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Bruno Preisendörfer schreibt eine Spur zu zeitgenössisch über die preußische Herrschaftsästhetik
Daß Macht der Inszenierung bedarf, weiß man spätestens, seit die Israeliten die Mauern Jerichos mit Posaunen zum Einsturz brachten. Die alten Juden meinten es freilich ehrlich und fühlten sich im Recht. Seit Niccolò Machiavelli ist umstritten, ob ein Politiker es ehrlich meinen muß oder ob es nicht genügt, ja besser ist, wenn er nur den Anschein der Tugendhaftigkeit erweckt. Diese Frage ist heute, da Ethik und Politik immer enger verflochten werden, aktueller denn je. Genaugenommen schließt sie allerdings die Möglichkeit aus, sich lediglich ethisch zu geben, weil sie den Vertrauensvorschuß zersetzt, ohne den man nicht erfolgreich heucheln kann. Kein Wunder, daß Machiavelli unter den wirklichen Politikern wenig Freunde hatte. Den berühmtesten Anti-Machiavell hat Friedrich der Große geschrieben, allerdings noch als Kronprinz, bevor ihn seine Rechtsbrüche unsterblich machten. Und Konrad Adenauer hat entwaffnend Politik definiert als "die Kunst, das auf ethischer Grundlage als richtig Erkannte zu verwirklichen".
Das Problem liegt indessen weniger im Verhältnis zwischen Politik und Recht und mehr in der Macht selbst. Macht kann nur mit der Androhung physischer Gewalt auf Dauer gestellt werden. Alles andere, etwa Belohnungen, wäre zu teuer und nicht nachhaltig genug. Die physische Gewalt darf jedoch nur angedroht und grundsätzlich nicht eingesetzt werden. Jeder Einsatz verringert die Macht. Ein Kapitän, der einen meuternden Matrosen einsperrt, hat eben einen Mann weniger in seiner Mannschaft. Ausweg aus dem Dilemma zwischen der Notwendigkeit und der Nichteinsetzbarkeit physischer Gewalt ist die Symbolisierung der Bereitschaft, physische Gewalt einzusetzen, durch Militär und Polizei. Das ist spezifisch politische Öffentlichkeitsarbeit und geht weit über die Selbstdarstellungsnotwendigkeiten hinaus, denen alle Systeme unterliegen.
Bruno Preisendörfer nennt die Symbolisierung der Gewaltbereitschaft "Herrschaftsästhetik". Er will sie für das Preußen des achtzehnten Jahrhunderts darstellen, besonders an der Politik Friedrichs II., den er nicht "den Großen" nennen möchte. Seine Ergebnisse sind nicht sensationell. Die traditionellen Unterwerfungssymbole, etwa die Huldigung, seien bereits zu leeren Formen erstarrt gewesen. Friedrich habe nicht mehr an sie geglaubt, sie aber noch benutzt. Zum Beispiel habe er das Rädern für unmenschlich, seine abschreckende Wirkung aber für möglich gehalten. Deshalb habe er 1749 angeordnet, zum Tod durch das Rad Verurteilte unauffällig zu töten, bevor sie auf das Rad gespannt wurden. "Im Fest wurden Repräsentationsgewohnheiten weitergeschleppt, die von den alten europäischen Mächten übernommen worden waren." Nur im Krieg habe Friedrich ganz auf Disziplin und Gewalt gesetzt "und jede ästhetische Camouflage verschmäht". Letzteres paßt freilich nicht ganz zur eigenen Darstellung des Verfassers. Die Inszenierungen Friedrichs im Krieg hat natürlich auch er nicht übersehen, die betont einfache Uniform etwa, die an die Revolutionshabite Mao Tse-tungs oder Fidel Castros erinnert. Aber Preisendörfer interpretiert die Uniform so, wie Friedrich sie vermutlich gemeint hat. Und darin steckt ein Problem.
Das Problem beginnt bei der Argumentationsweise. Preisendörfer läßt vor allem Zeitgenossen, im wesentlichen Beteiligte, sprechen, auch den König selbst, aber so dicht, daß der Text an einigen Stellen in eine Collage abzugleiten droht. Das hat zwar den Vorteil, daß man viele Einzelheiten erfährt, meist schreckliche, manchmal auch amüsante. Besonders eindrucksvoll und lehrreich der Umgang mit den Bildnissen des Königs. Dadurch liest sich das Werk nicht nur gut, es wäre auch eine Fundgrube für Absolutismus-Forscher, wenn Preisendörfer nicht etwas reichlich aus zweiter Hand zitierte. Die vielen wörtlichen Zitate haben aber den Nachteil, daß keine soziale Struktur sichtbar wird. Die Ergebnisse, die der Verfasser am Schluß bündelt, wirken deshalb weniger abgeleitet als aufgeklebt.
Der Band enthält durchaus treffende Beobachtungen, aber die Erklärungen wirken leer, weil sie immer einen "Akteur" im Auge haben. Preußische Geschichte als ein Spezialfall der deutschen und europäischen Entwicklung wird nicht erörtert. Ein Beispiel: Daß Preußen eine rechtsstaatliche Bürokratie wurde, weil seine verstreuten und heterogenen Gebiete nur durch Recht zusammenzuhalten waren, ist eine weithin akzeptierte Hypothese. Bei Preisendörfer liest man: "Die Selbstbehauptung der Dynastie und des von ihr und für sie geschaffenen Staates nach außen erzwang die Beschleunigung machtpolitischer Zentralisierungsprozesse im Innern."
Das Hauptproblem liegt jedoch in der Sache selbst. Preisendörfer will politische Inszenierungen, also Darstellungen, darstellen. Schein ist schwerer zu beschreiben als Wirklichkeit. Wirklichkeit kann man leicht zum Schein erklären, aber nicht Schein zur Wirklichkeit, weil der Unterschied zur Wirklichkeit zum Wesen des Scheins gehört. Wer "Schein" sagt, sagt immer zugleich "Wirklichkeit" und müßte eigentlich erklären, was das ist. In der Ideologie-Debatte hat man dies noch getan. Aber die endete mit der Frage nach den gesellschaftlichen Funktionen von Ideologie. "Ideologie" kommt bei Preisendörfer daher mit Recht nicht vor. Seine "Herrschaftsästhetik" hat gesellschaftlichen Sinn. Sie dient der Machtschöpfung und -erhaltung. Das entbindet indessen nicht von der Notwendigkeit, den Gegenbegriff "Realität" zu erklären.
Preisendörfer macht sich die Sache zu einfach. Er übernimmt die Unterscheidung der Zeitgenossen. Deshalb kann er nicht darauf kommen, daß Friedrichs des Großen Anti-Machiavell ebenso eine politische Inszenierung sein könnte wie Adenauers Politikdefinition. Für beide Politiker war Ethik unbezweifelte Realität, die durch Normverstöße nicht widerlegt, sondern bestätigt wird. Diese eindimensionale Welt der Politik muß der Historiker oder Soziologe mit unterscheidungskräftigen Begriffen aufbrechen und insofern besser verstehen als die Zeitgenossen. Die Arbeit Preisendörfers ist in diesem Sinne zu "zeitgenössisch", aber als Sittenbild aus dem achtzehnten Jahrhundert durchaus beeindruckend.
GERD ROELLECKE.
Bruno Preisendörfer: "Staatsbildung als Königskunst". Ästhetik und Herrschaft im preußischen Absolutismus. Akademie Verlag, Berlin 2000. 432 S., geb., 148,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
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