Abramowitsch hat eine, der Emir von Abu Dhabi auch, Jeff Bezos sowieso: Superyachten sind Ausweis der Zugehörigkeit zum Club der lucky few. Sie ermöglichen grenzenlose Mobilität und exklusiven Geltungskonsum. Zugleich sind sie schwimmende Umweltsünden. Sie verbrennen Unmengen Treibstoff, ihre Anker zerstören kostbare Flora. Und sie sind Spielfelder obszöner Ungleichheit: Während ihre Besitzer zu den einflussreichsten Menschen der Welt gehören, ist das Bordpersonal oft Willkür und Rechtlosigkeit ausgeliefert.
Grégory Salle sieht in den riesigen Luxusschiffen den Schlüssel zum Verständnis des gegenwärtigen Kapitalismus. In seinem fulminanten Essay zeigt er, dass Superyachten nicht einfach Symbole des Exzesses sind. Vielmehr sind sie Symbole dafür, dass der Exzess zum Kennzeichen unseres Zeitalters geworden ist.
Grégory Salle sieht in den riesigen Luxusschiffen den Schlüssel zum Verständnis des gegenwärtigen Kapitalismus. In seinem fulminanten Essay zeigt er, dass Superyachten nicht einfach Symbole des Exzesses sind. Vielmehr sind sie Symbole dafür, dass der Exzess zum Kennzeichen unseres Zeitalters geworden ist.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
"Der Wille zur Yacht" ist die Rezension von Jan Füchtjohann über die Abhandlung des französischen Soziologen Grégory Salle überschrieben. Der Titel ist ein Zitat und bringt auf den Punkt, was Füchtjohann durch das faktenreiche Buch gelernt hat: Dass die Luxus-Schiffe eines der eindrücklichsten Symbole für eine sinnlose Erfindung, gleichzeitig aber eben auch für Ungleichheit, Ungerechtigkeit und ökologische Katastrophe sind. Geschockt ist der Rezensent, was Salle über die Boom-Branche der Superyachten zu berichten weiß, warum sie Steuerparadiese zu Wasser sind, wer damit vom Radar der Finanzbehörden zu verschwinden und die Weltpolitik zu umschiffen sucht. Besonders nachdrücklich ist für den Kritiker, wie Salle in die Seelen der Eigner kriecht, Aufsteiger in die Klasse der milliardenschweren Elite mit Namen nennt und dabei nicht unerwähnt lässt, dass auch J. K. Rowling eine Yacht besitzt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.12.2022Mobilität geht auch richtig teuer
Unschlagbarer Luxuskonsum mit Zeichencharakter: Grégory Salle widmet sich dem Phänomen und Markt der Superyachten.
Superyachten haben es in den vergangenen Monaten auf die vorderen Seiten der Tagespresse gebracht, seitdem einige von ihnen, im Besitz russischer Oligarchen, im Rahmen der Sanktionen gegen das kriegführende Russland beschlagnahmt wurden. Für öffentliche Aufmerksamkeit abseits der kunterbunten Nachrichten aus der Welt der Superreichen hatten sie auch früher schon hin und wieder gesorgt, etwa dann, wenn Politiker der Einladung auf eine dieser Luxusmobilien folgten.
Wie Nicolas Sarkozy, der sich unmittelbar nach seiner Wahl zum französischen Präsidenten vom Milliardär Vincent Bolloré einen solchen Urlaub spendieren ließ. Und zehn Jahre später wurden sie in Frankreich wieder Gesprächsgegenstand, als eine auf sie erhobene Abgabe eingeführt wurde, welche die Kritik am zuvor beschlossenen Übergang zu einem Steuersystem abfedern sollte, in dem sie als mobile Vermögenswerte weitgehend unbeachtet bleiben. Die Sache war eher Kosmetik, doch selbst sie ging schief, die Einnahmen erreichten nur einen lächerlich kleinen Bruchteil der Summe, die ursprünglich vom Regierungslager als Ertrag kolportiert worden war.
Warum diese französische Steuer auf Yachten von über dreißig Metern Länge - das Mindestmaß für die Kategorie "Superyacht" - ein Flop war, kann man bei Grégory Salle nachlesen, dessen im Vorjahr publiziertes Bändchen über das Phänomen der Superyachten nun auch auf Deutsch vorliegt. Dass es mit dieser Abgabe nicht klappte, erweist für den Soziologen und Politikwissenschaftler einmal mehr die steuerliche Begünstigung der Superreichen und liegt insofern auf seiner Linie, das Phänomen Superyachten nicht bloß als kuriose Maßlosigkeit zu nehmen, sondern als "Prüfstein" und "aussagekräftige Stichprobe" gegenwärtig erreichter Verhältnisse, in denen Vermögen angehäuft werden können, die dieses oberste Segment des Luxuskonsums tragen.
Wobei der Autor allerdings umsichtig genug ist, diesen Anspruch selbst wieder einzuklammern. Denn die Stichprobe ist zu klein, zu exzentrisch, um wirklich triftige Einsichten in diese Verhältnisse herzugeben, die man nur an ihr gewinnen könnte. Und dass Superreiche ihre eigene, weitgehend abgeschottete Welt etablieren, von krisenhaften Wirtschaftsentwicklungen nicht in Mitleidenschaft gezogen werden, kaum angemessene Steuerlast tragen - dazu braucht es nicht unbedingt den Blick auf den Markt der Superyachten oder gar den "Mikronischenmarkt" seines Top-Segments, in dem mittlerweile fast alle Yachten länger als hundert Meter sind.
Aber bei Salle findet sich durchaus Interessantes über diesen Markt und seine Akteure, dessen größte und teuerste Produkte seit den Achtzigerjahren krisenfest zulegten und der insgesamt - bei sechstausend Booten stehend - in den vergangenen beiden Jahren wieder auf Wachstumskurs ist. In den Top 100 geht es um Anschaffungskosten im Bereich von mehreren hundert Millionen Euro, zu denen saftige Unterhalts- und Betriebskosten kommen. Auch Einnahmen aus dem Chartergeschäft ändern nichts daran, dass es sich um eine Variante demonstrativen Konsums handelt. In einem Preisbereich, an den allenfalls Spitzenzuschläge des Kunstmarkts herankommen. (Der Microsoft-Mitbegründer Paul Allen, dessen Kunstsammlung unlängst für 1,6 Milliarden Euro versteigert wurde, war übrigens auch Besitzer einer 126-Meter-Yacht mit den in dieser Größenklasse fast schon obligaten Hubschrauber-Landeplätzen.)
Aber Seurats im Salon unterscheiden sich doch deutlich von Superyachten an der Hafenmole. Sie sind von unübersehbarer Größe, was ja gerade zu ihrer Beschlagnahmung im Fall der Eigner in Putins Netzwerk einlud: In ihnen ist in "imposanter Materialität" greifbar geworden, resümiert Salle, was sich sonst solcher Greifbarkeit entzieht, nämlich ein in Zeiten der Finanzialisierung weitgehend entmaterialisiertes Vermögen. Ihr Demonstrationswert, wie er sich in der "mimetischen Rivalität" der Eigner ausdrückt - nicht zuletzt im Wettlauf um immer größere Exemplare unter den Spitzenreitern -, ist nur um diesen Preis zu haben.
Bleibt einzusehen, was das Schiff im Gegensatz zum Seurat attraktiv macht: Es ist plakativ materialisiertes Vermögen, steht aber gleichzeitig für grenzenlose Mobilität bei einer fast lückenlos möglichen Abschottung vom Rest der Welt. Diese Versprechen auf Grenzenlosigkeit und Autarkie sind zwar bei näherer Betrachtung der notwendigen Infrastruktur eher illusorisch, aber es reicht offenbar für den Symbolwert. Oder in Salles Worten: Die Hypermobilität ist "zumindest ebenso expressiv wie instrumentell".
Zur "demonstrativen Abgeschiedenheit", welche die Yachten ermöglichten, findet man bei ihm interessante Beobachtungen. Protzigkeit und Diskretion lassen sich bei ihnen mühelos vereinen, und jedenfalls bleibt man unter sich. Was nicht nur für die jeweils eingeschiffte kleine Gesellschaft gilt - jenseits der hundert Meter Länge immer umgeben von einer zahlenmäßig größeren Crew -, sondern auch für die Eigner und Mieter insgesamt. Abgeschiedenheit meint natürlich nicht, sich in entlegene Winkel der Weltmeere zurückzuziehen, sondern die Flotte folgt Kursen in recht eng umschreibbaren Regionen, sommers mit erwartbaren Zentren im westlichen Mittelmeer.
Dass der ökologische Fußabdruck solchen Lebensstils riesig ist, versteht sich, und Schäden an empfindlicher mediterraner Meeresflora kommen hinzu. Auf beides geht Salle recht ausführlich ein. (Weshalb die französische Originalausgabe neben "Luxus" und "Stille" auch den "Ökozid" setzt; das "Kapitalozän" des Titels bleibt dagegen nur ein schneidiges Signalwort.) Der Winter beginnt, es geht für den Großteil der Flotte auf die Karibik zu. Und wie die juristischen Auseinandersetzungen über die beschlagnahmten Superyachten russischer Eigner enden werden, bleibt abzuwarten. HELMUT MAYER
Grégory Salle: "Superyachten". Luxus und Stille im Kapitalozän.
Aus dem Französischen von Ulrike Bischoff. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 170 S., br., 16,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unschlagbarer Luxuskonsum mit Zeichencharakter: Grégory Salle widmet sich dem Phänomen und Markt der Superyachten.
Superyachten haben es in den vergangenen Monaten auf die vorderen Seiten der Tagespresse gebracht, seitdem einige von ihnen, im Besitz russischer Oligarchen, im Rahmen der Sanktionen gegen das kriegführende Russland beschlagnahmt wurden. Für öffentliche Aufmerksamkeit abseits der kunterbunten Nachrichten aus der Welt der Superreichen hatten sie auch früher schon hin und wieder gesorgt, etwa dann, wenn Politiker der Einladung auf eine dieser Luxusmobilien folgten.
Wie Nicolas Sarkozy, der sich unmittelbar nach seiner Wahl zum französischen Präsidenten vom Milliardär Vincent Bolloré einen solchen Urlaub spendieren ließ. Und zehn Jahre später wurden sie in Frankreich wieder Gesprächsgegenstand, als eine auf sie erhobene Abgabe eingeführt wurde, welche die Kritik am zuvor beschlossenen Übergang zu einem Steuersystem abfedern sollte, in dem sie als mobile Vermögenswerte weitgehend unbeachtet bleiben. Die Sache war eher Kosmetik, doch selbst sie ging schief, die Einnahmen erreichten nur einen lächerlich kleinen Bruchteil der Summe, die ursprünglich vom Regierungslager als Ertrag kolportiert worden war.
Warum diese französische Steuer auf Yachten von über dreißig Metern Länge - das Mindestmaß für die Kategorie "Superyacht" - ein Flop war, kann man bei Grégory Salle nachlesen, dessen im Vorjahr publiziertes Bändchen über das Phänomen der Superyachten nun auch auf Deutsch vorliegt. Dass es mit dieser Abgabe nicht klappte, erweist für den Soziologen und Politikwissenschaftler einmal mehr die steuerliche Begünstigung der Superreichen und liegt insofern auf seiner Linie, das Phänomen Superyachten nicht bloß als kuriose Maßlosigkeit zu nehmen, sondern als "Prüfstein" und "aussagekräftige Stichprobe" gegenwärtig erreichter Verhältnisse, in denen Vermögen angehäuft werden können, die dieses oberste Segment des Luxuskonsums tragen.
Wobei der Autor allerdings umsichtig genug ist, diesen Anspruch selbst wieder einzuklammern. Denn die Stichprobe ist zu klein, zu exzentrisch, um wirklich triftige Einsichten in diese Verhältnisse herzugeben, die man nur an ihr gewinnen könnte. Und dass Superreiche ihre eigene, weitgehend abgeschottete Welt etablieren, von krisenhaften Wirtschaftsentwicklungen nicht in Mitleidenschaft gezogen werden, kaum angemessene Steuerlast tragen - dazu braucht es nicht unbedingt den Blick auf den Markt der Superyachten oder gar den "Mikronischenmarkt" seines Top-Segments, in dem mittlerweile fast alle Yachten länger als hundert Meter sind.
Aber bei Salle findet sich durchaus Interessantes über diesen Markt und seine Akteure, dessen größte und teuerste Produkte seit den Achtzigerjahren krisenfest zulegten und der insgesamt - bei sechstausend Booten stehend - in den vergangenen beiden Jahren wieder auf Wachstumskurs ist. In den Top 100 geht es um Anschaffungskosten im Bereich von mehreren hundert Millionen Euro, zu denen saftige Unterhalts- und Betriebskosten kommen. Auch Einnahmen aus dem Chartergeschäft ändern nichts daran, dass es sich um eine Variante demonstrativen Konsums handelt. In einem Preisbereich, an den allenfalls Spitzenzuschläge des Kunstmarkts herankommen. (Der Microsoft-Mitbegründer Paul Allen, dessen Kunstsammlung unlängst für 1,6 Milliarden Euro versteigert wurde, war übrigens auch Besitzer einer 126-Meter-Yacht mit den in dieser Größenklasse fast schon obligaten Hubschrauber-Landeplätzen.)
Aber Seurats im Salon unterscheiden sich doch deutlich von Superyachten an der Hafenmole. Sie sind von unübersehbarer Größe, was ja gerade zu ihrer Beschlagnahmung im Fall der Eigner in Putins Netzwerk einlud: In ihnen ist in "imposanter Materialität" greifbar geworden, resümiert Salle, was sich sonst solcher Greifbarkeit entzieht, nämlich ein in Zeiten der Finanzialisierung weitgehend entmaterialisiertes Vermögen. Ihr Demonstrationswert, wie er sich in der "mimetischen Rivalität" der Eigner ausdrückt - nicht zuletzt im Wettlauf um immer größere Exemplare unter den Spitzenreitern -, ist nur um diesen Preis zu haben.
Bleibt einzusehen, was das Schiff im Gegensatz zum Seurat attraktiv macht: Es ist plakativ materialisiertes Vermögen, steht aber gleichzeitig für grenzenlose Mobilität bei einer fast lückenlos möglichen Abschottung vom Rest der Welt. Diese Versprechen auf Grenzenlosigkeit und Autarkie sind zwar bei näherer Betrachtung der notwendigen Infrastruktur eher illusorisch, aber es reicht offenbar für den Symbolwert. Oder in Salles Worten: Die Hypermobilität ist "zumindest ebenso expressiv wie instrumentell".
Zur "demonstrativen Abgeschiedenheit", welche die Yachten ermöglichten, findet man bei ihm interessante Beobachtungen. Protzigkeit und Diskretion lassen sich bei ihnen mühelos vereinen, und jedenfalls bleibt man unter sich. Was nicht nur für die jeweils eingeschiffte kleine Gesellschaft gilt - jenseits der hundert Meter Länge immer umgeben von einer zahlenmäßig größeren Crew -, sondern auch für die Eigner und Mieter insgesamt. Abgeschiedenheit meint natürlich nicht, sich in entlegene Winkel der Weltmeere zurückzuziehen, sondern die Flotte folgt Kursen in recht eng umschreibbaren Regionen, sommers mit erwartbaren Zentren im westlichen Mittelmeer.
Dass der ökologische Fußabdruck solchen Lebensstils riesig ist, versteht sich, und Schäden an empfindlicher mediterraner Meeresflora kommen hinzu. Auf beides geht Salle recht ausführlich ein. (Weshalb die französische Originalausgabe neben "Luxus" und "Stille" auch den "Ökozid" setzt; das "Kapitalozän" des Titels bleibt dagegen nur ein schneidiges Signalwort.) Der Winter beginnt, es geht für den Großteil der Flotte auf die Karibik zu. Und wie die juristischen Auseinandersetzungen über die beschlagnahmten Superyachten russischer Eigner enden werden, bleibt abzuwarten. HELMUT MAYER
Grégory Salle: "Superyachten". Luxus und Stille im Kapitalozän.
Aus dem Französischen von Ulrike Bischoff. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 170 S., br., 16,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Seinen aufschlussreichen Text beendet er mit dem Zitat eines Milliardärs: 'Wenn der Rest der Welt erfährt, wie es ist, auf einer Yacht zu leben, wird man die Guillotine wieder hervorholen.'« Ronald Kohl neues deutschland 20230801