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Helge Schneiders Kommissar ermittelt wieder
Wenn man Helge Schneiders neuen Kriminalroman "Stepptanz" an einem recht prominenten Ort - sagen wir: auf dem Couchtisch - liegen lässt und dann Besuch bekommt, der gern in Büchern blättert, während man Tee aufsetzt, dann ist sicher, dass man, noch bevor das Wasser kocht, verhaltenes Gekicher hören wird. Schon der Klappentext ist äußerst komisch: "Ich habe eigentlich keine Zeit, mich hier über mein literarisches Werk auszulassen. Morgen kommt der Schornsteinfeger, und ich muss am Ofen noch aufräumen. Außerdem habe ich Termine."
Helge Schneider ist in erster Linie ein begnadeter Jazzmusiker. Und das färbt auch auf seine Kriminalromane ab. Zum mittlerweile siebten Mal lässt er seinen Kommissar Schneider ermitteln, und dessen Abenteuer geordnet nachzuerzählen ist ähnlich schwierig, wie einen Jazzsong nachzupfeifen.
Versuchen wir es trotzdem: Der Kommissar sieht sich diesmal einer Reihe von Morden gegenüber. Ein Serienkiller treibt in der namenlosen Stadt, die Schneider bewohnt und deren Architektur irgendwo zwischen Ruhrpott-Flair und der Großstadt eines amerikanischen Noir-Krimis angesiedelt ist, sein Unwesen. Der Psychopath legt Menschen aber nicht einfach nur um, er nimmt sie auseinander, um sie zu "Hybriden" umzubauen.
Er verwendet ihre Körper also als Ersatzteillager, um mithilfe von Elektronik verbesserte cyborgartige Wesen aus ihnen zu machen, die ihn in seinem trostlosen Leben unterhalten sollen - betrieben werden diese leicht belämmerten KI-Monster, immerhin sind wir in einem Helge-Schneider-Krimi, mit Zitronengenever.
Der Kommissar setzt sich in seinem alten Nissan-Coupé also auf die Spur des Täters. Es treten mehr als zwei Dutzend Personen auf, mal mehr, mal weniger verdächtig. Die Erzählung springt zwischen ihnen hin und her, jeder neue Absatz widmet sich einer anderen Person dieses umfassenden Figurenensembles. Und so eiskalt, wie hier die Morde beschrieben werden, wird auch so manche Figur entsorgt. So folgt man etwa einem Hauptverdächtigen auf der Flucht durch Wälder und über Landesgrenzen, bis er in ein Zelt tappt und dort kurzerhand von einem Bären verspeist wird - der wiederum danach noch ein-, zweimal durchs Buch tollt.
Solche Erzählfäden lässt Schneider so plötzlich enden wie Instrumental-Improvisationen beim Jazzkonzert. Die Melodie ergibt sich vielmehr aus all den subtilen Kommentaren zu den Debatten der Gegenwart, die hier in die Handlung gebettet wurden: Zeugen verwickeln sich, statt dem Kommissar sachlich die Fakten zu sortieren, in eine Diskussion übers Gendern und prügeln umgehend aufeinander ein. Ein Verdächtiger zappt nachts durchs Fernsehen und bleibt bei einer Sendung hängen, bei der Prominente an Geschmacksproben ihrer blanken Hinterteile erraten werden sollen. Der Kommissar blättert durch eine Zeitschrift, die nur anonyme Selfie-Fotos abdruckt, von Menschen, die "in diesem Blatt Aufmerksamkeit, und nur darum ging es, erheischen wollten". An diesen Stellen, mit solchen kurzen, scharfen Beobachtungen, streift der Roman die Gesellschaftssatire.
Kommissar Schneider aber bleibt stiller Beobachter, wird als Mann der alten Schule gezeichnet: Er trägt wie Fernseh-ermittler der Achtzigerjahre noch Lederjacke, fährt in dieser Welt, in der fast alle Leute Lastenfahrräder haben, obwohl "die damit niemals Lasten transportieren mussten, aber es gehörte zum guten Ton", weiter stur seinen Sportwagen mit Benzinmotor. Um den zu betreiben, importiert er Sprit aus Indien, via Bremerhaven - ein bisschen flüstert der Roman also auch von einer düstereren Zukunft. Und die ist wohl nur mit Humor zu ertragen. MARIA WIESNER
Helge Schneider: "Stepptanz". Kommissar Schneider versteht die Welt nicht mehr.
Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2023. 192 S., geb.,
22,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
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