Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Der Göttinger Germanist Kai Sina deutet das Werk von Walter Kempowski als Aktualisierung der Liturgie, als Gottesdienst, der eine "erlösende Trauer angesichts der katastrophalen deutschen Geschichte" ermöglichen soll. Der Autor nimmt die Stelle des Gekreuzigten ein, er versteht sich als der Einzige, der die Verbindung zum abwesenden Gott aufrechterhält, indem er die Schuld auf sich zu nehmen bereit ist. Die kunstreligiöse Stilisierung eines Stefan George erschien Kempowski aber eher lächerlich. Dennoch habe er sich immer wieder "christomorph" dargestellt, was auch heißt, dass er sich noch in der Phase großer Anerkennung als Ausgegrenzten und Missachteten verstanden hat. Lamm oder Taube war er aber keineswegs. Er konnte sehr charmant sein, aber als notorisch Gekränkter sprang er ziemlich gnadenlos mit Menschen um. Der kunstreligiöse Anspruch auf Heilung und Erlösung äußert sich Sina zufolge im Werk, von der "Deutschen Chronik" bis zum "Echolot", in charakteristischen Widersprüchen und einer "negativen Anthropologie". Eine einheitliche historische Erfahrung gibt es bei Kempowski nicht. Die Stimmen des kollektiven Tagebuchs bleiben unverbunden. Nur eine religiös verstandene allumfassende Liebe als "unerklärlicher Effekt der Lektüre" kann Sinas gewissenhaft, zuweilen umständlich argumentierender Studie zufolge für Einheit unter den Menschen sorgen. (Kai Sina: "Sühnewerk und Opferleben". Kunstreligion bei Walter Kempowski. Wallstein Verlag, Göttingen 2012. 282 S., 21 Abb., geb., 29,90 [Euro].) fap
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main