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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Verse an das, was fehlt, aber doch präsent bleibt, legt Olga Martynova in ihrem neuen Lyrikband "Such nach dem Namen des Windes" vor. Schmerzliche, hoffende, mit der Trauer ringende und doch auch heitere Zwiegespräche mit Toten inszeniert sie. Ihre Gedichte sind Kontaktfiguren mit dem verstorbenen Geliebten, nachdem sie mit dem Verlust einen eigenen Tod gestorben ist: "Nun, d.h. nach deinem Tod, / mache ich alles mit, was man so tut / bin nur im fünften Jahr tot / und trage den Brutkasten auf dem Kopf, / in dem ein Todesküken piepst. / Lächelst du mit ob der Komik des Ganzen . . .?" Nicht erst das gemeinsame Lächeln würde für ein Einverständnis sorgen. Schon der versgewordene, behutsam als Frage formulierte Gedanke reicht aus, um Geister-, Geistes- und Gefühlswelt zu verschränken.
"O.J." ist dieser Band gewidmet. 2018 ist Olga Martynovas Mann, der Schriftsteller Oleg Jurjew, verstorben, und man kommt nicht umhin, in den eindringlichen Zwiegesprächen auch diese Beziehung mitzulesen. Olga Martynova schafft über die sieben Zyklen ihres Bandes hinweg zahlreiche Variationen dieser Dies- und Jenseits verbindenden Kontaktfigur, indem sie auf immer neues Bildmaterial zurückgreift. Für diejenigen, welche die berühmte ball- und schlägerlose Tennisszene aus Michelangelo Antonionis Filmklassiker "Blow up" nie aus der Erinnerung verloren haben - hier erfährt sie als Traumvision eine Neuauflage: "Ich sah mich Tennis spielen, / der Gegner unsichtbar / nur die Art seiner Schläge verriet / die Bewegung hinter dem Netz, / das ebenso nicht sichtbar war."
Poetische Totengespräche führt man, wenn einem neben dem Equipment auch das Gegenüber verloren geht. Wer keine Tennisträume hat, begleite den titelgebenden Wind ins Jenseits. Wer für diesen keinen passenden Namen findet, folge der in diesem Band so auffällig inszenierten Elster. Schwarz-weiß gefiedert, als verkörperte sie als Sinnbild die schwarz auf weiß gedruckte Schrift, fliegt sie zu Beginn des zweiten Zyklus in den Fokus der Aufmerksamkeit ein: "Die Elster, die jeden Mittag / vor mir in der Luft steht / und nicht weiß, / was sie mir zu sagen hätte." Mit den Zügen eines komischen Vogels ("Die Elster trägt heute einen Ziegenbart") vermag sie sowohl im derben Register ("nehmt eure hohe Antike / und steckt sie euch in den Arsch") wie auch in seliger Hölderlintrunkenheit zu kommunizieren: "Trunken von Nüchternheit sind die Menschen geworden / können weder klar denken noch wirklich fühlen."
Für Martynova gilt das Prinzip der Kontaktaufnahme auch im Umgang mit den dichterischen Vorgängerinnen. Neben Elke Erb, Pasolini und Tolstoi ist in diesem Band vor allem von Hölderlin zu lesen. Bereits der erste Vers des Bandes setzt mit einem Pastiche (oder ist das schon Parodie?) zu "Hälfte des Lebens" ein: "Weh mir, wo nehm ich / die Suppe". Kurz darauf findet man sich vor Hölderlins Wohnort in Bordeaux wieder, um die eigene Gefühlslage zu analysieren: "Ich spüre nichts. / Ich höre zu. / Nichts. / Hölderlin ist tot." Für einen Augenblick reißt der Kontakt ab, um in den Buchstabenfolgen des Geschriebenen doch zu Leben erweckt zu werden.
Wie ließe sich diese Verbindung zum Verstorbenen auf Dauer bewahren? Zwei Möglichkeiten entfalten Martynovas Gedichte dieses Bandes: Zum einen erarbeiten die Verse eine Poetik der Prägnanz. Sie arbeiten mit zahlreichen kompositorischen Überlagerungen. Schicht für Schicht nähern sie sich dem Fremden an: "Außer den fahlen, falb leuchtenden Buchstaben / ist niemand da, nur noch Fetzchen dahintauender Luft / in deinen Platanen, nur das letzte Eis / in diesem Flussdelta, / das Licht lichtet sich - / irgendwie in beiden Sinnen des Wortes." Da falb eigentlich "fahl gelb" heißt, überlagern sich - über den alliterativen Klang hinaus - das "Fahle und das Falbe". Weil zudem das Bild des Tauens schon Vergänglichkeit einschließt, sorgt auch die Vorsilbe "dahin" für eine Verdoppelung.
Sprachliche Präzision führt zur Prägnanz, zur Anreicherung und Schichtung von Ähnlichem, die gleich darauf in der (an Sklovskijs "Steine steinen") erinnernden Vorstellung weitergeführt wird: "das Licht lichtet sich - / irgendwie in beiden Sinnen des Wortes." Auf diese Weise erzeugt Martynova aus den "leuchtenden Buchstaben", was Baumgarten einst als "anschauliche Dichte" und "prägnanten Vergegenwärtigung" zum poetisch Schönen erklärt hatte. Sie wird zur Bedingung und Möglichkeit sprachlichen Kontakts. Das ist die eine Möglichkeit. Die zweite besteht Olga Martynovas Versen nach in einer sorgsam gehüteten Ahnungslosigkeit. Etwa dort, "wo wir auf dem feuchten, quadratischen Mond / zwei Mondflecken sind, / ohne Ahnung vom Tod zwischen uns". Oder auch gegenüber einem einzelnen Halm, der seine Spitze aus dem Irdischen hebt: "Angenommen, er hat keine Ahnung vom eigenen Sterben, / aber merkt er, wenn ein anderer Halm / vertrocknet? Wenn nicht, würde ihm meine ganze Würde / für dieses Unwissen geben?"
Unwissend bleiben, um Raum zu Begegnung zu geben, so tastet sich Martynovas eindrückliche Lyrik über den Rand des Lebendigen hinaus. CHRISTIAN METZ
Olga Martynova:
"Such nach dem Namen des Windes". Gedichte.
Verlag S. Fischer,
Frankfurt am Main 2024.
128 S., geb., 25,- Euro.
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