Prof. Dr. Gudrun Hentges lehrt Politikwissenschaft am Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften der Hochschule Fulda.
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"Zentrale für Heimatdienst": Anfänge der politischen Bildung in Bonn
Die Bundeszentrale für politische Bildung hat sich im Laufe der Jahre als eine der wirkungsmächtigsten Bundesbehörden in Deutschland erwiesen. Seit sie 1952 in Bonn ihre Arbeit aufnahm (damals noch unter der Bezeichnung Bundeszentrale für Heimatdienst), hat sie durch eine Fülle von Aktivitäten der unterschiedlichsten Art (Seminare, Druckschriften in jeder Form, Filme und Finanzierung von Veranstaltungen anderer Bildungseinrichtungen, sogar von Reisen etwa nach Israel) bis heute mehrere Generationen von Wissenschaftlern, Journalisten, Lehrern und anderen Multiplikatoren, Bundeswehr-Angehörigen, Schülern und Studenten geprägt. Sie unterstand in diesen Jahren verwaltungsmäßig dem Bundesminister des Inneren (BMI). Durch die Bewilligung von Haushaltsmitteln und die Mitwirkung in beratenden Gremien der Bundeszentrale konnten sich aber auch die im Bundestag vertretenen Parteien stets Einfluss sichern.
Unter diesen Umständen erwartet der interessierte Leser von einem Buch mit dem Titel "Staat und politische Bildung" viel - in diesem Fall zu viel. Die Politologin Gudrun Hentges liefert in ihrer Studie jedenfalls deutlich weniger als eine Geschichte der Bundeszentrale. Genau genommen, beschränkt sie sich auf eine Schilderung der Aufbaujahre von 1950 bis 1963, als die Bundeszentrale für Heimatdienst in Bundeszentrale für politische Bildung umbenannt wurde, ohne dass sich in diesem Jahr in der Behörde etwas Entscheidendes ereignet hätte. Erst Ende der großen Koalition, also etwa 1968/69, wurde die Zeit des Aufbaus mit dem Ausscheiden des ersten Direktors Paul Franken wirklich abgeschlossen. Zudem brachte die Gründung des Gesamtdeutschen Instituts, eine ebenfalls für Bildung zuständige nachgeordnete Behörde des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen, im Sommer 1969 eine wichtige Veränderung der Kompetenzen. Es hätte sich also gelohnt, wenn die Verfasserin dies noch einbezogen hätte.
Allerdings ist ihr Interesse an der Bundeszentrale mehr politologisch als historisch begründet. Sie empfindet deren Arbeit als Teil des heutigen Kampfes gegen Rechtsextremismus, den sie damit auf die Vergangenheit ausdehnt. Das beginnt bei der Namensfrage; denn eine Reichszentrale für Heimatdienst gab es schon in der Weimarer Republik. Sie wurde von den Nationalsozialisten 1933 aufgelöst und durch das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda ersetzt. Dennoch ist die Anknüpfung an diese Reichsbehörde der Verfasserin verdächtig. Sie wittert einen Zusammenhang mit "Kriegsdienst", den der "Heimatdienst" möglicherweise ergänzen sollte.
Auch was den Inhalt der Bildungsarbeit der Bundesbehörde anbelangt, ist Frau Hentges unzufrieden. Zwar hat sich die im Aufbau befindliche Behörde von Anfang an vom Nationalsozialismus und Antisemitismus distanziert und dieser Thematik zahlreiche Publikationen und Veranstaltungen gewidmet. Dennoch stört die Autorin, dass Anfang der fünfziger Jahre - unter dem Eindruck des Korea-Krieges und der Entwicklung in der DDR - zunehmend auch der Weltkommunismus mit all seinen Facetten in den Mittelpunkt des Bildungsinteresses rückt. Dabei machten zu ihrer Verwunderung sogar die Amerikaner mit, die sich damit vom ursprünglichen Ziel der "Reeducation" der Deutschen abzuwenden schienen und sich das auch noch viel Geld kosten ließen (es wurde, wen wundert es, meist vom CIA ausgezahlt und kam oft sogar ehemaligen Nationalsozialisten zugute). Frau Hentges passt jedenfalls die ganze Richtung nicht.
Besondere Aufmerksamkeit widmet die Autorin der Suche nach Personen mit nationalsozialistischer Vergangenheit. Dabei waren die zuständigen Beamten im BMI durchaus problembewusst und machten sich das Leben nicht etwa leicht. Nach Ansicht von Frau Hentges wäre es wohl zweckmäßig gewesen, nur Emigranten und andere Verfolgte des Nazi-Regimes einzusetzen. Obwohl die Fachaufsicht im BMI zum Beispiel den Philosophen Max Horkheimer und den Historiker Hans Rothfels in die Gremienarbeit berief, wollte sie doch auf andere Sachverständige mit Osteuropa- und Kommunismus-Erfahrungen nicht verzichten. Frau Hentges untersucht sie alle, nicht nur Beamte, sondern auch Zuwendungsempfänger, Berater, freiberufliche Dozenten und Vortragende. Um es kurz zu machen: Sie wird natürlich fündig, richtig skandalöse Fälle sind jedoch nicht dabei. Der eindeutigste Fall ist wohl der von Walter Schenk, eines ehemaligen hauptamtlichen Mitarbeiters des SD, der dessen Dienststellen in Lemberg und Lodz geleitet hatte. Er wurde nach 1945 mehrfach überprüft, im Entnazifizierungsverfahren in Gruppe V eingestuft. Strafrechtlich relevante Vorwürfe wurden gegen ihn nicht erhoben. Dennoch wurde er weder in der Bundeszentrale noch im nachgeordneten Ost-Kolleg dauerhaft beschäftigt, allerdings mit Vorträgen zu den Staaten des Ostblocks sowie zum Thema kommunistische Infiltration und Tarnorganisationen betraut.
Das Ost-Kolleg der Bundeszentrale, eine Art osteuropäischer Akademie in Köln, dessen Gründungsgeschichte Frau Hentges ebenfalls eingehend untersucht, hat während des Kalten Kriegs dafür gesorgt, dass Osteuropa in der Bildungsarbeit nicht aus dem Blickfeld geriet. Eine Wirkungsgeschichte der verschiedenen Organisationen, die sich bis zum Zusammenbruch des kommunistischen Systems in Europa der politischen Bildung gewidmet haben, ist jedenfalls noch zu schreiben.
DETLEF KÜHN.
Gudrun Hentges: Staat und politische Bildung. Von der "Zentrale für Heimatdienst" zur "Bundeszentrale für politische Bildung". Mit einem Vorwort von Christoph Butterwegge. Springer VS, Wiesbaden 2013. 493 S., 49,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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