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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Sprachrausch und literarisches Hohelied der Musik: Fiston Mwanza Mujila überzeugt auch mit seinem zweiten Roman
Wenn sie Literatur zum Anhängsel von Identität macht, ist die Debatte um Identität und Literatur aus dem Ruder gelaufen. Das gibt Fiston Mwanza Mujila in einer Pointe seines Romans "Tanz der Teufel" zu verstehen. Dort schickt er - der in Graz lebende Kongolese - nämlich den Österreicher Franz Baumgartner nach Zaire, um einen Roman zu schreiben über die Katanga-Rebellen oder "eine zweihundertjährige Frau, die er in Angola kennengelernt haben will". Für sexuelle Dienste kommt Baumgartner im Stundenhotel "Vaudeville de l'Amour" unter. Die Bevölkerung ist kritisch: "'Er scheint sympathisch zu sein, dieser Junge, aber er spielt mit dem Feuer. Hat man das Recht, Figuren zu schaffen, die nicht denselben Erfahrungshintergrund haben wie man selbst? Die Versklavung, die Kolonisation . . .' 'Er ist ein Schriftsteller, er schreibt Fiktion.' 'Wir sind hier immerhin in Zaire!' 'Solange er mich auf ein Bier einlädt, kann er schreiben, was er will.'" Womit das geklärt wäre.
Franz wird Inspiration erst im Knast finden, wo der Exzentriker zum Gespött wird. Der Clou ist jedoch, dass er ein Alter Ego des Autors ist: Er wird Schriftsteller, und er ist einer von nur zwei Icherzählern. Vor allem schaut der Autor selbst (auch) aus österreichischer Warte auf das Land seiner Kindheit, und was für Franz wahr ist, gilt für ihn: "Wenn ihr mich fragt, es ist nicht leicht für ihn, als weißer Autor über Afrika zu schreiben und in seinem Roman zudem nicht nur eine, sondern viele schwarze Hauptfiguren auftreten zu lassen. Das ist, wie durch einen Teich aus Klischees zu waten." Das tut Mwanza Mujila eben nicht, zu seinem und unserem Glück.
Nach dem jazzigen Debüt "Tram 83", das die Literatur zum Hotten gebracht hat, waren sie groß, die Erwartungen an Mwanza Mujila - und er erfüllt sie. "Tanz der Teufel" ist eine Spur abgeklärter, realistischer, aber auch der zweite Roman vibriert, stampft und swingt. Die Handlung ist wieder zweitrangig, in der Tat treten viele Hauptfiguren auf, selbst wenn nicht alle schwarz sind. Ihre Freund- und Feindschaften, Auf- und Abstiege fügen sich in einen lockeren historischen Rahmen, von den späten Siebzigerjahren bis zum Wandel nach Absetzung des Diktators Mobutu (1997) und dem Wandel von Zaire zur Demokratischen Republik Kongo; Mwanza Mujila selbst wurde 1981 in Lubumbashi, der zweitgrößten Stadt des Landes, geboren und ist dort aufgewachsen.
Wichtigste Figur seines Romans ist Sanza: Als dessen Freund Molakisi ins benachbarte Angola zum Diamantenschürfen geht, verliert er seinen Unterschlupf bei dessen Familie. Sanza will nicht ins langweilige Elternhaus zurück, wird Straßenjunge, lernt zweifelhafte Freunde kennen wie Ngungi, den Weißen und den Anarchisten. Er singt ein heikles Lied auf die Freiheit: "Wir waren Prinzen, Könige und Marquis ohne Zukunft, beflügelt vom Klebstoff; der Klebstoff brachte uns auf Ideen, der Klebstoff war unsere Inspirationsquelle, der Klebstoff befeuerte unsere Träume, und der Klebstoff hielt unseren Widerstand aufrecht in den Nächten, die verseucht waren von den Finanzinspektoren, megalomanischen Militärs, Geschlechtsorganhändlern und anderen Blutspendensammlern zu Opferzwecken." Vor allem träumen sie wie alle anderen vom "Tanz der Teufel", einer Rumba, die regelmäßig im Tanzlokal "Mambo de la fête" gespielt wird.
Nachdem Sanza von seinen Freunden verraten wurde, spannt ihn Monsieur Guillaume - "ein Lächeln wie ein Ölfleck auf einem Hemd" - als Spitzel für das Regime ein. Während Sanza in Restaurants und Folterkellern konversiert oder konspirativ mit Monsieur Guillaume durch die Stadt rast, erfahren wir von Ngungi, ebenfalls Spitzel, von der rätselhaften, angeblich uralten Tshiamuena, von Magellan, einem Lehrer portugiesischer Herkunft, der einen faustischen Pakt mit einer Meerjungfrau schließt, von dem Möchtegernschriftsteller Franz Baumgartner und vielen anderen. Dann überstürzen sich die Ereignisse: Mobutu wird gestürzt, Kindersoldaten übernehmen die Stadt; manche werden reich, andere verschwinden. Sanza schlägt sich durch, Ngungi wird Ölmagnat. Am Schluss freilich schließt Molakisis Rückkehr als Erzbischof die Klammer und mischt Sanzas Karten neu.
"Tanz der Teufel" ist wie "Tram 83" ein Hohelied der Musik - und ein Sprachrausch: "Kein (erkennbarer) Text, nur Becken, ein Bariton-Saxophon - dominant, herausragend in den Soloeinlagen, wobei jedes Solo mit lautem Kreischen endete, wie wenn eine Schrottkiste in den Bahnhof einfährt -, psychedelische Riffs hawaiianischer Gitarren, ein erhabenes Akkordeon, das der unterdurchschnittlichen Trompete zu Hilfe eilte, drei Cajóns - phantastisch gespielt von einem peruanischen Trio." Das Publikum: "Bettler, Kleinganoven, Amateurdiebe, abgehalfterte Zuhälter, einstige Größen des zairischen Fußballs, abgebrannte Alkoholiker, potenzielle Spione, Banditen, Papasöhnchen, Ingenieure, Lehrer im Anzug oder im Brautkleid". Es geht mit: "Und dazu die rasende Menge, die die Schreie nachahmte. Wie ein zerebrales Erdbeben."
Die Musik gibt dem "Tanz der Teufel" den Rhythmus vor. Mwanza Mujila überzeugt durch ungeheure Vitalität: Anders als der Klebstoff, den Sanza schnüffelt, schwemmt der Soundteppich nicht Elend, Missklänge, politische Unterdrückung und Gewalt hinweg. Die Straßenkinder haben ihren Willen und ihre Ehre - "wir trugen unsere Lumpen mit Eleganz". Mwanza Mujila integriert negative und übernatürliche Elemente, versetzt Darstellung und Kommentar mit feinkörniger Ironie. Literarisch überzeugend ist seine Romankunst deshalb, weil er seinem Gegenstand erzählerische und sprachlich-innovative Energie abgewinnen kann, dass es nur so funkt und kracht. Vertraut ist seine Welt nach der Lektüre nicht, fremd aber auch nicht mehr. So funktioniert halt Literatur, ihr Puristen! NIKLAS BENDER
Fiston Mwanza Mujila: "Tanz der Teufel". Roman.
Aus dem Französischen von Katharina Meyer und Lena Müller. Zsolnay-Verlag, Wien 2022. 284 S., geb., 25,- Euro.
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