen Telefonzelle anruft und mit Fragen bombardiert. „Warum haben Tintenfische denn zehn anstatt acht Beine?”, fragt sie einmal. Gäbe es in diesem Roman mehr Fragen wie diese, dann wäre er noch besser, als er ist.
HENNING AHRENS
HARUKI MURAKAMI: Sputnik Sweetheart. Roman. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. DuMont Verlag, Köln 2002. 234 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.2002Kleidchen, Schleifchen, Schühchen
Scharfe Frauchen sind nicht scharf, scharfe Frauchen machen scharf: Haruki Murakami bringt in seinem Roman "Sputnik Sweetheart" Männchenblicke auf die Umlaufbahn
Drei Figuren, drei Liebende, drei Gesichter. Eine erfolglose Schriftstellerin liebt eine erfolgreiche Geschäftsfrau und wird dabei erfolglos von einem Lehrer geliebt. In dieses magische Dreieck spannt Haruki Murakami seinen Roman "Sputnik Sweetheart". Der japanische Erfolgsautor begibt sich darin unverzüglich auf jenes Terrain, das ihm in Japan gigantische Verkaufszahlen beschert hat und mit dem er bei uns in "Gefährliche Geliebte" für Aufregung sorgte: das Feld der erschriebenen, beschriebenen Erotik. Wieder sind es die Anziehungskräfte zwischen den Geschlechtern, die die Phantasie des Autors beflügeln und den Leser je nach Temperament begeistern - oder abstürzen lassen.
Der laszive Diskurs, um es einmal nobel auszudrücken, ist in diesem Roman allgegenwärtig. Der Leser muß sich den aufgeladenen Gesten und Gebärden, den Blicken und Sentenzen von der ersten Seite an stellen und sich zu einer Haltung durchringen: Soll man diesen süßen Zierat nun kurz und bündig als trivial und also als zwiespältiges Ergebnis eines überhitzten Gemüts abtun? Oder soll man die erotischen Requisiten als legitime Objekte im stilistischen Schriftstellerfundus akzeptieren? Am besten tut man beides und quittiert die Strategie mit einem spöttischen Seitenhieb: Warum denn so verschwenderisch, wenn es darum geht, den gefräßigen Männerblick zu bedienen? Wo immer möglich, malt sich Haruki Murakami nämlich die Kleidchen, Schleifchen und Schühchen seiner Protagonistinnen genüßlich aus. Auch sonst ist ihm voyeuristisches Kalkül nicht fremd: Vorzugsweise schwimmen Frauen nackt im Meer oder liegen ebenso an Stränden und auf Betten. Wie eigenartig also, daß es eher prüde zugeht, sobald die männliche Hauptfigur an der Reihe ist. Da wirkt die Phantasie des Autors plötzlich wie verdorrt. Ein Männerbuch, zweifellos, auch was den Grundriß angeht: eine Männerphantasie mit erschöpfender Tradition. Zwei Frauen, die sich lieben, und ein Mann, der sie beobachtet. So viel und nichts weiter zu den "Stellen".
Damit genug der Einwände. Denn dies ist auch ein Frauenbuch. Man würde lügen, wenn man behauptete, nicht gern eine nächtliche Lese-Séance einzulegen, nur um es in einem Zug lesen zu können. Seine Qualität liegt allerdings keinesfalls auf ästhetischem Gebiet. Murakamis Erzählkonzept ist schlicht, seine formalen Mittel sind eher begrenzt. Aber er kann erzählen wie kaum ein anderer. Dabei scheut er sich nicht, die Grenzen zwischen dem Realen und dem Phantastischen zu überschreiten.
Sumire, eine zweiundzwanzigjährige Möchtegern-Autorin, verliebt sich in eine um siebzehn Jahre ältere, verheiratete Geschäftsfrau. Es ist ein Lodern, Knistern und Ziehen zwischen den beiden von Anfang an. Die Schriftstellerin nennt die ehemalige Pianistin heimlich ihren "süßen Sputnik" und sieht dabei vor dem inneren Auge das Bild eines künstlichen Satelliten, der lautlos seine Bahnen im Weltall zieht. Während das Mädchen, Zynikerin und Romantikerin zugleich, den Boden unter den Füßen verliert, steuert die Erfahrene Miu kühl die Geschehnisse. Sie bittet Sumire, als Sekretärin in ihre Dienste einzutreten. Sie spüre, daß diese im Augenblick noch nichts Bedeutendes schreiben könne; sie werde eines Tages etwas Wunderbares schaffen, aber sie habe "noch nicht die Kraft, die Türe ganz aufzustoßen". Ihrerseits überrascht Miu Sumire mit einem rätselhaften Geständnis: Sie sei kein vollständiger Mensch. Was sie sehe, sei nicht ihr wahres Selbst. Und: sie habe vor Jahren die Pianistenkarriere abgebrochen, der sie alles geopfert hatte, einschließlich der Entwicklung ihrer Persönlichkeit. Selbst technisch unterlegene Rivalen hätten ihr Publikum stärker in Bann zu schlagen vermocht als sie.
Schon nach kurzer Zeit brechen beide zu einer Europa-Reise auf, die abrupt auf einer griechischen Insel endet. Sumire ist über Nacht verschwunden. Miu wendet sich in ihrer Not an den Dritten im Bunde, einen jungen Lehrer. Sie bittet den Vertrauten und geschwisterlichen Freund von Sumire um Hilfe. Dieser begehrt zwar noch immer die exzentrische Freundin, fügt sich aber in die ihm zugewiesene Rolle. Er reist den beiden Frauen nach Griechenland hinterher. Vergeblich. Sumire taucht nicht wieder auf. Aber er findet Aufzeichnungen, die ihm Erklärungen liefern.
Eine banale Liebeskonstellation, möchte es scheinen. Die Raffinesse des japanischen Autors jedoch liegt im heimlichen Thema, das er dem Roman unterlegt hat. Nur vordergründig geht es um die Genese eines amourösen Wahnzustandes. Viel wichtiger sind die Bewegungen im Untergrund: Alle drei in diesem Spiel sind fragmentierte Persönlichkeiten. Aus unterschiedlichen Gründen haben vor allem die beiden Frauen ihre Sexualität abgespalten, geopfert oder nie wirklich entdeckt. Nun fahren sie wie drei Gestirne im Weltall aufeinander zu. Jeder von ihnen möchte vollständig werden; jeder gerät beim Zusammenprall in eine existentielle Krise, welche das verborgene Defizit grell aufdeckt. Bei den beiden Frauen kommt ein weiteres hinzu. Beide ahnen, daß sie auf künstlerischem Gebiet nur dann ihre eigenen Grenzen überschreiten können, wenn sie die libidinösen Quellen anzapfen. Die Konturen des Dritten, des Mannes, bleiben schattenhaft und werden vom Autor nicht recht erforscht; es ist, als hätte er die Figur zwar als notwendiges Übel im Gesamtkonstrukt akzeptiert, aber kein wahres Interesse für ihr Innenleben aufgebracht.
Die Falle schnappt zu, als die Beute erlegt ist. In einer Verführungsszene, die man sich denn doch etwas entschlackter von trivialen Einsprengeln wünschen würde, offenbart sich eines: Die Liebe ist zwar eine Himmelsmacht, nichtsdestotrotz eine Illusion; die erotische Verzückung ist eine Chimäre, das geliebte Objekt eine traurige Spiegelung der eigenen Wünsche und Defizite. Sumire begreift, daß Miu und sie zwar gute Reisegefährtinnen sind. Aber sie bleiben einsame Klumpen auf getrennten Umlaufbahnen. Vielleicht kreuzen sich ihre Wege, vielleicht verglühen sie aber auch.
Haruki Murakami schlägt Volte um Volte. Er treibt die Geschichte zur Eskalation und spannt zugleich den Leser auf die Folter. Immer wieder zieht er neue Karten aus dem Ärmel, baut unerwartete Klippen ein, verzögert das Tempo und beschleunigt es von neuem. Der Leser, gebannt vom Wechselbad der Gefühle, gezähmt durch immer neue Eskapaden, liest immer weiter. Erst am Ende eröffnen sich alle Zusammenhänge. In Einschüben bringt der Autor die schockhaften Erlebnisse zur Sprache, die das Leben der beiden Frauen zerstörten. Die tote Mutter Sumires. Die Vergewaltigung Mius. Der Verlust des Ichs unter dem Eindruck des verstörenden Erlebnisses. Die bürgerlichen Anpassungbemühungen der Frauen und damit die Verkrümmung der Charaktere. Aber er redet auch vom wilden Aufzucken des verschütteten Ichs und der zähen Kraft, welche Sumire und Miu am Ende doch zum Ausbruch aus dem zementierten Leben treibt.
Darin - in der Schilderung von Überschwang, Zerstörung, Kampf und Entkommen - liegen die Qualitäten dieses Romans, der einen an manchen Stellen zwar irritiert, aber am Ende doch Respekt fordert.
Haruki Murakami: "Sputnik Sweetheart". Roman. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. DuMont Verlag, Köln 2002. 240 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Scharfe Frauchen sind nicht scharf, scharfe Frauchen machen scharf: Haruki Murakami bringt in seinem Roman "Sputnik Sweetheart" Männchenblicke auf die Umlaufbahn
Drei Figuren, drei Liebende, drei Gesichter. Eine erfolglose Schriftstellerin liebt eine erfolgreiche Geschäftsfrau und wird dabei erfolglos von einem Lehrer geliebt. In dieses magische Dreieck spannt Haruki Murakami seinen Roman "Sputnik Sweetheart". Der japanische Erfolgsautor begibt sich darin unverzüglich auf jenes Terrain, das ihm in Japan gigantische Verkaufszahlen beschert hat und mit dem er bei uns in "Gefährliche Geliebte" für Aufregung sorgte: das Feld der erschriebenen, beschriebenen Erotik. Wieder sind es die Anziehungskräfte zwischen den Geschlechtern, die die Phantasie des Autors beflügeln und den Leser je nach Temperament begeistern - oder abstürzen lassen.
Der laszive Diskurs, um es einmal nobel auszudrücken, ist in diesem Roman allgegenwärtig. Der Leser muß sich den aufgeladenen Gesten und Gebärden, den Blicken und Sentenzen von der ersten Seite an stellen und sich zu einer Haltung durchringen: Soll man diesen süßen Zierat nun kurz und bündig als trivial und also als zwiespältiges Ergebnis eines überhitzten Gemüts abtun? Oder soll man die erotischen Requisiten als legitime Objekte im stilistischen Schriftstellerfundus akzeptieren? Am besten tut man beides und quittiert die Strategie mit einem spöttischen Seitenhieb: Warum denn so verschwenderisch, wenn es darum geht, den gefräßigen Männerblick zu bedienen? Wo immer möglich, malt sich Haruki Murakami nämlich die Kleidchen, Schleifchen und Schühchen seiner Protagonistinnen genüßlich aus. Auch sonst ist ihm voyeuristisches Kalkül nicht fremd: Vorzugsweise schwimmen Frauen nackt im Meer oder liegen ebenso an Stränden und auf Betten. Wie eigenartig also, daß es eher prüde zugeht, sobald die männliche Hauptfigur an der Reihe ist. Da wirkt die Phantasie des Autors plötzlich wie verdorrt. Ein Männerbuch, zweifellos, auch was den Grundriß angeht: eine Männerphantasie mit erschöpfender Tradition. Zwei Frauen, die sich lieben, und ein Mann, der sie beobachtet. So viel und nichts weiter zu den "Stellen".
Damit genug der Einwände. Denn dies ist auch ein Frauenbuch. Man würde lügen, wenn man behauptete, nicht gern eine nächtliche Lese-Séance einzulegen, nur um es in einem Zug lesen zu können. Seine Qualität liegt allerdings keinesfalls auf ästhetischem Gebiet. Murakamis Erzählkonzept ist schlicht, seine formalen Mittel sind eher begrenzt. Aber er kann erzählen wie kaum ein anderer. Dabei scheut er sich nicht, die Grenzen zwischen dem Realen und dem Phantastischen zu überschreiten.
Sumire, eine zweiundzwanzigjährige Möchtegern-Autorin, verliebt sich in eine um siebzehn Jahre ältere, verheiratete Geschäftsfrau. Es ist ein Lodern, Knistern und Ziehen zwischen den beiden von Anfang an. Die Schriftstellerin nennt die ehemalige Pianistin heimlich ihren "süßen Sputnik" und sieht dabei vor dem inneren Auge das Bild eines künstlichen Satelliten, der lautlos seine Bahnen im Weltall zieht. Während das Mädchen, Zynikerin und Romantikerin zugleich, den Boden unter den Füßen verliert, steuert die Erfahrene Miu kühl die Geschehnisse. Sie bittet Sumire, als Sekretärin in ihre Dienste einzutreten. Sie spüre, daß diese im Augenblick noch nichts Bedeutendes schreiben könne; sie werde eines Tages etwas Wunderbares schaffen, aber sie habe "noch nicht die Kraft, die Türe ganz aufzustoßen". Ihrerseits überrascht Miu Sumire mit einem rätselhaften Geständnis: Sie sei kein vollständiger Mensch. Was sie sehe, sei nicht ihr wahres Selbst. Und: sie habe vor Jahren die Pianistenkarriere abgebrochen, der sie alles geopfert hatte, einschließlich der Entwicklung ihrer Persönlichkeit. Selbst technisch unterlegene Rivalen hätten ihr Publikum stärker in Bann zu schlagen vermocht als sie.
Schon nach kurzer Zeit brechen beide zu einer Europa-Reise auf, die abrupt auf einer griechischen Insel endet. Sumire ist über Nacht verschwunden. Miu wendet sich in ihrer Not an den Dritten im Bunde, einen jungen Lehrer. Sie bittet den Vertrauten und geschwisterlichen Freund von Sumire um Hilfe. Dieser begehrt zwar noch immer die exzentrische Freundin, fügt sich aber in die ihm zugewiesene Rolle. Er reist den beiden Frauen nach Griechenland hinterher. Vergeblich. Sumire taucht nicht wieder auf. Aber er findet Aufzeichnungen, die ihm Erklärungen liefern.
Eine banale Liebeskonstellation, möchte es scheinen. Die Raffinesse des japanischen Autors jedoch liegt im heimlichen Thema, das er dem Roman unterlegt hat. Nur vordergründig geht es um die Genese eines amourösen Wahnzustandes. Viel wichtiger sind die Bewegungen im Untergrund: Alle drei in diesem Spiel sind fragmentierte Persönlichkeiten. Aus unterschiedlichen Gründen haben vor allem die beiden Frauen ihre Sexualität abgespalten, geopfert oder nie wirklich entdeckt. Nun fahren sie wie drei Gestirne im Weltall aufeinander zu. Jeder von ihnen möchte vollständig werden; jeder gerät beim Zusammenprall in eine existentielle Krise, welche das verborgene Defizit grell aufdeckt. Bei den beiden Frauen kommt ein weiteres hinzu. Beide ahnen, daß sie auf künstlerischem Gebiet nur dann ihre eigenen Grenzen überschreiten können, wenn sie die libidinösen Quellen anzapfen. Die Konturen des Dritten, des Mannes, bleiben schattenhaft und werden vom Autor nicht recht erforscht; es ist, als hätte er die Figur zwar als notwendiges Übel im Gesamtkonstrukt akzeptiert, aber kein wahres Interesse für ihr Innenleben aufgebracht.
Die Falle schnappt zu, als die Beute erlegt ist. In einer Verführungsszene, die man sich denn doch etwas entschlackter von trivialen Einsprengeln wünschen würde, offenbart sich eines: Die Liebe ist zwar eine Himmelsmacht, nichtsdestotrotz eine Illusion; die erotische Verzückung ist eine Chimäre, das geliebte Objekt eine traurige Spiegelung der eigenen Wünsche und Defizite. Sumire begreift, daß Miu und sie zwar gute Reisegefährtinnen sind. Aber sie bleiben einsame Klumpen auf getrennten Umlaufbahnen. Vielleicht kreuzen sich ihre Wege, vielleicht verglühen sie aber auch.
Haruki Murakami schlägt Volte um Volte. Er treibt die Geschichte zur Eskalation und spannt zugleich den Leser auf die Folter. Immer wieder zieht er neue Karten aus dem Ärmel, baut unerwartete Klippen ein, verzögert das Tempo und beschleunigt es von neuem. Der Leser, gebannt vom Wechselbad der Gefühle, gezähmt durch immer neue Eskapaden, liest immer weiter. Erst am Ende eröffnen sich alle Zusammenhänge. In Einschüben bringt der Autor die schockhaften Erlebnisse zur Sprache, die das Leben der beiden Frauen zerstörten. Die tote Mutter Sumires. Die Vergewaltigung Mius. Der Verlust des Ichs unter dem Eindruck des verstörenden Erlebnisses. Die bürgerlichen Anpassungbemühungen der Frauen und damit die Verkrümmung der Charaktere. Aber er redet auch vom wilden Aufzucken des verschütteten Ichs und der zähen Kraft, welche Sumire und Miu am Ende doch zum Ausbruch aus dem zementierten Leben treibt.
Darin - in der Schilderung von Überschwang, Zerstörung, Kampf und Entkommen - liegen die Qualitäten dieses Romans, der einen an manchen Stellen zwar irritiert, aber am Ende doch Respekt fordert.
Haruki Murakami: "Sputnik Sweetheart". Roman. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. DuMont Verlag, Köln 2002. 240 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein treuer Freund
Er hat zwar gelegentlich Affären, aber eigentlich liebt der junge Grundschullehrer, aus dessen Sicht Sputnik Sweetheart, der neueste Roman des japanischen Erfolgsschriftstellers Haruki Murakami, erzählt wird, nur Sumire. Damit ist er eine typische Figur Haruki Murakamis: cool, aber melancholisch und ein bisschen zynisch. Kein Wunder, denn seine stille Liebe bleibt unerfüllt. Dennoch verlässt sie ihn nicht. Selbst dann nicht, als sich Sumire in Miu verliebt, und er - der treue Freund - und damit auch der Leser zum Vertrauten Sumires in Sachen dieser Liebe wird. Einer Amour Fou, wie der Leser bald erfährt.
Liebe
Sumire ist jung, nicht besonders schön, unordentlich und sie kann nicht Kochen. Außerdem hat sie kein Verlangen nach geschlechtlicher Liebe. Was ihr Sorgen bereitet, will sie doch Schriftstellerin werden und sie fragt sich, wovon sie erzählen soll, wenn ihr der Antrieb fehlt, etwas zu erleben. Ein Problem, das sich von selbst löst, denn eines Tages begegnet ihr die Liebe in Gestalt einer um einiges älteren Frau. "Und diese Liebe reißt mich mit ihrem Sog davon, so übermächtig, dass ich mich ihr nicht entziehen kann. Widerstand ist zwecklos. Vielleicht entführt sie mich an einen unbekannten, unheimlichen Ort, der vielleicht sogar gefährlich ist." Wie recht sie hat mit dieser dunklen Vorahnung, erlebt sie schon wenig später. Zu spät, denn sie hat sich schon eingelassen in das verhängnisvolle Spiel der Liebe, das sie einer Katastrophe und einer unvorhergesehen Wendung in ihrem Leben entgegenführt.
Miu
Sie folgt Miu, der erfahrenen Geschäftsfrau, auf ihrer Reise nach Europa und in eine andere Welt. Sumires literarisches Projekt findet - nachdem es einige Zeit in Vergessenheit geraten war - auf dieser Reise Nahrung. Schreibend enträtselt sie die mysteriöse Geschichte ihrer Liebe, Miu.
Spannend und gekonnt
Mit erfrischender Ironie und liebevoller Distanz schreibt Haruki Murakami die Geschichte von Sumire und Sputnik, ihrem Sweetheart. Dieser neue Roman des japanischen Erfolgsautoren ist eine schnelle und spannende Geschichte. Sie ist mit leichter Hand gekonnt geschrieben.
(Andreas Rötzer)
Er hat zwar gelegentlich Affären, aber eigentlich liebt der junge Grundschullehrer, aus dessen Sicht Sputnik Sweetheart, der neueste Roman des japanischen Erfolgsschriftstellers Haruki Murakami, erzählt wird, nur Sumire. Damit ist er eine typische Figur Haruki Murakamis: cool, aber melancholisch und ein bisschen zynisch. Kein Wunder, denn seine stille Liebe bleibt unerfüllt. Dennoch verlässt sie ihn nicht. Selbst dann nicht, als sich Sumire in Miu verliebt, und er - der treue Freund - und damit auch der Leser zum Vertrauten Sumires in Sachen dieser Liebe wird. Einer Amour Fou, wie der Leser bald erfährt.
Liebe
Sumire ist jung, nicht besonders schön, unordentlich und sie kann nicht Kochen. Außerdem hat sie kein Verlangen nach geschlechtlicher Liebe. Was ihr Sorgen bereitet, will sie doch Schriftstellerin werden und sie fragt sich, wovon sie erzählen soll, wenn ihr der Antrieb fehlt, etwas zu erleben. Ein Problem, das sich von selbst löst, denn eines Tages begegnet ihr die Liebe in Gestalt einer um einiges älteren Frau. "Und diese Liebe reißt mich mit ihrem Sog davon, so übermächtig, dass ich mich ihr nicht entziehen kann. Widerstand ist zwecklos. Vielleicht entführt sie mich an einen unbekannten, unheimlichen Ort, der vielleicht sogar gefährlich ist." Wie recht sie hat mit dieser dunklen Vorahnung, erlebt sie schon wenig später. Zu spät, denn sie hat sich schon eingelassen in das verhängnisvolle Spiel der Liebe, das sie einer Katastrophe und einer unvorhergesehen Wendung in ihrem Leben entgegenführt.
Miu
Sie folgt Miu, der erfahrenen Geschäftsfrau, auf ihrer Reise nach Europa und in eine andere Welt. Sumires literarisches Projekt findet - nachdem es einige Zeit in Vergessenheit geraten war - auf dieser Reise Nahrung. Schreibend enträtselt sie die mysteriöse Geschichte ihrer Liebe, Miu.
Spannend und gekonnt
Mit erfrischender Ironie und liebevoller Distanz schreibt Haruki Murakami die Geschichte von Sumire und Sputnik, ihrem Sweetheart. Dieser neue Roman des japanischen Erfolgsautoren ist eine schnelle und spannende Geschichte. Sie ist mit leichter Hand gekonnt geschrieben.
(Andreas Rötzer)
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Die wenigen Figuren, mit denen Murakami in seinen Romanen auskommt, möchte Susanne Messmer am liebsten retten, wenn sie "in diese typischen Ausnahmesituationen geraten". In dem vor drei Jahren in Japan erschienenen Roman gibt es Messmer zufolge wieder eine dieser Liebesgeschichten, die "auf einmal entgleitet und auf unheimliche Art haften bleibt". Die Begeisterung in ihrer kurzen Besprechung fällt allerdings insgesamt etwas nüchtern aus. Man muss sich halt, so die Rezensentin, mit der Welt abfinden, in die Murakami seine Helden wandern lässt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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