Aus dem Prater schallt vergnügtes Lachen herüber. Konstanze nimmt es wahr wie ein Echo aus ferner Zeit, als sie noch nicht auf ihren Impfpass reduziert und vom Leben abgeschnitten war. Jeden Tag einen Clip auf TikTok, um für die Welt sichtbar zu sein. Veronica hat den Job als Rezeptionistin gegen ihr Studium eingetauscht und überlegt, ob sie vegetarisch oder vegan leben soll. Beide sind abends auf Netflix: Dort träumt Anita Rodriguez im Buenos Aires der Dreißigerjahre von einer Karriere als Sängerin. Konstanze und Veronica fiebern mit. Ihre Textnachrichten über die Serie werden zum einzigen Austausch zwischen Mutter und Tochter. Bringt das Frühjahr endlich die Befreiung von Isolation und Lockdown? Marlene Streeruwitz erzählt die Geschichte ihrer Heldinnen mit Blick auf das aktuelle Geschehen: »Tage im Mai.«
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Eigentlich hat Rezensent Tobias Lehmkuhl diesen Roman sehr gern gelesen, der flott, witzig und klug erzählt sei. Aber. Und hier greift er eine Technik auf, die er Marlene Streeruwitz ankreidet: Ein Satz Lob oder Verurteilung (hier des Angriffs auf die Ukraine) und dann viele Sätze Relativierung. Die politischen Ansichten, die Streeruwitz in ihren Roman einflicht, gehen Lehmkuhl offenbar ziemlich auf die Nerven. Er empfindet sie als Relativierung des russischen Angriffs, garniert von Verschwörungstheorien: "Die Großmächte hatten beschlossen, dass ein friedliches Europa zu langweilig war. Dass Demokratie nicht ins Kraut schießen durfte", zitiert er die Autorin, die ihm anzudeuten scheint, dass die "Trumps", "Bidens", "Putins" und "Musks" sich verschworen hätten, die Demokratie zu zerstören. Lehmkuhl weiß wohl, dass die Ansichten einer Figur nicht die Ansichten eines Autors sein müssen. Aber.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Postpandemische Suche nach Leben und Zukunft Kronen Zeitung 20230227
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.08.2023Großes und kleines Aber
Der Roman "Tage im Mai." von Marlene Streeruwitz
Man sollte die Meinungen und Ansichten von Romanfiguren nicht mit denen ihrer Autorinnen und Autoren verwechseln. Aber manchmal ist man sehr verlockt. "Aber" ist überhaupt ein wunderbares Wort: Genau wie "trotzdem" kommt es ganz unscheinbar daher, und funktioniert doch hervorragend als Türöffner, wenn man möglichst harmlos Ansichten und Meinungen äußern will, die dem Mainstream widersprechen. "Nun ist der aggressive Überfall Russlands über (sic!) die Ukraine vorbehaltlos zu verurteilen", schreibt Marlene Streeruwitz im Juni 2022 in einem "Friedensbrief", den sie im Magazin "Profil" veröffentlicht, nur um gleich darauf "trotzdem" zu sagen.
Da die Verurteilung des Überfalls nur einen Satz umfasst, das "Trotzdem" aber sehr viele Sätze, bleibt der Eindruck, dass hier, wie in so vielen anderen Stellungnahmen und offenen Briefen der letzten achtzehn Monate, etwas relativiert und abgemildert wird, der Überfall also gar nicht uneingeschränkt zu verurteilen ist. Nimmt man nun die Position der Hauptfigur Konstanze in Streeruwitz' neuem Roman "Tage im Mai." hinzu, wird es einem geradezu mulmig: "Die Großmächte hatten beschlossen, dass ein friedliches Europa zu langweilig war. Dass Demokratie nicht ins Kraut schießen durfte."
Eine konzertierte Aktion, um die Demokratie zu schwächen? Ein großer Plan all jener "Trumps", "Bidens", "Putins" und "Musks", die "das kaputt machen"? Das klingt nach Verschwörungstheorie. Und auch Konstanzes Mutter Christl sieht die Aggression nicht allein auf Seiten Russlands, im Gegenteil: "Diese Zelenskys. Die wollen doch nur keinen Frieden. Der hat da seine Rolle, und die Oligarchen aus der Ukraine gehen zu den Salzburger Festspielen und brauchen zwei Parkplätze für ihre SUVs in der Untersberg-Garage."
Nun soll man nicht die Ansichten und Meinungen und Idiotien von Romanfiguren mit denen ihrer Autorinnen und Autoren verwechseln. Doch es ist auffällig, dass in "Tage im Mai.", einem Roman, in dem viele Menschen äußerst verzweifelt sind, niemand daran verzweifelt, dass in der Ukraine täglich Zivilisten bombardiert werden, dass Russen auf ukrainischem Gebiet tagein, tagaus die schlimmsten Verbrechen begehen, Mütter vergewaltigen, Kinder entführen und Väter foltern. Nein, das lässt all jene Schwarzers und Wagenknechts kalt, die den Krieg nutzen, um sich selbst zu profilieren, das lässt all jene kalt, die ganz und gar mit ihren eigenen Ängsten beschäftigt sind, wie auch Konstanze in "Tage im Mai.".
Wäre Marlene Streeruwitz keine von denen, die reflexhaft "trotzdem" sagen, man würde ihren neuen Roman ganz anders und noch viel lieber lesen. Er ist temporeich, witzig, klug gebaut, mit dem Streeruwitz-Sound, diesem Streeruwitz-Drive, den knappen Sätzen, wie nur Streeruwitz sie schreiben kann. Kaum Nebensätze, und doch klingt nichts abgehackt oder manieriert.
Im Wechsel wird von Konstanze und ihrer Tochter Veronika erzählt. Konstanze, 56 Jahre, hält sich mit Übersetzungen mehr schlecht als recht über Wasser, und nach zwei Jahren Corona-Pandemie, in der sie sich genauso fremdbestimmt wähnte wie angesichts des Kriegs, hat sie das Gefühl, alles wäre vorbei. "Ich sterbe", lautet entsprechend der erste Satz des Buches, aber statt ihrem Sterben beizuwohnen, folgen wir Konstanze und, im rasanten Wechsel, ihrer Tochter Veronika durch einige Tage im Mai 2022, durch Wien und Zürich.
"Roman dialogué" nennt Streeruwitz ihr Werk im Untertitel, und auch Veronika, Anfang zwanzig, hat mit der Gegenwart zu kämpfen: Als Concierge muss sie Demütigungen einstecken, der Klimaprotest, dem sie sich anschließt, erweist sich als Kunstprojekt eines eitlen Aktionisten, ihr Zimmer in einem christlichen Wohnheim lässt sich nicht abschließen, und ein Priester schleicht sich in ihr Bett - eine Szene von hinreißender satirischer Schärfe.
Bleibt die Mutter-Tochter-Beziehung, die nicht spannungsfrei ist, wie könnte sie, die aber eine echte Beziehung ist. Auch wenn sich die beiden vorgeblich treffen, um Netflix-Serien zu schauen. Die Kurzfassung einer dieser Serien, einer Telenovela um eine Tangotänzerin im Buenos Aires der Dreißigerjahre, der von einer Konkurrentin die Knie gebrochen werden, steht buchstäblich als ein Gelenkstück in der Mitte des Buches.
Diese Mini-Telenovela ist ebenfalls von großer Komik; man würde Streeruwitz gerne dafür wie überhaupt für ihr lebendiges Porträt allgemeiner Verunsicherung vorbehaltlos loben. Aber man kann es nur eingeschränkt, denn die Autorin benutzt ihre Figuren mitunter als Sprachrohr der eigenen zweifelhaften Ansichten. So stellen sich neben ästhetischen auch moralische Fragen. Literatur entsteht nicht im leeren Raum, und sie wird auch nicht im leeren Raum gelesen. TOBIAS LEHMKUHL
Marlene Streeruwitz: "Tage im Mai." Roman dialogué.
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2023. 384 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Roman "Tage im Mai." von Marlene Streeruwitz
Man sollte die Meinungen und Ansichten von Romanfiguren nicht mit denen ihrer Autorinnen und Autoren verwechseln. Aber manchmal ist man sehr verlockt. "Aber" ist überhaupt ein wunderbares Wort: Genau wie "trotzdem" kommt es ganz unscheinbar daher, und funktioniert doch hervorragend als Türöffner, wenn man möglichst harmlos Ansichten und Meinungen äußern will, die dem Mainstream widersprechen. "Nun ist der aggressive Überfall Russlands über (sic!) die Ukraine vorbehaltlos zu verurteilen", schreibt Marlene Streeruwitz im Juni 2022 in einem "Friedensbrief", den sie im Magazin "Profil" veröffentlicht, nur um gleich darauf "trotzdem" zu sagen.
Da die Verurteilung des Überfalls nur einen Satz umfasst, das "Trotzdem" aber sehr viele Sätze, bleibt der Eindruck, dass hier, wie in so vielen anderen Stellungnahmen und offenen Briefen der letzten achtzehn Monate, etwas relativiert und abgemildert wird, der Überfall also gar nicht uneingeschränkt zu verurteilen ist. Nimmt man nun die Position der Hauptfigur Konstanze in Streeruwitz' neuem Roman "Tage im Mai." hinzu, wird es einem geradezu mulmig: "Die Großmächte hatten beschlossen, dass ein friedliches Europa zu langweilig war. Dass Demokratie nicht ins Kraut schießen durfte."
Eine konzertierte Aktion, um die Demokratie zu schwächen? Ein großer Plan all jener "Trumps", "Bidens", "Putins" und "Musks", die "das kaputt machen"? Das klingt nach Verschwörungstheorie. Und auch Konstanzes Mutter Christl sieht die Aggression nicht allein auf Seiten Russlands, im Gegenteil: "Diese Zelenskys. Die wollen doch nur keinen Frieden. Der hat da seine Rolle, und die Oligarchen aus der Ukraine gehen zu den Salzburger Festspielen und brauchen zwei Parkplätze für ihre SUVs in der Untersberg-Garage."
Nun soll man nicht die Ansichten und Meinungen und Idiotien von Romanfiguren mit denen ihrer Autorinnen und Autoren verwechseln. Doch es ist auffällig, dass in "Tage im Mai.", einem Roman, in dem viele Menschen äußerst verzweifelt sind, niemand daran verzweifelt, dass in der Ukraine täglich Zivilisten bombardiert werden, dass Russen auf ukrainischem Gebiet tagein, tagaus die schlimmsten Verbrechen begehen, Mütter vergewaltigen, Kinder entführen und Väter foltern. Nein, das lässt all jene Schwarzers und Wagenknechts kalt, die den Krieg nutzen, um sich selbst zu profilieren, das lässt all jene kalt, die ganz und gar mit ihren eigenen Ängsten beschäftigt sind, wie auch Konstanze in "Tage im Mai.".
Wäre Marlene Streeruwitz keine von denen, die reflexhaft "trotzdem" sagen, man würde ihren neuen Roman ganz anders und noch viel lieber lesen. Er ist temporeich, witzig, klug gebaut, mit dem Streeruwitz-Sound, diesem Streeruwitz-Drive, den knappen Sätzen, wie nur Streeruwitz sie schreiben kann. Kaum Nebensätze, und doch klingt nichts abgehackt oder manieriert.
Im Wechsel wird von Konstanze und ihrer Tochter Veronika erzählt. Konstanze, 56 Jahre, hält sich mit Übersetzungen mehr schlecht als recht über Wasser, und nach zwei Jahren Corona-Pandemie, in der sie sich genauso fremdbestimmt wähnte wie angesichts des Kriegs, hat sie das Gefühl, alles wäre vorbei. "Ich sterbe", lautet entsprechend der erste Satz des Buches, aber statt ihrem Sterben beizuwohnen, folgen wir Konstanze und, im rasanten Wechsel, ihrer Tochter Veronika durch einige Tage im Mai 2022, durch Wien und Zürich.
"Roman dialogué" nennt Streeruwitz ihr Werk im Untertitel, und auch Veronika, Anfang zwanzig, hat mit der Gegenwart zu kämpfen: Als Concierge muss sie Demütigungen einstecken, der Klimaprotest, dem sie sich anschließt, erweist sich als Kunstprojekt eines eitlen Aktionisten, ihr Zimmer in einem christlichen Wohnheim lässt sich nicht abschließen, und ein Priester schleicht sich in ihr Bett - eine Szene von hinreißender satirischer Schärfe.
Bleibt die Mutter-Tochter-Beziehung, die nicht spannungsfrei ist, wie könnte sie, die aber eine echte Beziehung ist. Auch wenn sich die beiden vorgeblich treffen, um Netflix-Serien zu schauen. Die Kurzfassung einer dieser Serien, einer Telenovela um eine Tangotänzerin im Buenos Aires der Dreißigerjahre, der von einer Konkurrentin die Knie gebrochen werden, steht buchstäblich als ein Gelenkstück in der Mitte des Buches.
Diese Mini-Telenovela ist ebenfalls von großer Komik; man würde Streeruwitz gerne dafür wie überhaupt für ihr lebendiges Porträt allgemeiner Verunsicherung vorbehaltlos loben. Aber man kann es nur eingeschränkt, denn die Autorin benutzt ihre Figuren mitunter als Sprachrohr der eigenen zweifelhaften Ansichten. So stellen sich neben ästhetischen auch moralische Fragen. Literatur entsteht nicht im leeren Raum, und sie wird auch nicht im leeren Raum gelesen. TOBIAS LEHMKUHL
Marlene Streeruwitz: "Tage im Mai." Roman dialogué.
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2023. 384 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eigentlich hat Rezensent Tobias Lehmkuhl diesen Roman sehr gern gelesen, der flott, witzig und klug erzählt sei. Aber. Und hier greift er eine Technik auf, die er Marlene Streeruwitz ankreidet: Ein Satz Lob oder Verurteilung (hier des Angriffs auf die Ukraine) und dann viele Sätze Relativierung. Die politischen Ansichten, die Streeruwitz in ihren Roman einflicht, gehen Lehmkuhl offenbar ziemlich auf die Nerven. Er empfindet sie als Relativierung des russischen Angriffs, garniert von Verschwörungstheorien: "Die Großmächte hatten beschlossen, dass ein friedliches Europa zu langweilig war. Dass Demokratie nicht ins Kraut schießen durfte", zitiert er die Autorin, die ihm anzudeuten scheint, dass die "Trumps", "Bidens", "Putins" und "Musks" sich verschworen hätten, die Demokratie zu zerstören. Lehmkuhl weiß wohl, dass die Ansichten einer Figur nicht die Ansichten eines Autors sein müssen. Aber.
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