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Hans Christoph Buch blickt in "Stillleben mit Totenkopf" auf das Leben seines Lieblingsschriftstellers zurück
Hui, diese Behauptung ist steil: "Roman" nennt Hans Christoph Buch (oder der Verlag?) sein neues Werk "Stillleben mit Totenkopf", das aber als "Memoiren" charakterisiert werden müsste, denn der Gegenstand ist Hans Christoph Buch und was er erlebt hat in den bislang vierundsiebzig Jahren seines Lebens. Natürlich nicht alles; dafür ist dieses Leben viel zu unstet, reich und abenteuerlustig gewesen. Buch preist sich ja nicht zu Unrecht dafür, dass er den Dingen auf den Grund gegangen ist (und noch immer geht), sprich: dass er die ganze Welt bereist hat, um selbst in Augenschein zu nehmen, worüber er schreibt.
Besondere Expertise - das wissen die Leser dieser Zeitung - hat er sich im Falle Haitis erworben, was einen familiengeschichtlichen Hintergrund hat, denn Buchs Großvater war dort Apotheker. Und auch Afrika hat der Schriftsteller immer wieder aufgesucht, ohne Rücksicht auf persönliche Gefährdungen. So beginnt "Stillleben mit Totenkopf" denn auch mit einer atemlosen, im August 2017 buchstäblich ohne Punkt und Komma geschriebenen Impression aus der zentralafrikanischen Hauptstadt Bangui und endet mit einem offenen Brief an Bundespräsident Steinmeier, den Buch im selben Monat und am selben Ort verfasst hat und in dem er deutsches Engagement für Afrika einklagt. Zeitgemäßer kann ein Roman kaum sein. Natürlich auch kein anderes Buch.
Ob Hans Christoph Buch die Titulierung als "Roman" damit rechtfertigen will, dass er ein munteres Verwirrspiel mit chronologischen Abläufen betreibt? So beschreibt er ein Frühstück in der New Yorker Wohnung der Schriftstellerin Susan Sontag vom Februar 1980, und als einen möglichen Anlass für die Einladung führt Buch ein gemeinsam verfasstes Telegramm an Fidel Castro an, in dem er und Sontag die Freilassung von Armando Valladares verlangt hatten, der mehr als zwanzig Jahre in kubanischer Haft saß. Erfolgreich, wie Buch sich rühmen darf, aber sofern es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen dem Telegramm und Valladares' Ausreise gab, muss es 1982 abgeschickt worden sein. Da hat die Zeit anscheinend einen Umweg gemacht. So wie auch bei Buchs lebensverändernder Reise 1994, anlässlich seines fünfzigsten Geburtstags, nach Haiti, wo er mittels Wikipedia der Herkunft eines ihn entscheidend motivierenden Zitats nachspürte - sieben Jahre vor der Gründung der Online-Enzyklopädie.
Wobei das Marginalien sind, denn wie auch immer man Buchs Buch einordnen will: Es liest sich allemal wie ein Roman. Es ist auch phantastisch wie ein Roman, etwa wenn der Verfasser behauptet: "Wie den meisten Autoren fällt es mir schwer, über mich selbst zu schreiben." Nichts fällt ihm leichter, denn "Stillleben mit Totenkopf" dreht sich ja zur Gänze um Hans Christoph Buch. Aber das ist keine Schwäche, denn da gibt es wirklich etwas zu erzählen. Und es enthält wunderbare Porträts wie das von Joseph Brodsky oder auch von Heiner Müller, die nie zustande gekommen wären, wenn diese beiden Schriftsteller nicht der Eitelkeit von Buch geschmeichelt hätten. Durch ihre Freundschaft zu ihm, aber mehr noch durch Einbeziehung seiner Person in deren Schaffen. Und wer das von sich behaupten kann, der hat allen Grund, eitel zu sein.
Die durch die beiden zentralafrikanischen Texte scheinbar von 2017 bis 2017 reichenden Erinnerungen greifen viel weiter aus, übers ganze Leben von Hans Christoph Buch, dessen erste Erinnerung ins Lebensalter von elf Monaten zurückgeht, als er in den Armen seiner Mutter einem alliierten Luftangriff auf die Heimatstadt Wetzlar zusah. Elf Jahre später stürzten am neuen Wohnort der Familie, in Bonn-Kessenich, zwei Kampfjets der britischen Armee bei einem Übungsflug in unmittelbarer Nähe des gerade schreibenden Knaben ab - die Verbindung von Beobachtung, Krieg und Schreiben ist der Cantus firmus dieser Memoiren. Und die Freiheit.
Als Dozent an der Universität von Qingdao, im früheren deutschen Pachtgebiet in China, hat Buch offen sein Credo verkündet: "Ich bin ein freier Schriftsteller, dem kein Staat und keine Regierung, aber auch keine Privatperson vorschreibt, was er sagen und schreiben oder was er nicht schreiben und nicht sagen darf. Diese Freiheit ist ein kostbares Gut, und ich möchte sie gegen nichts eintauschen."
Hans Christoph Buch ist zweifellos zu konzedieren: Er ist ein unideologischer Schriftsteller. Als Angehöriger der Achtundsechziger-Generation ging er auf Abstand zu den radikalen Kräften, als sie von ihm verlangten, dem gesellschaftlichen Engagement den Vorzug gegenüber der Kunst zu geben. "Aber ich war nicht bereit, Beckett oder Kafka über Bord zu werfen zugunsten von Günter Wallraff, und die Liebe zur Literatur hat mich vor schlimmeren Verstrickungen bewahrt." Als seine Lehrmeister im Formenspiel bezeichnet er Ernest Hemingway und John Reed, und deren Vermischung von Dichtung und Wahrheit gerade in den Reportagetexten mag das Vorbild für "Stillleben mit Totenkopf" gewesen sein. Aber ein Roman? Dafür ist die wiederholt eingestreute Floskel "Oder war es . . .", mit der der Autor gerade bei besonders lebendigen Detailerinnerungen augenzwinkernd Unsicherheit sät, dann doch nicht genug. Aber das Memoirenbuch vermittelt Neugier, Wagemut und Selbstbestimmtheit seines Verfassers in einer Intensität, die staunen macht. Und wie bei der Philosophie ist das doch auch bei Literatur der Anfang aller Dinge.
ANDREAS PLATTHAUS
Hans Christoph Buch:
"Stillleben mit Totenkopf". Roman.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2018. 249 S., geb., 20,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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