Akwaeke Emezi erkundet in ihrem von Kritik und Publikum gefeierten Debütroman SÜSSWASSER wie es ist, ein gespaltenes Ich zu haben. Und sie zeigt gleichzeitig, wie wir alle unsere verschiedenen Identitäten laufend konstruieren. Ein Buch von wilder Energie und schlangenartiger Eleganz - die Geburt einer neuen ungebändigten literarischen Stimme.
Ada wächst im Süden Nigerias auf. Sie ist ein sprunghaftes und schwieriges Kind und ein Quell steter Sorge für ihre Eltern. Adas verschiedene Ichs kommen immer wieder zum Vorschein und rücken vor allem nach ihrem Umzug in die USA immer stärker in den Vordergrund. Nach einem traumatischen Übergriff nimmt Adas Leben eine dunkle und gefährliche Wendung.
"SÜSSWASSER ist reine Perfektion: sexy, sinnlich, magisch, weise. Eines der umwerfendsten Debüts, die ich je gelesen habe." Taiye Selasi, GUARDIAN
"Außergewöhnlich und mutig, poetisch und verstörend." NEW YORK TIMES
"Eine ungeheuer kraftvolle und sehr besondere Einwanderungsgeschichte." Edwidge Danticat, NEW YORKER
Ada wächst im Süden Nigerias auf. Sie ist ein sprunghaftes und schwieriges Kind und ein Quell steter Sorge für ihre Eltern. Adas verschiedene Ichs kommen immer wieder zum Vorschein und rücken vor allem nach ihrem Umzug in die USA immer stärker in den Vordergrund. Nach einem traumatischen Übergriff nimmt Adas Leben eine dunkle und gefährliche Wendung.
"SÜSSWASSER ist reine Perfektion: sexy, sinnlich, magisch, weise. Eines der umwerfendsten Debüts, die ich je gelesen habe." Taiye Selasi, GUARDIAN
"Außergewöhnlich und mutig, poetisch und verstörend." NEW YORK TIMES
"Eine ungeheuer kraftvolle und sehr besondere Einwanderungsgeschichte." Edwidge Danticat, NEW YORKER
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
In der amerikanischen Kunstszene gilt Akwaeke Emezi bereits als Literaturstar bzw. als Literaturstars, weiß Rezensentin Marie Sophie Adeoso. Die in New York lebende nigerianische Autorin igbo-tamilischer Herkunft, die sich im online-Magazin The Cut außerdem als "nonbinary trans and plural person" beschreibt, spricht von sich selbst nämlich am liebsten im Plural. Die Geschichte, die sie in "Süßwasser" erzählt, ist nach Aussage des Autoren-Wirs auch ihre eigene - die Geschichte also eines "pluralen Individuums" - einer transgender Person, deren Körper von mehreren Persönlichkeiten bewohnt und von verschiedenen Geisterwesen der westafrikanischen Mythologie besetzt wird. Dass eine frühe Vergewaltigung ursächlich für diese Aufspaltung der Person sein könnte, deutet Adeoso nur an. Asughara heißt eines der präsentesten Ichs, das aus Emezis Protagonistin Ada spricht. Daneben gibt es jedoch noch weitere und natürlich das allumfassende Wir, erklärt Adeoso. Man muss sich an diesen oft verwirrenden Erzählduktus erst gewöhnen, erklärt die Rezensentin, dann aber wird das Buch zum "Ereignis",so die am Ende völlig hingerissene Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.01.2019Verrat an den Stimmen
in deinem Kopf
Roman eines Traumas: Akwaeke Emezis „Süßwasser“
In den Missbrauchsdebatten der letzten Zeit hieß es oft, dass sich im Leben alles um Sex dreht, außer Sex. Der dreht sich um Macht. Wie jemand nach dem ultimativen Machtmissbrauch weiterlebt, beschreibt ein Roman, in dem ein Dutzend Stimmen erzählen, jeweils ein Kapitel lang. Die Hauptfigur von „Süßwasser“, Ada, hat eine Vergewaltigung erlebt, eine psychische Krankheit ist die Folge. Und die Stimmen, die zum Leser sprechen, sind die Stimmen im Kopf von Ada. Sie wirken als Dämonen oder Schutzgeister, nehmen Adas Stelle ein und bekommen eine eigene Souveränität: „Es fühlte sich also wie Verrat an, als sie begann, ihre ‚Symptome‘ zu recherchieren – als dachte sie, wir wären abnormal. Wie sollte das möglich sein, wenn wir sie waren und sie wir? Ich habe ihr dabei zugesehen, wie sie versuchte, Menschen von uns zu erzählen, und ich lächelte, wenn sie ihr antworteten, dass es normal sei, ein vielschichtiges Selbst zu haben.“
Die verschiedenen Stimmen erzählen also chronologisch von Adas Leben und erklären, warum Ada sich selbst verletzt, warum keine Therapie sie heilt, warum sie vor Liebe fliehen und die Gefahr suchen muss. Die Stimmen überzeugen Ada ein ums andere Mal: „Schau, du kannst dich ihm nicht hingeben, weil du nicht dir gehörst. So ist das.“ Hauptsächlich reißt ihre wichtigste Dämonin das Wort an sich, die unbehütete, dominante und frivole Asughara. Ada selbst kommt in dem Roman wenig zu Wort, höchstens, wenn sie sich mit einem ihrer inneren Dämonen streitet. Sie schreit Asughara an: „Du verletzt Menschen, die ich liebe, verstehst du das nicht?“ Aber die verschiedenen Persönlichkeiten übernehmen immer die Herrschaft über sie, wenn der Schmerz zu groß, die Demütigung zu tief wird. Und wenn es um Sex geht.
„Süßwasser“ heißt im Original „Freshwater“ und ist Akwaeke Emezis erster Roman. Die Autorin hat in den USA studiert und schreibt auf Englisch. Gefördert von der einflussreichen Autorin Chimamanda Ngozi Adichie wird die igbo-tamilische Nigerianerin gerade von einem internationalen Publikum entdeckt. Es ist verstörend, wie gut man sich durch ihren Roman auf die Stimme des Traumas, die hier Asughara heißt, einlassen kann. Ihre Logik ist bestechend. Adas Krankheit erscheint deswegen als gesunde Reaktion auf etwas, das nie hätte passieren dürfen. Asughara ist grausam und hart: „Selbst als sie ihre Haut nicht mehr ritzen konnte, war ich scharf genug, um es von innen zu tun, denn wir beide wussten, dass die Opfer nicht aufhören konnten.“ Ein andermal ist sie fürsorglich: „Zeigt uns jemanden, irgendwen, der sie besser hätte retten können als wir.“ So bewahrt sie Ada vor echter Schutzlosigkeit, schirmt sie aber auch ab gegen Wärme, vor Liebe und Geborgenheit.
Adas Geschichte lässt sich aus dem Stimmenwirrwarr nach und nach rekonstruieren: Sie wächst in Nigeria auf, ihre Mutter verlässt die Familie früh, um in Saudi-Arabien zu arbeiten, der Vater ist abwesend. Als Teenager geht sie in den USA aufs College. Dort wird Ada vergewaltigt, ab da sind die Stimmen in ihrem Kopf. Ada hat Nigeria hinter sich gelassen, aber nicht den Kinderglauben an die Ogbanje, die Schutzgeister der Igbo, die sich zwischen sie und die Wirklichkeit schieben. Nach Igbo-Glauben sind manche Menschen von Geistern besessen, die aus dem Jenseits stammen und Unheil anrichten. Das Unheil, das Ada erfahren hat, ist allerdings menschengemacht, die Geister sind ihre Schutzmächte.
Emezis Erzähltechnik versetzt einen in ein Trauma, auf das es keine Metaperspektive geben kann, weil die Erzählerin selbst am Trauma zerbrochen ist. Die disparaten Stimmen von Adas Ich erhalten ein Profil, man macht sich mit ihnen vertraut, während sie mit Ada um Ada streiten: Neben Asughara der queere St. Vincent oder der wertende, prüde Jesus, dessen Reinheitsideal Adas Verletzungen zur Sünde erklärt. Nach und nach spürt man: Adas Geist und Gedächtnis werden weder vom christlichen Glauben noch von moderner Therapie geheilt. Eine schmerzhafte Linderung bringt es nur, sich mit der Zersplitterung anzufreunden: „Viele Dinge sind besser als ein vollständiges Gedächtnis; viele Dinge, die wir tun, sind eine Gnade.“
Dieser Roman stellt hohe Ansprüche an seine Leser – psychisch, logisch, emotional. Das Trauma wird nicht magisch aufgehoben und eingehegt. Wenn man das aushalten kann, dann weil „Süßwasser“ so originell erzählt ist. Adas selbstzerstörerisches Coming of Age zeigt, dass erotische, spielerische Libertinage psychische Souveränität voraussetzt, genussvolle Herrschaft über sich selbst.
Leider wird der Text gegen Ende expliziter als nötig. Er wechselt in eine medizinische Sprache, löst sich in eine Diagnose auf: dissoziative Persönlichkeitsstörung mit suizidaler und selbstverletzender Tendenz. Man hat das aber schon lange zuvor verstanden, wenn Asughara sagt: „Ich sammelte Kraft in meinen Händen und fuhr damit in den Marmor, ich schickte einen tiefen Strahl aus Schmerz durch ihren Kopf. Ada keuchte und umfasste ihren Kopf, aber ich hörte nicht auf. Ich versenkte meine Fäuste in den Marmor und spaltete ihren Kopf mit einer heftigen Migräne, und es funktionierte. Sie ging nie wieder zu der Therapeutin. So habe ich uns alle beschützt, vor den Ärzten und den Diagnosen und den Medikamenten.“
Ein Text, der um ein Trauma kreist, lässt keine Auflösung zu, jede ästhetische oder erzählerische Harmonisierung verbietet sich. Und doch schafft es Emezi, Adas Erleben zu seinem literarischen Recht kommen zu lassen. Man spürt es in den wenigen Worten, die Ada spricht, als die Dämonen sie überwältigen: „Es ist erleichternd, überwältigt worden zu sein, auf dem Rücken im Sand zu liegen, lebendig und außer Atem. So kann man den Himmel sehen.“
EVA BUCHER
Akwaeke Emezi: Süßwasser. Aus dem Englischen von Anabelle Assaf und Senthuran Varatharajah. Eichborn Verlag, Köln 2018. 285 Seiten, 24 Euro.
„So habe ich uns alle
beschützt, vor den Ärzten
und den Diagnosen“
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in deinem Kopf
Roman eines Traumas: Akwaeke Emezis „Süßwasser“
In den Missbrauchsdebatten der letzten Zeit hieß es oft, dass sich im Leben alles um Sex dreht, außer Sex. Der dreht sich um Macht. Wie jemand nach dem ultimativen Machtmissbrauch weiterlebt, beschreibt ein Roman, in dem ein Dutzend Stimmen erzählen, jeweils ein Kapitel lang. Die Hauptfigur von „Süßwasser“, Ada, hat eine Vergewaltigung erlebt, eine psychische Krankheit ist die Folge. Und die Stimmen, die zum Leser sprechen, sind die Stimmen im Kopf von Ada. Sie wirken als Dämonen oder Schutzgeister, nehmen Adas Stelle ein und bekommen eine eigene Souveränität: „Es fühlte sich also wie Verrat an, als sie begann, ihre ‚Symptome‘ zu recherchieren – als dachte sie, wir wären abnormal. Wie sollte das möglich sein, wenn wir sie waren und sie wir? Ich habe ihr dabei zugesehen, wie sie versuchte, Menschen von uns zu erzählen, und ich lächelte, wenn sie ihr antworteten, dass es normal sei, ein vielschichtiges Selbst zu haben.“
Die verschiedenen Stimmen erzählen also chronologisch von Adas Leben und erklären, warum Ada sich selbst verletzt, warum keine Therapie sie heilt, warum sie vor Liebe fliehen und die Gefahr suchen muss. Die Stimmen überzeugen Ada ein ums andere Mal: „Schau, du kannst dich ihm nicht hingeben, weil du nicht dir gehörst. So ist das.“ Hauptsächlich reißt ihre wichtigste Dämonin das Wort an sich, die unbehütete, dominante und frivole Asughara. Ada selbst kommt in dem Roman wenig zu Wort, höchstens, wenn sie sich mit einem ihrer inneren Dämonen streitet. Sie schreit Asughara an: „Du verletzt Menschen, die ich liebe, verstehst du das nicht?“ Aber die verschiedenen Persönlichkeiten übernehmen immer die Herrschaft über sie, wenn der Schmerz zu groß, die Demütigung zu tief wird. Und wenn es um Sex geht.
„Süßwasser“ heißt im Original „Freshwater“ und ist Akwaeke Emezis erster Roman. Die Autorin hat in den USA studiert und schreibt auf Englisch. Gefördert von der einflussreichen Autorin Chimamanda Ngozi Adichie wird die igbo-tamilische Nigerianerin gerade von einem internationalen Publikum entdeckt. Es ist verstörend, wie gut man sich durch ihren Roman auf die Stimme des Traumas, die hier Asughara heißt, einlassen kann. Ihre Logik ist bestechend. Adas Krankheit erscheint deswegen als gesunde Reaktion auf etwas, das nie hätte passieren dürfen. Asughara ist grausam und hart: „Selbst als sie ihre Haut nicht mehr ritzen konnte, war ich scharf genug, um es von innen zu tun, denn wir beide wussten, dass die Opfer nicht aufhören konnten.“ Ein andermal ist sie fürsorglich: „Zeigt uns jemanden, irgendwen, der sie besser hätte retten können als wir.“ So bewahrt sie Ada vor echter Schutzlosigkeit, schirmt sie aber auch ab gegen Wärme, vor Liebe und Geborgenheit.
Adas Geschichte lässt sich aus dem Stimmenwirrwarr nach und nach rekonstruieren: Sie wächst in Nigeria auf, ihre Mutter verlässt die Familie früh, um in Saudi-Arabien zu arbeiten, der Vater ist abwesend. Als Teenager geht sie in den USA aufs College. Dort wird Ada vergewaltigt, ab da sind die Stimmen in ihrem Kopf. Ada hat Nigeria hinter sich gelassen, aber nicht den Kinderglauben an die Ogbanje, die Schutzgeister der Igbo, die sich zwischen sie und die Wirklichkeit schieben. Nach Igbo-Glauben sind manche Menschen von Geistern besessen, die aus dem Jenseits stammen und Unheil anrichten. Das Unheil, das Ada erfahren hat, ist allerdings menschengemacht, die Geister sind ihre Schutzmächte.
Emezis Erzähltechnik versetzt einen in ein Trauma, auf das es keine Metaperspektive geben kann, weil die Erzählerin selbst am Trauma zerbrochen ist. Die disparaten Stimmen von Adas Ich erhalten ein Profil, man macht sich mit ihnen vertraut, während sie mit Ada um Ada streiten: Neben Asughara der queere St. Vincent oder der wertende, prüde Jesus, dessen Reinheitsideal Adas Verletzungen zur Sünde erklärt. Nach und nach spürt man: Adas Geist und Gedächtnis werden weder vom christlichen Glauben noch von moderner Therapie geheilt. Eine schmerzhafte Linderung bringt es nur, sich mit der Zersplitterung anzufreunden: „Viele Dinge sind besser als ein vollständiges Gedächtnis; viele Dinge, die wir tun, sind eine Gnade.“
Dieser Roman stellt hohe Ansprüche an seine Leser – psychisch, logisch, emotional. Das Trauma wird nicht magisch aufgehoben und eingehegt. Wenn man das aushalten kann, dann weil „Süßwasser“ so originell erzählt ist. Adas selbstzerstörerisches Coming of Age zeigt, dass erotische, spielerische Libertinage psychische Souveränität voraussetzt, genussvolle Herrschaft über sich selbst.
Leider wird der Text gegen Ende expliziter als nötig. Er wechselt in eine medizinische Sprache, löst sich in eine Diagnose auf: dissoziative Persönlichkeitsstörung mit suizidaler und selbstverletzender Tendenz. Man hat das aber schon lange zuvor verstanden, wenn Asughara sagt: „Ich sammelte Kraft in meinen Händen und fuhr damit in den Marmor, ich schickte einen tiefen Strahl aus Schmerz durch ihren Kopf. Ada keuchte und umfasste ihren Kopf, aber ich hörte nicht auf. Ich versenkte meine Fäuste in den Marmor und spaltete ihren Kopf mit einer heftigen Migräne, und es funktionierte. Sie ging nie wieder zu der Therapeutin. So habe ich uns alle beschützt, vor den Ärzten und den Diagnosen und den Medikamenten.“
Ein Text, der um ein Trauma kreist, lässt keine Auflösung zu, jede ästhetische oder erzählerische Harmonisierung verbietet sich. Und doch schafft es Emezi, Adas Erleben zu seinem literarischen Recht kommen zu lassen. Man spürt es in den wenigen Worten, die Ada spricht, als die Dämonen sie überwältigen: „Es ist erleichternd, überwältigt worden zu sein, auf dem Rücken im Sand zu liegen, lebendig und außer Atem. So kann man den Himmel sehen.“
EVA BUCHER
Akwaeke Emezi: Süßwasser. Aus dem Englischen von Anabelle Assaf und Senthuran Varatharajah. Eichborn Verlag, Köln 2018. 285 Seiten, 24 Euro.
„So habe ich uns alle
beschützt, vor den Ärzten
und den Diagnosen“
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"Emezis Ada ist ein zarter wie harter, aber hoffnungsvoller Entwurf: Denn Identität erneuert sich fließend." Spiegel ONLINE, 02.09.2018 "Akwaeke Emezi liefert mit ihrem Debütroman ein faszinierendes Abbild des Inneren einer gespaltenen Persönlichkeit." Buchkultur, August 2018