Mit Wärme, Witz und Lust an kleinen Wundern: Karin Kalisa erzählt, wie das Leben in der Metropole Berlin sich verwandelt, sobald Urberliner und die Nachkommen der vietnamesischen Vertragsarbeiter der DDR sich zusammentun. Plötzlich tragen Parkraumwächter Kegelhüte, spannen sich Brücken aus Bambus zwischen den Mietshäusern, macht ein Zahnarzt kostenlosen Sonntagsdienst für die Patienten aus Fernost - eine spontane Alltagsrevolution, bei der auch die Ho-Chi-Minh-Flagge auf dem Bezirksamt nicht fehlen darf. Der Gemischtwarenladen des studierten Archäologen Sung ist das Zentrum der Bewegung, ihre Aktionen gipfeln in einer großen Vorstellung des vietnamesischen Wassertheaters in einem Ententeich. So geschieht das Unglaubliche: Gute Laune herrscht in Berlin - ein Traum vom geglückten Zusammenleben wird Wirklichkeit.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.09.2015Ein Laden voll Glück
Good morning, Prenzlauer Berg: Karin Kalisas Debüt
Die Revolution nimmt in Prenzlauer Berg ihren Anfang: Kurz vor Weihnachten soll in einer Grundschule jedes Kind mit Migrationshintergrund ein persönliches Kulturgut präsentieren. Der kleine Minh Tran bittet seine Großmutter Hien um Hilfe, eine Puppenspielerin, die auf der Grundschulbühne mit Hilfe einer Marionette eine kindgerechte Kurzfassung ihrer Biographie erzählt: Vietnamkrieg, Emigration in die DDR, Verlust ihrer Tochter. Das Publikum ist gebannt - und vereinnahmt Hiens Geschichte für sich: Mütter und Töchter möchten ein meergrünes Seidenkleid, wie Hien es trägt, der Direktor erinnert sich, wie seine Freunde und er "in der Polytechnischen Oberschule mit übelriechender Farbe Plakate geschrieben hatten gegen die amerikanischen Aggressoren", und eine Lehrerin beschließt, Holzpuppen zu bauen, um damit gegen Raumknappheit in Kiezschulen zu protestieren.
Nach Veganismus und Glutenabstinenz wird in Karin Kalisas Prenzlauer Berg nun alles Vietnamesische zum Trend: Der Gemischtwarenladen der Familie Tran setzt Rekordmengen von Kegelhüten ab, die scharfe Nudelsuppe erlebt ein Revival; Vereine wie "Freunde des vietnamesischen Theaters" werden gegründet, ehrenamtliche Sprachkurse angeboten und Bambusbrücken nach vietnamesischem Vorbild gebaut, die Berliner Dächer für wenige Stunden verbinden und rechtzeitig vor Ankunft des Ordnungsamts abgebaut werden.
Die Erzählung wird immer wieder von Rückblenden unterbrochen, die Hien im Jahr 1980 zeigen: Die junge Einwanderin hört zwar im Radio, dass es einigen ihrer Landsleuten in Deutschland "nicht so gut" gehe; ihr und ihrem Mann Gam aber besorgen gutherzige DDR-Bürger eine Wohnung, eine Hebamme und einen Gemischtwarenladen, als sie nach dem Verlust ihrer Tochter abermals ein Kind erwarten: "Es war die wilde Zeit, in der alles ging. Ein Wort wie Ladenschlussgesetz hatte nichts zu sagen und die Trans hätten es ohnehin nicht verstanden ... Die Leute des Viertels kamen bei Tag und Nacht ... weil es nicht teuer war, weil die Frau so gut Deutsch sprach und der Mann so freundlich lächelte und immer einen Apfel extra gab, weil so ein süßes Kind mit dunkel schimmernden Augen dort auf dem Boden herumkrabbelte und sich gern über die seidigen Haare streicheln ließ ..."
Die fünfzigjährige Autorin Karin Kalisa lässt ihre Protagonisten angesichts des Glücks aufblühen, Tag und Nacht ohne jede Hilfe einen Laden betreiben zu dürfen, ihren titelgebenden Sohn Sung zwischen Verkaufsregalen aufzuziehen, ohne Kranken- oder Rentenversicherung, ohne zu wissen, wie lange man sie noch im Land dulden wird. Mit welchen Träumen Hien und Gam emigriert sind, welche Vorstellungen sie von einem erfüllenden Beruf, von einem guten Leben haben, scheint keine Rolle zu spielen; die beiden bleiben bis zuletzt Projektionsfiguren der alteingesessenen Bewohner Prenzlauer Bergs. Karin Kalisas Debüt "Sungs Laden" baut literarische Brücken zwischen scheinbar disparaten Welten und bewegt sich dabei, wie die meisten Märchen, fernab aktueller politischer Diskurse und Realitäten.
DANA BUCHZIK
Karin Kalisa: "Sungs Laden". Roman. Verlag C. H. Beck, München 2015. 255 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Good morning, Prenzlauer Berg: Karin Kalisas Debüt
Die Revolution nimmt in Prenzlauer Berg ihren Anfang: Kurz vor Weihnachten soll in einer Grundschule jedes Kind mit Migrationshintergrund ein persönliches Kulturgut präsentieren. Der kleine Minh Tran bittet seine Großmutter Hien um Hilfe, eine Puppenspielerin, die auf der Grundschulbühne mit Hilfe einer Marionette eine kindgerechte Kurzfassung ihrer Biographie erzählt: Vietnamkrieg, Emigration in die DDR, Verlust ihrer Tochter. Das Publikum ist gebannt - und vereinnahmt Hiens Geschichte für sich: Mütter und Töchter möchten ein meergrünes Seidenkleid, wie Hien es trägt, der Direktor erinnert sich, wie seine Freunde und er "in der Polytechnischen Oberschule mit übelriechender Farbe Plakate geschrieben hatten gegen die amerikanischen Aggressoren", und eine Lehrerin beschließt, Holzpuppen zu bauen, um damit gegen Raumknappheit in Kiezschulen zu protestieren.
Nach Veganismus und Glutenabstinenz wird in Karin Kalisas Prenzlauer Berg nun alles Vietnamesische zum Trend: Der Gemischtwarenladen der Familie Tran setzt Rekordmengen von Kegelhüten ab, die scharfe Nudelsuppe erlebt ein Revival; Vereine wie "Freunde des vietnamesischen Theaters" werden gegründet, ehrenamtliche Sprachkurse angeboten und Bambusbrücken nach vietnamesischem Vorbild gebaut, die Berliner Dächer für wenige Stunden verbinden und rechtzeitig vor Ankunft des Ordnungsamts abgebaut werden.
Die Erzählung wird immer wieder von Rückblenden unterbrochen, die Hien im Jahr 1980 zeigen: Die junge Einwanderin hört zwar im Radio, dass es einigen ihrer Landsleuten in Deutschland "nicht so gut" gehe; ihr und ihrem Mann Gam aber besorgen gutherzige DDR-Bürger eine Wohnung, eine Hebamme und einen Gemischtwarenladen, als sie nach dem Verlust ihrer Tochter abermals ein Kind erwarten: "Es war die wilde Zeit, in der alles ging. Ein Wort wie Ladenschlussgesetz hatte nichts zu sagen und die Trans hätten es ohnehin nicht verstanden ... Die Leute des Viertels kamen bei Tag und Nacht ... weil es nicht teuer war, weil die Frau so gut Deutsch sprach und der Mann so freundlich lächelte und immer einen Apfel extra gab, weil so ein süßes Kind mit dunkel schimmernden Augen dort auf dem Boden herumkrabbelte und sich gern über die seidigen Haare streicheln ließ ..."
Die fünfzigjährige Autorin Karin Kalisa lässt ihre Protagonisten angesichts des Glücks aufblühen, Tag und Nacht ohne jede Hilfe einen Laden betreiben zu dürfen, ihren titelgebenden Sohn Sung zwischen Verkaufsregalen aufzuziehen, ohne Kranken- oder Rentenversicherung, ohne zu wissen, wie lange man sie noch im Land dulden wird. Mit welchen Träumen Hien und Gam emigriert sind, welche Vorstellungen sie von einem erfüllenden Beruf, von einem guten Leben haben, scheint keine Rolle zu spielen; die beiden bleiben bis zuletzt Projektionsfiguren der alteingesessenen Bewohner Prenzlauer Bergs. Karin Kalisas Debüt "Sungs Laden" baut literarische Brücken zwischen scheinbar disparaten Welten und bewegt sich dabei, wie die meisten Märchen, fernab aktueller politischer Diskurse und Realitäten.
DANA BUCHZIK
Karin Kalisa: "Sungs Laden". Roman. Verlag C. H. Beck, München 2015. 255 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Für mich das schönste Buch des Jahres."
Christiane Pfau, Münchner Feuilleton, Dezember 2015
"Ein beeindruckender Debütroman, poetisch wie pragmatisch, detailreich und tiefgründig ausgearbeitet, fest in der Wirklichkeit verankert und dennoch von visionären Traumbildern durchsetzt."
Rowena Körber, Buchkultur, Oktober 2015
"Karin Kalisa beschreibt mit Charme, Witz und ganz ohne erhobenen Zeigefinger, wie bereichernd das Miteinander der Kulturen ist."
Stefan Kühner, Neues Deutschland, 2. September 2015
"Ein Buch, das Sie mit einem Lächeln zurück lässt."
Katrin Schmidt, Badische Zeitung, 21. August 2015
"Nicht nur ein äußerst unterhaltsamer, sondern zudem ein ungemein wichtiges Buch."
Joachim Leitner, Tiroler Zeitung, 7. August 2015
"So leicht und beschwingt erzählt; so wohltuend warmherzig, dass man sich fragt, warum es eigentlich nicht häufiger solche wunderbaren kleinen Bücher gibt."
Jan Ehlert, NDR Kultur, 23. Juli 2015
Christiane Pfau, Münchner Feuilleton, Dezember 2015
"Ein beeindruckender Debütroman, poetisch wie pragmatisch, detailreich und tiefgründig ausgearbeitet, fest in der Wirklichkeit verankert und dennoch von visionären Traumbildern durchsetzt."
Rowena Körber, Buchkultur, Oktober 2015
"Karin Kalisa beschreibt mit Charme, Witz und ganz ohne erhobenen Zeigefinger, wie bereichernd das Miteinander der Kulturen ist."
Stefan Kühner, Neues Deutschland, 2. September 2015
"Ein Buch, das Sie mit einem Lächeln zurück lässt."
Katrin Schmidt, Badische Zeitung, 21. August 2015
"Nicht nur ein äußerst unterhaltsamer, sondern zudem ein ungemein wichtiges Buch."
Joachim Leitner, Tiroler Zeitung, 7. August 2015
"So leicht und beschwingt erzählt; so wohltuend warmherzig, dass man sich fragt, warum es eigentlich nicht häufiger solche wunderbaren kleinen Bücher gibt."
Jan Ehlert, NDR Kultur, 23. Juli 2015