Dieselskandal, Betrügereien bei der Typenzulassung, Preis- und Strategieabsprachen: Die Zweifel daran, ob der Wille zur Reform bei den Autoherstellern überhaupt vorhanden ist und die Industrie den versprochenen Transfer der Antriebsformen oder gar die Entwicklung neuer Mobilitätsangebote schafft, mehren sich. ... Denn der deutschen Autoindustrie gefällt es so, wie es jetzt ist, eigentlich sehr gut: Sie ist eine mächtige Branche mit vielen Industriearbeitsplätzen, politisch hervorragend vernetzt und seit Jahrzehnten vom Erfolg verwöhnt. ... Um in der Mobilität der Zukunft zu überleben, müssen sich die Unternehmen komplett neu erfinden. Aber dies gelingt der Branche wohl nicht von selbst. Veränderte politische Rahmenbedingungen, neue Bündnisse und die Konsumenten werden die Unternehmen zu ihrem Glück zwingen müssen. »Taumelnde Giganten. Gelingt der Autoindustrie die Neuerfindung?« zeigt, welche Weichen gestellt werden müssen, um die Wende doch noch zu schaffen.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.03.2018Sinnstiftung und Sehnsüchte jenseits des Autos
Weert Canzler und Andreas Knie analysieren die Macht der Konzerne und suchen Wege für eine Verkehrswende
Trotz Dieselskandal, Preisabsprachen und schleppender Entwicklung neuer Antriebe macht die Autoindustrie unverändert Gewinne. Geschützt durch eine jahrzehntelange Symbiose mit Staat und Verbrauchern fühlt sich die Branche sicher, zumal das Auto lange Zeit so etwas wie ein Inbegriff von Freiheit, Status und Familie zu sein schien. Klimawandel, zubetonierte Landschaften, Luftschadstoffe und neue Lebensformen setzen die Konzerne gleichwohl zunehmend unter Druck. Davon berichtet ein neues Buch der Verkehrswissenschaftler Weert Canzler und Andreas Knie, das zugleich nach Konzepten für eine Verkehrswende sucht.
Canzler und Knie rekapitulieren in einem interessanten historischen Abriss, wie mit massiven staatlichen Anschüben das Auto nach Deutschland kam. Sie zeichnen nach, wie die Autokonzerne, aber auch die kommunalen ÖPNV-Unternehmen zu relativ unbeweglichen Kolossen wurden. Und wie digitale Plattformen der Sharing Economy all dies heute herausfordern und eine kostensparende, ökologischere Mobilität ermöglichen könnten, für die nicht mehr jeder ein Auto besitzen muss.
Etwas unterbelichtet bleibt dabei ein frappierender Gegensatz. Einerseits ist das Auto unter Druck und nicht mehr unantastbar, andererseits gab es noch nie so viele Autos wie heute. Erst recht ist in anderen Teilen der Welt der Traum vom Auto noch nicht ausgeträumt, sondern entfaltet sich gerade erst voll. Auch die Ziele einer Verkehrswende betrachten die Autoren kaum. Atemwegserkrankungen, Kosten im Gesundheitssystem, Biodiversitätsverluste und Klimawandel wären hier Stichworte. Beim Klimaschutz verlangt das Pariser Klima-Abkommen, indem es die globale Erwärmung auf möglichst 1,5 Grad begrenzt, letztlich null Klimagasemissionen in wenigen Jahren. Für fossile Brennstoffe und selbst für Biotreibstoffe, die auch Emissionen erzeugen, wäre dann kein Raum mehr.
Die fossilen Brennstoffe waren historisch ein (von Canzler und Knie nicht erwähnter) zentraler Treiber der Auto-Erfolgsgeschichte, so wie Öl, Gas und Kohle auch sonst unsere moderne Welt mit vermeintlich billigem Strom, massenhaft Kunststoffen und mineraldüngergestützten Bergen tierischer Nahrungsmittel prägen. Und mit billigen Flugreisen, die bislang die Verkehrswende weg vom Auto eher zu einem Öko-Desaster gemacht haben. Gerade unter jungen Leuten, besonders unter den Umweltbewegten, ist das Auto weitgehend out. Dafür sind immer weitere Fernreisen als Sehnsuchtsraum und vermeintlicher Sinnstifter in einer postreligiösen Welt beliebt wie noch nie. Paradoxerweise ist dann die Ökobilanz weit schlechter als bei einem imaginären Rentner, der vielleicht den Fachbegriff „Ökobilanz“ noch nie gehört hat, der aber noch nie geflogen ist und nur ab und an mal Auto fährt.
Zu kurz springen Canzler und Knie, wenn sie Auto-Erfolgsgeschichte und Verkehrswende gleichermaßen daran knüpfen, dass politisch eine klare Programmatik und ein ansprechendes Narrativ vorhanden sind. Erzählungen und Programme verfangen nur, wenn bestimmte menschliche Wünsche und Emotionen damit bedient werden können. Vorstellungen von Männlichkeit, Unabhängigkeit, Identität und Weltläufigkeit lassen sich eben doch leichter auf Autos und Fernreisen projizieren als auf eine U-Bahn. Wie schnell wir alle im Zeitalter von Individualisierung und postmodernem Sinnverlust von unseren motorisierten und fliegenden Vehikeln zu lassen bereit sind, steht deshalb in den Sternen. Und selbst wenn all dies ganz anders wäre, könnten Arbeitnehmer und Gewerkschaften immer noch aus kurzfristigen Einkommensinteressen gegen eine postfossile Mobilität sein.
FELIX EKARDT
Felix Ekardt leitet die Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin und ist Professor an der Uni Rostock.
Weert Canzler,
Andreas Knie:
Taumelnde Giganten:
Gelingt der Autoindustrie die Neuerfindung?
Oekom-Verlag München 2018, 160 Seiten, 13 Euro.
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Weert Canzler und Andreas Knie analysieren die Macht der Konzerne und suchen Wege für eine Verkehrswende
Trotz Dieselskandal, Preisabsprachen und schleppender Entwicklung neuer Antriebe macht die Autoindustrie unverändert Gewinne. Geschützt durch eine jahrzehntelange Symbiose mit Staat und Verbrauchern fühlt sich die Branche sicher, zumal das Auto lange Zeit so etwas wie ein Inbegriff von Freiheit, Status und Familie zu sein schien. Klimawandel, zubetonierte Landschaften, Luftschadstoffe und neue Lebensformen setzen die Konzerne gleichwohl zunehmend unter Druck. Davon berichtet ein neues Buch der Verkehrswissenschaftler Weert Canzler und Andreas Knie, das zugleich nach Konzepten für eine Verkehrswende sucht.
Canzler und Knie rekapitulieren in einem interessanten historischen Abriss, wie mit massiven staatlichen Anschüben das Auto nach Deutschland kam. Sie zeichnen nach, wie die Autokonzerne, aber auch die kommunalen ÖPNV-Unternehmen zu relativ unbeweglichen Kolossen wurden. Und wie digitale Plattformen der Sharing Economy all dies heute herausfordern und eine kostensparende, ökologischere Mobilität ermöglichen könnten, für die nicht mehr jeder ein Auto besitzen muss.
Etwas unterbelichtet bleibt dabei ein frappierender Gegensatz. Einerseits ist das Auto unter Druck und nicht mehr unantastbar, andererseits gab es noch nie so viele Autos wie heute. Erst recht ist in anderen Teilen der Welt der Traum vom Auto noch nicht ausgeträumt, sondern entfaltet sich gerade erst voll. Auch die Ziele einer Verkehrswende betrachten die Autoren kaum. Atemwegserkrankungen, Kosten im Gesundheitssystem, Biodiversitätsverluste und Klimawandel wären hier Stichworte. Beim Klimaschutz verlangt das Pariser Klima-Abkommen, indem es die globale Erwärmung auf möglichst 1,5 Grad begrenzt, letztlich null Klimagasemissionen in wenigen Jahren. Für fossile Brennstoffe und selbst für Biotreibstoffe, die auch Emissionen erzeugen, wäre dann kein Raum mehr.
Die fossilen Brennstoffe waren historisch ein (von Canzler und Knie nicht erwähnter) zentraler Treiber der Auto-Erfolgsgeschichte, so wie Öl, Gas und Kohle auch sonst unsere moderne Welt mit vermeintlich billigem Strom, massenhaft Kunststoffen und mineraldüngergestützten Bergen tierischer Nahrungsmittel prägen. Und mit billigen Flugreisen, die bislang die Verkehrswende weg vom Auto eher zu einem Öko-Desaster gemacht haben. Gerade unter jungen Leuten, besonders unter den Umweltbewegten, ist das Auto weitgehend out. Dafür sind immer weitere Fernreisen als Sehnsuchtsraum und vermeintlicher Sinnstifter in einer postreligiösen Welt beliebt wie noch nie. Paradoxerweise ist dann die Ökobilanz weit schlechter als bei einem imaginären Rentner, der vielleicht den Fachbegriff „Ökobilanz“ noch nie gehört hat, der aber noch nie geflogen ist und nur ab und an mal Auto fährt.
Zu kurz springen Canzler und Knie, wenn sie Auto-Erfolgsgeschichte und Verkehrswende gleichermaßen daran knüpfen, dass politisch eine klare Programmatik und ein ansprechendes Narrativ vorhanden sind. Erzählungen und Programme verfangen nur, wenn bestimmte menschliche Wünsche und Emotionen damit bedient werden können. Vorstellungen von Männlichkeit, Unabhängigkeit, Identität und Weltläufigkeit lassen sich eben doch leichter auf Autos und Fernreisen projizieren als auf eine U-Bahn. Wie schnell wir alle im Zeitalter von Individualisierung und postmodernem Sinnverlust von unseren motorisierten und fliegenden Vehikeln zu lassen bereit sind, steht deshalb in den Sternen. Und selbst wenn all dies ganz anders wäre, könnten Arbeitnehmer und Gewerkschaften immer noch aus kurzfristigen Einkommensinteressen gegen eine postfossile Mobilität sein.
FELIX EKARDT
Felix Ekardt leitet die Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin und ist Professor an der Uni Rostock.
Weert Canzler,
Andreas Knie:
Taumelnde Giganten:
Gelingt der Autoindustrie die Neuerfindung?
Oekom-Verlag München 2018, 160 Seiten, 13 Euro.
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