Die Wahrheit ist nicht nur bei Ermittlern das, worauf es ankommt. Als vor Weihnachten publik wurde, dass etliche Reportagen des "Spiegel"-Autors Claas Relotius auf ausgedachten Figuren und Ereignissen basieren, wurden wir wie viele andere Kollegen sehr nachdenklich. Es freut uns, dass die Leser den literarischen Stil unseres Heftes schätzen. Wichtig ist uns aber dies: Auch wenn unsere Texte sich wie Erzählungen lesen, gilt für uns die journalistische Pflicht zur Wahrheit. Ob wir Szenen rekonstruieren oder die Innenwelt von Tätern und Opfern ausleuchten: Alles muss auf Fakten basieren. Deshalb betreibt die stern-Dokumentation für Crime ein aufwendiges Fact-Checking. Wenn unser Kollege in "Asche zu Asche" erzählt, wie ein Mädchen eine Katze streichelt, muss er belegen, woher er das weiß: Der Moment ist damals von einer Zeugin beobachtet worden. Auf Basis ihres Vernehmungsprotokolls lässt sich auch so eindringlich schildern, wie das Kind sich überlegt, dem Heizer ihrer Schule die Katze mitzubringen. Das Mädchen selbst hat das der Zeugin erzählt, und die hat es der Polizei berichtet. Dass Verbrechen meist in Akten und anderen Berichten dokumentiert sind, macht es unseren Fact-Checkern leichter. Wenn aber ein Reporter Dinge beschreibt, die er bei der Recherche gesehen oder gehört hat, lässt sich das nur auf Plausibilität und Glaubwürdigkeit hin überprüfen. Wir sind nicht so vermessen zu behaupten, dass wir Schwindler sofort erkennen oder uns keine Fehler unterlaufen können. Auch wir haben in unserer zweiten Ausgabe einen Text von Claas Relotius gedruckt, über den Fall der "Craigslist"-Morde. Wir haben ihn nun nochmals überprüft. Relotius hat sich, was bei einem so umfassend dokumentierten Fall legitim ist, bei seiner Rekonstruktion zum größten Teil auf Literatur und Archiv-Artikel gestützt. Ein paar Details haben wir allerdings nirgendwo sonst gefunden: Zum Beispiel pfeift der Täter im Text ein Lied - und es gehört zur Handschrift des Betrügers Relotius, dass bei ihm Menschen oft singen. Diese mögliche Fälschung mag eine Petitesse betreffen. Dennoch ärgert sie uns. Und das motiviert uns, noch mehr darauf zu achten, dass unsere Texte sowohl eindringlich als auch wahr sind.
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