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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
„Fear of Music“ – so hieß 1979 ein Album der Gruppe „Talking Heads“.
Der amerikanische Autor Jonathan Lethem hat über die Songs ein sehr persönliches Buch geschrieben
VON BERND GRAFF
Je besser die Stimme eines Sängers ist, umso schwerer wird es, ihm zu glauben, was er singt. Also nutze ich meinen Falschton-Vorteil.“ Der Name des Sängers, der das in einem ziemlich komplizierten Interview von sich sagt, lautet David Byrne. Kompliziert ist dieses Interview, weil Byrne, der tatsächlich nicht immer tonsichere Sänger der amerikanischen Band Talking Heads , es unter Zuhilfenahme filmtechnischer Tricks mit sich selber führt. Wobei er mit jeder neuen Frage eine andere Interviewer-Type auffährt: Knallchargen sind sie alle. Damit konterkariert das Setting natürlich den Inhalt des Statements: Ein schief und falsch singender Sänger will, dass man ihm glaubt – während die Bilder jede Aufrichtigkeit dementieren.
Dieses Fake-Interview wollte den Kino-Film bewerben, den die Talking Heads 1983 unter der Regie von Jonathan Demme drehten: „Stop Making Sense“. Er war eigentlich nur der Mitschnitt eines Konzertes, das aber war eines der kuriosesten Sorte. Denn Byrne agiert auf der Bühne als der nervöseste Bandleader (und Schiefsänger), den die Popgeschichte jemals hervorgebracht hat: Er zappelt wie unter Stromstößen, er grimassiert, die Nerd-Brille (ohne Gläser!) hält es kaum auf der Nase, er joggt um seine Bandkollegen, himmelt eine Stehlampe an, wirft sich auf den Rücken, hat seine Hände und Beine nicht unter Kontrolle, die aber ihn – und am allerschlimmsten: Er trägt dazu einen „Big Suit“, einen mindestens zehn Nummern zu großen Anzug, der um den eigentlich schmalen Sängerkörper schlottert wie um eine eingelaufene Vogelscheuche.
Damals war man in Musikkreisen entweder auf Punk gebürstet oder man befand sich im Zustand erhöhter Ironie, in einer Art heiligem Unernst. Und dieser Film, diese Band, deren Songs waren das Unernsteste der gesamten Branche. Man sang nicht von Liebe, man sang vom Alltag junger Stadtneurotiker in willkürlich ausgedachten Situationen. Vom blauen Arkadien etwa, nachdem „das Geld ausgegangen ist“, von der „wunderschönen Ehefrau“, die gar nicht die Ehefrau ist, von den vielen Frisurwechseln, die einem den Typ versauen. Und vom Allerschlimmsten: Man hat keine Lautsprecher, keine Kopfhörer und keine Schallplatten mehr. Das alles goutierte der Fan mit der gebotenen Fassungslosigkeit und Freude, mit Heiterkeit und in bester Partylaune – obwohl die Talking Heads behaupteten, dass jetzt keine Gelegenheit mehr zu Party, Albernheiten und guter Laune sei. Nicht einmal für einen Kuss reiche die Zeit noch.
Das Verblüffendste überhaupt aber war: Die Talking Heads waren geradezu erschütternd erfolgreich mit diesem Un-Sinn. Als der Film in die Kinos kam, waren sie auf dem besten Weg, zu richtigen Welt-Superstars zu werden. Die Zeit, als sie auf kleinen New Yorker Bühnen vor supersmarten, neunmalklugen Nerds auftraten, die wie die Band Spaß an Ironie und Hintersinn hatten, war vorbei. Die Talking Heads gehörten nun allen.
Nun gibt es zwei Möglichkeiten, mit der Erschütterung umzugehen, die die Talking Heads vor allem bei der urbanen Jugend auslösten. Man kann – wie der Verfasser dieses Artikels – sich immer wieder den Film anschauen, den Kopf über den höheren Unsinn schütteln und im Kinosessel mitwippen. Oder aber, man versucht, den Grund der Erschütterung ernsthaft und akribisch zu analysieren. Letzteres macht der Buchautor Jonathan Lethem.
Lethem hat sich intensiv in den Floskeluniversen der Band umgetan, genauer: Er hat seine Faszination an dem 1979 erschienenen dritten Album „Fear of Music“ festgemacht und ein Buch geschrieben, in dem er jeden Song dieser Platte Vers für Vers zu deuten versucht. Es ist die Dokumentation einer persönlichen Obsession, fernab von Popkultur-Insider-Geschwurbel. Es ist die Sondierung einer Irritation, die bis heute anhält. Lethem jongliert dabei souverän und auf Augenhöhe mit der Ironie, die er bei allem Verständnis für die Hintergründigkeit doch äußerst ernst nimmt.
So gibt es auf dem Album den Song „Heaven“, der hier als eine Kneipe vorgestellt wird, in der für alle Ewigkeit nichts passiert.Lethem treibt nun diese Idee, dass die himmlische Zeitlosigkeit nur den Ennui der Erlösten befördere, auf die groteske Spitze. Zwar begehre jeder Einlass in diese Bar, doch stelle sich dort heraus, dass die ,Band in Heaven‘ nur einen einzigen Song draufhabe. Darum laute die wahre „Letzte Frage“, wie man denn die Unendlichkeit überhaupt ertragen solle, wenn der absolute Stillstand zwar vom ,Favourite Song‘ untermalt werde, aber nur von diesem und das auf immer. „Wenn nichts aufregend ist“, so Lethem, „ist ja überhaupt nichts interessant. Oder ist nichts AUFREGEND? Ein faszinierender Zustand, der uns ‚es‘, je weniger da ist, umso brillanter erscheinen lässt. Aber was ist ‚es‘, wenn ‚es‘ nichts ist?“ Von derlei logischen Windungen ist ihm wohl selber schwindelig geworden, Lethem fährt fort: „Ich habe versucht, euch zu warnen, Suchende: Rätsel hinter Rätsel hinter Rätsel usw.“
Lethem ist ein Sinnsucher vor dem Herrn, er macht das mit der Akribie eines Hypochonders, der in sich hineinhorcht, ob da nicht doch etwas in den Organen rasselt, wenn man den Körper in eine bestimmte Stellung bringt. Angemessen sei das, so Lethem, die Platte habe schließlich sein Leben verändert. „Ich spielte das Album so häufig ab, bis das Vinyl hinüber war, und kaufte mir dann ein neues Exemplar.“ Dieses close reading will keine popgeschichtliche Aufarbeitung sein, nur eine persönliche. Zwischen die hermeneutischen Bemühungen um den Sinn von Musik, Text und urbanen Reminiszenzen mischt Lethem darum auch Assoziationen, die den Imperativ „Stop Making Sense!“ beim Wort nehmen. Um dann am Ende festzuhalten, dass ihn die mittlerweile dreißig Jahre währende Beschäftigung mit „Fear of Music“ zu einer Angst geführt hat, die niemals auf Vinyl gepresst werden kann.
Jonathan Lethem: Talking Heads – Fear Of Music: Ein Album anstelle meines Kopfes. Aus dem Englischen von Johann Christoph Maass. Tropen-Verlag, Stuttgart. 2014, 176 Seiten, 17,95 Euro.
Nicht einmal
für einen Kuss
reicht die Zeit noch
Der Autor mischt Assoziationen
unter, die den Imperativ „Stop
Making Sense!“ wörtlich nehmen
Der Talking Heads -Sänger David Byrne im „Big Suit“ in dem Konzert-Film „Stop Making Sense“
Foto: Palm Pictures
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