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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Den Fährnissen der Mode entrinnt auch die Politik nicht: Daniel Kalt lässt Revue passieren, was in den vergangenen Jahrzehnten am Umgang mit Kleiderordnungen so alles hervorstach.
Egal welche Kleidung Politiker tragen, sie wird Gegenstand von politischer Interpretation und Stilkritik. Es müssen nicht krasse Fälle wie die CSU-Digitalministerin im Latex-Look mit Schnallen sein, damit daraus bebilderte Zeitungsmeldungen werden. Auch schlecht gebundene Krawatten von französischen Premierministern können Anlass für einen eigenen Instagram-Account sein, der verspricht, die Misere nicht aus den Augen zu verlieren. Denn demokratische Gesellschaften sind nicht darauf beschränkt, nur die politischen Seiten von Politik zu kommentieren. Weil die Politik um die kommunikative Macht von Kleidung weiß, entwickelt sich daraus ein Wechselspiel. Dabei gilt, dass man der Mode nicht entrinnen kann.
Der österreichische Modejournalist Daniel Kalt interessiert sich dafür, wie Politiker ihr Amt im wahrsten Sinne des Wortes "bekleiden", und ruft einige hervorstechende Episoden der letzten drei Jahrzehnte in Erinnerung. Kalt beschränkt sich auf Demokratien und blickt prinzipiell nach Westen. Der globale Süden sowie der Nahe und Ferne Osten bleiben ebenso ausgeblendet wie autoritäre Herrscher. Prominent behandelt werden legendäre Fehlleistungen und andere Hopplas, wie etwa das "Verhängnis im Dirndl": der Hochzeitstanz der damaligen österreichischen Außenministerin mit Wladimir Putin. Mittlerweile ist sie wieder getrennt, und Österreich scherzt, ob sie nicht noch einmal heiraten könnte, damit sich der gegen Putin vorliegende Haftbefehl vollstrecken ließe.
Während die Außenministerin in heller Tracht die politische Karte bodenständiger Heimatverbundenheit ausspielte, trug Putin einen dunkelblauen Anzug, jene neutrale Uniform des Mannes, die zugleich souveräne Macht repräsentiert. In der Kombination beider Kleidercodes ergab sich optisch ein politisches Machtgefälle zwischen Stadt und Land sowie Mann und Frau, das die Österreicherin noch zusätzlich durch den fatalen Knicks gegenüber dem sphinxhaften Gast verstärkte. Aber können wir wirklich sicher sein, dass diese Leseweise eine höhere Verbindlichkeit als andere Interpretationen der gleichen Szene besitzt?
Alle von Daniel Kalt geschilderten Episoden besitzen eine solche untergründige Ambivalenz. Die finnische Ministerpräsidenten Sanna Marin trug eine schwarze Bikerjacke aus Leder über dem schwarzen Rolli , als sie im Frühjahr 2022 gemeinsam mit ihrer schwedischen Amtskollegin auftrat und die NATO-Mitgliedschaft ankündigte. Aber wusste man vorher tatsächlich, dass der gewählte coole Look nicht als Respektlosigkeit der jungen Frau dem Amt gegenüber ausgelegt würde? Der Digitalministerin bayerischer Herkunft hatte es seinerzeit nicht geholfen, dass der Kontext ihres Berliner Auftritts im schimmernden Latex-Look eine Gala zur Verleihung eines Computerspielpreises gewesen war und sie deshalb wie eine Wonder-Woman-Variante anmuten wollte.
Auch wenn Kalt diesen Momenten retrospektiv gesellschaftlich relativ gesicherte Deutungen zuschreibt, bleibt sein Lieblingsverb für jede Rezeption das unentschiedene "kann": Manchmal ist die Trennwand zwischen einem Modecoup und jenem Fauxpas, der den Abstieg einleitet, fein wie Bemberger Seide. Herrenanzüge fallen unter eine ziffernmäßig nicht festgeschriebene Wertgrenze, deren Überschreitung Politikern dann ethisch zur Last gelegt wird, wenn man auch sonst Zweifel an ihrem Amtsverständnis hegt; die Fälle von Gerhard Schröder, Hannes Androsch und Bruno Kreisky zeigen die Flexibilität der Maßstäbe. Boris Johnsons Anzüge hingegen saßen so legendär schlecht, dass man dafür den Begriff "silly style" prägte und gezielte Ablenkungsmanöver vermutete.
Bei Gummistiefeln in Überschwemmungsgebieten sind es nur Farbe und Zustand, die das Staatsmännische vom Lächerlichen trennen: vintage schwarz - professionell; gelb und neu - affig; weiß und glänzend - Sexarbeit. Gerade die Tatsache, dass abstrakte Regeln im konkreten Fall nie mit der nötigen Treffsicherheit funktionieren, macht die Politikerkleidung zu einem potentiellen Albtraum aller Stilberater und das Thema zum unerschöpflichen Quell von Glossen. Auch die Generation Greta bleibt nicht davon verschont, dass ihr Outfit kommentiert wird, im Gegenteil: Ihre kontroverse Ethisierung des Konsumverhaltens wird auf sie rückangewandt.
Das ist womöglich gar kein Mangel, sondern die Spielräume der Interpretation zeigen Freiheit und Liberalität demokratischer Gesellschaften an: Es gibt eben keine neuständischen Kleiderordnungen, weder für die Bürger noch für die Politik, sondern einen permanenten Diskurs, der Stil und Angemessenheit öffentlich verhandelt.
Daniel Kalts Buch ist im Kern eine Folge lose verbundener Glossierungen. Man kann die Lektüre jederzeit an einer beliebigen Stelle beginnen oder beenden und verspürt die wohlige Überlegenheit desjenigen, der schon weiß, wie der Kampf um die Deutungen ausgegangen ist. Eine scharfe These oder eindeutige Parteinahme sucht man vergebens, die schönsten Sager liefern die Zitate im Buch, nicht der Autor. Am Ende vermisst man den Blick hinter die Kulissen. Hatte nicht gerade Österreich in den Bundesregierungen Kurz I & II eine Überformung seiner Politik durch "message control" erfahren? Es wäre ein Wunder, wenn nicht auch Kleidung Teil der neuen Marketingstrategien gewesen wäre. Das Projekt scheiterte zwischenzeitlich politisch, geblieben sind die Aufblähung der PR-Apparate in den Ministerien und der Glaube an die Priorisierung des Images. Diese Drehbücher gelenkter demokratischer und nicht demokratischer Öffentlichkeiten wären unter dem Gesichtspunkt ihrer Mode-Empfehlungen auch würdiger Gegenstand einer politischen Stilkritik und Recherche. MILOS VEC
Daniel Kalt: "Staat tragen". Über das Verhältnis von Mode und Politik.
Kremayr & Scheriau Verlag, Wien 2023. 216 S., Abb., geb., 24,- Euro.
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