Klaus Storkmann untersucht anhand von Interviews, Gerichtsakten und Papieren des BMVg erstmals den Umgang der Bundeswehr mit homosexuellen Soldaten. Der Vergleich zu anderen Streitkräften und mit dem öffentlichen Dienst in der Bundesrepublik Deutschland ordnet das Vorgehen der Bundeswehr in einen größeren Zusammenhang ein. Dass Homosexualität beim Militär seit alters her ein Thema war und vielerorts auch noch ist, belegt die Studie durch Rückblenden auf frühere deutsche Streitkräfte, insbesondere die Nationale Volksarmee der DDR, und durch Seitenblicke auf Armeen anderer Staaten.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Eine Geschichte des Umgangs mit Homosexualität in den Streitkräften
Seit 1816 existierte eine Kriegsgeschichtliche Abteilung im preußischen Generalstab, die mit Blick auf künftige Kriege Operationsgeschichte betrieb. Diese Arbeit wurde vom Großen Generalstab im Deutschen Kaiserreich fortgeführt. Nach 1918 musste die zivile Institution des neu gegründeten Reichsarchivs diese Arbeit übernehmen. Auch jetzt war das in langjähriger Arbeit vorgelegte große Werk über den Ersten Weltkrieg im Kern Operationsgeschichte.
In der Bundesrepublik Deutschland wurde schon bald nach der Wiederaufstellung von Streitkräften in Gestalt des Militärgeschichtlichen Forschungsamts wieder eine militärische Einrichtung geschaffen, deren Expertise auf dem Feld der früheren sogenannten Schlachtengeschichte lag. Davon zeugt das zehnbändige Reihenwerk "Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg" (1979 bis 2008). Im 2008 fusionierten Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) widmete man sich dann auch allerlei anderen Sujets wie dem Ansehen der Bundeswehr, der evangelischen Militärseelsorge oder Gewalt und Gewaltfreiheit in Judentum, Christentum und Islam.
Zu diesem Trend weg von der eigentlichen Kriegsgeschichte passte ein Auftrag der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die sich auch ansonsten weniger um die Kampfkraft als um die zeitgeistkonforme Geländegängigkeit der Truppe kümmerte, wie die Faust aufs Auge, wenn diese martialische Metapher noch gestattet ist. Offiziell beauftragte sie 2017 das ZMSBw mit der Erstellung einer Studie zum Umgang der Bundeswehr mit homosexuellen Soldaten von ihrer Gründung bis ins Jahr 2000. Oberstleutnant Klaus Storkmann hat diese Studie nun vorgelegt, und sie hat auch schon zu nicht allzu überraschenden Konsequenzen geführt. Im Mai dieses Jahres verabschiedete der Deutsche Bundestag nämlich ein "Gesetz zur Rehabilitierung der wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen, wegen ihrer homosexuellen Orientierung oder wegen ihrer geschlechtlichen Identität dienstrechtlich benachteiligten Soldatinnen und Soldaten". Der Abkürzungsfetischismus in der Truppe wird vom Kürzel "SoldRehaHomG" passgenau bedient. Auf der Homepage des Verteidigungsministeriums heißt es dazu: "Das Gesetz sieht eine pauschalierte Entschädigung von 3000 Euro für jedes aufgehobene wehrdienstgerichtliche Urteil und einmalig 3000 Euro für andere erhebliche dienstrechtliche Benachteiligungen vor." Die amtierende Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer bat bei allen diskriminierten Soldaten um Entschuldigung.
In der Geschichte des Komplexes sind zwei große Zäsuren erkennbar: Im Jahr 1969 wurden einvernehmliche homosexuelle Handlungen zwischen erwachsenen Männern - lesbische Beziehungen waren nie betroffen - entkriminalisiert. Zuvor war immer noch der § 175 StGB in der verschärften Fassung von 1935 (!) in Kraft gewesen. Die Bundeswehrführung wollte nun unbedingt eine Gleichbehandlung homosexueller Soldaten und Offiziere verhindern. Bis Ende der 1970er-Jahre wurden homosexuelle Männer also weiterhin ausgemustert. Dann galt der Grundsatz: Wehrpflicht ja, Karriere nein. Das gelang über das Disziplinarrecht. Fortan waren Ordnung, Disziplin und Ansehen in der Truppe und die mögliche Erpressbarkeit Hebel, um Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere nicht mit Führungsverantwortung zu betrauen oder schon die Übernahme als Berufssoldaten zu verhindern. Entlassen wurde ein Soldat oder Offizier seit den 1970er-Jahren aber, anders als in anderen Streitkräften, nicht mehr.
Das Argument der Erpressbarkeit war auch zentral in der schon anderenorts ausführlich aufgearbeiteten Kießling-Affäre von 1984. Storkmann verwirft dieses Argument keineswegs in Gänze, es stellte homosexuelle Soldaten allerdings vor ein Dilemma: Wenn man sich nicht outete, war man erpressbar, outete man sich, so befeuerte man die Vorbehalte und legte sich selbst Steine in den Karriereweg.
Die zweite Zäsur markierte die Jahrtausendwende. Nach einem längeren Vorlauf entschied der zunächst zögernde Verteidigungsminister Rudolf Scharping eigenmächtig, das heißt im Dissens mit den Inspekteuren, die Aufhebung jeder Benachteiligung von Homosexuellen. Hintergrund war eine drohende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zuungunsten der bisherigen Praxis. Zudem hatten sich andere Ressortminister und der grüne Koalitionspartner eindeutig gegen die bisherige Linie gestellt. Im Jahr 2004 fiel auch das Verbot sexueller Handlungen in Kasernen.
Der Autor wirft, wie die jeweiligen Verantwortlichen in ihrer Zeit, Seitenblicke auf die jeweilige Lage in anderen befreundeten Ländern. Dabei rangierte die Bundesrepublik Deutschland meist im Mittelfeld. Während etwa im Jahr 1969 in der Schweiz, Belgien, Dänemark oder Italien keine Sonderregelungen für homosexuelle Soldaten galten, wurden sie dennoch wegen "Dienstuntauglichkeit" häufig freigestellt. Dagegen wurde in den USA 1969 laut dem dort geltenden Militärgesetzbuch der sexuelle Kontakt zwischen Männern in den Streitkräften mit einem drakonischen Strafmaß geahndet, das bis zur Todesstrafe reichte. In der Regel wurden die Delinquenten mit vier Jahren Arbeitslager und einer unehrenhaften, also auch für das Zivilleben folgenreichen Entlassung bestraft. Nach Homosexuellen wurde in den amerikanischen Streitkräften mit geheimdienstlichen Mitteln gefahndet. Von 1993 an galt dann die auch in der Bundeswehr verfolgte Maxime "Don't ask! Don't tell!". Unter Präsident Barack Obama wurden schließlich 2011, elf Jahre nach der Wende in Deutschland, alle Restriktionen aufgehoben, sodass sich Auslandseinsätze mitunter zu erotischen Abenteuerreisen entwickelten.
In der NVA, auf die sich das Rehabilitierungsgesetz ebenfalls bezieht, war die Lage trotz einer strafrechtlich schon früher liberaleren Situation nicht grundsätzlich anders als in der Bundeswehr, vor allem war Homosexualität ein viel beschwiegenes Tabu, und auch hier bedeutete ein Outing das Karriereende.
Dem fleißigen Autor gelingt es anhand vielfältiger, oft mit überlangen Zeitzeugenberichten gespickten Schilderungen, die jeweilige Lage homosexueller Soldaten einfühlsam vorzustellen. Dabei hält er sich von pauschaler Entrüstung und ahistorischer Kritik weitgehend fern, was sicherlich seinem militärischen Dienst und der damit einhergehenden Expertise zu verdanken ist, aber auch der mehrfach vorgebrachten Mahnung, nicht nach heutigen Wertmaßstäben zu urteilen.
PETER HOERES
Klaus Storkmann: Tabu und Toleranz - Der Umgang mit Homosexualität in der Bundeswehr 1955 bis 2000. De Gruyter Oldenbourg, Berlin 2021. 476 S., 39,95 [Euro].
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