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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Aus achttausend handschriftlichen Seiten werden 1300 gedruckte: Zur Auswahl von Patricia Highsmiths Tage- und Notizbüchern, die nun einen Blick aufs Privatleben der Schriftstellerin gestattet.
Im August 1965 konstatiert Patricia Highsmith in ihrem Notizbuch (der Nummer 28): "Kunst - jede Form von Kunst, ganz gleich, von wem - ist der äußerst mutige Versuch, das Unmögliche zu erreichen. Man mag dabei teilweise oder völlig scheitern. Was zählt, ist der selbstlose Mut."
Man darf das als eine Schlüsselstelle in ihren nun erschienenen Tage- und Notizbüchern lesen. Sie ist zu diesem Zeitpunkt bereits eine international erfolgreiche, vor allem in Europa hochgeschätzte Autorin, hat die Vereinigten Staaten hinter sich gelassen und ein Haus in Suffolk gekauft und wird sich wenige Jahre später für immer in Kontinentaleuropa niederlassen, in Frankreich zuerst und später in der Schweiz, im Tessin. Zwanzig Jahre später bekräftigt sie ihre Feststellung: "Das Einzige, was einem das Gefühl gibt, glücklich und lebendig zu sein, ist, nach etwas zu streben, was man nicht erreichen kann."
Die Kunst - nicht als Gewerbe, sondern durchaus im Sinne einer Kunstreligion - ist einer von drei roten Fäden, die sich durch diese Aufzeichnungen ziehen, die anderen beiden sind der Alkohol und die lesbische Liebe. Highsmiths Alkoholkonsum, das ist bekannt, war enorm, was ihr auch selbst bewusst war. "Leicht zu verstehen, warum Schriftsteller trinken. Am Schreiben ist ja auch nichts Rationales", notiert sie im Juni 1959. Zu diesem Zeitpunkt, sie ist achtunddreißig Jahre alt, ist sie überzeugt, dass sie sich ihrem Ende nähert und deshalb "aus der restlichen Zeit so viel machen muss wie möglich". In der Zeit, die noch vor ihr lag, hat sie sich geirrt; was das Verhältnis zwischen Schreiben und Leben angeht (ewiges Thema), wusste sie dagegen schon 1952: "Diese Tage sind verwirrend, denn ich bin es nicht gewohnt, einfach zu leben."
Das ist nicht die ganze Wahrheit, denn auf der Seite des Lebens gibt es die lesbische Liebe, die Highsmith nicht nur in den jungen New Yorker Jahren, sondern auch später promisk auslebt. Um einen Überblick über all die Geliebten zu behalten, muss man oft genug aufs Register am Ende des Bandes zurückgreifen. Auch diese Promiskuität aber ist nicht der reine Genuss, sondern voller Zerrissenheit, was die Autorin in ihrer hellsichtigen Notiz vom 14. September 1954 deutlich erkennt: "Die homosexuelle Beziehung ist ohnehin so stark mit dem Imaginären verbunden (was sein könnte, was ich vortäuschen werde), dass es für die Partner unmöglich ist, sich nach dem Ende einer Affäre so endgültig zu trennen, wie es Heterosexuelle tun." Aus diesem Grund enden Highsmiths Affären und enden doch nie, und die Namen all jener Frauen, die sie verlassen hat oder von denen sie verlassen worden ist, schleppen sich über Jahre und Jahrzehnte durch ihre Notiz- und Tagebücher fort wie Untote. Der Leser wird hier zuweilen zur Schlüssellochperspektive gezwungen, die, was Wunder, auf Dauer recht langweilig wird.
Zur Vorgeschichte: Nach Highsmiths Tod fand Daniel Keel, der Diogenes-Verleger und Nachlassverwalter, im Wäscheschrank des Hauses in Tegna (eine hübsche Variante der üblichen Dachböden- oder Kellerfunde) "eine lange Reihe von 56 aufrecht nebeneinanderstehenden Heften . . ., 18 Tagebücher und 38 Notizbücher, geschätzte 8000 Seiten Selbstzeugnisse". Dass aus diesen 8000 Seiten eine Auswahl getroffen werden musste, liegt auf der Hand. Das haben Highsmiths deutschsprachige Lektorin seit 1984, Anna von Planta, und ihr Team bravourös geschafft. Die Edition ist herausragend, von der Winzigkeit abgesehen - im Wortsinn -, dass zur Fußnotenentzifferung so mancher nicht nur Lesebrille, sondern auch noch eine Lupe brauchen wird. In ihrem Vorwort verweist von Planta darauf, dass in späteren Jahren "Highsmiths Ansichten selbst beleidigend, gehässig und menschenfeindlich" gewesen seien, vor allem "im Fall ihres wachsenden Antisemitismus". Dass diese Passagen nicht auftauchen, begründet sie "als unsere redaktionelle Pflicht, ihr eine Bühne zu verweigern, so wie wir auch gehandelt hätten, als sie noch lebte". Diese problematische Position kann man akzeptieren oder nicht, am Rang der Edition ändert das so wenig wie die Tatsache, dass im laufenden Text Auslassungen (aus Redundanzgründen) nicht gekennzeichnet wurden. Ob es sich dabei um Zensur handelt oder nicht, wäre im Einzelfall zu prüfen und würde einen längeren Aufenthalt im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern zwingend notwendig machen.
Dass Tage- und Notizbücher unterschiedliche Funktionen erfüllen sollten, erhellt schon aus der Art der jeweiligen Datierung: "2. August 1942" im Tagebuch, am selben Tag im Notizbuch: "2. 8. 1942". Allerdings ist die Trennung zwischen dem Journal und dem Arbeitsjournal nicht immer so rein, schon allein deshalb nicht, weil es später ganze Jahre gab, in denen Patricia Highsmith überhaupt kein Tagebuch mehr führte.
Aus den 1300 Druckseiten nun ergibt sich das Bild der oben skizzierten drei roten Fäden (plus eines vierten, der Hassliebe zur Mutter, die in die Tiefen der Psychoanalyse führen würde - was Patricia Highsmith nach zwei Therapieversuchen abgelehnt hat). Sie reüssiert in der New Yorker Boheme der Vierzigerjahre, erotisch wie intellektuell: promisk auf dem einen Gebiet und schon bald zielgerichtet auf dem anderen. Ihre Zielstrebigkeit ist durchaus mit selbstkritischem Urteilsvermögen gepaart. An ihrem 24. Geburtstag im Januar 1945 etwa fasst sie den Beschluss, ihren ersten Roman, von dem 300 Seiten stehen, nicht weiterzuschreiben. "Er ist einfach nicht gut, hat keinen Zauber, das bin nicht ich." Am Ende des Jahres weist die Notiz "Denke an einen Roman, der auf meiner Idee der beiden Seelenverwandten aufbaut" erstmals auf "Zwei Fremde im Zug" hin, das 1950 erscheinen und durch die Verfilmung ein Welterfolg werden sollte.
Dass es Hitchcock war, der sich des Stoffs annahm, ist wohl kein Zufall. Er hatte als Regisseur sein Thema längst gefunden und erkannte es in Highsmiths erstem Roman wieder: menschliche Abgründe, die sich lange hinter äußerer Normalität verbergen, bis irgendein Anlass sie zutage treten lässt. In verschiedensten Varianten hat sich Highsmith dieser Konstellation angenommen, und eine Notiz vom 20. Juni 1949, also vor der Veröffentlichung des ersten Romans, zeigt, dass sie sich ihres Stoffs früh bewusst war: "Es muss Gewalt geben, damit ich zufrieden bin, und folglich Dramatik und Spannung." Selbst die Titel ihrer späteren Romane deuten darauf hin: "Tiefe Wasser", "Der süße Wahn", "Die gläserne Zelle". Aus welch harmlosen Anfängen - und mit welch harmlosen Protagonisten! - sich diese Dramatik und Spannung entwickeln kann, die mit der üblichen Whodunnit-Frage nichts zu tun hat, skizziert Highsmith 1954 in einer sehr ausführlichen Notiz über einen jungen Amerikaner, der nach und nach in Schwierigkeiten kommt. "Er sollte Clifford heißen oder David oder Matthew", heißt es am Schluss. Schließlich wird er den Namen Tom Ripley tragen.
In den Notizbüchern zeigt sich zudem schon früh das Können der Autorin, wenn es um die Beschreibung von Landschaften, Städten und der jeweiligen Atmosphäre geht, dem Binnenklima gewissermaßen. Exemplarisch dafür sind die Notizen aus Hammamet im Sommer 1966, in denen der Roman "Das Zittern des Fälschers", den viele für Highsmiths besten halten, in nuce bereits angelegt ist, auch wenn er erst drei Jahre danach erscheint.
Der verschiedentlich geäußerte Vorwurf, Highsmith habe sich um die Welt und die Politik nicht (genug) gekümmert, kann nicht aufrechterhalten werden. Im Tagebuch schreibt man nicht seitenlange Kommentare zu aktuellen Ereignissen. Registriert hat sie diese sehr wohl immer wieder und mehr noch: Es ist der McCarthyismus, der ja bis in die frühen Sechzigerjahre wirksam gewesen ist, der sie letztendlich aus den USA vertreibt. Als sie 1992, seit Jahrzehnten expatriate, aus privaten Gründen noch einmal in ihrem Geburtsstaat ist, stellt sie lapidar fest: "Irgendwas fehlt während meines Besuchs in Texas: Es ist Europa, es ist die Welt, die fehlt."
Diese Welt hat sie auch geschätzt, weil sie für Highsmith Hochkultur repräsentierte: Literatur, Musik, Malerei, Architektur. Ihre jahrelange erfolgreiche Tätigkeit als Storyboarderin für Comics in der New Yorker Zeit hat sie deshalb immer unterschlagen. Heute, wo die Graphic Novel in den Bereich der Künste aufgestiegen ist, wäre das nicht mehr nötig. Ihre Romane warten erstaunlicherweise noch auf diese Form der Adaption. Stattdessen ist für 2022 ein Comic über "the indecent adventures of Patricia Highsmith" angekündigt. Dafür wurde diese vorbildliche Auswahl ihrer Tage- und Notizbücher allerdings nicht publiziert. JOCHEN SCHIMMANG
Patricia Highsmith: "Tage- und Notizbücher".
Hrsg. von Anna von Planta. Aus dem Amerikanischen von Melanie Walz, pociao, Anna-Nina Kroll. Marion Hertle und Peter Torberg. Diogenes Verlag, Zürich 2021. 1370 S., geb., 32,- Euro.
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