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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Christina Pareigis über das Leben der Religionswissenschaftlerin Susan Taubes
Biographien über Menschen, die freiwillig aus dem Leben schieden, sind besonderen methodischen Schwierigkeiten ausgesetzt. Die Frage, wie der Suizid mit der individuellen Geschichte zusammenhängt, bringt das Risiko mit sich, das gesamte Leben vom Ende her zu denken. Wenn dieses Ende im Zusammenhang mit einer konfliktreichen Liebesbeziehung steht, ist die Gefahr, die Biographie als Leidensweg zu erzählen, besonders groß. Insofern hat sich Christina Pareigis mit dem Vorhaben, eine Biographie der Religionswissenschaftlerin Susan Taubes zu schreiben, eine heikle Aufgabe gestellt.
Taubes, die aus einer jüdisch-ungarischen Familie stammte und mit elf Jahren 1939 an der Seite ihres Vaters, des Budapester Rabbiners Sándor Feldmann, in die Vereinigten Staaten emigrierte, war lange fast nur als Frau des Judaisten Jacob Taubes bekannt, den sie 1949 heiratete. Die Partnerschaft mit ihm wurde meist als Schmerzensgeschichte wahrgenommen, in der eine labile Frau den Launen eines Cholerikers ausgesetzt gewesen sei. Dass Susan Taubes' 1969, acht Jahre nach ihrer Trennung, erschienenes Buch "Divorcing" als Schlüsselroman über die Beziehung der Ehepartner gelesen wurde und sie nach dessen Veröffentlichung Suizid beging, bestärkte diese Deutung.
Pareigis, die am Berliner Zentrum für Literatur- und Kulturforschung an der Edition der Schriften von Susan Taubes mitgearbeitet hat, erzählt deren Lebensgeschichte nicht vom Ende aus und erliegt nicht der Versuchung, sie als Doppelbiographie der Ehepartner zu konzipieren. Die Einleitung hebt mit einer Szene an, die Pareigis als emblematisch für Taubes' geistige Physiognomie ansieht: der Ankunft der jungen Susan Feldmann und ihres Vaters im Hafen von New York, den sie am 14. April 1939 als "Alien Passengers for the United States" erreichten. Ellis Island, damals Sitz der Immigrationsbehörde, beschreibt Pareigis mit Worten von Georges Perec als "Fabrik, um Auswanderer in Einwanderer zu verwandeln". Der Kontrast zwischen Taubes' Kindheitserinnerung, in der die Multiethnizität des Habsburger Reichs gegenwärtig blieb, und der Multiethnizität der Vereinigten Staaten, von der sich die Emigranten eine Befreiung vom Stigma der Herkunft versprachen, war für Taubes eine Initialerfahrung.
Pareigis kontrastiert die Ankunft in Amerika mit jener Reise, die Taubes vor ihrem Suizid 1969 nach Budapest unternahm und deren Eindrücke in ihrem "Budapest Journal" festgehalten sind. Die "Wiederbegegnung mit den Plätzen und Wegen der Kindheit" löste, wie Pareigis zeigt, "eine überwältigende Erinnerung aus": Im Wiedererkennen der alten Fassaden und Straßen sei ein Prozess initiiert worden, in dem "historische Geschehnisse und persönlich Erlebtes, jahrzehntelang als voneinander Abgetrenntes im Gedächtnis ,eingefroren', mit einer unerwarteten Plötzlichkeit in die Gegenwart" gelangten.
Die Plötzlichkeit solchen Eindringens lässt den Zerfall historischer Kontinuität erkennen. Es gehört zu den Einsichten von Pareigis' Studie, dass das religionswissenschaftliche Interesse von Taubes bereits eine Reaktion auf die Erosion jüdischer Orthodoxie gewesen ist. Taubes' Faszination für das Werk von Simone Weil und für mystische Traditionen verdankte sich nicht dem Festhalten an überkommenen Formen von Religiosität, vielmehr war es ein Produkt der Säkularisation.
Detailliert beschreibt Pareigis, wie die Erziehung schon in Taubes' Familie vom Zerbrechen religiöser Orthodoxie geprägt war. Zwar beherrschten sie und ihre Geschwister das Hebräische früher als das Ungarische, doch setzte sich ihr Vater als Rabbiner für die Reform des religiösen Unterrichts ein; zwar erhielten die Kinder, bevor sie auf eine Schule kamen, zu Hause eine religiöse Ausbildung, andererseits machte der Vater sie mit der Literatur der Weimarer Klassik vertraut, wofür er von orthodoxen Freunden kritisiert wurde.
Der Konflikt zwischen der Herkunft und einer vom seinerseits krisengeschüttelten Säkularismus geprägten Gegenwart war in Taubes' Kindheit insofern bereits vorgeprägt. Taubes' Randständigkeit im Universitätsbetrieb und ihr Interesse an Außenseitern wie Simone Weil deutet Pareigis vor dem Hintergrund dieser Selbstentzweiung. Ihre Begeisterung für die Avantgarde, wie sie sich in ihrer Bekanntschaft mit Susan Sontag und am Interesse für "Experimental Writing" zeigte, wird so erkennbar als Versuch, den Konnex zwischen Religiosität und Säkularität jenseits der Universität herzustellen.
Dass zu den wichtigen Orten der Studie neben Budapest, New York und Jerusalem nicht auch Berlin gehört, wo Jacob Taubes seit 1966 als Ordinarius für Judaistik und Hermeneutik an der Freien Universität wirkte und die Achtundsechziger-Generation mit einem eschatologischen Revolutionspathos beeinflusste, in dem Elemente von Susan Taubes' Denken fortwirkten, liegt an Pareigis' Entscheidung, den Blick auf Taubes nicht zugunsten derer abzuwenden, denen sie begegnet ist. Wenn Pareigis immer wieder auf unveröffentlichte literarische Texte und den Roman "Divorcing" zurückgreift, dessen biographistische Deutung sie überzeugend anzweifelt, ist das darin begründet, dass sich Poesie und Philosophie in Taubes' Werk in einem Schreiben verbinden, "für das die Position der Fremden überhaupt erst Voraussetzung ist". Auch darin erweist es sich als gegenwärtig.
MAGNUS KLAUE
Christina Pareigis: "Susan Taubes". Eine intellektuelle Biographie.
Wallstein Verlag, Göttingen 2020. 472 S., Abb., geb., 29,- [Euro].
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