Soviel Patricia Highsmith geschrieben hat, eines hat sie immer ausgeklammert: sich selbst. Deshalb war es eine Sensation, als nach ihrem Tod 1995 in ihrem Wäscheschrank 18 Tage- und 38 Notizbücher gefunden wurden, die sie nahtlos seit ihrer College-Zeit geführt hatte. Eine Frau, die um die halbe Welt reiste, mindestens zwei Leben gleichzeitig führte und aus einer kühlen Halbdistanz psychologische Romane über elementare Themen schrieb wie Liebe, Fremdsein und Mord.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Jochen Schimmang fällt auf, dass Anna von Planta, die Herausgeberin der Tage- und Notizbücher von Patricia Highsmith, Auslassungen nicht kennzeichnet und "Gehässigkeiten" der Autorin herausgestrichen hat. Ob es sich dabei um Zensur handelt, mag er nicht entscheiden. Davon und von der Mäuseschrift der Fußnoten abgesehen hält er die Edition für vorbildlich. In den Aufzeichnungen macht Schimmang drei zentrale Themen aus: Kunst als Kunstreligion, die promiske, lesbische Sexualität der Autorin und der Alkohol. Den Überblick über Highsmiths Liebesabenteuer und all die entkorkten Flaschen verliert er schnell. Da hilft nur der Blick ins Register, meint er.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.11.2021Viel zu viele Martinis
Zwischen Frauen, Erfolgen, Dreiecksbeziehungen, Selbsthass und Misanthropie: Eine fabelhafte Ausgabe ihrer
„Tage- und Notizbücher“ zeigt das schöpferische und das selbstzerstörerische Leben der Patricia Highsmith
VON MAIKE ALBATH
Ihr größter Feind war ein Dackel. Patricia Highsmith hasste kaum jemanden so inbrünstig wie den Hund ihrer Geliebten Ellen Hill, der nachts ins Bett sprang, nur fraß, wenn seine Herrin neben ihm saß, Kleiderbügel herunterriss und aus Protest mitten ins Zimmer schiss. Es fehlte noch ein Biss in den Manuskriptstapel – dann hätte sie ihn erdrosselt.
„Merkwürdige Eifersucht auf den Dackel, weil er auch in Ellen verliebt ist und die gleiche Unsicherheit, das gleiche Bedürfnis nach ständiger Bestätigung kundtut“, hielt die Schriftstellerin am 1. Dezember 1951 hellsichtig in ihrem Tagebuch fest und brachte damit ihre eigene Unersättlichkeit auf den Punkt. Dabei gab es eigentlich keinen Grund zu jammern. Ihr Debüt „Zwei Fremde im Zug“ hatte ihr im Vorjahr einen bemerkenswerten Erfolg und Vorschüsse beschert, Alfred Hitchcocks Verfilmung war angelaufen, für ihren zweiten Roman „Salz und sein Preis“ über eine lesbische Liebesbeziehung musste sie zwar den Verlag wechseln, hatte ihn aber untergebracht.
Statt weiter ihren ungeliebten Job als Comictexterin in New York auszuüben, war sie nach Europa gekommen. Wegen der Soziologin Ellen Hill blieb sie zuerst eine Weile in München, folgte ihr dann nach Triest, schließlich über Umwege nach Paris, den Dackel im Schlepptau. Zufrieden, so kann man ihren Aufzeichnungen entnehmen, war sie nicht, sondern zerrüttet von Streit, permanenten Ortswechseln und viel zu viel Martini. Ob Geld, Liebe, Zuwendung, Zeit zum Schreiben und vor allem Ruhe, an allem schien es zu mangeln.
Wie es um Patricia Highsmiths Innenleben zwischen 1941 und 1994 tatsächlich bestellt war, wie ihr Alltag aussah und was sie umtrieb, kann man jetzt erstmals in einer glänzend edierten Auswahl ihrer „Tage- und Notizbücher“ erfahren. Der Band setzt in New York ein, spiegelt ihre Pendelbewegungen zwischen den USA und Europa ab 1951, führt nach England, wo sie sich zwischen 1963 und 1966 bemühte, heimisch zu werden und eine ganze Schneckenkolonie züchtete, verlagert sich dann nach Frankreich und schließlich in die Schweiz, wo sie 1995 starb.
Sie war eine manische Archivarin und Anhängerin von Listen, deswegen verblüfft es nicht, dass ihre Kladden 8000 Seiten umfassen. Sie teilen sich auf in 38 Arbeitshefte mit Skizzen für Figuren und Handlungsabläufe, Bewertungen von Lektüren, Materialien für Projekte sowie 18 Tagebücher mit eher biografischen Details und noch unausgegorenen Gedanken. Die Herausgeberin Anna von Planta und ihre Mitarbeiterinnen haben es geschafft, aus diesem Wust ein lesbares Buch von 1370 Seiten zu machen. Der Band ist nicht nur ein aufschlussreiches kulturgeschichtliches Dokument, sondern vor allem das Selbstporträt einer schillernden und widersprüchlichen Schriftstellerin. Wie eine Soziologin betreibt Patricia Highsmith in ihren Heften Feldforschung in eigener Sache: Jede noch so katastrophale Erfahrung lässt sich für einen Roman ausschlachten. Und obwohl die Aufzeichnungen in ihrer Fülle etwas Bulimisches besitzen, gerät man in einen eigentümlichen voyeuristischen Sog. Die „Tage- und Notizbücher“ liefern schließlich auch eine faszinierende psychosexuelle Entwicklungsgeschichte und ein Beispiel für den Umgang mit Geschlechterrollen.
Zuerst also das Leben der Boheme im New York der 1940er-Jahre, das den größten Teil des Buches ausmacht und knapp 700 Seiten umfasst. Allein aus den Namen der Lokalitäten ließe sich ein Stadtplan erstellen: Mittagessen im Del Pezzo oder Chateaubriand, abends ins Nino’s, Hapsburg House, Port Arthur, Spivy’s oder das Village Vanguard; auch die Carnegie Hall, das Museum of Modern Art, die Wakefield Gallery und die Theater gehörten zu den wöchentlichen Anlaufstellen.
Highsmith erwähnt die politischen Zuspitzungen höchstens am Rande, sie ist vor allem mit sich selbst beschäftigt, verleibt sich systematisch sämtliche Klassiker ein, entdeckt Flaubert, Kafka, T. S. Eliot, Julien Green und Sigmund Freud, absolviert ihre Kurse in Anglistik, Stückeschreiben, Latein und anderen Fächern am Barnard-College und leitet stolz das Literaturmagazin Barnard Quarterly. Sie ist verblüffend ehrgeizig; eine schlechte Note empfindet sie als Affront. Um sich in Fremdsprachen zu üben, sind manche Einträge auf Deutsch, später Französisch, Spanisch und Italienisch verfasst. Sie verkauft erste Geschichten an Zeitschriften: „Ich werde fast überwältigt, erdrückt, erschlagen – von all den wundervollen Dingen, die ich noch tun, machen, denken, erschaffen, planen, lieben, hassen, genießen, erleben muss“, hält sie 1942 voller Zukunftslust fest.
Wie oft in Tagebüchern entstehen mitunter bizarre Reibungen zwischen Ereignissen mit historischer Tragweite und privaten Bemerkungen. Am 23. September desselben Jahres erwähnt Highsmith, dass die Russen „den Krieg allein ausfechten“ und am zweiunddreißigsten Tag der Belagerung von Stalingrad um einzelne Stockwerke kämpfen. „Habe eine schreckliche Erkältung & kann kaum atmen“, geht der Eintrag weiter und endet mit der Feststellung: „Ich bin glücklich. Ein langes, langes Glück“, weil ihre Bewerbung bei Times Inc. auf Interesse stieß. Schlafen? Nicht nötig, stattdessen schlägt sie sich die Nächte in Bars um die Ohren und landet in unzähligen Betten. Sie schwärmt für die Kunstkritikerin Rosalind Constable, die ihr ästhetisches Empfinden prägt. Alkohol gehört immer dazu, was ihr zwar auffällt, aber nicht als größeres Problem empfunden wird.
Mit ihrer schmalen Gestalt und dem dunklen Haarschopf ist Highsmith eine betörende Erscheinung und schlägt Männer und Frauen in den Bann. Sie lebt ihre Sexualität genussvoll aus, empfindet sie aber dennoch als verkehrt. „Kreativ zu sein, ist die einzige Ausrede, der einzige mildernde Umstand dafür, homosexuell zu sein“, bemerkt sie im Juli 1943. Als ihre Mutter ein paar Monate später äußert, wie gern sie die Tochter mit Ehemann und Familie sehen würde, stellt Highsmith fest: „Aber ich bin nicht nach der Natur.“ Schon im Jahr zuvor hatte sie sich lakonisch zu Männern geäußert: „Sie zu küssen, ist immer, als würde man eine gebratene Flunder küssen, ganz egal, wessen Mund es ist.“
Highsmith zieht trotzdem eine Ehe mit ihrem schwulen Freund Rolf Tietgens und später mit dem Schriftsteller Marc Brandel in Betracht, vielleicht um ihre Mutter zu beruhigen. Selbstkritisch reflektiert die junge Frau die Mechanismen ihrer Liebesgeschichten: Sie verliert die Lust, wenn sie sich einer Geliebten allzu sicher glaubt und unterläuft ernsthaftere Bindungen mit Affären. Vor allem Dreiecksbeziehungen werden zum Treibstoff ihrer schöpferischen Arbeit. 1948 macht sie einen Versuch, ihre Neigungen mit einer Psychoanalyse zu kurieren. Das Ergebnis ist der Roman „Salz und sein Preis“, den sie unter einem Pseudonym veröffentlicht und vor ihren Eltern geheim hält.
Highsmith hat ein benutzerisches Verhältnis zu anderen Menschen, und die „Tage- und Notizbücher“ künden von einer beständigen Verhärtung. Ihr innerer Zustand scheint trotz zahlreicher Liaisons vor allem in Europa zu kippen. Schon 1950 zieht sie sogar therapeutische Maßnahmen gegen ihre Trinkgewohnheiten in Erwägung, bringt aber dann keine Kraft dafür auf und lässt die Dinge über Jahrzehnte laufen. Zwar schließt sie immer wieder enge Freundschaften – mit Wolfgang Hildesheimer, der sie in seinem BMW mit roten Ledersitzen nach Ambach kutschiert, mit Arthur Koestler, mit dem sie einen fatalen Versuch im Bett unternimmt, „eine elende, freudlose Episode“, später mit der Schauspielerin Jeanne Moreau –, aber sie empfindet sich schon mit Mitte dreißig als alte Frau und ist bedacht auf ihre Ungestörtheit. Trost bringt nur der Schaffensrausch: „Die Sätze dieses Buches gehen auf Papier nieder wie Nägel. Es ist ein wundervolles Gefühl“, heißt es im Mai 1954. Obwohl sie schriftstellerisch große Erfolge feiert, den Hochstapler Tom Ripley erfindet und alle zwei Jahre einen Roman veröffentlicht, kommt sie privat kaum zur Ruhe. Sie bezieht mehrfach neue Häuser, schlägt sich mit Handwerkern herum, fühlt sich durch Nachbarn gestört, entwickelt eine tiefe Abneigung gegen Frankreich und seine Steuergesetze. Vor allem in ihrer politischen Haltung wird die in ihrer Jugend bei linken Studentenverbänden engagierte Highsmith immer reaktionärer. Ihre antisemitischen Ausfälle, die Joan Schenkar in ihrer Biografie „Die talentierte Miss Highsmith“ (2009) mit Briefen belegte, lassen sich auch aus einer grundsätzlichen Paranoia erklären. In den „Tage- und Notizbüchern“ bemerkt man im letzten Drittel eher eine allgemeine Menschenfeindlichkeit. Sie möge eigentlich niemanden, stellt sie schon im Januar 1967 fest, und würde ihre letzten Werke vermutlich Tieren widmen.
Die Aufzeichnungen werden in den 1980er-Jahren spärlicher und beziehen sich vor allem auf ihre Arbeit; tatsächliche Entgleisungen gibt es keine. So getreu man sie habe abbilden wollen, heißt es im Vorwort der Herausgeberin, in wenigen Fällen habe man ihr aus redaktioneller Pflicht „eine Bühne“ verweigert. Eine kluge Entscheidung, denn es hätte zu einer skandalisierenden Lektüre geführt und das Bild von Highsmith verengt. Dass sie sich buchstäblich um den Verstand gesoffen hatte und mit extremistischen Äußerungen provozierte, wusste man schon aus Marijane Meakers Erinnerungen „Meine Jahre mit Pat“ (2005). Im Alter ähnelte Patricia Highsmith immer stärker einer ihrer garstigen Figuren, die das Leben nur noch in Gesellschaft von Katzen ertrugen. Einen Hund hätte sie mit Sicherheit vergiftet
Die Notizen haben etwas
Bulimisches und sie erzeugen
einen voyeuristischen Sog
Männer „zu küssen, ist
immer, als würde man eine
gebratene Flunder küssen“
Feldforscherin in eigener Sache: die amerikanische Schriftstellerin Patricia Highsmith.
Foto: Sophie Bassouls/imago images/Leemage
Patricia Highsmith:
Tage- und Notizbücher. Herausgegeben von
Anna von Planta.
Aus dem Amerikanischen von Melanie Walz, Pociao, Anna-Nina Kroll, Marion Hertle und Peter Torberg. Diogenes, Zürich 2021.
1376 Seiten, 32 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Zwischen Frauen, Erfolgen, Dreiecksbeziehungen, Selbsthass und Misanthropie: Eine fabelhafte Ausgabe ihrer
„Tage- und Notizbücher“ zeigt das schöpferische und das selbstzerstörerische Leben der Patricia Highsmith
VON MAIKE ALBATH
Ihr größter Feind war ein Dackel. Patricia Highsmith hasste kaum jemanden so inbrünstig wie den Hund ihrer Geliebten Ellen Hill, der nachts ins Bett sprang, nur fraß, wenn seine Herrin neben ihm saß, Kleiderbügel herunterriss und aus Protest mitten ins Zimmer schiss. Es fehlte noch ein Biss in den Manuskriptstapel – dann hätte sie ihn erdrosselt.
„Merkwürdige Eifersucht auf den Dackel, weil er auch in Ellen verliebt ist und die gleiche Unsicherheit, das gleiche Bedürfnis nach ständiger Bestätigung kundtut“, hielt die Schriftstellerin am 1. Dezember 1951 hellsichtig in ihrem Tagebuch fest und brachte damit ihre eigene Unersättlichkeit auf den Punkt. Dabei gab es eigentlich keinen Grund zu jammern. Ihr Debüt „Zwei Fremde im Zug“ hatte ihr im Vorjahr einen bemerkenswerten Erfolg und Vorschüsse beschert, Alfred Hitchcocks Verfilmung war angelaufen, für ihren zweiten Roman „Salz und sein Preis“ über eine lesbische Liebesbeziehung musste sie zwar den Verlag wechseln, hatte ihn aber untergebracht.
Statt weiter ihren ungeliebten Job als Comictexterin in New York auszuüben, war sie nach Europa gekommen. Wegen der Soziologin Ellen Hill blieb sie zuerst eine Weile in München, folgte ihr dann nach Triest, schließlich über Umwege nach Paris, den Dackel im Schlepptau. Zufrieden, so kann man ihren Aufzeichnungen entnehmen, war sie nicht, sondern zerrüttet von Streit, permanenten Ortswechseln und viel zu viel Martini. Ob Geld, Liebe, Zuwendung, Zeit zum Schreiben und vor allem Ruhe, an allem schien es zu mangeln.
Wie es um Patricia Highsmiths Innenleben zwischen 1941 und 1994 tatsächlich bestellt war, wie ihr Alltag aussah und was sie umtrieb, kann man jetzt erstmals in einer glänzend edierten Auswahl ihrer „Tage- und Notizbücher“ erfahren. Der Band setzt in New York ein, spiegelt ihre Pendelbewegungen zwischen den USA und Europa ab 1951, führt nach England, wo sie sich zwischen 1963 und 1966 bemühte, heimisch zu werden und eine ganze Schneckenkolonie züchtete, verlagert sich dann nach Frankreich und schließlich in die Schweiz, wo sie 1995 starb.
Sie war eine manische Archivarin und Anhängerin von Listen, deswegen verblüfft es nicht, dass ihre Kladden 8000 Seiten umfassen. Sie teilen sich auf in 38 Arbeitshefte mit Skizzen für Figuren und Handlungsabläufe, Bewertungen von Lektüren, Materialien für Projekte sowie 18 Tagebücher mit eher biografischen Details und noch unausgegorenen Gedanken. Die Herausgeberin Anna von Planta und ihre Mitarbeiterinnen haben es geschafft, aus diesem Wust ein lesbares Buch von 1370 Seiten zu machen. Der Band ist nicht nur ein aufschlussreiches kulturgeschichtliches Dokument, sondern vor allem das Selbstporträt einer schillernden und widersprüchlichen Schriftstellerin. Wie eine Soziologin betreibt Patricia Highsmith in ihren Heften Feldforschung in eigener Sache: Jede noch so katastrophale Erfahrung lässt sich für einen Roman ausschlachten. Und obwohl die Aufzeichnungen in ihrer Fülle etwas Bulimisches besitzen, gerät man in einen eigentümlichen voyeuristischen Sog. Die „Tage- und Notizbücher“ liefern schließlich auch eine faszinierende psychosexuelle Entwicklungsgeschichte und ein Beispiel für den Umgang mit Geschlechterrollen.
Zuerst also das Leben der Boheme im New York der 1940er-Jahre, das den größten Teil des Buches ausmacht und knapp 700 Seiten umfasst. Allein aus den Namen der Lokalitäten ließe sich ein Stadtplan erstellen: Mittagessen im Del Pezzo oder Chateaubriand, abends ins Nino’s, Hapsburg House, Port Arthur, Spivy’s oder das Village Vanguard; auch die Carnegie Hall, das Museum of Modern Art, die Wakefield Gallery und die Theater gehörten zu den wöchentlichen Anlaufstellen.
Highsmith erwähnt die politischen Zuspitzungen höchstens am Rande, sie ist vor allem mit sich selbst beschäftigt, verleibt sich systematisch sämtliche Klassiker ein, entdeckt Flaubert, Kafka, T. S. Eliot, Julien Green und Sigmund Freud, absolviert ihre Kurse in Anglistik, Stückeschreiben, Latein und anderen Fächern am Barnard-College und leitet stolz das Literaturmagazin Barnard Quarterly. Sie ist verblüffend ehrgeizig; eine schlechte Note empfindet sie als Affront. Um sich in Fremdsprachen zu üben, sind manche Einträge auf Deutsch, später Französisch, Spanisch und Italienisch verfasst. Sie verkauft erste Geschichten an Zeitschriften: „Ich werde fast überwältigt, erdrückt, erschlagen – von all den wundervollen Dingen, die ich noch tun, machen, denken, erschaffen, planen, lieben, hassen, genießen, erleben muss“, hält sie 1942 voller Zukunftslust fest.
Wie oft in Tagebüchern entstehen mitunter bizarre Reibungen zwischen Ereignissen mit historischer Tragweite und privaten Bemerkungen. Am 23. September desselben Jahres erwähnt Highsmith, dass die Russen „den Krieg allein ausfechten“ und am zweiunddreißigsten Tag der Belagerung von Stalingrad um einzelne Stockwerke kämpfen. „Habe eine schreckliche Erkältung & kann kaum atmen“, geht der Eintrag weiter und endet mit der Feststellung: „Ich bin glücklich. Ein langes, langes Glück“, weil ihre Bewerbung bei Times Inc. auf Interesse stieß. Schlafen? Nicht nötig, stattdessen schlägt sie sich die Nächte in Bars um die Ohren und landet in unzähligen Betten. Sie schwärmt für die Kunstkritikerin Rosalind Constable, die ihr ästhetisches Empfinden prägt. Alkohol gehört immer dazu, was ihr zwar auffällt, aber nicht als größeres Problem empfunden wird.
Mit ihrer schmalen Gestalt und dem dunklen Haarschopf ist Highsmith eine betörende Erscheinung und schlägt Männer und Frauen in den Bann. Sie lebt ihre Sexualität genussvoll aus, empfindet sie aber dennoch als verkehrt. „Kreativ zu sein, ist die einzige Ausrede, der einzige mildernde Umstand dafür, homosexuell zu sein“, bemerkt sie im Juli 1943. Als ihre Mutter ein paar Monate später äußert, wie gern sie die Tochter mit Ehemann und Familie sehen würde, stellt Highsmith fest: „Aber ich bin nicht nach der Natur.“ Schon im Jahr zuvor hatte sie sich lakonisch zu Männern geäußert: „Sie zu küssen, ist immer, als würde man eine gebratene Flunder küssen, ganz egal, wessen Mund es ist.“
Highsmith zieht trotzdem eine Ehe mit ihrem schwulen Freund Rolf Tietgens und später mit dem Schriftsteller Marc Brandel in Betracht, vielleicht um ihre Mutter zu beruhigen. Selbstkritisch reflektiert die junge Frau die Mechanismen ihrer Liebesgeschichten: Sie verliert die Lust, wenn sie sich einer Geliebten allzu sicher glaubt und unterläuft ernsthaftere Bindungen mit Affären. Vor allem Dreiecksbeziehungen werden zum Treibstoff ihrer schöpferischen Arbeit. 1948 macht sie einen Versuch, ihre Neigungen mit einer Psychoanalyse zu kurieren. Das Ergebnis ist der Roman „Salz und sein Preis“, den sie unter einem Pseudonym veröffentlicht und vor ihren Eltern geheim hält.
Highsmith hat ein benutzerisches Verhältnis zu anderen Menschen, und die „Tage- und Notizbücher“ künden von einer beständigen Verhärtung. Ihr innerer Zustand scheint trotz zahlreicher Liaisons vor allem in Europa zu kippen. Schon 1950 zieht sie sogar therapeutische Maßnahmen gegen ihre Trinkgewohnheiten in Erwägung, bringt aber dann keine Kraft dafür auf und lässt die Dinge über Jahrzehnte laufen. Zwar schließt sie immer wieder enge Freundschaften – mit Wolfgang Hildesheimer, der sie in seinem BMW mit roten Ledersitzen nach Ambach kutschiert, mit Arthur Koestler, mit dem sie einen fatalen Versuch im Bett unternimmt, „eine elende, freudlose Episode“, später mit der Schauspielerin Jeanne Moreau –, aber sie empfindet sich schon mit Mitte dreißig als alte Frau und ist bedacht auf ihre Ungestörtheit. Trost bringt nur der Schaffensrausch: „Die Sätze dieses Buches gehen auf Papier nieder wie Nägel. Es ist ein wundervolles Gefühl“, heißt es im Mai 1954. Obwohl sie schriftstellerisch große Erfolge feiert, den Hochstapler Tom Ripley erfindet und alle zwei Jahre einen Roman veröffentlicht, kommt sie privat kaum zur Ruhe. Sie bezieht mehrfach neue Häuser, schlägt sich mit Handwerkern herum, fühlt sich durch Nachbarn gestört, entwickelt eine tiefe Abneigung gegen Frankreich und seine Steuergesetze. Vor allem in ihrer politischen Haltung wird die in ihrer Jugend bei linken Studentenverbänden engagierte Highsmith immer reaktionärer. Ihre antisemitischen Ausfälle, die Joan Schenkar in ihrer Biografie „Die talentierte Miss Highsmith“ (2009) mit Briefen belegte, lassen sich auch aus einer grundsätzlichen Paranoia erklären. In den „Tage- und Notizbüchern“ bemerkt man im letzten Drittel eher eine allgemeine Menschenfeindlichkeit. Sie möge eigentlich niemanden, stellt sie schon im Januar 1967 fest, und würde ihre letzten Werke vermutlich Tieren widmen.
Die Aufzeichnungen werden in den 1980er-Jahren spärlicher und beziehen sich vor allem auf ihre Arbeit; tatsächliche Entgleisungen gibt es keine. So getreu man sie habe abbilden wollen, heißt es im Vorwort der Herausgeberin, in wenigen Fällen habe man ihr aus redaktioneller Pflicht „eine Bühne“ verweigert. Eine kluge Entscheidung, denn es hätte zu einer skandalisierenden Lektüre geführt und das Bild von Highsmith verengt. Dass sie sich buchstäblich um den Verstand gesoffen hatte und mit extremistischen Äußerungen provozierte, wusste man schon aus Marijane Meakers Erinnerungen „Meine Jahre mit Pat“ (2005). Im Alter ähnelte Patricia Highsmith immer stärker einer ihrer garstigen Figuren, die das Leben nur noch in Gesellschaft von Katzen ertrugen. Einen Hund hätte sie mit Sicherheit vergiftet
Die Notizen haben etwas
Bulimisches und sie erzeugen
einen voyeuristischen Sog
Männer „zu küssen, ist
immer, als würde man eine
gebratene Flunder küssen“
Feldforscherin in eigener Sache: die amerikanische Schriftstellerin Patricia Highsmith.
Foto: Sophie Bassouls/imago images/Leemage
Patricia Highsmith:
Tage- und Notizbücher. Herausgegeben von
Anna von Planta.
Aus dem Amerikanischen von Melanie Walz, Pociao, Anna-Nina Kroll, Marion Hertle und Peter Torberg. Diogenes, Zürich 2021.
1376 Seiten, 32 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.11.2021In ihrem Heimatland fehlte ihr die Welt
Aus achttausend handschriftlichen Seiten werden 1300 gedruckte: Zur Auswahl von Patricia Highsmiths Tage- und Notizbüchern, die nun einen Blick aufs Privatleben der Schriftstellerin gestattet.
Im August 1965 konstatiert Patricia Highsmith in ihrem Notizbuch (der Nummer 28): "Kunst - jede Form von Kunst, ganz gleich, von wem - ist der äußerst mutige Versuch, das Unmögliche zu erreichen. Man mag dabei teilweise oder völlig scheitern. Was zählt, ist der selbstlose Mut."
Man darf das als eine Schlüsselstelle in ihren nun erschienenen Tage- und Notizbüchern lesen. Sie ist zu diesem Zeitpunkt bereits eine international erfolgreiche, vor allem in Europa hochgeschätzte Autorin, hat die Vereinigten Staaten hinter sich gelassen und ein Haus in Suffolk gekauft und wird sich wenige Jahre später für immer in Kontinentaleuropa niederlassen, in Frankreich zuerst und später in der Schweiz, im Tessin. Zwanzig Jahre später bekräftigt sie ihre Feststellung: "Das Einzige, was einem das Gefühl gibt, glücklich und lebendig zu sein, ist, nach etwas zu streben, was man nicht erreichen kann."
Die Kunst - nicht als Gewerbe, sondern durchaus im Sinne einer Kunstreligion - ist einer von drei roten Fäden, die sich durch diese Aufzeichnungen ziehen, die anderen beiden sind der Alkohol und die lesbische Liebe. Highsmiths Alkoholkonsum, das ist bekannt, war enorm, was ihr auch selbst bewusst war. "Leicht zu verstehen, warum Schriftsteller trinken. Am Schreiben ist ja auch nichts Rationales", notiert sie im Juni 1959. Zu diesem Zeitpunkt, sie ist achtunddreißig Jahre alt, ist sie überzeugt, dass sie sich ihrem Ende nähert und deshalb "aus der restlichen Zeit so viel machen muss wie möglich". In der Zeit, die noch vor ihr lag, hat sie sich geirrt; was das Verhältnis zwischen Schreiben und Leben angeht (ewiges Thema), wusste sie dagegen schon 1952: "Diese Tage sind verwirrend, denn ich bin es nicht gewohnt, einfach zu leben."
Das ist nicht die ganze Wahrheit, denn auf der Seite des Lebens gibt es die lesbische Liebe, die Highsmith nicht nur in den jungen New Yorker Jahren, sondern auch später promisk auslebt. Um einen Überblick über all die Geliebten zu behalten, muss man oft genug aufs Register am Ende des Bandes zurückgreifen. Auch diese Promiskuität aber ist nicht der reine Genuss, sondern voller Zerrissenheit, was die Autorin in ihrer hellsichtigen Notiz vom 14. September 1954 deutlich erkennt: "Die homosexuelle Beziehung ist ohnehin so stark mit dem Imaginären verbunden (was sein könnte, was ich vortäuschen werde), dass es für die Partner unmöglich ist, sich nach dem Ende einer Affäre so endgültig zu trennen, wie es Heterosexuelle tun." Aus diesem Grund enden Highsmiths Affären und enden doch nie, und die Namen all jener Frauen, die sie verlassen hat oder von denen sie verlassen worden ist, schleppen sich über Jahre und Jahrzehnte durch ihre Notiz- und Tagebücher fort wie Untote. Der Leser wird hier zuweilen zur Schlüssellochperspektive gezwungen, die, was Wunder, auf Dauer recht langweilig wird.
Zur Vorgeschichte: Nach Highsmiths Tod fand Daniel Keel, der Diogenes-Verleger und Nachlassverwalter, im Wäscheschrank des Hauses in Tegna (eine hübsche Variante der üblichen Dachböden- oder Kellerfunde) "eine lange Reihe von 56 aufrecht nebeneinanderstehenden Heften . . ., 18 Tagebücher und 38 Notizbücher, geschätzte 8000 Seiten Selbstzeugnisse". Dass aus diesen 8000 Seiten eine Auswahl getroffen werden musste, liegt auf der Hand. Das haben Highsmiths deutschsprachige Lektorin seit 1984, Anna von Planta, und ihr Team bravourös geschafft. Die Edition ist herausragend, von der Winzigkeit abgesehen - im Wortsinn -, dass zur Fußnotenentzifferung so mancher nicht nur Lesebrille, sondern auch noch eine Lupe brauchen wird. In ihrem Vorwort verweist von Planta darauf, dass in späteren Jahren "Highsmiths Ansichten selbst beleidigend, gehässig und menschenfeindlich" gewesen seien, vor allem "im Fall ihres wachsenden Antisemitismus". Dass diese Passagen nicht auftauchen, begründet sie "als unsere redaktionelle Pflicht, ihr eine Bühne zu verweigern, so wie wir auch gehandelt hätten, als sie noch lebte". Diese problematische Position kann man akzeptieren oder nicht, am Rang der Edition ändert das so wenig wie die Tatsache, dass im laufenden Text Auslassungen (aus Redundanzgründen) nicht gekennzeichnet wurden. Ob es sich dabei um Zensur handelt oder nicht, wäre im Einzelfall zu prüfen und würde einen längeren Aufenthalt im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern zwingend notwendig machen.
Dass Tage- und Notizbücher unterschiedliche Funktionen erfüllen sollten, erhellt schon aus der Art der jeweiligen Datierung: "2. August 1942" im Tagebuch, am selben Tag im Notizbuch: "2. 8. 1942". Allerdings ist die Trennung zwischen dem Journal und dem Arbeitsjournal nicht immer so rein, schon allein deshalb nicht, weil es später ganze Jahre gab, in denen Patricia Highsmith überhaupt kein Tagebuch mehr führte.
Aus den 1300 Druckseiten nun ergibt sich das Bild der oben skizzierten drei roten Fäden (plus eines vierten, der Hassliebe zur Mutter, die in die Tiefen der Psychoanalyse führen würde - was Patricia Highsmith nach zwei Therapieversuchen abgelehnt hat). Sie reüssiert in der New Yorker Boheme der Vierzigerjahre, erotisch wie intellektuell: promisk auf dem einen Gebiet und schon bald zielgerichtet auf dem anderen. Ihre Zielstrebigkeit ist durchaus mit selbstkritischem Urteilsvermögen gepaart. An ihrem 24. Geburtstag im Januar 1945 etwa fasst sie den Beschluss, ihren ersten Roman, von dem 300 Seiten stehen, nicht weiterzuschreiben. "Er ist einfach nicht gut, hat keinen Zauber, das bin nicht ich." Am Ende des Jahres weist die Notiz "Denke an einen Roman, der auf meiner Idee der beiden Seelenverwandten aufbaut" erstmals auf "Zwei Fremde im Zug" hin, das 1950 erscheinen und durch die Verfilmung ein Welterfolg werden sollte.
Dass es Hitchcock war, der sich des Stoffs annahm, ist wohl kein Zufall. Er hatte als Regisseur sein Thema längst gefunden und erkannte es in Highsmiths erstem Roman wieder: menschliche Abgründe, die sich lange hinter äußerer Normalität verbergen, bis irgendein Anlass sie zutage treten lässt. In verschiedensten Varianten hat sich Highsmith dieser Konstellation angenommen, und eine Notiz vom 20. Juni 1949, also vor der Veröffentlichung des ersten Romans, zeigt, dass sie sich ihres Stoffs früh bewusst war: "Es muss Gewalt geben, damit ich zufrieden bin, und folglich Dramatik und Spannung." Selbst die Titel ihrer späteren Romane deuten darauf hin: "Tiefe Wasser", "Der süße Wahn", "Die gläserne Zelle". Aus welch harmlosen Anfängen - und mit welch harmlosen Protagonisten! - sich diese Dramatik und Spannung entwickeln kann, die mit der üblichen Whodunnit-Frage nichts zu tun hat, skizziert Highsmith 1954 in einer sehr ausführlichen Notiz über einen jungen Amerikaner, der nach und nach in Schwierigkeiten kommt. "Er sollte Clifford heißen oder David oder Matthew", heißt es am Schluss. Schließlich wird er den Namen Tom Ripley tragen.
In den Notizbüchern zeigt sich zudem schon früh das Können der Autorin, wenn es um die Beschreibung von Landschaften, Städten und der jeweiligen Atmosphäre geht, dem Binnenklima gewissermaßen. Exemplarisch dafür sind die Notizen aus Hammamet im Sommer 1966, in denen der Roman "Das Zittern des Fälschers", den viele für Highsmiths besten halten, in nuce bereits angelegt ist, auch wenn er erst drei Jahre danach erscheint.
Der verschiedentlich geäußerte Vorwurf, Highsmith habe sich um die Welt und die Politik nicht (genug) gekümmert, kann nicht aufrechterhalten werden. Im Tagebuch schreibt man nicht seitenlange Kommentare zu aktuellen Ereignissen. Registriert hat sie diese sehr wohl immer wieder und mehr noch: Es ist der McCarthyismus, der ja bis in die frühen Sechzigerjahre wirksam gewesen ist, der sie letztendlich aus den USA vertreibt. Als sie 1992, seit Jahrzehnten expatriate, aus privaten Gründen noch einmal in ihrem Geburtsstaat ist, stellt sie lapidar fest: "Irgendwas fehlt während meines Besuchs in Texas: Es ist Europa, es ist die Welt, die fehlt."
Diese Welt hat sie auch geschätzt, weil sie für Highsmith Hochkultur repräsentierte: Literatur, Musik, Malerei, Architektur. Ihre jahrelange erfolgreiche Tätigkeit als Storyboarderin für Comics in der New Yorker Zeit hat sie deshalb immer unterschlagen. Heute, wo die Graphic Novel in den Bereich der Künste aufgestiegen ist, wäre das nicht mehr nötig. Ihre Romane warten erstaunlicherweise noch auf diese Form der Adaption. Stattdessen ist für 2022 ein Comic über "the indecent adventures of Patricia Highsmith" angekündigt. Dafür wurde diese vorbildliche Auswahl ihrer Tage- und Notizbücher allerdings nicht publiziert. JOCHEN SCHIMMANG
Patricia Highsmith: "Tage- und Notizbücher".
Hrsg. von Anna von Planta. Aus dem Amerikanischen von Melanie Walz, pociao, Anna-Nina Kroll. Marion Hertle und Peter Torberg. Diogenes Verlag, Zürich 2021. 1370 S., geb., 32,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Aus achttausend handschriftlichen Seiten werden 1300 gedruckte: Zur Auswahl von Patricia Highsmiths Tage- und Notizbüchern, die nun einen Blick aufs Privatleben der Schriftstellerin gestattet.
Im August 1965 konstatiert Patricia Highsmith in ihrem Notizbuch (der Nummer 28): "Kunst - jede Form von Kunst, ganz gleich, von wem - ist der äußerst mutige Versuch, das Unmögliche zu erreichen. Man mag dabei teilweise oder völlig scheitern. Was zählt, ist der selbstlose Mut."
Man darf das als eine Schlüsselstelle in ihren nun erschienenen Tage- und Notizbüchern lesen. Sie ist zu diesem Zeitpunkt bereits eine international erfolgreiche, vor allem in Europa hochgeschätzte Autorin, hat die Vereinigten Staaten hinter sich gelassen und ein Haus in Suffolk gekauft und wird sich wenige Jahre später für immer in Kontinentaleuropa niederlassen, in Frankreich zuerst und später in der Schweiz, im Tessin. Zwanzig Jahre später bekräftigt sie ihre Feststellung: "Das Einzige, was einem das Gefühl gibt, glücklich und lebendig zu sein, ist, nach etwas zu streben, was man nicht erreichen kann."
Die Kunst - nicht als Gewerbe, sondern durchaus im Sinne einer Kunstreligion - ist einer von drei roten Fäden, die sich durch diese Aufzeichnungen ziehen, die anderen beiden sind der Alkohol und die lesbische Liebe. Highsmiths Alkoholkonsum, das ist bekannt, war enorm, was ihr auch selbst bewusst war. "Leicht zu verstehen, warum Schriftsteller trinken. Am Schreiben ist ja auch nichts Rationales", notiert sie im Juni 1959. Zu diesem Zeitpunkt, sie ist achtunddreißig Jahre alt, ist sie überzeugt, dass sie sich ihrem Ende nähert und deshalb "aus der restlichen Zeit so viel machen muss wie möglich". In der Zeit, die noch vor ihr lag, hat sie sich geirrt; was das Verhältnis zwischen Schreiben und Leben angeht (ewiges Thema), wusste sie dagegen schon 1952: "Diese Tage sind verwirrend, denn ich bin es nicht gewohnt, einfach zu leben."
Das ist nicht die ganze Wahrheit, denn auf der Seite des Lebens gibt es die lesbische Liebe, die Highsmith nicht nur in den jungen New Yorker Jahren, sondern auch später promisk auslebt. Um einen Überblick über all die Geliebten zu behalten, muss man oft genug aufs Register am Ende des Bandes zurückgreifen. Auch diese Promiskuität aber ist nicht der reine Genuss, sondern voller Zerrissenheit, was die Autorin in ihrer hellsichtigen Notiz vom 14. September 1954 deutlich erkennt: "Die homosexuelle Beziehung ist ohnehin so stark mit dem Imaginären verbunden (was sein könnte, was ich vortäuschen werde), dass es für die Partner unmöglich ist, sich nach dem Ende einer Affäre so endgültig zu trennen, wie es Heterosexuelle tun." Aus diesem Grund enden Highsmiths Affären und enden doch nie, und die Namen all jener Frauen, die sie verlassen hat oder von denen sie verlassen worden ist, schleppen sich über Jahre und Jahrzehnte durch ihre Notiz- und Tagebücher fort wie Untote. Der Leser wird hier zuweilen zur Schlüssellochperspektive gezwungen, die, was Wunder, auf Dauer recht langweilig wird.
Zur Vorgeschichte: Nach Highsmiths Tod fand Daniel Keel, der Diogenes-Verleger und Nachlassverwalter, im Wäscheschrank des Hauses in Tegna (eine hübsche Variante der üblichen Dachböden- oder Kellerfunde) "eine lange Reihe von 56 aufrecht nebeneinanderstehenden Heften . . ., 18 Tagebücher und 38 Notizbücher, geschätzte 8000 Seiten Selbstzeugnisse". Dass aus diesen 8000 Seiten eine Auswahl getroffen werden musste, liegt auf der Hand. Das haben Highsmiths deutschsprachige Lektorin seit 1984, Anna von Planta, und ihr Team bravourös geschafft. Die Edition ist herausragend, von der Winzigkeit abgesehen - im Wortsinn -, dass zur Fußnotenentzifferung so mancher nicht nur Lesebrille, sondern auch noch eine Lupe brauchen wird. In ihrem Vorwort verweist von Planta darauf, dass in späteren Jahren "Highsmiths Ansichten selbst beleidigend, gehässig und menschenfeindlich" gewesen seien, vor allem "im Fall ihres wachsenden Antisemitismus". Dass diese Passagen nicht auftauchen, begründet sie "als unsere redaktionelle Pflicht, ihr eine Bühne zu verweigern, so wie wir auch gehandelt hätten, als sie noch lebte". Diese problematische Position kann man akzeptieren oder nicht, am Rang der Edition ändert das so wenig wie die Tatsache, dass im laufenden Text Auslassungen (aus Redundanzgründen) nicht gekennzeichnet wurden. Ob es sich dabei um Zensur handelt oder nicht, wäre im Einzelfall zu prüfen und würde einen längeren Aufenthalt im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern zwingend notwendig machen.
Dass Tage- und Notizbücher unterschiedliche Funktionen erfüllen sollten, erhellt schon aus der Art der jeweiligen Datierung: "2. August 1942" im Tagebuch, am selben Tag im Notizbuch: "2. 8. 1942". Allerdings ist die Trennung zwischen dem Journal und dem Arbeitsjournal nicht immer so rein, schon allein deshalb nicht, weil es später ganze Jahre gab, in denen Patricia Highsmith überhaupt kein Tagebuch mehr führte.
Aus den 1300 Druckseiten nun ergibt sich das Bild der oben skizzierten drei roten Fäden (plus eines vierten, der Hassliebe zur Mutter, die in die Tiefen der Psychoanalyse führen würde - was Patricia Highsmith nach zwei Therapieversuchen abgelehnt hat). Sie reüssiert in der New Yorker Boheme der Vierzigerjahre, erotisch wie intellektuell: promisk auf dem einen Gebiet und schon bald zielgerichtet auf dem anderen. Ihre Zielstrebigkeit ist durchaus mit selbstkritischem Urteilsvermögen gepaart. An ihrem 24. Geburtstag im Januar 1945 etwa fasst sie den Beschluss, ihren ersten Roman, von dem 300 Seiten stehen, nicht weiterzuschreiben. "Er ist einfach nicht gut, hat keinen Zauber, das bin nicht ich." Am Ende des Jahres weist die Notiz "Denke an einen Roman, der auf meiner Idee der beiden Seelenverwandten aufbaut" erstmals auf "Zwei Fremde im Zug" hin, das 1950 erscheinen und durch die Verfilmung ein Welterfolg werden sollte.
Dass es Hitchcock war, der sich des Stoffs annahm, ist wohl kein Zufall. Er hatte als Regisseur sein Thema längst gefunden und erkannte es in Highsmiths erstem Roman wieder: menschliche Abgründe, die sich lange hinter äußerer Normalität verbergen, bis irgendein Anlass sie zutage treten lässt. In verschiedensten Varianten hat sich Highsmith dieser Konstellation angenommen, und eine Notiz vom 20. Juni 1949, also vor der Veröffentlichung des ersten Romans, zeigt, dass sie sich ihres Stoffs früh bewusst war: "Es muss Gewalt geben, damit ich zufrieden bin, und folglich Dramatik und Spannung." Selbst die Titel ihrer späteren Romane deuten darauf hin: "Tiefe Wasser", "Der süße Wahn", "Die gläserne Zelle". Aus welch harmlosen Anfängen - und mit welch harmlosen Protagonisten! - sich diese Dramatik und Spannung entwickeln kann, die mit der üblichen Whodunnit-Frage nichts zu tun hat, skizziert Highsmith 1954 in einer sehr ausführlichen Notiz über einen jungen Amerikaner, der nach und nach in Schwierigkeiten kommt. "Er sollte Clifford heißen oder David oder Matthew", heißt es am Schluss. Schließlich wird er den Namen Tom Ripley tragen.
In den Notizbüchern zeigt sich zudem schon früh das Können der Autorin, wenn es um die Beschreibung von Landschaften, Städten und der jeweiligen Atmosphäre geht, dem Binnenklima gewissermaßen. Exemplarisch dafür sind die Notizen aus Hammamet im Sommer 1966, in denen der Roman "Das Zittern des Fälschers", den viele für Highsmiths besten halten, in nuce bereits angelegt ist, auch wenn er erst drei Jahre danach erscheint.
Der verschiedentlich geäußerte Vorwurf, Highsmith habe sich um die Welt und die Politik nicht (genug) gekümmert, kann nicht aufrechterhalten werden. Im Tagebuch schreibt man nicht seitenlange Kommentare zu aktuellen Ereignissen. Registriert hat sie diese sehr wohl immer wieder und mehr noch: Es ist der McCarthyismus, der ja bis in die frühen Sechzigerjahre wirksam gewesen ist, der sie letztendlich aus den USA vertreibt. Als sie 1992, seit Jahrzehnten expatriate, aus privaten Gründen noch einmal in ihrem Geburtsstaat ist, stellt sie lapidar fest: "Irgendwas fehlt während meines Besuchs in Texas: Es ist Europa, es ist die Welt, die fehlt."
Diese Welt hat sie auch geschätzt, weil sie für Highsmith Hochkultur repräsentierte: Literatur, Musik, Malerei, Architektur. Ihre jahrelange erfolgreiche Tätigkeit als Storyboarderin für Comics in der New Yorker Zeit hat sie deshalb immer unterschlagen. Heute, wo die Graphic Novel in den Bereich der Künste aufgestiegen ist, wäre das nicht mehr nötig. Ihre Romane warten erstaunlicherweise noch auf diese Form der Adaption. Stattdessen ist für 2022 ein Comic über "the indecent adventures of Patricia Highsmith" angekündigt. Dafür wurde diese vorbildliche Auswahl ihrer Tage- und Notizbücher allerdings nicht publiziert. JOCHEN SCHIMMANG
Patricia Highsmith: "Tage- und Notizbücher".
Hrsg. von Anna von Planta. Aus dem Amerikanischen von Melanie Walz, pociao, Anna-Nina Kroll. Marion Hertle und Peter Torberg. Diogenes Verlag, Zürich 2021. 1370 S., geb., 32,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Ein Meilenstein der Diaristik, nicht nur des 20. Jahrhunderts.« Rainer Moritz / Neue Zürcher Zeitung Neue Zürcher Zeitung