Im Februar 1917 besuchte der junge Militärarzt und Dichter Gottfried Benn die Familie Sternheim in La Hulpe bei Brüssel. »Stark. Bedeutend. Aber schrecklich zugleich«, schreibt Thea Sternheim in ihr Tagebuch. Diese Mischung aus Bewunderung und Abscheu ist typisch für die Art und Weise, wie Frauen Gottfried Benn sahen. Benn stellte infrage, was der bürgerlichen Welt heilig war: das ästhetische Empfinden, den guten Geschmack und die Moral. Aus der Begegnung mit Thea Sternheim und ihrer Tochter Mopsa entwickelt sich eine Ménage-à-trois, die bis in die fünfziger Jahre anhalten wird. Else Lasker-Schüler, Tilly Wedekind, und eben Mopsa und Thea Sternheim – Gottfried Benns amouröse Abenteuer sind legendär, obschon er auf den ersten Blick wenig anziehend wirkte. Wolfgang Martynkewicz schildert Benn als Dichter und Liebenden in einer Zeit, in der die festen Bezugspunkte schwankten. Eine meisterhaft erzählte Lebens- und Liebesgeschichte vor dem Hintergrund der heraufziehenden Konflikte des 20. Jahrhunderts. »Rasender Mensch ist er und sehr stark.« Else Lasker-Schüler.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.08.2017Im Beziehungsdreieck
Gottfried Benn, Thea und „Mopsa“ Sternheim – Wolfgang Martynkewicz berichtet vom Dichter, den Frauen und einem halben Jahrhundert Zeitgeschichte
Das muss man können: drei miteinander verbundene Lebensgeschichten zu erzählen – je einzeln wie in ihren Überschneidungen –, darüber weder die Kultur noch die politische Geschichte der Zeit zu vernachlässigen und aus all diesem ein alleweil anregend zu lesendes Buch zu machen. In seiner Beziehungs-Biografie „Tanz auf dem Pulverfass. Gottfried Benn, die Frauen und die Macht“ zeigt Wolfgang Martynkewicz, dass er das beeindruckend gut kann. Und so sehen wir, in welch unterschiedlichen Lebensumständen die vermögende und hochkultivierte Thea Sternheim, Ehefrau des Dramatikers Carl Sternheim, ihre Tochter „Mopsa“ und der junge Arzt und Dichter Gottfried Benn sich befanden, als sie einander zuerst 1917 in der schlossähnlichen Villa der Sternheims in einem Vorort von Brüssel begegneten.
Wie sie miteinander kommunizieren, wie sich ihre Wege immer wieder kreuzen – zumeist, wenn sich die Sternheims in Berlin befinden –, sehen wir auch: 1926 umwirbt der 40-jährige Benn die um drei Jahre ältere Thea Sternheim in Briefen und Begegnungen und beginnt zur selben Zeit mit der 21-jährigen Mopsa eine Affäre, aus der diese sich durch einen Selbstmordversuch zu befreien versucht. Dr. Benn pumpt ihr den Magen aus.
Die wechselhaften Beziehungen enden mit Mopsas Tod 1954. Benn stirbt im Jahr 1956, Thea Sternheim lebt noch bis 1971 und führt bis wenige Wochen vor ihrem Tod ihr Tagebuch weiter, das eine der Grundlagen von Martynkewicz’ sorgfältig recherchierter Dreiecksstudie ist.
Doch ist das Buch weit mehr als nur das, denn glücklicherweise belässt der Autor es nicht bei den biografischen Verflechtungen. Vielmehr steht hier ein halbes Jahrhundert deutscher und europäischer Geschichte zur Debatte: das Ende des Kaiserreichs und die Weimarer Republik (mitsamt dem Expressionismus), dann die NS-Diktatur, Emigration und Widerstand.
Der Résistance hatte sich Mopsa Sternheim in Paris angeschlossen, wo ihre Mutter und sie seit 1932 lebten. Die Gestapo verhaftete die junge Frau im Dezember 1943 von der Straße weg, sie wurde inhaftiert und gefoltert, nach Deutschland deportiert und am 23. April 1945 schließlich aus dem KZ Ravensbrück befreit.
Am Ende aber muss es um das restaurative Deutschland der Nachkriegszeit gehen, wo Gottfried Benn 1951 mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet wird und 1953 aus der Hand von Bundespräsident Heuss das Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland empfängt – Lohn für ein erfolgreiches „Doppelleben“, wie der Titel von Benns 1950 erschienener Autobiografie lautete.
Der Fokus auf die zwei Frauen, deren ältere das arrivierte deutsche Bürgertum des ausgehenden 19. Jahrhunderts, deren Tochter die „Verlorene Generation“ der in den Zwanzigerjahren erwachsen Werdenden repräsentiert, zusammen mit dem Dichter, der als Expressionist begonnen, sich aber schon vor 1933 den Nazis in Wort und Schrift angedient hatte, erweist sich bei der Durchquerung der komplexen Kultur- und Gesellschaftsgeschichte dieser Jahrzehnte als überaus produktiv. Der fliegende Wechsel zwischen den drei Biografien zeigt dabei grundverschiedene Perspektiven auf die erlebte Zeit, zugleich werden die drei Charaktere in ihren Lebensentscheidungen kenntlich.
Thea und Mopsa Sternheim erscheint ein Dasein im sich faschisierenden Deutschland unerträglich, sie dürfen sich von Benns „Antwort an die literarischen Emigranten“ (1933) mit verhöhnt fühlen. Benn wiederum bewegt sich während der NS-Zeit als Militärarzt zwischen Berlin, Hannover und Landsberg an der Warthe.
Im September 1952 – zur Buchpremiere von Thea Sternheims Roman „Sackgassen“, dessen Publikation Benn wirkungsvoll unterstützt hatte, treffen sie sich nach zwanzig Jahren noch einmal in Berlin. Mopsa ist „angewidert“ von Benns „Doppelleben“, das sie einen „Leitfaden für Opportunisten“ nennt, Thea Sternheim, von Benns Sprachkunst immer wieder angezogen, kann ihm seine selbst in der Nachkriegszeit noch aufrechterhaltene Diffamierung der Emigration nicht verzeihen.
Und Benn? „Gott, wie verwittert u krumm u von den Knochen gefallen sieht man aus“, schreibt er an seinen Freund Oelze, nachdem er die beiden Frauen wiedergesehen hat: die frühere Geliebte, die das KZ überlebte, und die einstige Verehrerin, der er unzweideutige Avancen gemacht hatte. Hier konnte nichts weitergehen.
Wolfgang Martynkewicz führt mit erzählerisch sicherem Zugriff durch diese auch in sich selbst widersprüchlichen Lebensgeschichten, ein vielfach zerklüftetes Zeitbild entsteht.
Nur eingefleischte Benn-Verehrer werden an diesem Buch keine Freude haben. Da hier nicht seine Dichtung, sondern der Mann Benn im Zentrum steht, der Frauen für einen „Gegenstand“ hielt, „eine Art Menschen“, und in der Bundesrepublik dann mit Glanz und Gloria eine zweite literarische Karriere hinlegte, wird man sich für ihn, diese laut Mopsa Sternheim „uneinnehmbare Festung“, am wenigsten erwärmen.
FRAUKE MEYER-GOSAU
Dieser Mann hielt
Frauen für einen „Gegenstand“,
„eine Art Menschen“
Wolfgang Martynkewicz: Tanz auf dem Pulverfass. Gottfried Benn, die Frauen und die Macht.
Aufbau Verlag, Berlin 2017. 408 Seiten, 24 Euro. E-Book 18,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Gottfried Benn, Thea und „Mopsa“ Sternheim – Wolfgang Martynkewicz berichtet vom Dichter, den Frauen und einem halben Jahrhundert Zeitgeschichte
Das muss man können: drei miteinander verbundene Lebensgeschichten zu erzählen – je einzeln wie in ihren Überschneidungen –, darüber weder die Kultur noch die politische Geschichte der Zeit zu vernachlässigen und aus all diesem ein alleweil anregend zu lesendes Buch zu machen. In seiner Beziehungs-Biografie „Tanz auf dem Pulverfass. Gottfried Benn, die Frauen und die Macht“ zeigt Wolfgang Martynkewicz, dass er das beeindruckend gut kann. Und so sehen wir, in welch unterschiedlichen Lebensumständen die vermögende und hochkultivierte Thea Sternheim, Ehefrau des Dramatikers Carl Sternheim, ihre Tochter „Mopsa“ und der junge Arzt und Dichter Gottfried Benn sich befanden, als sie einander zuerst 1917 in der schlossähnlichen Villa der Sternheims in einem Vorort von Brüssel begegneten.
Wie sie miteinander kommunizieren, wie sich ihre Wege immer wieder kreuzen – zumeist, wenn sich die Sternheims in Berlin befinden –, sehen wir auch: 1926 umwirbt der 40-jährige Benn die um drei Jahre ältere Thea Sternheim in Briefen und Begegnungen und beginnt zur selben Zeit mit der 21-jährigen Mopsa eine Affäre, aus der diese sich durch einen Selbstmordversuch zu befreien versucht. Dr. Benn pumpt ihr den Magen aus.
Die wechselhaften Beziehungen enden mit Mopsas Tod 1954. Benn stirbt im Jahr 1956, Thea Sternheim lebt noch bis 1971 und führt bis wenige Wochen vor ihrem Tod ihr Tagebuch weiter, das eine der Grundlagen von Martynkewicz’ sorgfältig recherchierter Dreiecksstudie ist.
Doch ist das Buch weit mehr als nur das, denn glücklicherweise belässt der Autor es nicht bei den biografischen Verflechtungen. Vielmehr steht hier ein halbes Jahrhundert deutscher und europäischer Geschichte zur Debatte: das Ende des Kaiserreichs und die Weimarer Republik (mitsamt dem Expressionismus), dann die NS-Diktatur, Emigration und Widerstand.
Der Résistance hatte sich Mopsa Sternheim in Paris angeschlossen, wo ihre Mutter und sie seit 1932 lebten. Die Gestapo verhaftete die junge Frau im Dezember 1943 von der Straße weg, sie wurde inhaftiert und gefoltert, nach Deutschland deportiert und am 23. April 1945 schließlich aus dem KZ Ravensbrück befreit.
Am Ende aber muss es um das restaurative Deutschland der Nachkriegszeit gehen, wo Gottfried Benn 1951 mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet wird und 1953 aus der Hand von Bundespräsident Heuss das Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland empfängt – Lohn für ein erfolgreiches „Doppelleben“, wie der Titel von Benns 1950 erschienener Autobiografie lautete.
Der Fokus auf die zwei Frauen, deren ältere das arrivierte deutsche Bürgertum des ausgehenden 19. Jahrhunderts, deren Tochter die „Verlorene Generation“ der in den Zwanzigerjahren erwachsen Werdenden repräsentiert, zusammen mit dem Dichter, der als Expressionist begonnen, sich aber schon vor 1933 den Nazis in Wort und Schrift angedient hatte, erweist sich bei der Durchquerung der komplexen Kultur- und Gesellschaftsgeschichte dieser Jahrzehnte als überaus produktiv. Der fliegende Wechsel zwischen den drei Biografien zeigt dabei grundverschiedene Perspektiven auf die erlebte Zeit, zugleich werden die drei Charaktere in ihren Lebensentscheidungen kenntlich.
Thea und Mopsa Sternheim erscheint ein Dasein im sich faschisierenden Deutschland unerträglich, sie dürfen sich von Benns „Antwort an die literarischen Emigranten“ (1933) mit verhöhnt fühlen. Benn wiederum bewegt sich während der NS-Zeit als Militärarzt zwischen Berlin, Hannover und Landsberg an der Warthe.
Im September 1952 – zur Buchpremiere von Thea Sternheims Roman „Sackgassen“, dessen Publikation Benn wirkungsvoll unterstützt hatte, treffen sie sich nach zwanzig Jahren noch einmal in Berlin. Mopsa ist „angewidert“ von Benns „Doppelleben“, das sie einen „Leitfaden für Opportunisten“ nennt, Thea Sternheim, von Benns Sprachkunst immer wieder angezogen, kann ihm seine selbst in der Nachkriegszeit noch aufrechterhaltene Diffamierung der Emigration nicht verzeihen.
Und Benn? „Gott, wie verwittert u krumm u von den Knochen gefallen sieht man aus“, schreibt er an seinen Freund Oelze, nachdem er die beiden Frauen wiedergesehen hat: die frühere Geliebte, die das KZ überlebte, und die einstige Verehrerin, der er unzweideutige Avancen gemacht hatte. Hier konnte nichts weitergehen.
Wolfgang Martynkewicz führt mit erzählerisch sicherem Zugriff durch diese auch in sich selbst widersprüchlichen Lebensgeschichten, ein vielfach zerklüftetes Zeitbild entsteht.
Nur eingefleischte Benn-Verehrer werden an diesem Buch keine Freude haben. Da hier nicht seine Dichtung, sondern der Mann Benn im Zentrum steht, der Frauen für einen „Gegenstand“ hielt, „eine Art Menschen“, und in der Bundesrepublik dann mit Glanz und Gloria eine zweite literarische Karriere hinlegte, wird man sich für ihn, diese laut Mopsa Sternheim „uneinnehmbare Festung“, am wenigsten erwärmen.
FRAUKE MEYER-GOSAU
Dieser Mann hielt
Frauen für einen „Gegenstand“,
„eine Art Menschen“
Wolfgang Martynkewicz: Tanz auf dem Pulverfass. Gottfried Benn, die Frauen und die Macht.
Aufbau Verlag, Berlin 2017. 408 Seiten, 24 Euro. E-Book 18,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
» Faszinierend zu Lesen (...) Martynkewicz hat ein gescheites Buch über Benns Leben, seine Frauen und seinen politischen Sündenfall vorgelegt. « Nürnberger Zeitung 20180209