Zweifellos gehört Hannah Arendt zu den bekanntesten Deutschen, die während der NS-Herrschaft ausgebürgert wurden; sie war mehr als ein Jahrzehnt staatenlos. Doch bereits der Erste Weltkrieg und der Zerfall europäischer Imperien hatte viele Menschen ihrer Staatsbürgerschaft beraubt. Nach dem Zweiten Weltkrieg führte das Aufkommen massenhafter Staatenlosigkeit zu einer Rechtsordnung, die den Territorialstaat als grundlegende Quelle von Rechten etablierte. Die Historikerin Mira Siegelberg zeigt, wie und warum das Problem der Staatenlosigkeit zu einem neuen Verständnis der internationalen Ordnung im 20. Jahrhundert führte. Sie rekonstruiert erstmals die Geschichte dieser umstrittenen Rechtskategorie, die die Beziehungen zwischen Staaten und ihren Bürgerinnen und Bürgern neu definierte. Im Mittelpunkt ihres Buches steht der politische und rechtliche Umgang mit Staatenlosigkeit in der internationalen Politik. Dafür untersucht sie sowohl die Praxis zwischenstaatlicher Institutionen als auch rechtstheoretische Debatten seit dem späten 19. Jahrhundert. Gegenwärtig sind ungefähr 12 Millionen Menschen auf der Welt staatenlos. Auch zu einem besseren Verständnis aktueller Probleme und Dilemmata trägt dieses originelle und brisante Buch bei.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Eine umfangreiche und äußerst "facettenreiche" Studie über Staatenlosigkeit liest Rezensent Milos Vec bei Mira Siegelberg: Auch durch Deutschland und Österreich geprägt handele es sich dabei vor allem um eine "Unrechtsgeschichte", liest Vec. Wer keinen Pass hat, hat keine Rechte, die Autorin geht vom 19. Jahrhundert aus, um zu erklären, wieso das so ist und wie sich die schwierige Situation verbessern lassen könnte, erklärt Vec. Er lernt, dass Staatsbürgerschaft zunächst eine "erstaunlich geringe Rolle" gespielt hat, was sich allerdings mit dem Ersten Weltkrieg und seiner radikalen Freund-Feind-Dichotomie ändert und in den 1920er und 30er Jahren mit dem aufsteigenden Nationalismus nur noch extremer wird. Auch der Nansen-Pass für Staatenlose und die Konferenz von Évian schaffen nur bedingt Abhilfe, die Angst vor Deportationen zum Beispiel bleibt bestehen, erfährt der Kritiker. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kommt es mit der Verabschiedung der Menschenrechte zu Verbesserungen, auch wenn Vec sich da etwas ausführlichere Erläuterungen von Siegelberg gewünscht hätte - ebenso wie eine gründlichere Zitierweise. Angesichts der immer noch circa 15 Millionen Staatenlosen weltweit aber eine wichtige Lektüre, schließt er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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