Dass Unfertiges, Unvollendetes, gänzlich Unveröffentlichtes aus seinem Nachlass publiziert wird, wollte Wolfgang Herrndorf nicht. In seinem Testament verfügte er, solche Arbeiten seien zu vernichten. Daran haben die Erben sich gehalten. Es gibt aber eine Anzahl von Texten, die schon zu Herrndorfs Lebzeiten einen Weg in die Öffentlichkeit gefunden hatten, sei es abgedruckt an entlegenem Ort, sei es durch Lesungen, vor allem aber digital: Herrndorf war Mitglied des Internet-Forums «Wir höflichen Paparazzi», einem Verbund von Selbstdenkern und kreativen Menschen, aus dem inzwischen namhafte Autoren wie Kathrin Passig, Klaus Cäsar Zehrer oder Christian Y. Schmidt hervorgegangen sind. Das Forum war, so formuliert es Tex Rubinowitz, «eine beinharte stalinistische Schreibschule». Und alle, die dabei waren, sind sich einig: Am strengsten bei der Beurteilung eigener und fremder Texte war Wolfgang Herrndorf. Meist schrieb er unter dem Pseudonym «Stimmen». Der vorliegende Band präsentiert eine Auswahl, Texte, die mal an «In Plüschgewittern» erinnern, mal an «Tschick», mal an die magischen Erinnerungsfragmente aus «Arbeit und Struktur». Es gibt u.a. eine Fahrt mit einem gestohlenen Schrottauto über Land, nur sind es keine Jugendlichen und das Auto ist kein Lada; Herrndorf selbst verirrt sich nachts mit dem Fahrrad im Wald und klingt wie Isa auf ihren Wanderungen im Mondschein. Nichts findet sich hier, das nur Dokument oder Autorenreliquie wäre; alles ist Literatur, auch das unvollendet Gebliebene, wo es vom Autor selbst in die Tradition des romantischen Fragments gestellt wird. Ein Schatz für Wolfgang Herrndorfs Leser.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Schmerzlich wird Ulrich Seidler mit diesen aus dem Nachlass des Autors veröffentlichten Texten an den Tod Wolfgang Herrndorfs erinnert. Allerdings auch daran, dass die Blogeinträge ja nicht unveröffentlicht sind, sondern aus "Wir höflichen Paparazzi" stammen. Die Entscheidung der Herausgeber Marcus Grätner und Cornelius Reiber zur Veröffentlichung in Buchform, ahnt er, war nicht einfach. Herausgekommen ist laut Rezensent ein Sammelsurium aus Wortspielartigem, Lyrischem, durchaus Manieriertem, Glossen und Satiren. Dass Herrndorf recht intolerant über Kunst und Literatur urteilen konnte, erfährt Seidler hier auch. Die Begegnung mit einem oft einsamen, wütenden und zynischen Erzähler, findet er. Herrndorfs Kindheitserinnerungen gefallen ihm noch am besten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Herrndorfs Poesie ist pur und direkt, unendlich traurig und berückend schön. Die Zeit