Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Frühe Aufzeichnungen von Alexandre Kojève
Im Sommer 1920 verlässt ein junger Russe aus gutbürgerlicher Moskauer Familie die Sowjetunion und geht nach Deutschland. Er widmet sich dem Studium der Philosophie und fernöstlicher Sprachen und Weisheitslehren, promoviert 1926 bei Karl Jaspers in Heidelberg und lässt sich später in Paris nieder. Dort übernimmt er 1933 von einem russischen Freund, den er in Jaspers' Seminar kennengelernt hatte, dessen Vorlesungen an der renommierten École des Hautes Études. Er widmet sie über Jahre hinweg einer höchst idiosynkratischen Auslegung von Hegels "Phänomenologie des Geistes".
Eine Interpretation, die bei den Zuhörern verfängt, und weil unter ihnen spätere Zelebritäten der französischen intellektuellen Szene fast aufeinandersitzen, wird Alexandre Kojève - vormals Alexander Koschwenikoff - zu einer einflussreichen Figur. Und nach dem Krieg zu einer bereits halbwegs legendären Gestalt - denn er trifft eine Entscheidung, die sich als Konsequenz seiner mit Hegel demonstrierten These vom Ende der Geschichte im emphatischen Sinn ansehen ließ: Er wird zum höheren Beamten im französischen Wirtschaftsministerium, widmet sich der europäischen Zusammenarbeit und verfasst lediglich als "Sonntagsphilosoph" noch drei Bände über die antike griechische Philosophie, von denen zwei erst nach seinem Tod im Jahr 1968 erscheinen.
Viel ist über Kojève geschrieben worden, aber jetzt erst liegen auf Deutsch seine frühen Aufzeichnungen vor, verfasst unmittelbar nach der Ankunft in Deutschland, aber bis ins Jahr 1918 zurückreichend - weil ihm seine Notizbücher bei der Emigration abhandenkamen und er die früheren Eintragungen aus dem Gedächtnis nachschrieb. Man beginnt deshalb in diesem "Tagebuch eines Philosophen", wie sein Verfasser es nennt, bei einem Sechzehnjährigen, der über Religion, Philosophie, Kunst und die Liebe räsoniert.
Natürlich kommt da manche Pose und Tiefsinnigkeit ins Spiel. Aber jedenfalls ist an ihnen zu sehen, dass Kojèves späte Äußerungen, ihn interessierten nur noch die Weisen - neben den Wirtschaftsweisen nämlich -, auf ein früh schon gelegtes Fundament verweisen. Marco Filoni, Kojèves italienischer Biograph, hat ein bündiges Nachwort beigesteuert, das sich bei der Ausdeutung früher Vorentscheidungen für den späteren intellektuellen Weg angenehm zurückhält. Und als Frankfurter Zeitung halten wir noch fest, dass die Aufzeichnung zum Großteil in Höchst am Main niedergeschrieben wurde, wo Kojève offenbar die ersten Monate in Deutschland wohnte. Die Kritischen Theoretiker werden also damit leben müssen: Frankfurt war eine Etappe auf dem Weg in die Posthistoire.
hmay
Alexandre Kojève: "Tagebuch eines Philosophen". Aus dem Russischen und Italienischen von Simon Missal. Nachwort von Marco Filoni. Matthes & Seitz, Berlin 2015. 173 S., br., 15,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH